Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2016 von Wozniak, jurisPR-InsR 7/2016 Anm. 4

Orientierungssatz zur Anmerkung

Das Insolvenzgericht ist im Rahmen der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nicht grundsätzlich berechtigt, die vorgelegte Bescheinigung gem. § 305 Abs. 1 InsO zu überprüfen, sofern nicht ein Fall von evidentem Missbrauch vorliegt.

A. Problemstellung

Das AG Kaiserslautern befasst sich in der hier zu besprechenden Entscheidung mit der Frage, ob und in welchem Umfang eine Bescheinigung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO seit der Neufassung der Regelung des § 305 InsO überprüft werden kann. Es weicht insofern partiell von den Vorgängerentscheidungen des AG Köln (Beschl. v. 20.08.2015 – 73 IK 373/15) und des AG Potsdam (Beschl. v. 19.02.2015 – 35 IK 1239/14) ab, als es eine generelle Prüfungsberechtigung verneint und stattdessen eine Missbrauchskontrolle durchführt. Der Ansatz dürfte – gerade unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie – sachgerecht sein.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das AG Kaiserslautern hatte im vorliegenden Fall über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers zu entscheiden.
Es gelangte im Rahmen seiner Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers unzulässig sei. Zur Begründung argumentierte es damit, dass gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nur dann zulässig sei, wenn der Antragsteller vor Stellung seines Insolvenzeröffnungsantrages eine vergleichsweise Einigung mit seinen Gläubigern erfolglos versucht habe. Die Erfolglosigkeit müsse dem Antragsteller von einer geeigneten Person oder Stelle bescheinigt werden.
Im konkreten Fall ließ das Gericht die vorgelegte Bescheinigung nicht genügen. Es führte zunächst aus, dass ein zugelassener Rechtsanwalt eindeutig zu dem geeigneten Personenkreis des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO zähle.
Mit Neufassung der Regelung des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO habe der Gesetzgeber die zuvor in der Literatur umstrittene Frage geklärt, ob der Versuch der außergerichtlichen Schuldenbereinigung auf Grundlage einer persönlichen und eingehenden Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners zu erfolgen habe. Die Hervorhebung der Voraussetzung einer persönlichen und damit individuellen Beratung solle die außergerichtliche Schuldenbereinigung von einer einfachen Begleitung der Antragstellung unterscheiden. Eine außergerichtliche Schuldnerberatung diene somit nicht nur dem Zweck, die „erforderliche Bescheinigung abzustempeln und Anträge auszufüllen“, sondern solle dem Schuldner auch Wege aus seiner Verschuldenssituation aufzuzeigen.
Sodann stellt das Gericht – insofern zum Teil abweichend von den Judikaten des AG Potsdam und des AG Köln – klar, dass dem Insolvenzgericht keine grundsätzliche Prüfungskompetenz hinsichtlich der Bescheinigung zustehe. Das AG Kaiserslautern kommt jedoch schlussendlich zum selben Ergebnis, indem es eine inhaltliche Prüfungskompetenz unter Missbrauchsgesichtspunkten annimmt.
Dränge sich der Verdacht einer Bescheinigung auf, die nicht der Intention des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO entspreche, könne dies vom Insolvenzgericht beanstandet werden (unter Verweis auf LG Potsdam, Beschl. v. 23.06.2015 – 2 T 24/15; AG Potsdam, Beschl. v. 19.02.2015 – 35 IK 1239/14; AG Köln, Beschl. v. 20.08.2015 – 73 IK 373/15 – NZI 2015, 863, mit Anm. Schmerbach).
Vorliegend residiert der bescheinigende Rechtsanwalt mit seiner Kanzlei in Hamburg, München, Berlin, Frankfurt am Main, Stuttgart, Hannover, Essen und Kiel. Zwischen den Kanzleisitzen und dem Wohnsitz des Schuldners lägen somit deutlich mehr als 150 km Entfernung. Das Gericht habe den Antragsteller im Rahmen einer Anhörung zu seinem Antrag über die Beratungsleistung der bescheinigenden Stelle befragt, wobei der Antragsteller erklärt habe, dass er zu keiner Zeit mit einem der tätigen Rechtsanwälte persönlichen und individuellen Kontakt gehabt habe. Die Begleitung im außergerichtlichen Verfahren sei ausschließlich schriftlich erfolgt.
Deshalb verneinte das AG Kaiserslautern eine individuelle und persönliche Beratung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO und verwarf den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens mangels Bescheinigung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

C. Kontext der Entscheidung

Nach den instruktiven Entscheidungen des AG Potsdam und des AG Köln, die landgerichtlich bestätigt wurden, befasst sich nunmehr auch das AG Kaiserslautern mit der Frage, welchen Anforderungen die gerichtliche Prüfung der persönlichen Beratung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO genügen muss. Die Entscheidung verdient im Ergebnis volle Zustimmung.
Das AG Kaiserslautern stellt eingangs nochmals klar, dass eine geeignete und umfassende Beratung des Schuldners über das anstehende Insolvenzverfahren erfolgen müsse.
Einer generellen inhaltlichen Prüfung der Bescheinigung von Seiten des Gerichts erteilt es jedoch eine Absage. Nur scheinbar weicht das Gericht damit von der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 305 InsO ab (BT-Drs. 17/11268, S. 34). Die dort genannte Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts bezieht sich nur auf die geplante, jedoch nicht Gesetz gewordene „Aussichtslosigkeitsbescheinigung“ (dazu: BT-Drs. 17/13535, S. 29).
Anders als das AG Potsdam und das AG Köln leitet das AG Kaiserslautern seine inhaltliche Prüfungskompetenz aus dem Umstand der Missbrauchskontrolle ab. Dies dürfte die Fälle der Verwerfung von Insolvenzanträgen in der Praxis zumindest einschränken.
Im konkreten Fall hatte es das Gericht auch mit seiner Argumentation zur evidenten Missbrauchskontrolle relativ einfach. Nach eigenem Bekunden hatte der Schuldner mit dem beratenden Anwalt keinen Kontakt und dieser saß „weit entfernt“. Diese Fallkonstellation ist insofern derjenigen des AG Potsdam nicht unähnlich. Das AG Potsdam hat hier im Leitsatz seiner Entscheidung die eingängige Formulierung vom „persönlichen Beieinandersein“ von Schuldner und Berater verwendet, das für eine adäquate Beratung erforderlich sei. Dem ist im Ergebnis völlig zuzustimmen.
Gleichwohl bleibt die Frage offen, ob und wie intensiv eine Kontrolle stattfinden kann. Bei national tätigen und bei den Gerichten bekannten „Bescheinigungskanzleien“ dürfte die Kontrolle der Insolvenzgerichte leichter auszuüben sein als bei regional tätigen Sozietäten. Soweit das Gericht unseriöse „Massenbescheiniger“ aussondern will, ist dem voll zuzustimmen.
Es darf jedoch umgekehrt nicht verkannt werden, dass auch dort die „anwaltliche“ Schuldnerberatung häufig als „Massengeschäft“ von Sachbearbeitern abgewickelt wird, zumal die Vergütung kaum eine andere Bearbeitung erlaubt. Mit der gesetzgeberischen Intention der einzelfallbezogenen Beratung, auch über Alternativen zum Insolvenzverfahren, haben derartige Beratungen nicht immer viel gemein.
In Anbetracht des Umstandes, dass die außergerichtliche Schuldenbereinigung ohnehin in der großen Mehrzahl der Fälle scheitert, wäre es an der Zeit, das gesamte „Vorverfahren“ auf den gesetzgeberischen Prüfstand zu stellen. Die gewünschte Entlastung der Insolvenzgerichte ist wohl eindeutig ausgeblieben, die Befassung mit Zulässigkeitsfragen wie im konkreten Fall trägt gleichfalls nicht zur Entlastung der Gerichte bei. Wenn ein Insolvenzantrag für ein Großunternehmen weniger Aufwand erfordert als für einen Verbraucher, ist es Zeit, die bestehende Praxis zu überdenken.

D. Auswirkungen für die Praxis

Folgt man der Rechtsansicht des AG Kaiserslautern, haben Schuldnerberater im Regelfall eine persönliche Beratung des Schuldners durchzuführen. Eine Einschaltung Dritter ist dabei nicht per se ausgeschlossen, aber unterliegt einer Missbrauchskontrolle. Hieran werden sich Schuldnerberater – gleich ob überregional oder regional tätig – künftig zu halten haben. Die Attraktivität des „Massen-Bescheinigungsgeschäfts“ dürfte hierunter merklich leiden. Dies kann nur im Interesse seriöser Berater bzw. der Verwalter sein.