Nachfolgend ein Beitrag vom 28.8.2017 von Hölken, jurisPR-InsR 17/2017 Anm. 3

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Nicht allein das schleppende Zahlungsverhalten gegenüber dem Anfechtungsgegner ist maßgeblich für die Kenntnis von einer zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Hinzukommen muss, dass dem Anfechtungsgegner aus den Umständen bewusst gewesen sein muss, dass außer ihm noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen vorhanden sind.
2. Anders als bei einem Unternehmer, der einen kostenträchtigen Geschäftsbetrieb unterhält, kann bei einem Architekten, der im Wesentlichen als Dorfplaner tätig ist, nicht zwingend auf das Vorhandensein von weiteren Gläubigern geschlossen werden.
3. Ergeben sich auch bei einer Gesamtwürdigung der vorgetragenen Tatsachen keine relevanten Anhaltspunkte dafür, dass dem Anfechtungsgegner bekannt war, dass neben ihm auch noch weitere Gläubiger mit unbefriedigten Ansprüchen vorhanden waren, so ist eine Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem behaupteten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht herzuleiten.

A. Problemstellung

Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Kenntnis des Gläubigers von drohender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und von einer Gläubigerbenachteiligung i.S.v. § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO in der Regel anzunehmen, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden und diesem den Umständen nach bewusst ist, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt. Hierfür ist es zumindest erforderlich, dass der Anfechtungsgegner weiß, es mit einem unternehmerisch tätigen Schuldner zu tun zu haben, bei dem das Entstehen von Verbindlichkeiten, die er nicht im selben Maße bedienen kann (wobei künftige Verbindlichkeiten ebenfalls in Betracht kommen), auch gegenüber anderen Gläubigern unvermeidlich ist. Bei gewerblich tätigen Schuldnern kann auf das Vorhandensein weiterer Gläubiger geschlossen werden.
Vor diesem Hintergrund hatte das OLG München zu beurteilen, inwieweit der Anfechtungsgegner auch bei einem kleinen Einzelunternehmen (Architekten) von weiteren Gläubigern ausgehen muss.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Schuldners. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde am 04.12.2012 eröffnet. Der Schuldner war als Architekt seit dem 01.01.1994 Mitglied bei der Beklagten und als solches bei dieser rentenversichert. Der Schuldner zahlte die monatlichen Pflichtbeiträge nur unregelmäßig ein. Trotzt Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung ergaben sich weitere erhebliche Zahlungsrückstände. Aufgrund zweier Vollstreckungsbescheide vom 21.02.2008 und 06.11.2009 wurden vom zuständigen Gerichtsvollzieher 16.815,78 Euro beigetrieben und an die Beklagte ausgezahlt.
Das LG München I hatte angenommen, der klagende Insolvenzverwalter habe einen Anspruch auf Zahlung der an die Beklagte ausgezahlten 16.815,78 Euro aus den §§ 143 Abs. 1, 133 Abs. 1, 129 Abs. 1 InsO. Aufgrund des Abschlusses einer Ratenzahlungsvereinbarung und einer lediglich schleppenden Zahlungsweise auch auf Vollstreckungsbescheide hin hätten die Zahlungen gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen des Schuldners mit Benachteiligungsvorsatz dargestellt.
Der Beklagte habe auch vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners Kenntnis gehabt. Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit stehe die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinwiesen. Es genüge daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kenne, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folge. Dies sei hier der Fall gewesen, denn der Beklagten sei das gesamte schleppende Zahlungsverhalten des Schuldners bekannt gewesen. Insbesondere habe sie auch gewusst, dass der Schuldner die Vollstreckungsaufträge in Raten bezahlte, unabhängig davon, ob die Ratenzahlungsvereinbarung zuvor vom zuständigen Gerichtsvollzieher mit ihr abgestimmt wurden oder nicht, da die Zahlungen nur in Raten bei ihr eingingen. Dabei habe der Beklagten auch auffallen müssen, dass die Raten nicht regelmäßig eingingen.
Die Kenntnis der Beklagten entfalle auch nicht deshalb, weil sie angenommen habe, dass die schleppenden bzw. ausbleibenden Zahlungen darauf beruhen, dass der Schuldner vorrangig andere Gläubiger befriedigt habe und sie jeweils die letzte, noch nicht befriedigte Gläubigerin gewesen sei. Dass der Schuldner zumindest mögliche künftige andere Gläubiger haben würde, sei der Beklagten auch bekannt gewesen, da sie gewusst habe, dass der Schuldner einen laufenden Geschäftsbetrieb als Architekt hatte.
Diese Folgerung hat das OLG München abgelehnt.
Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine Kenntnis des Gläubigers von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und von einer Gläubigerbenachteiligung i.S.v. § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO in der Regel anzunehmen, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden und diesem den Umständen nach bewusst sei, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gebe (BGH, Urt. v. 13.08.2009 – IX ZR 159/06 Rn. 10). Das Zahlungsverhalten gegenüber der Beklagten spreche für eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.
Hinzukommen müsse jedoch, dass der Beklagten aus den Umständen bewusst gewesen sein müsse, dass außer ihr noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen vorhanden seien. Anders als bei einem Unternehmer, der einen kostenträchtigen Geschäftsbetrieb unterhält, könne bei einem Architekten, der im Wesentlichen als Dorfplaner tätig sei, nicht zwingend auf das Vorhandensein von weiteren Gläubigern geschlossen werden. Es gebe im hier streitgegenständlichen Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte davon Kenntnis hatte, dass der Schuldner Angestellte hatte. Der Kläger gebe hierzu lediglich an, es habe sich um ein kleines Einzelunternehmen mit wenigen Angestellten (unter fünf Leuten) gehandelt. Außerdem ergäben sich aus dem Sachvortrag keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Kenntnis von schleppenden Steuerzahlungen hatte.
Es gebe auch bei einer Gesamtwürdigung der vorgetragenen Tatsachen keine relevanten Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagten bekannt gewesen sei, dass neben ihr auch noch ein anderer Gläubiger vollstreckte. Aus den Gesamtumständen sei daher eine Kenntnis der Beklagten von dem behaupteten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht herzuleiten.

C. Kontext der Entscheidung

Als Problematisch erwies sich in dem dem Besprechungsurteil zugrunde liegenden Sachverhalt lediglich die Anfechtungsvoraussetzung der Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Eine gesetzliche Beweiserleichterung sieht § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Fälle vor, in denen der Anfechtungsgegner die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Gläubigerbenachteiligung kannte. Das bedeutet, dass der Anfechtungsgegner die Beweislast für die fehlende Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners trägt, wenn dem Anfechtungsberechtigten seinerseits der Beweis gelingt, der Anfechtungsgegner habe die drohende Zahlungsunfähigkeit und die objektive Benachteiligung der übrigen Gläubiger gekannt. Diese Vermutung hat der BGH dahingehend erweitert, dass die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit ihrerseits die Vermutung begründet, dass der Anfechtungsgegner auch Kenntnis von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners hat. Denn i.d.R. wisse derjenige, der weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist oder voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit im Wesentlichen zu erfüllen, auch, dass dessen Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligt.
Kenntnis i.S. d. Abs. 1 Satz 2 soll nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bereits dann zu bejahen sein, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum in beträchtlicher Höhe nicht ausgeglichen wurden und dem Anfechtungsgegner nach den Umständen bewusst ist, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt.
Maßgeblich ist danach eben auch die Kenntnis weiterer Gläubiger. Von dem Entstehen bzw. Vorliegen weiterer Verbindlichkeiten muss regelmäßig ausgegangen werden, wenn es sich um einen unternehmerisch/gewerblich tätigen Schuldner handelt, da bei diesen das Entstehen von Verbindlichkeiten unvermeidlich ist. Im Fall eines nicht unternehmerisch tätigen Schuldners besteht hingegen keine solche Vermutung; vielmehr muss der Anfechtungsgegner um bestehende oder künftige Verbindlichkeiten gewusst haben oder mit ihnen zumindest aufgrund der ihm bekannten Umstände haben rechnen müssen (Uhlenbruck, InsO, § 133 Rn. 72).
Übereinstimmend mit dieser Rechtsprechung hat das OLG München zutreffend die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit abgelehnt. Bei allein tätigen Freiberuflern wie einem als Dorfplaner tätigen Architekten kann eben nicht ohne weiteres von weiteren Gläubigern ausgegangen werden. Regelmäßig wird auch ein solcher Architekt weitere Gläubiger haben. Das ist indes nicht so wahrscheinlich, dass der Anfechtungsgegner stets von weiteren Gläubigern ausgehen muss und deshalb bei einer schleppenden Zahlungsweise automatisch Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes gegeben ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OLG München hat weitestgehend bereits gefestigte Rechtsprechung des BGH treffend angewandt. Insoweit ergeben sich keine Neuerungen. Das Urteil verdeutlicht, dass genau zwischen unternehmerisch/gewerblich tätigen Schuldnern und nicht unternehmerisch/gewerblich tätigen Schuldnern unterschieden werden muss. Nur bei den unternehmerisch/gewerblich tätigen Schuldnern muss der Anfechtungsgegner bei einer schleppenden Zahlungsweise von weiteren Gläubigern ausgehen. Insbesondere bei den nicht gewerbetreibenden Freiberuflern ist daher die genaue Feststellung eines unternehmerischen Geschäftsbetriebes erforderlich.