Nachfolgend ein Beitrag vom 18.12.2018 von Kunkel/Kunkel, jurisPR-HaGesR 12/2018 Anm. 3
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Schließt der GmbH-Geschäftsführer im Zustand der Überschuldung einen Mietvertrag, so verletzt er die ihm gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG obliegenden Pflichten.
2. Ein Handeln oder Unterlassen des GmbH-Geschäftsführers im, sei es auch stillschweigenden, Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern stellt grundsätzlich keine Pflichtverletzung i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG dar.
3. Bei den Ansprüchen aus § 43 Abs. 2 GmbHG und § 64 GmbHG handelt es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände.
A. Problemstellung
Das OLG München hatte über die zivilrechtliche Haftung einer Geschäftsführerin zu entscheiden. Neben den allgemeinen Grundsätzen der Geschäftsführerhaftung aufgrund einer Pflichtverletzung i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG musste sich das Gericht mit der speziellen Haftung des Geschäftsführers bei Überschuldung und Insolvenzreife der Gesellschaft i.S.v. § 64 GmbHG auseinandersetzen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte war von 2009 bis 2012 alleinige Geschäftsführerin einer GmbH, an der sie selbst sowie ihr Ehemann je hälftig als Gesellschafter beteiligt waren. Der in 2015 zum Insolvenzverwalter der GmbH bestellte Kläger begehrte erstinstanzlich von der Beklagten aufgrund von seiner Ansicht nach pflichtwidrig vorgenommenen privaten Zahlungen der Beklagten zulasten der Gesellschaft in ihrer Zeit als Geschäftsführerin zunächst Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 24.802,54 Euro, erweiterte sodann aber seine Klage um weitere 17.936,81 Euro.
Gegen das erstinstanzliche Versäumnisurteil des LG München I legte die Beklagte zulässig Berufung vor dem OLG München ein, die im Ergebnis teilweise begründet ist. Hier stützte der Kläger sich erstmals hilfsweise auch auf eine Pflichtverletzung i.S.v. § 64 Satz 1 GmbHG.
In seiner Begründung verweist das OLG München weitgehend auf die Ausführungen der Erstinstanz, die weder vom Kläger noch von der Beklagten in der Berufung bestritten worden sind. Insgesamt handele es sich um drei Arten von inkriminierten Zahlungen, die die Geschäftsführerin während ihrer Amtszeit vorgenommen habe und die vom Kläger als Pflichtverletzung vorgetragen worden sind, nämlich (1) Zahlungen in privaten Sachen der Beklagten selbst, wie etwa eine Louis Vuitton-Tasche „zum Transport der Arbeitsunterlagen“; (2) Zahlungen in privaten Sachen des Mitgesellschafters (und Ehemannes) der Beklagten oder in ihren gemeinsamen privaten Angelegenheiten, wie etwa ein Fitnessstudio oder Kosten für eine gemeinsame Mietwohnung; sowie (3) Zahlungen nach dem Eintritt der Überschuldung.
In der Begründung stellt das Gericht fest, dass die erste Gruppe eine Pflichtverletzung i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG darstelle, die zweite aufgrund eines zumindest stillschweigenden Einverständnisses des Mitgesellschafters keine Pflichtverletzung sei und die dritte gegen § 64 GmbHG verstoße und zum Schadensersatz führe. Dementsprechend wird der Berufung teilweise stattgegeben, die erstinstanzliche Entscheidung insoweit aufgehoben und die Beklagte nunmehr zur Zahlung eines Schadensersatzes von 19.969,30 Euro verurteilt.
C. Kontext der Entscheidung
Das OLG München greift einige haftungsrelevante Fragen des GmbH-Rechts auf. Zum einen werden die prima facie als private Aufwendungen getätigten Zahlungen der Geschäftsführerin untersucht. Das Gericht kommt dabei zum Ergebnis, dass eine differenzierte Betrachtung geboten ist. So können beispielsweise Mietzahlungen für die Wohnung des Ehepaars (und der Gesellschafter) betrieblich veranlasst werden, wenn diese Wohnung zumindest zum Teil auch der betrieblichen Nutzung diente. Dabei sei die rein private Nutzung von dem Kläger substantiiert darzulegen, was dem Insolvenzverwalter vorliegend nicht gelungen ist. Andererseits schmälere der Erwerb offenkundig privater Gegenstände wie Louis Vuitton-Tasche oder Brille das Vermögen der Gesellschaft, was zum Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG führe.
Insoweit ist dem OLG München zweifelsohne zuzustimmen. Grundsätzlich sollte jede einzelne Zahlung aus dem Vermögen der Gesellschaft, die durch die Geschäftsführerin veranlasst wurde, individuell betrachtet und analysiert werden, es sei denn, es bestehen Gründe zur Annahme eines Zusammenhangs zwischen mehreren Transaktionen (vgl. statt vieler Fleischer in: MünchKomm GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 262 m.w.N.). In diesem Sinne stellt jede Aneignung von Gesellschaftsressourcen ohne dienstlichen Bezug eine Pflichtverletzung dar (vgl. statt vieler Fleischer in: MünchKomm GmbHG, § 43 Rn. 192 m.w.N.), die auch nur in den seltensten Fällen schuldlos erfolgen dürfte, beispielsweise dann, wenn die Geschäftsführerin sich auf einen (fehlerhaften) Rechtsrat gestützt hätte. Vorliegend hatte die Geschäftsführerin jedoch nichts dergleichen vorgetragen, ihre Begründungen lagen vielmehr in der eigenen Wahrnehmung, die jedoch den Geschäftsführer nicht zu exkulpieren vermag (vgl. statt vieler Fleischer in: MünchKomm GmbHG, § 43 Rn. 255 m.w.N.). Dementsprechend begründen die privaten Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen eine Schadensersatzpflicht der Geschäftsführerin nach § 43 Abs. 2 GmbHG.
Zum anderen greift das OLG München die Frage des Vorliegens einer Pflichtverletzung bei der Zustimmung oder zumindest beim stillschweigenden Hinnehmen von Zahlungen oder Aufwendungen durch die Gesellschafter auf. Vorliegend hatte die Gesellschaft einige Zahlungen für den zu 50% beteiligten Mitgesellschafter und Ehemann der Geschäftsführerin übernommen. Zu Recht weist das OLG München darauf hin, dass der Wille der Gesellschaft ihrem Geschäftsführer gegenüber maßgeblich durch den Willen der Gesellschafter bestimmt und repräsentiert wird (so auch BGH, Urt. v. 07.04.2003 – II ZR 193/02; vgl. auch statt vieler Grunewald, Gesellschaftsrecht 2008, S. 36; Liebscher in: MünchKomm GmbHG, § 45 Rn. 78 m.w.N.). Demnach liegt dann keine Pflichtverletzung vor, wenn ein Handeln oder Unterlassen des Geschäftsführers mit einem zumindest stillschweigenden Einverständnis der Gesellschafter erfolgte. Da vorliegend die Geschäftsführerin selbst sowie ihr Ehemann alleinige Gesellschafter der GmbH waren, ist dessen Zustimmung zu ihrem Handeln zumindest dann anzunehmen, wenn sie „seine Rechnungen“ aus bzw. von dem Gesellschaftskonto ausgeglichen hat, wie dies etwa bei den inkriminierten Hotel- oder Mietwagenbuchungen geschah. Dementsprechend begründet das Handeln der Geschäftsführerin zumindest insoweit keine Haftung, als es durch den Willen beider Gesellschafter „gedeckt“ ist (vgl. statt vieler Fleischer in: MünchKomm GmbHG, § 43 Rn. 279-280 m.w.N.).
Ferner unterstreicht das Gericht den objektiven Maßstab bei der Beurteilung des Handelns eines Geschäftsführers. So sei ein professioneller und hauptamtlicher Geschäftsführer dazu verpflichtet, „die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens und die Bedeutung einer Maßnahme für das Unternehmen zu berücksichtigen“. Dem ist nichts entgegenzusetzen, denn ein Geschäftsführer muss sich nicht daran messen lassen, was ihm gelingt und was er kennt, sondern daran, was dieses Amt von ihm objektiv erfordert (vgl. statt vieler Fleischer in: MünchKomm GmbHG, § 43 Rn. 255 m.w.N.). Vorliegend hätte die Geschäftsführerin von der Überschuldung der Gesellschaft wissen müssen und deswegen auch (nach Eintritt der Überschuldung) keine weiteren Räume für die Gesellschaft mieten dürfen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung des OLG München bringt per se nichts wirklich Neues hinsichtlich der Geschäftsführerhaftung. Der Fall verdeutlicht aber einmal mehr, dass nicht nur in großen Unternehmen (GmbH oder AG) die Geschäftsleiter durch die Gesellschaft in Anspruch genommen werden können, sondern auch kleinere Unternehmen – wie die vorliegende Zweipersonen-GmbH, die durch Eheleute gegründet worden ist – sich spätestens bei der Insolvenz mit der Frage befassen müssen, ob die Geschäftsführer ihren Pflichten auch nachgekommen sind. Viele derartige Ansprüche lassen sich vermeiden, indem in der Gesellschaft eine Compliance-Organisation etabliert wird. Natürlich vermögen auch Compliance-Maßnahmen nicht ein vorsätzliches (ggf. sogar strafbares) Handeln einer zur Geschäftsführung berechtigten Person abzuwehren. Allerdings können diese auf bestimmte Gegebenheiten zumindest hinweisen und diesen organisatorisch entgegenwirken, wie beispielsweise vorliegend auf eine rechnerische Überschuldung der Gesellschaft. Nach der Rechtsprechung des BGH kann ferner die Ersatzpflicht des Geschäftsführers trotz der Insolvenzreife dann entfallen, wenn die Zahlungen aus dem Vermögen der Gesellschaft unmittelbar ausgeglichen werden (vgl. etwa BGH, Urt. v. 18.03.1974 – II ZR 2/72; BGH, Urt. v. 31.03.2003 – II ZR 150/02; BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13; so auch Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 64 Rn. 20; H.-F. Müller in: MünchKomm GmbHG, § 64 Rn. 149, jeweils m.w.N.). Eine funktionierende Compliance-Organisation hätte die Geschäftsführerin zumindest darauf hingewiesen, dass die Zahlungen entweder unmittelbar auszugleichen sind oder zur Haftung derselben führen können. Zwar behandelt das vorliegende Urteil ausschließlich die zivilrechtliche Haftung der Geschäftsführerin aus § 43 Abs. 2 GmbHG sowie § 64 GmbHG, allerdings sieht § 283 StGB eine Freiheitsstrafe für die Schmälerung des Vermögens bei der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, die auch in dem im Urteil geschilderten Sachverhalt durchaus denkbar ist. Eine strukturierte Compliance-Organisation könnte dem zumindest durch Sensibilisierung entgegenwirken.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das OLG München geht in seiner Entscheidung ferner auf die Klageerweiterung in der zweiten Instanz ein und weist darauf hin, dass die Prüfungsreihenfolge dabei dem Gericht vorzugeben sei. Vorliegend hatte sich der Insolvenzverwalter bei der Begründung der Klage zunächst nur auf § 43 Abs. 2 GmbHG gestützt, und erst in der zweiten Instanz den § 64 GmbHG hinzugezogen. Da es sich beim Anspruch aus § 64 GmbHG um einen hilfsweise geltend gemachten Anspruch handelt, hängt seine Prüfung vom Erfolg des Hauptantrages ab (Saenger in: Saenger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 260 Rn. 9). Dementsprechend wurden vorliegend die nach dem Eintritt der Überschuldung geleisteten und zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlichen Zahlungen als Verstoß gegen § 64 GmbHG bewertet, obschon diese keine Pflichtverletzung i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG darstellten.
Ferner hatte das OLG München die Verjährung der Ansprüche aus § 43 GmbHG angegriffen und zu Recht der Erstinstanz widersprochen, die § 199 BGB für anwendbar hielt. Richtigerweise ist nämlich § 200 Satz 1 BGB für die Verjährung von Sonderansprüchen anzuwenden, denn § 43 Abs. 4 GmbHG enthält eine besondere Verjährungsfrist. Am Ergebnis hat sich allerdings im vorliegenden Sachverhalt insoweit nichts geändert, weil die Verjährung durch den Prozesskostenhilfeantrag sowie durch die darauffolgende Klage innerhalb von fünf Jahren nach der ältesten in Frage gestellten Zahlung gehemmt wurde.
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