Nachfolgend ein Beitrag vom 18.3.2019 von Fischer, jurisPR-SteuerR 11/2019 Anm. 1

Leitsätze

1. Eine im Inland weder als Kapital- noch als Personengesellschaft rechtsfähige Briefkastengesellschaft kann nicht Anteile an einer grundbesitzenden Personengesellschaft erwerben.
2. Die Rechtsfähigkeit einer im Ausland gegründeten Kapitalgesellschaft beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes (sog. Sitztheorie).
3. Abweichend davon richtet sich die Rechtsfähigkeit nach der sog. Gründungstheorie, wenn eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat der EU, des EWR oder in einem mit diesen aufgrund Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat nach dessen Vorschrift wirksam gegründet ist.
4. Kommt einer Kapitalgesellschaft nach Maßgabe der Sitztheorie keine Rechtsfähigkeit zu, kann sie dennoch als Personengesellschaft rechtsfähig sein, wenn sie mehr als einen Gesellschafter besitzt.

A. Problemstellung

Der Beschluss befasst sich mit der Zwischenschaltung von in Drittstaaten registrierten Briefkastengesellschaften. Von der Frage, nach welchem Recht diese im Inland Rechtsfähigkeit erlangen, ist die Frage zu unterscheiden, unter welchen Voraussetzungen Rechte und Pflichten diesen kraft einer Zuordnungsentscheidung des hinter dem Konstrukt stehenden Mastermind zuzurechnen sind. Zum Beispiel hat der 3. Strafsenat des BGH die Zwischenschaltung von Gesellschaften in Vertragsbeziehungen fallbezogen „als Teil des nach außen aufgebauten Täuschungsszenarios“ unbeachtet gelassen. Auch die Missbrauchsdogmatik des EuGH zielt in diese Richtung. In jüngster Zeit verfemen das nationale und das europäische Recht Briefkastengesellschaften. Und mancherorts, wenn Strafverfolgungsbehörden tätig werden, gibt es „Heulen und Zähneknirschen“ (zu den strafrechtlichen Risiken Peters, NZWiSt 2016, 374; mit einem Rundgang durch den Besonderen Teil des StGB Papathanasiou, JA 2017, 88). Ein Paradigmenwechsel ist im Gange.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin ist eine KG mit Grundbesitz im Freistaat Sachsen. Komplementärin ist eine Unternehmergesellschaft G (haftungsbeschränkt), die mittlerweile als GmbH eingetragen und deren Geschäftsführer X ist. Kommanditist war zunächst nur X mit einer Einlage von 30.000 Euro. Mit Vertrag vom 16.01.2013 setzte X seinen Kommanditanteil auf 2.500 Euro herab, während S als Kommanditistin eintrat. Mit weiterem Vertrag vom 19.02.2013 erhöhte S ihren Kommanditanteil auf 77.500 Euro. Im Jahre 2014 folgte eine weitere Erhöhung des Kommanditanteils der S auf 137.500 Euro. Ausweislich der Anmeldung zum Handelsregister war S am 10.08.2011 nach dem International Business Companies Act der Republik Seychellen (Seychellen) gegründet worden. Ihre Alleingesellschafterin war in der Zeit vom 01.02.2013 bis 30.07.2015 die … (C) mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. X hatte in Zypern mit C eine Vereinbarung abgeschlossen, der zufolge die C den Geschäftsanteil an der S treuhänderisch für X hielt.
Das Finanzamt stellte mit Bescheid vom 13.02.2017 sinngemäß fest, dass durch die Erhöhung des Kommanditanteils vom 19.02./06.03.2013 unmittelbar bzw. mittelbar Anteile der grundbesitzenden Antragstellerin übergegangen seien. Hierdurch sei ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2a GrEStG verwirklicht worden. Das Lagefinanzamt hat einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 06.03.2013 erlassen. Das Finanzamt … hat einen Bescheid über Grunderwerbsteuer erlassen und betreibt die Vollstreckung.
Die Generalstaatsanwaltschaft … führt gegen X ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch. Am 14.09.2017 hat das Amtsgericht … einen Untersuchungshaftbefehl erlassen, der sich auf Vorgänge im Zusammenhang mit der S und der C stützt. S sei nach den Feststellungen des BZSt eine Briefkastengesellschaft ohne eigenes Personal, eigene Geschäftsräume, eigene Geschäftsausstattung und ohne eine Teilnahme am Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit auf den Seychellen oder am formalen Ort der Geschäftsleitung auf Zypern. X habe als Bevollmächtigter sowie als tatsächlich die Geschäftsführung bestimmender wirtschaftlicher Inhaber alle wichtigen organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vorgenommen.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids vom 13.02.2017 blieb sowohl beim Finanzamt als auch beim Finanzgericht erfolglos. Das Finanzgericht hat u.a. ausgeführt, die S habe mit der Kapitalerhöhung vom 19.02.2013 ihren Kapitalanteil auf 96,875% aufgestockt. Die Beschwerde beim BFH war erfolgreich. Der BFH führte u.a. zur Begründung aus:
I. § 1 Abs. 2a GrEStG, auf den der angefochtene Bescheid gestützt ist, fingiert einen grunderwerbsteuerrechtlichen Erwerbsvorgang bei bestimmten Änderungen des Gesellschafterbestands einer Personengesellschaft. Gesellschafter einer Personengesellschaft kann auch eine ausländische Kapitalgesellschaft sein, sofern diese rechtsfähig ist.
Die Frage, ob eine im Ausland gegründete juristische Person rechtsfähig ist, beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht, das am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt (sog. Sitztheorie). Abweichend hiervon richtet sich die Frage der Rechtsfähigkeit nach der sog. Gründungstheorie u.a. dann, wenn eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat der EU oder des EWR nach dessen Vorschriften wirksam gegründet ist. Diese ist in einem anderen Vertragsstaat auf der Grundlage des Art. 54 AEUV unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (vgl. BFH, Urt. v. 29.06.2016 – II R 14/12 – BFH/NV 2017, 1 m.w.N.).
Für Gesellschaften außerhalb des geschilderten Raumes bleibt es bei der Sitztheorie. Haben Kapitalgesellschaften, die nach ausländischem Recht gegründet wurden, ihren Sitz im Inland, können sie im Regelfall mangels Einhaltung der inländischen Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften nicht als solche betrachtet werden. Damit entfällt die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft. Es ist auf die hinter ihr stehenden Gesellschafter zurückzugreifen. Folgerichtig kommt in einem solchen Falle eine Behandlung als rechtsfähige Personengesellschaft in Betracht, sofern die Gesellschaft – anders als hier – mehr als einen Gesellschafter hat. Hat die ausländische Kapitalgesellschaft lediglich einen Gesellschafter, tritt dieser an die Stelle der Personengesellschaft.
II. Der Senat geht aufgrund seiner Beschränkung auf präsente Beweismittel für Zwecke der AdV davon aus, dass der Inhalt des bisher nicht aktenkundigen Vertrags vom 19.02.2013, mit dem der Kommanditanteil der S auf 77.500 Euro erhöht worden sein soll, der Anmeldung zum Handelsregister und den Feststellungen des Finanzgerichts entspricht.
Der BFH äußert Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, weil S mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Briefkastengesellschaft (Domizilgesellschaft/Basisgesellschaft) ist, von der nicht feststeht, ob sie im Inland überhaupt rechtsfähig und als solche in der Lage ist, einen Anteil an der Antragstellerin zu halten. Nach Aktenlage ist in Betracht zu ziehen, dass S als reine Briefkastengesellschaft außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Rechts nicht rechtsfähig gewesen ist. Der tatsächliche Verwaltungssitz der S könnte sich in Deutschland befunden haben. Nach alledem ist zweifelhaft, ob die S für Zwecke der Grunderwerbsteuer als tauglicher Rechtsträger zu behandeln ist.
Gänzlich ungeklärt ist, ob der Gesellschaftsanteil an der Antragstellerin (und damit auch ein Erwerb des Gesellschaftsanteils) der C als Gesellschafterin der S zuzurechnen sein könnte. Dies ist für den Fall zu prüfen, dass die C mit ihrem Sitz auf den Britischen Jungferninseln ihrerseits nach den vorgenannten Maßstäben rechtsfähig ist. Der Senat geht mangels anderweitiger Anhaltspunkte von dem Sachverhalt aus, der dem Haftbefehl zugrunde liegt.

C. Kontext der Entscheidung

I. Spätestens nach den Enthüllungen der Panama-Papers und der Paradise Papers ist die Briefkastengesellschaft in den Fokus des Interesses einer großen Öffentlichkeit geraten. Der Gesetzgeber hat auf die Aufdeckung drittstaatlicher Domizilgesellschaften u.a. mit den §§ 138 Abs. 2, 138b AO i.d.F. des StUmgBG reagiert (vgl. hierzu BMF-Schreiben v. 05.02.2018 – BStBl I 2018, 289; Hidien, jurisPR-SteuerR 11/2018 Anm. 1; von Schweinitz/Schneider-Deters, IStR 2017, 344: „Retourkutsche des Gesetzgebers“; Strahl, KÖSDO 2018, 20676). Der Finanzverwaltung sollen verbesserte Feststellungen zu Briefkastengesellschaften ermöglicht werden, soweit es sich – diese Einschränkung ist kritikwürdig – um unmittelbar oder mittelbar beherrschte Drittstaat-Gesellschaften handelt. Einschlägig ist hier vor allem die Mitteilungspflicht des § 138 Abs. 2 Nr. 4 AO. Das Gesetz richtet sich gegen die „Verschleierung von Einkünften aus Kapitalvermögen durch Briefkastenfirmen“ (BT-Drs. 18/11132, S. 1), die der Gesetzentwurf definiert als „nach dem Recht des betreffenden Sitzstaates formal errichtetes Unternehmen, das zwar rechtlich existiert, jedoch in diesem Staat tatsächlich keine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Um Rückschlüsse auf den wahren Inhaber zu verhindern, werden die Firmen zum Teil von nur zum Schein tätigen Personen oder Gremien geleitet und durch rechtliche Konstruktionen weitreichend verschachtelt. Die eigentlichen unternehmerischen Entscheidungen werden von nach außen nicht in Erscheinung tretenden Dritten getroffen. Die Gründung und Unterhaltung von solchen funktionslosen Domizilgesellschaften ist nicht per se illegal. Sie geht aber typischerweise mit der Verschleierung von Vermögensverhältnissen, Zahlungsströmen und/oder wirtschaftlichen Aktivitäten einher.“
II. Zugleich ist der Katalogtatbestand des § 370 Abs. 3 Satz 2 AO um eine neue Nr. 6 ergänzt worden (hierzu Rolletschke/D. Roth, wistra 2017, 469). Ein besonders schwerer Fall einer Steuerhinterziehung liegt danach vor, wenn der Steuerpflichtige eine Drittstaat-Gesellschaft zur Verschleierung steuerlich relevanter Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Dadurch soll die fortgesetzte Steuerhinterziehung durch Umgehung des Steuergesetzes mittels Briefkastengesellschaften erfasst werden (BT-Drs. 18/11132, S. 31; Stellungnahme des Bundesrates, S. 43). Der Bundesrat hat in seiner Entschließung weiteren Handlungsbedarf deutlich gemacht (BR-Drs. 717/16 (Beschluss)).
III. In der Richtlinie (EU) 2018/822 vom 25.05.2018 wird mittels Änderung der Amtshilfe-Richtlinie 2011/16/EU eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen statuiert. Diese am 04.05.2018 vom Rat der EU angenommene Initiative für verbindliche Offenlegungsregelungen ergeht in Anlehnung an Aktionspunkt 12 der Initiative zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS). Dort werden Regelungen für die verbindliche „Offenlegung aggressiver Steuerplanungsmodelle“ empfohlen. Der BR hat eine Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs auf meldepflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle begrüßt (BR-Drs. 524/1/17). Anzeigepflichtig sind sog. Intermediäre, u.U. aber auch der Steuerpflichtige selbst, wenn die Meldepflicht eines Intermediärs aufgrund einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht nicht durchsetzbar ist oder gar kein Intermediär vorhanden ist, weil beispielsweise der Steuerpflichtige eine Steuerplanungsgestaltung selbst konzipiert und umsetzt (Begründungserwägung Nr. 13). Die Mitgliedstaaten sind zur Einführung von gesetzlichen Regelungen über eine Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen bis spätestens 31.12.2019 verpflichtet. Das BMF wird dem Bundeskabinett einen ressortabgestimmten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie vorlegen (vgl. Antwort der Bundesregierung v. 24.10.2018 auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drs. 19/5238).
IV. Das Europäische Parlament hat sich mit Blick auf eine künftige EU-Sitzverlegungsrichtlinie in seinem Beschluss vom 13.06.2017 dafür ausgesprochen, Verfahren und Regularien für Sitzverlegungen, Spaltungen und Verschmelzungen zu vereinfachen und gleichzeitig „künstliche Sitzverlegungen zum Zwecke des Sozial- oder Steuerdumpings zu verhindern“. Der Vorschlag der EU-Kommission vom 24.05.2018 für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (COM(2018) 241 final) ist dem gefolgt. Der Vorschlag berücksichtigt auch die Konsequenzen für die Interessenträger der Unternehmen, insbesondere für ihre Arbeitnehmer, Gläubiger und Gesellschafter. Im Vorschlag der EU-Kommission heißt es (a.a.O., S. 5):
„Ein wesentliches Element des zu implementierenden Verfahrens soll darin bestehen, dass eine grenzüberschreitende Umwandlung verhindert wird, wenn festgestellt wird, dass diese missbräuchlich wäre, also in Fällen, in denen es sich um eine künstliche Gestaltung handelt, mit der ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt oder die gesetzlichen oder vertraglichen Rechte von Arbeitnehmern, Gläubigern oder Minderheitsgesellschaftern in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt würden.“
Dem dient der vorgeschlagene neue Art. 86c der Richtlinie (EU) 2017/1132, nach dem die zuständige Behörde die grenzüberschreitende Umwandlung nicht genehmigt, wenn sie „feststellt, dass es sich um eine künstliche Gestaltung mit dem Ziel handelt, unrechtmäßige Steuervorteile zu erlangen oder die gesetzlichen oder vertraglichen Rechte der Arbeitnehmer, Gläubiger oder Minderheitsgesellschafter unrechtmäßig zu beschneiden“.
Die Nutzung der Umwandung zur Gründung von „Briefkastenfirmen zu missbräuchlichen Zwecken (Umgehung von Arbeitsnormen oder Versicherungsleistungen, aggressive Steuerplanung)“ wird verpönt.
V. Die Stichworte „Missbrauch“, „künstliche Gestaltung“ und „aggressive Steuerplanung“ führen zu der Frage, ob hier die Anwendung des § 42 AO in Betracht zu ziehen ist (vgl.. z.B. Stahl, KÖSDI 2018, 20676). In der Diskussion um die Gesetzes- und Steuerumgehung eröffnen sich neue Perspektiven, die hier nur angedeutet werden können.
1. In einer Entscheidung zu § 4 SubvG hat der BGH offengelassen, ob die Zwischenschaltung mehrerer Gesellschaften als Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 1 SubvG gesehen werden kann, der grundsätzlich die Gewährung von Subventionen insgesamt ausschließt (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – 3 StR 206/13 – BGHSt 59, 244). Nach den tatrichterlichen Feststellungen sei jedenfalls die Annahme eines Scheingeschäfts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 SubvG, § 117 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Der BGH führte zur Verurteilung nach den §§ 264 Abs. 7 Satz 1, 264 Abs. 8 Nr. 1 StGB aus: Diese Unternehmen „sollten nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien keine Leistungen erbringen. Dass tatsächlich Schriftverkehr unter den Briefköpfen der zwischengeschalteten Unternehmen geführt wurde, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht als Erfüllung einer geschuldeten Generalübernehmertätigkeit, „sondern als Teil des nach außen aufgebauten Täuschungsszenarios gewürdigt“. Die das Scheingeschäft ausmachenden Angaben seien, so der BGH, nach § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB „unrichtig im Sinne von nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmend“.
2. Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rechtssache „Newey“ entschieden, ggf. müssten die Vertragsbestimmungen in der Weise neu definiert werden, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Transaktionen bestanden hätte EuGH, Urt. v. 20.06.2013 – (C-653/11 Rn. 42 ff. – UR 2013, 628; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 34/2013 Anm. 5). Paul Newey, ein in Tamworth (Vereinigtes Königreich) ansässiger Darlehensvermittler, hatte versucht, Werbedienstleistungen für das Anwerben von Darlehensnehmern, die ihm im Vereinigten Königreich erbracht wurden, zur Ersparnis von Umsatzsteuer durch eine entsprechende Vertragsgestaltung auf die Insel Jersey auszuflaggen. Der EuGH zieht eine Verbindungslinie zum europäischen Rechtsgrundsatz des Verbots des (Rechts-)Missbrauchs. Er stellt die letztlich vom nationalen Gericht zu beantwortende Frage, ob die von den Vertragspartnern konstruierten „formalen“ Leistungsbeziehungen nicht „als rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, verboten sind“. Nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH ist von maßgeblicher Bedeutung „die wirtschaftliche Realität der Geschäftsbeziehungen“ als „ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems“ (vgl. auch EuGH, Urt. v. 22.11.2018 – C-295/17 Rn. 43, 58 ff. – UR 2018, 944 „Meo – Servicos de Comunicacoes e Multimédia“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 5/2019 Anm. 6; EuGH, Urt. v. 10.01.2019 – C-410/17 Rn. 47 – DStR 2019, 97 „A“). Vertragsbestimmungen sind, so der EuGH, für die Feststellung, wer Erbringer und wer Begünstigter einer „Dienstleistung“ im Sinne des Mehrwertsteuerrechts sind, „zwar zu berücksichtigen, aber nicht ausschlaggebend“. Das nationale Gericht muss „mit einer Analyse des gesamten Sachverhalts des Ausgangsverfahrens prüfen, ob die Vertragsbestimmungen die wirtschaftliche Realität nicht richtig widerspiegeln“. Sollte dies der Fall sein, müssten die Vertragsbestimmungen in der Weise neu definiert werden, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Transaktionen bestanden hätte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der sensationelle Paradigmenwechsel in der europäischen Missbrauchsdoktrin ist in der deutschen Literatur soweit ersichtlich kaum zur Kenntnis genommen worden. Ausweislich der Dokumentation in juris haben sich nur drei Autoren mit dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „Paul Newey“ befasst. Auch die Aussage des BGH zum „nach außen aufgebauten Täuschungsszenario“ ist weitgehend unbemerkt geblieben. In der Rechtsprechung wird das EuGH-Urteil in der Rechtssache „Paul Newey“ für die Aussage in Anspruch genommen, dass Leistungsempfänger im Sinne des Umsatzsteuerrechts grundsätzlich derjenige ist, der aus dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (Schuldverhältnis) als Auftraggeber berechtigt und verpflichtet ist (z.B. BFH, Urt. v. 29.01.2014 – XI R 4/12 Rn. 36 – BFHE 244, 131 = BFH/NV 2014, 992). Das BFH-Urteil vom 09.09.2015 (XI R 21/13 – BFH/NV 2016, 597) hat sich auf die – weitergehende – Aussage des EuGH zur „wirtschaftlichen Realität der Geschäftsbeziehungen“ als einem „grundlegenden Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems“ bezogen. Das BFH-Urteil vom 11.07.2018 (XI R 26/17 Rn. 79 – BFH/NV 2019, 182) hat dem Finanzgericht aufgegeben zu prüfen, „ob insgesamt die Vertragsbestimmungen die wirtschaftliche Realität richtig widerspiegeln“.
Es geht hier um eine grundlegende steuerschuldrechtliche Frage. Meines Erachtens sind die Grundsätze des EuGH über das Mehrwertsteuerrecht hinaus verallgemeinerungsfähig.

Erwerb des Anteils an einer Personengesellschaft durch eine Briefkastengesellschaft
Thomas HansenRechtsanwalt
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Erwerb des Anteils an einer Personengesellschaft durch eine Briefkastengesellschaft
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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Erwerb des Anteils an einer Personengesellschaft durch eine Briefkastengesellschaft
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