Nachfolgend ein Beitrag vom 30.1.2017 von Wozniak, jurisPR-InsR 2/2017 Anm. 4

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Auch unangekündigte Zahlungen unterliegen der Insolvenzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO.
2. Die Verzinsung des Rückgewähranspruchs aus den §§ 143 Abs. 1, 129 Abs. 1, 133 Abs. 1 InsO beginnt gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB in gesetzlicher Höhe ab dem auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgenden Tag.

A. Problemstellung

Das OLG Hamburg befasst sich ein weiteres Mal intensiv mit der Insolvenzanfechtung gemäß § 133 InsO. Das Gericht arbeitet die angesprochenen Fallkonstellationen sehr sorgfältig auf, weshalb die Entscheidung auch für andere Verfahren von nicht unerheblichem Interesse ist. Ferner stellt das Gericht nochmals klar, ob und wann die Verzinsung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs beginnt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH, auf Beklagtenseite steht die Finanzverwaltung. Der Insolvenzverwalter hat Zahlungen an die Finanzverwaltung gemäß § 133 Abs. 1 InsO angefochten, die Finanzverwaltung verteidigt sich hiergegen in der Berufungsinstanz.
Eingangs stellt das Gericht zunächst klar, dass auch die Zahlung von Steuerverbindlichkeiten der Insolvenzanfechtung der §§ 129 ff. InsO unterliegt und damit der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet sei. Anders als die Beklagtenseite meint es, es wäre jedenfalls im Berufungsverfahren die Rechtswegrüge nicht mehr zulässig (§ 17a Abs. 5 GVG).
Die im Berufungsverfahren streitigen Zahlungen in Höhe von rund 18.500 Euro wurden aufgrund von Überweisungen der Schuldnerin erbracht. Diese Zahlungen stellten nach Darlegung des Gerichts Rechtshandlungen i.S.d. § 129 InsO dar.
Auch eine objektive Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO sei gegeben, da die Zahlungen die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt habe und insofern der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert worden sei.
Durch die überwiesenen Geldbeträge seien Forderungen der Schuldnerin gegen ihre Bank vermindert worden, wodurch sich die Befriedigungsmöglichkeit der übrigen Insolvenzgläubiger, die es ausweislich der Tabelle neben der Beklagten gebe, verschlechtert hätten. Anders als von Beklagtenseite vorgetragen, setze die Feststellung einer objektiven Gläubigerbenachteiligung ebenso wie die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nicht voraus, dass zum Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung andere Gläubiger vorhanden waren, deren Forderungen in Folge der Zahlungen an den Anfechtungsgegner nicht mehr vollständig befriedigt werden konnten. Im Falle der Vorsatzanfechtung genüge vielmehr eine mittelbare, erst künftig eintretende Gläubigerbenachteiligung.
Eine Vorsatzanfechtung sei selbst dann nicht ausgeschlossenen, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung noch gar keine Gläubiger gehabt habe (BGH, Urt. v. 13.08.2009 – IX ZR 159/06).
Auch sei die Verminderung des Aktivvermögens bei § 129 Abs. 1 InsO nicht dadurch ausgeglichen worden, dass die Schuldnerin Schadensersatzansprüche gegen ihre Geschäftsführung gemäß § 64 GmbHG oder gemäß § 43 GmbHG in Verbindung mit dem Anstellungsvertrag erworben hätte. Das Gericht legt klar, dass es bei einem solchen „Passivtausch“ nur dann an einer objektiven Gläubigerbenachteiligung fehlen könne, wenn der Anspruch der Schuldnerin gegen ihre Geschäftsführerin in gleichem Maße werthaltig sei wie es der Anspruch der Schuldnerin gegen ihre Bank sei. Dies sei jedoch nicht anzunehmen.
Ferner bejaht das Oberlandesgericht den Vorsatz einer Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 133 Abs. 1 InsO und erteilt der Auffassung der Beklagtenseite, dass das Verhalten der Schuldner außerhalb der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht pflichtwidrig gewesen sei und deshalb keine Grundlage für die Annahme eines Benachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin bilde, eine Absage. Das Gericht legt klar, dass das anfechtungsrechtlich zu missbilligende Verhalten der Schuldnerin in der Bevorzugung einzelner Gläubiger unter Inkaufnahme der Benachteiligung anderer Gläubiger bestehe. Ein solches Verhalten würde innerhalb des gesamten, von § 133 Abs. 1 InsO umfassten Zehnjahreszeitraums missbilligt.
Eine Insolvenzanfechtung gemäß § 133 InsO komme auch bei einer kongruenten Deckung in Betracht. Gewähre der Schuldner dem Gläubiger der angefochtenen Rechtshandlung nur das, worauf dieser einen Anspruch habe, so seien an die Darlegung und den Beweis des Benachteiligungsvorsatzes zwar erhöhte Anforderungen zu stellen. Gleichwohl werde der Benachteiligungsvorsatz vermutet, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Zahlung zahlungsunfähig war und seine Zahlungsunfähigkeit kannte. In einem solchen Fall handele der Schuldner in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er Forderungen einzelner Gläubiger erfülle, weil er wisse, dass sein Vermögen nicht ausreiche, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen. Auch dann, wenn der Schuldner lediglich seine drohende Zahlungsunfähigkeit kenne, sei ein Benachteiligungsvorsatz zu vermuten, wie sich mittelbar aus § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ergebe. Im konkreten Streitfall sei von einer Zahlungseinstellung der Schuldnerin auszugehen, derentwegen in der Regel Zahlungsunfähigkeit anzunehmen sei (§ 17 Abs. 2 InsO). Eine solche Zahlungseinstellung liege im Allgemeinen vor, wenn zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind (BGH, Urt. v. 30.06.2011 – IX ZR 134/10).
Im ersten Steuerbescheid der Beklagten vom Februar 2011 bestanden zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Zahlungen (April 2011) Steuerforderungen gegen die Schuldnerin in Höhe von rund 383.000 Euro, die im Bescheid vom 07.06.2011 auf 140.000 Euro reduziert wurden. Auch die in letzter Höhe begründeten, nicht unbeträchtlichen Forderungen seien unstreitig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin nicht mehr bezahlt worden.
Die Auffassung der Beklagten, wonach nur Zahlungen auf die Steuernachforderungen, die nicht „hätten gestemmt werden“ können, die Gläubiger hätten benachteiligen können, nicht aber Zahlungen auf laufende steuerliche Verpflichtungen, gehe fehl.
Entscheidend sei, dass die vorhandenen finanziellen Mittel der Schuldnerin nicht ausreichten, um alle fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. In Kenntnis dieser Situation hätte nichts mehr an die Beklagte gezahlt werden dürfen, sondern Antrag auf Eröffnung des Insolvenzfahrens gestellt werden müssen. Ob die Geschäftsführerin der Schuldnerin hiervon Kenntnis gehabt habe, sei unerheblich. Es reiche aus, dass die Schuldnerin die tatsächlichen Umstände kannte, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die drohende Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei hervorgehe. Dies sei hier gegeben.
Dass die Schuldnerin im Hinblick auf die Steuernachforderungen zahlungsunwillig gewesen sei, komme ebenfalls nicht zum Tragen. Eine im Insolvenzrecht unerhebliche Zahlungsunwilligkeit liege nur vor, wenn gleichzeitig Zahlungsfähigkeit gegeben sei. Sei es wie hier zu einer Zahlungseinstellung gekommen, werde gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet, dass dem nicht lediglich Zahlungsunwilligkeit, sondern Zahlungsunfähigkeit zugrunde liege. Diese Vermutung könne vom Prozessgegner widerlegt werden, insbesondere durch Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder auf Vernehmung von Zeugen dafür, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgeblichen Zeitraum eine Deckungslücke von weniger als 10% ausweise.
Auch die Kenntnis der Beklagtenseite vom Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin liege vor. Eine solche Kenntnis werde vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wisse, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (zumindest) drohe und dass die Handlung die Gläubiger benachteilige. Hierfür reiche es aus, dass der Beklagten das Zahlungsverhalten der Schuldnerin ihr gegenüber bekannt war und dass sie wusste, dass es sich bei der Schuldnerin um ein im Gastgewerbe tätiges Unternehmen handele, bei dem mit weiteren Gläubigern zu rechnen war, was mit der Berufung auch nicht in Abrede gestellt worden sei.
Der Senat schließt sich der Auffassung an, wonach die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners zwar zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung vorliegen müsse, dies jedoch nicht dazu führen könne, dass unangekündigte Zahlungen mittels Überweisung nicht anfechtbar wären.
Selbst wenn die Beklagte bei Vornahme einer Zahlung in der Regel keine Kenntnis über die Person des Zahlenden, der Herkunft des Geldes oder über weitere Hintergründe der Zahlung habe, stehe dies einer Anfechtung nach § 133 InsO nicht entgegen. Andernfalls wären nur noch Bargeldübergaben, die der Insolvenzschuldner an den Anfechtungsgegner leiste, anfechtbar. Ein solches Verständnis könne dem Sinn und Zweck der Regelung des § 133 InsO nicht beigemessen werden, da ansonsten die Anfechtbarkeit weitgehend leerliefe.
Schließlich wendet sich der Senat der Anschlussberufung des Klägers zu und verneint dessen Anspruch auf Zahlung von Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz für den Stichtag der Insolvenzeröffnung. Der Kläger habe seine Zinsforderung auf das Urteil des BGH vom 01.02.2007 (IX ZR 96/04) gestützt. Danach habe der Anfechtungsgegner gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB bei anfechtbarem Erwerb von Geld Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe zu entrichten. Die Zinspflicht gemäß § 291 Abs. 1 HS. 2 BGB beginne mit der Fälligkeit der in Rede stehenden Geldschuld zu laufen. Der Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO werde mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig, was hier mit Beschluss des AG Hamburg vom 13.03.2012 erfolgt sei. Sei für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgeblich, werde bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchem das Ereignis oder der Zeitpunkt falle. Für die Verzinsung des hier in Rede stehenden Rückgewähranspruchs, der wie ein rechtshängiger Anspruch zu behandeln sei, könne nichts anderes gelten. Daraus ergebe sich, dass die Verzinsung mit dem auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgenden Tag beginnen könne. Daher bestehe für den Tag der Eröffnung selbst kein Zinsanspruch.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Hamburg bringt nur in einigen Punkten neue Erwägungen, die nicht bereits ober- bzw. höchstrichterlich zu § 133 Abs. 1 InsO entschieden sind. Der Gedanke, die Forderungen gegen die Geschäftsführung aus den §§ 64 oder 43 GmbHG in Relation zu den durch anfechtbare Zahlungen verlorenen Forderungen gegenüber der Bank zu setzen und damit im Wege der fehlenden objektiven Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 Abs. 1 InsO einen Anfechtungsanspruch zu verneinen, geht – wie das Oberlandesgericht zu Recht ausführt – regelmäßig fehl, da es praktisch keinen Geschäftsführer geben wird, der ähnlich sicher solvent ist wie eine Geschäftsbank.
Weiterhin beachtlich sind die Überlegungen zu der Fragestellung, wann die genaue Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes gemäß § 133 Abs. 1 InsO vorgelegen haben muss. Das OLG Hamburg kommt hier zu einer überzeugenden und sachgerechten Lösung, wenn es der Auffassung, wonach die Erkenntnis zwingend bei Vornahme der Rechtshandlung vorliegen müsse, eine Absage erteilt. Logische Konsequenz einer solchen Rechtsauffassung wäre es, dass ausschließlich Barzahlungen zischen Insolvenzschuldner und Zahlungsempfänger eine Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO auslösen könnte. Dies würde den Anwendungsbereich von § 133 Abs. 1 InsO in eklatanter Weise reduzieren und der gesetzgeberischen Intention klar zuwiderlaufen. Auch die Umgehungsgefahr wäre erheblich.
Schließlich nimmt das Gericht die Anschlussberufung des Klägers zum Anlass, sich nochmals mit der Frage der Verzinsung des Anfechtungsanspruchs und den genauen Fristbeginn auseinanderzusetzen. Der rechtlich überzeugenden Darlegung ist insofern nichts hinzuzufügen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch diese Entscheidung belegt ein weiteres Mal, dass von Seiten der Anfechtungsgegner immer wieder versucht wird, bereits vollständig „ausjudizierte“ Fragestellungen wieder fruchtbar zu machen, um dem Anfechtungsanspruch gemäß § 133 Abs. 1 InsO entgegenzutreten. Die Obergerichte vertreten hier eine erfreulich klare Position zugunsten der Insolvenzmassen. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall für die Frage der Kenntnis bei Vornahme der Rechtshandlung sowie der Thematik des Passivtauschs mit Schadensersatzansprüchen.