Nachfolgend ein Beitrag vom 5.12.2016 von Cranshaw, jurisPR-InsR 23/2016 Anm. 2

Leitsatz

Sind keine Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten offen, kann dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung nur erteilt werden, wenn er tatsächlich die Verfahrenskosten berichtigt hat und ihm nicht nur Verfahrenskostenstundung erteilt wurde.

A. Problemstellung

Der Insolvenzrechtssenat des BGH hatte sich im Rahmen der Insolvenz einer natürlichen Person mit der Frage zu befassen, ob die Restschuldbefreiung voraussetzt, dass (auch) die Verfahrenskosten vollständig bezahlt worden sind, obwohl die Masseverbindlichkeiten ebenso wie die (angemeldeten) Insolvenzforderungen vollständig befriedigt worden sind oder Forderungen nicht angemeldet wurden und keine sonstigen Masseverbindlichkeiten ersichtlich sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Über das Vermögen des Schuldners wurde auf Eigenantrag vom 10.10.2014 am 14.11.2014 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die Verfahrenskosten wurden ihm gestundet. Seine in dem Insolvenzantrag offenbar aufgeführten Verbindlichkeiten beliefen sich auf 29.490,54 Euro bei zehn Gläubigern. Insolvenzforderungen wurden nicht angemeldet. Masse war nicht vorhanden. Am 04.08.2015 wurde das Verfahren bei offenen Verfahrenskosten von 1.318,80 Euro aufgehoben.
Kurz darauf beantragte der Schuldner vorzeitige Restschuldbefreiung. Der Antrag war beim AG Hannover erfolglos. Das LG Hannover hat die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Das LG Hannover hatte die Restschuldbefreiung im Hinblick auf den Wortlaut des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO abgelehnt, da die Verfahrenskosten nicht berichtigt worden waren. Dieser Auslegung der Norm nach dem Wortlaut setzte das LG Hannover das Argument entgegen, dass ein Insolvenzverfahren ohne Gläubiger, die Ansprüche geltend machten, „sinnentleert“ sei und lediglich sinnlos Kosten produziere. Im Hinblick auf § 4b InsO werde das fiskalische Interesse der Staatskasse auf Befriedigung der Verfahrenskosten ebenfalls nicht wirklich berührt. Mit anderen Worten hat das Landgericht eine systematische Schwäche der gesetzlichen Regelung in einem Sonderfall aufgedeckt, der durch das Fehlen von Gläubigern beim gleichzeitig völligen Fehlen einer Masse geprägt ist. Das Beschwerdegericht sah sich aber aufgrund des Wortlauts der zitierten Norm gehindert, anders zu entscheiden, als die Beschwerde zurückzuweisen. Es sei Sache des Gesetzgebers, hier entsprechend der Anregung des Gerichts tätig zu werden.
Der BGH hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Dem Rechtsbeschwerdeführer wurde im Hinblick auf seine Mittellosigkeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist (Einlegung und Begründung) gewährt.
Der BGH pflichtet dem LG Hannover bei. Restschuldbefreiung sei möglich nach Ablauf der sechsjährigen Abtretungsfrist oder – vorzeitig – unter den Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 1 InsO, sofern keine Forderungsanmeldung durch Insolvenzgläubiger erfolgte oder deren Forderungen vollständig befriedigt sind. Dasselbe gelte für die Erfüllung der sonstigen Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO; solche habe es vorliegend nicht gegeben. Grundvoraussetzung der vorzeitigen Schuldbefreiung sei dabei indes die Befriedigung der Verfahrenskosten. Zum früheren Recht des § 299a InsO habe der BGH ebenfalls entschieden, dem Schuldner unter den vorstehenden Voraussetzungen die Restschuldbefreiung vor Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu gewähren. Die Befriedigung der Verfahrenskosten habe er stets verlangt – auch dann, wenn die Verfahrenskosten gestundet worden seien. Der Gesetzgeber habe diese Judikatur aufgegriffen. Für die aktuelle Rechtslage nach § 300 InsO bezieht sich der Senat auf die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11268, S. 30). Die Stundung der Verfahrenskosten, so der Senat im Ergebnis, stehe dem Ausgleich der Verfahrenskosten entgegen Stimmen in der instanzgerichtlichen Judikatur und Literatur nicht gleich; dies entspricht aus dem Blick des Senats dem klaren gesetzgeberischen Willen. Der BGH setzt sich hier ausführlich mit den verschiedenen Meinungen für und gegen die Restschuldbefreiung in dergleichen Fällen auseinander. Der Gesetzgeber habe in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO die vorzeitige Restschuldbefreiung nach fünf Jahren an die Bezahlung wenigstens der Verfahrenskosten geknüpft. Gesetzgeberisches Ziel sei es, dem Schuldner den Anreiz zu geben, aus eigener Kraft vorzeitig Restschuldbefreiung zu erhalten, auch wenn er die Mindestquote nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO verfehle. Das weitere Ziel war fiskalisch; die Staatshaushalte sollten durch vorzeitige Zahlungen der gestundeten Beträge entlastet werden. All das gelte auch für die Konstellation des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO, wenn alle Forderungen von Insolvenz- und Massegläubigern befriedigt seien oder keine Forderungsanmeldung erfolgt sei und sonstige Masseverbindlichkeiten nicht bestünden.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die Entscheidung ist angesichts des gesetzgeberischen Willens richtig. Vorliegend sind entweder die Insolvenzgläubiger von Dritten (z.B. von Verwandten) befriedigt worden, oder ihre Kenntnis der wirtschaftlichen Lage des Schuldners zum Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens und ihre Einschätzung für die Zukunft hat sie veranlasst, keine Anstrengungen mehr für ein vergebliches Bemühen zu unternehmen, eine Quote zu erlangen. Es war offenbar keine Chance vorhanden, auch nur eine minimale Quote für die Gläubiger zu erwarten. Unterstellt man einmal hypothetisch, die statistische Forderung jedes Gläubigers der zehn habe bei Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners von 30.000 Euro in einer Größenordnung von 3.000 Euro gelegen, so hätten sogar hypothetische Quoten von 10% nur 300 Euro für den durchschnittlichen Gläubiger bedeutet. Jedenfalls für einen gewerblichen oder freiberuflichen Gläubiger sind das Beträge, deren Verfolgung und Administration in einem Insolvenzverfahren oder Restschuldbefreiungsverfahren nahezu dieselben oder gar höhere Beträge erfordert, als sie durch die Quote erzielt werden. Muss man von vornherein annehmen, dass aufgrund fehlender Masse ohnehin nur ungewisse Zahlungen innerhalb der Abtretungsperiode zu erwarten sind mit dem entsprechenden Bearbeitungs- und Überwachungsaufwand, ist auch die Rechtsverfolgung für den Gläubiger aus ökonomischen Gründen sinnentleert.
II. Der Gesetzgeber sollte daher erwägen, hier Abhilfe zu schaffen und § 300 Abs. 1 InsO in geeigneter Weise abändern.
III. Setzt sich freilich der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 22.11.2016 zu einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren für Unternehmen durch (Dokument COM(2016) 723 final), dann erledigen sich die Fälle des § 300 InsO wohl weitgehend von selbst. In Art. 20 des Richtlinienentwurfs („Discharge period“) ist nämlich vorgesehen, dass Unternehmen nach Ablauf eines Maximalzeitraums von drei Jahren, gerechnet – verkürzt ausgedrückt – ab dem Start des Verfahrens, automatisch von ihren nicht befriedigten Verbindlichkeiten befreit werden. Eine gerichtliche Entscheidung wäre dann nicht mehr nötig. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um festzustellen, dass diese Erwägungen erst recht für Verbraucher fruchtbar gemacht würden, mit der Tendenz zu weiterer Verkürzung der Restschuldbefreiungsperiode. Die noch kürzere Einjahresfrist nach dem englischen Recht war ja gerade der Grund für den Insolvenztourismus natürlicher Personen nach England und Wales in den Jahren ab dem Inkrafttreten der EuInsVO im Jahr 2002, auch wenn diese Missbrauchsfälle als Konsequenz des Art. 3 der novellierten EuInsVO (ab 27.06.2017) weiter abnehmen sollten und auch wenn die englischen Gerichte offenbar zunehmend und zu Recht kritischer gegen die Behauptung der Verlagerung des COMI nach England eingestellt sind.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Schuldner sind gut beraten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Verfahrenskosten zu begleichen, wollen sie vorzeitig Restschuldbefreiung erlangen. Bei Kosten in Fällen wie hier, die weniger als 1.400 Euro betragen, kann der Schuldner seine Gläubiger z.B. abschütteln, wenn er aus seinem pfändungsfreien Einkommen – im Hinblick auf die Fünfjahresfrist des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO – 280 Euro jährlich oder ca. 24 Euro monatlich aufbringt. Im sechsten Jahr muss er dann nichts mehr an seine Gläubiger oder den Treuhänder aus dem pfändbaren Einkommen abführen (vgl. die §§ 287 Abs. 2, 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO). Ansonsten haftet er noch vier Jahre nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens für die gestundeten Verfahrenskosten (§ 4b Abs. 2 Satz 4 InsO).