Nachfolgend ein Beitrag vom 26.3.2018 von Reese, jurisPR-InsR 6/2018 Anm. 4

Leitsatz

Zeigt der Schuldner ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, liegt auch dann Zahlungseinstellung vor, wenn der Schuldner tatsächlich nur zahlungsunwillig ist.

A. Problemstellung

Der BGH befasst sich in der hier zu besprechenden Entscheidung mit dem Verhältnis von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunwilligkeit vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Mit einer Grundsatzentscheidung hat der BGH (Urt. v. 15.03.2012 – IX ZR 239/09) statuiert, dass die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht durch den Nachweis der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners widerlegt werden könne, sondern hierzu vielmehr der Nachweis der Zahlungsfähigkeit erforderlich sei. Für die durch eine Zahlungseinstellung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO aufgestellte Vermutung der Zahlungsunfähigkeit bedeutet dies, dass der Gegenbeweis die Zahlungsfähigkeit zum Gegenstand haben muss. Diese Rechtsprechung hat der BGH mit der Besprechungsentscheidung nunmehr bestätigt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Insolvenzschuldner war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen am 01.02.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Aufgrund der von der GmbH zwischen 1999 und 2003 nicht abgeführten Umsatzsteuer i.H.v. 1.070.073,35 Euro und Lohnsteuer i.H.v. 507.360,54 Euro kam es im Jahr 2008 vor dem LG Darmstadt zum Strafverfahren gegen den Schuldner wegen der von ihm als Geschäftsführer zugunsten der GmbH hinterzogenen Umsatz- und Lohnsteuer. Dabei wurde die Absprache getroffen, dass die zu erwartende Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werde, wenn der Schuldner an das Finanzamt 416.000 Euro zahle. Der Schuldner tilgte diesen Betrag am 18.12.2008 unter anderem dadurch, dass seine Ehefrau ihm ein unbefristetes Darlehen i.H.v. 300.000 Euro gewährte. Neben den Steuerschulden bestanden zudem offene Forderungen aus Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 4,2 Mio. Euro gegen die GmbH. Am 03.09.2009 wurde sodann das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger hat die Zahlung vom 18.12.2008 i.H.v. 295.950 Euro gemäß § 133 Abs. 1 InsO angefochten.
Die Zahlungsklage des Klägers hatte beim LG Frankfurt Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG Frankfurt (Urt. v. 12.02.2015 – 8 U 184/13) die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hatte die Meinung vertreten, dass eine anfechtbare Rechtshandlung des Schuldners zwar vorliege, es aber an dem Benachteiligungsvorsatz gemäß § 133 Abs. 1 InsO fehle, da der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung nicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zahlungsunfähig gewesen sei. Denn nach den Ausführungen des Berufungsgerichts liege Zahlungsunfähigkeit erst dann vor, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat und objektiv auch nicht mehr in der Lage ist, diese zu leisten, nicht jedoch, wenn dieser nur zahlungsunwillig ist.
Auf die Revision des Insolvenzverwalters hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Der BGH betont, dass das Berufungsgericht die für die Zahlungseinstellung geltenden Maßstäbe verkannt hat. Nach der Auffassung des BGH ist die Zahlungseinstellung dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dabei muss sich für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungspflichten zu genügen. Zudem hat der BGH bereits statuiert, dass auch die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten für eine Zahlungseinstellung ausreicht. Zahlungseinstellung soll selbst dann vorliegen, wenn zwar geleistete Zahlungen beträchtlich sind, diese aber nur einen unwesentlichen Teil der fälligen Gesamtschulden ausmachen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, liegt eine Zahlungseinstellung i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO auch vor, wenn der Schuldner tatsächlich nur zahlungsunwillig ist. Die Zahlungsunwilligkeit ist insolvenzrechtlich erst dann erheblich, wenn der Schuldner tatsächlich noch zahlungsfähig ist. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zahlungseinstellung erfüllt, wird jedoch gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermutet, dass nicht lediglich Zahlungsunwilligkeit, sondern Zahlungsunfähigkeit vorlag. Der Anfechtungsgegner hat sodann die Zahlungsfähigkeit zu beweisen. Nach alledem lag beim Schuldner Zahlungseinstellung vor. Einen Beweis für die Zahlungsfähigkeit hat der Anfechtungsgegner nicht erbracht.
Gleichwohl hat das Berufungsgericht in Frage gestellt, ob die aus der Steuerhinterziehung erzielten Einnahmen der Zahlungsunfähigkeit entgegenstehen. Der BGH hat dies aus zweierlei Gründen für unbeachtlich gehalten. Zunächst kann es auf vorhandenes Vermögen nur ankommen, als der Schuldner in der Lage wäre, dieses kurzfristig zu liquidieren, und ferner sei überhaupt nicht ersichtlich, warum diese Vorgänge, die lange vor den zur Zahlungseinstellung führenden Forderungen des Finanzamtes lagen, die Zahlungsfähigkeit des Schuldners im Dezember 2008 belegen könnten.
Der Senat erteilt für die erneute Berufungsverhandlung sodann die folgende Segelorder:
Das Berufungsgericht hat zutreffend eine Rechtshandlung des Schuldners und die objektive Gläubigerbenachteiligung gemäß. § 129 Abs. 1 InsO durch die Weiterleitung des dem Schuldner von seiner Ehefrau zur Verfügung gestellten Darlehensbetrag über 295.950 Euro angenommen. Dem steht auch nicht § 242 BGB entgegen.
Jedoch wird das Berufungsgericht bei seiner neuen Entscheidung den Sachverhalt zur Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung umfassend zu würdigen haben. Insbesondere hat das Berufungsgericht zu prüfen, ob der Schluss von der Zahlungseinstellung auf die erkannte Zahlungsunfähigkeit und sodann von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auch dann möglich ist, wenn im Jahr 2008 allein die die Zahlungseinstellung begründenden Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber dem Beklagten bestanden haben sollten und der Schuldner selbst nicht gewerblich oder unternehmerisch tätig war. Insoweit ist zu klären, ob der Schuldner im Jahr 2008 weitere Gläubiger hatte oder er bereits damit rechnete, Nachforderungsbescheide hinsichtlich der von der GmbH nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge zu erhalten, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Ferner betont der BGH, dass der Benachteiligungswille im Allgemeinen nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Schuldner mit der Erfüllung der Auflage lediglich einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung entgehen wollte. Schließlich soll das Berufungsgericht prüfen, ob der Beklagte den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte. Insoweit wird es darauf ankommen, welche Vorstellungen und Kenntnisse der Beklagte hinsichtlich drohender Nachforderungsbescheide für die von der GmbH hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge hatte.

C. Kontext der Entscheidung

Ausweislich des amtlichen Leitsatzes befasst sich die Entscheidung mit dem Verhältnis von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunwilligkeit vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Voraussetzung für das Vorliegen einer die Annahme der Zahlungsunfähigkeit hindernden bloßen Zahlungsunwilligkeit ist nach der herrschenden Meinung im Zivilrecht, dass der Schuldner über ausreichend Geldmittel zur Befriedigung seiner Gläubiger verfügt, also überhaupt zahlungsfähig ist. Mit dem Verhältnis von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunwilligkeit im Rahmen der gesetzlichen Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO hat sich der BGH erstmals in seinem Urteil vom 15.03.2012 (IX ZR 239/09) beschäftigt. Darin bekräftigt der BGH die h.M., indem er klargestellt hat, dass die Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht allein durch Nachweis einer etwaigen Zahlungsunwilligkeit widerlegt werden könne, sondern vielmehr der Nachweis der Zahlungsfähigkeit des Schuldners erforderlich ist. Diese Rechtsprechung hat der BGH in seinem Urteil vom 10.07.2014 bestätigt. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass das OLG Frankfurt a.M. als Vorinstanz das Verhältnis der Zahlungseinstellung zur Zahlungsunwilligkeit anders beurteilt hat. Insbesondere hat es verkannt, dass bereits die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit eine Zahlungseinstellung begründen kann, wenn die Forderung von nicht unbeachtlicher Höhe ist, und dass dies im Besprechungsfall anzunehmen war. Nicht zu Unrecht hat Höpker (EWiR 2012, 353) der Entscheidung des BGH vom 15.03.2012 vorgeworfen, dass im Hinblick auf die Verteidigungsmöglichkeiten des Anfechtungsgegners nicht hinreichend differenziert wird, zwischen der unmittelbar aus § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO folgenden gesetzlichen Vermutung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und der nur tatsächlichen Vermutung, dass aus der Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungseinstellung auch dessen Kenntnis der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners folgt. Der Beweis der Zahlungsfähigkeit sei nur zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erforderlich. Die tatsächliche Vermutung kann hingegen auch durch den Nachweis der gegenteiligen Überzeugung des Anfechtungsgegners erbracht werden. Allerdings müssen an diese Überzeugungen strenge Anforderungen zu stellen sein, um den § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht belanglos werden zu lassen. Jedenfalls dürften die vorliegenden Indizien – ungeklärter Verbleib der durch die Steuerhinterziehung erzielten Einnahmen – in keiner Weise dafür geeignet sein. Dem BGH ist mithin beizupflichten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis bleibt fraglich, welche Auswirkungen das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und dem Anfechtungsgesetz vom 29.03.2017 für die gefestigte Rechtsprechung des BGH hat. Dieses hat für die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO insoweit eine Änderung gebracht, als diese Vermutung nach § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO n.F. jetzt nur noch auf die Kenntnis von der eingetretenen und nicht mehr auch der drohenden Zahlungsunfähigkeit gestützt werden kann, wenn eine kongruente Deckungshandlung vorliegt. Festzuhalten bleibt allerdings, dass § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO weiter anwendbar bleibt und eine Zahlungseinstellung mithin nach dieser Vorschrift die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners begründet. Der Insolvenzverwalter wird den Nachweis von der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit wohl über diese Vorschrift weiterhin führen, auch wenn dies der Intention des Gesetzgebers widerspricht, die Vorsatzanfechtung einzuschränken.

Verhältnis von Zahlungsunfähigkeit zu Zahlungsunwilligkeit
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
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