Nachfolgend ein Beitrag vom 19.6.2017 von Cranshaw, jurisPR-InsR 12/2017 Anm. 2
Orientierungssatz zur Anmerkung
Verlangen Treuhänder oder Gericht eine über den Rahmen der Auskunftsobliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO oder § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO hinausgehende – nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO oder § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO gedeckte – Auskunft, so verletzt der Insolvenzschuldner bei Nichtbeantwortung dieser Fragen seine Auskunftsobliegenheiten nicht.
A. Problemstellung
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass fachgerichtliche Entscheidungen nach Erschöpfung des Rechtswegs mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Aufgrund der weitreichenden Folgen der Versagung der Restschuldbefreiung ist es daher nicht verwunderlich, dass auch ein dahingehender Beschluss vor dem BVerfG angegriffen wird. Dieses Vorgehen eines Schuldners ist umso weniger überraschend, als die Rechtsbeschwerde gegen die zweitinstanzliche Entscheidung der Landgerichte im Beschwerdeverfahren gegen die Versagung der Restschuldbefreiung (vgl. die §§ 6, 290 Abs. 3, 296 Abs. 3 InsO) nach Wegfall des § 7 InsO a.F. nur noch als Zulassungsrechtsbeschwerde statthaft ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Der Gang zum BVerfG ist daher das einzig verbleibende Mittel. Da das BVerfG bekanntlich keine „Superrevisionsinstanz“ ist, sondern sich auf die Feststellung von Verfassungsverletzungen und deren Folgen beschränkt, muss die formelle und materielle Prüfung von Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen der Fachgerichte entsprechend kritisch ausfallen. Eine positive Entscheidung für den Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde ist dann zulasten der fachgerichtlichen Entscheidung umso gravierender und hat für vergleichbare Fälle künftig prägende Wirkung.
In diesem Umfeld ist die Besprechungsentscheidung der 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG angesiedelt, die sich mit der Versagung der Restschuldbefreiung durch das AG Schwerin und der Beschwerdeentscheidung des LG Schwerin auseinanderzusetzen hatte.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Schuldner des vorliegenden Verfahrens ist „selbstständiger Monteur im Bereich der Kläranlagenwartung“. Über sein Vermögen wurde am 01.08.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet, das am 09.10.2013 aufgehoben wurde. Der Insolvenzverwalter hatte die Freigabe des aus der selbstständigen Tätigkeit erlangten Vermögens aus der Insolvenzmasse nach § 35 Abs. 2 InsO erklärt. Der Schuldner übersandte dem Insolvenzverwalter keine Nachweise über seine als Selbstständiger erzielten Einkünfte. Er gab lediglich an, ein fiktives Nettogehalt von „1.312,43 Euro“ erzielen so können, so dass aufgrund Unterhalts für zwei minderjährige Kinder kein pfändbarer Betrag bleibe.
Mit Beschluss vom 26.08.2013 kündigte das Insolvenzgericht dem Schuldner nach dem damals (bis 30.06.2014) geltenden § 291 InsO a.F. Restschuldbefreiung an, wenn er seine Obliegenheiten nach § 295 InsO a.F. in der Sechsjahresfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfülle, andernfalls drohe auf Gläubigerantrag die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 InsO a.F. Der Schuldner führte seine selbstständige Tätigkeit auch während der Wohlverhaltensperiode mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens fort. Die mit dem 09.10.2013 begonnene Frist endete am 31.07.2014. Der Zeitpunkt der Verfahrensaufhebung markiert den Beginn der Wohlverhaltensperiode (heute: Abtretungsfrist nach der Legaldefinition des § 287 Abs. 2 InsO), da erst dann die Abtretung an den Treuhänder wirksam wird, denn davor fällt der pfändbare Vermögenserwerb des Schuldners in die Masse (§§ 35, 36 InsO; so BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – IX ZB 229/07 Rn. 4 – BGHZ 186, 223). Erst dann beginnen auch die dem Schuldner auferlegten Obliegenheiten, das BVerfG geht davon in Rn. 14 der Besprechungsentscheidung stillschweigend aus. Die Neufassung des Restschuldbefreiungsverfahrens zum 01.07.2014 ist auf den vorliegenden Fall nach Art. 103 Satz 1 EGInsO nicht anzuwenden; sie berührt aber auch das Ergebnis hier nicht, weil § 295 Abs. 2 InsO unverändert geblieben ist und die Legaldefinition der Abtretungsfrist in § 287 Abs. 2 InsO inhaltlich ebenfalls nichts ändert.
In dem Zeitraum bis 31.07.2014 beantragte eine Gläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, da er den Treuhänder bzw. das Insolvenzgericht nicht hinreichend über seine Tätigkeit unterrichtet habe, oder er „übe keine angemessene Erwerbstätigkeit“ aus. Erheblich provozierend auf die Gläubigerin wirkte offenbar die eigene Internetdarstellung des Schuldners, aus der sich aus dem Blick der Gläubigerin ein Jahresüberschuss aus den Aktivitäten des Schuldners von 250.000 Euro ergeben müsse. Das Insolvenzgericht übersandte dem Schuldner den Antrag der Gläubigerin und forderte ihn zur Stellungnahme unter Beifügung diverser Fragebogen mit Fragen zu Personalien, Vermögen und Gläubigern auf. Der Schuldner erklärte im Ergebnis, er habe dem Treuhänder sein fiktives monatliches Nettoeinkommen angegeben, das er mit seiner Berufsausbildung als „Elektromonteur mit Gesellenbrief“ erzielen könne. Auf weitere Fragen erklärte er zudem, die Gesellenprüfung habe er bereits 1999 abgelegt, und er sei sodann unter Leitung seines Vaters als Wartungsmonteur für Kleinkläranlagen berufstätig gewesen. Mit dem Einkommen daraus würde bei Unterhalt für zwei Kinder kein pfändbares Einkommen resultieren. Auskunft über seine Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit müsse er nur geben, wenn das fiktive Einkommen einen pfändbaren Betrag ergebe (er diesen aber, so muss man den Einwand wohl verstehen, nicht zahlen könne, weil seine Gewinne als Selbstständiger geringer seien). Der Treuhänder gab in seiner Schlussrechnung an, ihm seien Obliegenheitsverletzungen nicht bekannt geworden.
Das Insolvenzgericht versagte mit Beschluss vom 02.12.2014 die Restschuldbefreiung mit der Begründung mangelnder Auskünfte des Schuldners über die Erfüllung seiner Obliegenheiten (§ 296 Abs. 2 Satz 3 InsO a.F.). Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das LG Schwerin zurückgewiesen, eine sich anschließende Anhörungsrüge blieb ebenfalls erfolglos. Trotz der Ausführungen der antragstellenden Gläubigerin zu dem möglichen (hohen) Nettoüberschuss aus seiner Tätigkeit, so das Beschwerdegericht, habe der Schuldner keine Auskunft erteilt.
Gegen die Versagung der Restschuldbefreiung wandte sich der Schuldner mit der Verfassungsbeschwerde, die er u.a. auf Art. 3 Abs. 1 GG stützte. Er wies darauf hin, das Willkürverbot sei verletzt. Die Entscheidungen des AG Schwerin/Insolvenzgericht und des LG Schwerin seien „unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar“. Der BGH habe entschieden, Auskunft über etwaige Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit sei nicht zu erteilen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.02.2013 – IX ZB 165/11 Rn. 8 f. – ZInsO 2013, 625 = WM 2013, 579, dazu Cranshaw, jurisPR-InsR 8/2013 Anm. 3).
II. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG hat sie im Hinblick auf die Beschwerdeentscheidung des LG Schwerin zur Entscheidung angenommen und zugleich die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch die Kammer des Senats bejaht (§§ 93a Abs. 2 Buchst. b, 93c BVerfGG). Der Beschluss des LG Schwerin sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Zunächst stellt die Kammer fest, ein Eingreifen des BVerfG in fachgerichtliche Entscheidungen komme nur bei Verletzung des Art. 3 GG unter dem Aspekt des Willkürverbots in Frage. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein reiche aber dafür nicht aus. Vielmehr dürfe die vertretene Rechtsansicht unter keinem Aspekt mehr vertretbar sein, und sie lege daher den Schluss auf „sachfremde Erwägungen“ nahe. Dies sei anhand objektiver Kriterien festzustellen. Die Kammer grenzt dann die willkürliche von der noch hinnehmbaren Entscheidung ab. Die willkürliche Entscheidung wird durch die Nichtanwendung einer „offensichtlich einschlägigen Norm“ geprägt bzw. durch „krasse Missdeutung“ ihres Inhalts oder eine sonst nicht nachvollziehbare Auslegung. Setzt sich das Gericht freilich mit der Norm auseinander und enthält seine Rechtsanwendung irgendeinen sachlichen Grund, so die Kammer im Ergebnis, könne von Willkür nicht mehr gesprochen werden.
Vorliegend sei aber die Entscheidung des LG Schwerin offenkundig fehlerbehaftet und unter „keinem denkbaren“ Aspekt nachzuvollziehen. Die Kammer referiert in der weiteren Begründung sodann die Obliegenheiten des Schuldners nach § 296 InsO a.F. sowie die spezifischen Obliegenheiten des Selbstständigen nach § 295 Abs. 2 InsO, wobei sie auf die jeweilige Judikatur des BGH rekurriert (BGH, Beschl. v. 13.06.2013 – IX ZB 38/10 – ZInsO 2013, 1586; BGH, Beschl. v. 14.05.2009 – IX ZB 116/08 – ZInsO 2009, 1268; BGH, Beschl. v. 26.02.2013 – IX ZB 165/11). Das BVerfG bestätigt somit im Ergebnis die Judikatur des BGH, wonach der selbstständige Schuldner nur Auskunft über die Fakten zu geben hat, die für die Ermittlung der Grundlagen des fiktiven Einkommens notwendig sind. Die Kammer nennt unter Hinweis auf § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO folgende Kriterien: Beruflicher Werdegang des Schuldners; Ausbildung; konkrete Tätigkeit; Branche der Aktivitäten des Schuldners; Unternehmensgröße; Mitarbeiterzahl; Umsatz. Die Angaben müssten dem Gläubiger ermöglichen, das fiktive Einkommen zu ermitteln. Über seinen Gewinn als Selbstständiger müsse er keine Auskunft geben; dies sei irrelevant für die Feststellung des fiktiven Einkommens. Erteile der Schuldner keine Antwort auf Fragen von Treuhänder oder Gericht, die darüber hinausgingen, stelle dies keine Obliegenheitsverletzung dar, wobei die Kammer auf den Beschluss des BGH vom 26.02.2013 (IX ZB 165/11 Rn. 8 f.) Bezug nimmt. Die Versagung der Restschuldbefreiung im vorliegenden Fall nur im Hinblick darauf, dass der Schuldner keine Auskünfte über sein tatsächliches Einkommen erteilt habe, sei daher „sachfremd“ gewesen. Hierin könne unter „keinem Gesichtspunkt“ eine Obliegenheitsverletzung gesehen werden. Da das Landgericht auf die bestehende Rechtslage nicht eingegangen ist, sei die Entscheidung bei objektiver Betrachtung nicht mehr vertretbar.
Die Kammer erteilt dem LG Schwerin auch eine Segelorder: Es habe neben der Rechtsprechung des BGH zu § 295 Abs. 2, § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO „ggf. auch zu prüfen“, ob die Übersendung des „Anhörungsfragebogens“ mit den beigefügten Vordrucken durch das Insolvenzgericht, der nach Ausfüllung zurückzusenden war, ein „sanktionsfähiges gerichtliches Auskunftsverlangen“ sei (mit Hinweis auf BGH, Beschl. v. 04.02.2016 – IX ZB 13/15 Rn. 21).
Mit diesem Ergebnis der Kammer des BVerfG war dem Rechtsschutzinteresse des Schuldners gedient, so dass sowohl die Anhörungsrüge als auch offenbar weitere mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Anträge gegenstandslos wurden bzw. mit der Zurückverweisung war der Rechtsweg wieder eröffnet, so dass die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde dazu führte, dass sie insoweit nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Sachlich hat der Schuldner in vollem Umfang obsiegt. Mit seiner Beschwerde dürfte er nunmehr beim LG Schwerin erfolgreich sein.
C. Kontext der Entscheidung
I. Die Entscheidung zeigt neben dem Bemühen der Kammer, das BVerfG nicht für jeden außerordentlichen Rechtsbehelf hinzuziehen zu können, zweierlei. Einmal können zwar die Instanzgerichte, wenn sie einen sachlichen Grund finden, der nicht gänzlich neben der Sache liegt, nach ihrer eigenständigen rechtlichen Überzeugung entscheiden. Allerdings zeigt der vielfache Verweis auf Judikatur des BGH und die Segelorder am Ende der Entscheidung, dass es in weiten Grenzen doch ein gewisses faktisches „stare decisis“ gibt, eine Bindung an gefestigte höchstrichterliche Judikatur. Zum Weiteren bestätigt das BVerfG, dass der selbstständige Schuldner keine Angaben über seinen Gewinn machen muss.
II. Liest man die Entscheidung, so entspricht sie, wiederum als Folge der materiell-rechtlichen Ausführungen unter Heranziehung der Judikatur des BGH (vgl. Rn. 17 ff.), auf die die Kammer eingegangen und die daher hier nicht nochmals zu wiederholen ist, inhaltlich einer Rechtsbeschwerdeentscheidung. Es hätte daher nahegelegen, wenn das Landgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hätte, so dass der BGH hätte die Beschwerdeentscheidung aufheben und zurückverweisen können. Gegebenenfalls hätte er sogar eine eigene Sachentscheidung treffen können, jedenfalls dann, wenn die Angaben des Schuldners zu seinem fiktiven Einkommen entweder „unstreitig“ geworden waren oder das Insolvenz- bzw. das Beschwerdegericht das überprüft und für richtig befunden hatten. Dann bliebe nur noch die Frage offen, ob Auskunftspflicht bezüglich des Gewinns der selbstständigen Tätigkeit (ausnahmsweise) bestand; dies wird man verneinen müssen, wenn man der bisherigen Judikatur des BGH folgt.
III. Der gesetzgeberische Ansatz des § 295 Abs. 2 InsO (= § 244 Abs. 2 InsO-RegE, vgl. die BT-Drs. 12/2443, S. 192 f. zur Begründung) hat zur Konsequenz, dass der einen hohen Jahresüberschuss (hier ggf. von 250.000 Euro) erzielende Schuldner seinen Gläubigern über den Treuhänder keinen Cent bezahlen muss, wenn er als abhängig Beschäftigter nur pfändungsfreie Einkünfte realisieren würde oder wenn er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Ein tatsächlicher großer wirtschaftlicher Erfolg als Selbstständiger ist also für die Gläubiger bedeutungslos (vgl. dazu den Überblick bei Ehricke in: MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2014, § 295 Rn. 99-104, 106-109). Zudem muss der Gläubiger die fiktiven Einkünfte ermitteln und damit dem Schuldner nachweisen, dass er seinen Obliegenheiten nicht nachkommt. Das wird ihm regelmäßig nicht gelingen. Der Schuldner müsse, so die Gesetzesbegründung (vgl. o.), übrigens selbst wissen, was er zahlen könne, ohne den Bestand seines selbstständigen Unternehmens zu gefährden. Eine Vorausabtretung sei daher (anders als beim abhängig Beschäftigten) nicht möglich. Er dürfe die Gläubiger aber nicht schlechter stellen, als wenn er abhängig beschäftigt tätig wäre. Hat er am Ende der „Wohlverhaltensperiode“ so viel abgeführt, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen sei, dann habe er alle Obliegenheiten erfüllt. Es steht ihm also frei, „zeitweilig geringere oder gar keine Leistungen zu erbringen, wenn seine wirtschaftliche Lage dazu zwingt.“ (BT-Drs. 12/2443, S. 193).
IV. Soweit nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 22.11.2016 „über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren [….]“ (Dokument COM(2016) 723 final) die Restschuldbefreiung (dort „zweite Chance“) auf drei Jahre verkürzt wird (vgl. Art. 20), darf in praxi ohnehin damit gerechnet werden, dass von Selbstständigen kaum mehr Beträge an den Treuhänder fließen werden. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Obliegenheiten und damit die Pflicht zur Zahlung an den Treuhänder erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beginnen (vgl. Rn. 4 der Besprechungsentscheidung, mit der Übernahme der unangefochtenen Meinung zu dieser Thematik). Endet die Wohlverhaltensperiode bzw. Abtretungsfrist vor der Verfahrensaufhebung, erhalten die Gläubiger Quotenzahlungen aus dem Insolvenzverfahren (vgl. die §§ 35 f. InsO). Wird die selbstständige Tätigkeit außerhalb des eröffneten Insolvenzverfahrens ausgeübt bzw. fortgesetzt und zwar als Folge der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO, gilt dasselbe; § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO verweist auf § 295 Abs. 2 InsO. Allerdings beginnen dann die Obliegenheiten mit der wirksamen Freigabe. Die Differenzierung ist für den vorliegenden Fall aber letztlich ohne Bedeutung.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Schuldnervertreter werden nach dieser klaren Bestätigung der BGH-Judikatur durch das BVerfG darauf achten, dass die Schuldner den Verwaltern bzw. Treuhändern nur genau die Angaben machen, die die Rechtsprechung des BGH herausgearbeitet hat und die in der Besprechungsentscheidung der Kammer genannt werden. Auf der anderen Seite ist es völlig unschädlich, wenn die Gläubiger von erheblichen Überschüssen aus der selbstständigen Tätigkeit erfahren, da diese ohne jede Bedeutung sind, soweit sie über den Einkünften liegen, die der Schuldner bei einer abhängigen Beschäftigung erhalten könnte.
II. Die Gläubiger werden als Folge der gesetzlichen Regelung des § 295 Abs. 2 InsO und der Auslegung derselben durch die Insolvenzgerichte und deren Instanzenzug bis zum BGH sowie durch das BVerfG sehr überlegen müssen, wann sie noch einen Versagungsantrag stellen oder dies u.a. zur Vermeidung von eigenem Ressourcenverbrauch bleiben lassen.
III. Es bleibt die eigentümliche, dem Gesetzgeber geschuldete Lage, dass der Arbeitnehmer dem Treuhänder strukturell das gesamte pfändbare Einkommen angeben und abführen muss, ebenso der Empfänger von Sozialversicherungsrenten und Versorgungsbezügen, während der Selbstständige und Freiberufler insoweit ein Privileg genießt, das zunächst richtig ist, um sein berufliches Engagement als Unternehmer in besonderer Weise zu stärken. Bedenklich ist dies, da es eine Schranke nicht gibt, oberhalb derer dem Treuhänder Zahlungen zu erbringen wären. Umgekehrt kann der Selbstständige einwenden, sein Gewinn bleibe hinter einem Einkommen als abhängig Beschäftigter zurück, er habe aber, wie erfolglose Bewerbungen oder eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit zeigten, am Arbeitsmarkt keine Chance.
Im österreichischen Recht entspricht § 210 Abs. 1 Satz 1 IO (Insolvenzordnung) im Wesentlichen § 295 Abs. 2 InsO mit dem markanten Unterschied allerdings, dass der Schuldner die Gläubiger „jedenfalls“ (= mindestens) so zu stellen habe, als sei er unselbstständig tätig. Satz 2 der Norm präzisiert das dahingehend, es dürfe ihm „nicht mehr verbleiben, als wenn er Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis in der Höhe des Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit hätte.“ Der Mangel dieser Regelung mag sein, dass er für den Schuldner den Anreiz zu unternehmerischer Tätigkeit einschränkt, indem sein Erfolg im Ergebnis an die Gläubiger fließt und man ihm dennoch das unternehmerische Risiko belässt. Die Lösung des deutschen Rechts beeinträchtigt aber die Forderungsrechte der Gläubiger in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise, so dass eine vielleicht vermittelnde Lösung naheläge (zu § 295 Abs. 2 und Art. 14 GG vgl. allgemein Mitlehner, EWiR 2017, 145 f. zur Besprechungsentscheidung). Das ist freilich nicht zu erwarten.
IV. Da sich kein Gericht gerne vorwerfen lassen will, willkürlich gehandelt zu haben, dürften Entscheidungen wie diejenige des LG Schwerin sich nicht wiederholen, denn die Grenze zwischen einer abweichenden Meinung aus Sachgründen und der Willkür ist in Fällen wie hier schmal.
V. Mittelbar hat die Judikatur zu den Mechanismen der Restschuldbefreiung von Selbstständigen und Freiberuflern im Zusammenwirken mit dem Zeitraum der Restschuldbefreiung (sechs Jahre, künftig vermutlich drei Jahre beim Inkrafttreten des Richtlinienentwurfs des EU-Kommission und dessen Umsetzung, vgl. o.) auch Konsequenzen für das Planverfahren. Kein Schuldner wird mit einem Insolvenzplan einverstanden sein, der ihn im Hinblick auf die Schuldbefreiung schlechter stellt (vgl. die §§ 227 Abs. 1, 247 Abs. 1, 2 Nr. 1 InsO; vgl. dazu Breuer in: MünchKomm InsO, § 227 Rn. 2), als sich aus dem Restschuldbefreiungsverfahren nach den §§ 286 ff. InsO ergeben würde.