Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2017 von Wozniak, jurisPR-InsR 13/2017 Anm. 1
Leitsätze
1. Der Schuldner kann ohne Einhaltung einer Sperrfrist einen neuen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, wenn in einem vorausgegangenen Insolvenzverfahren die Kostenstundung wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten aufgehoben und das Insolvenzverfahren sodann mangels Masse eingestellt worden ist.
2. Der Schuldner handelt nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er nach Aufhebung der Kostenstundung und Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ohne Einhaltung einer Sperrfrist erneut einen Antrag auf Kostenstundung für ein neues Insolvenzverfahren stellt, auch wenn die Aufhebung der Kostenstundung darauf beruht, dass er seine Mitwirkungspflichten verletzt hat.
A. Problemstellung
In einer selbst für den IX. Zivilsenat des BGH erstaunlich gesetzgeberkritischen Entscheidung hatte sich der BGH mit der Frage der Sperrfrist bei Aufhebung der Verfahrenskostenstundung und Einstellung mangels Masse nach dem seit 01.07.2014 geltenden neuen Recht zu befassen. Der BGH gelangt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der aus seiner Sicht offensichtlich verfehlten gesetzgeberischen Entscheidung keine Sperrfrist bestehe. Die Entscheidung verdient volle Zustimmung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Am 09.01.2012 eröffnete das Insolvenzgericht auf Eigenantrag des Schuldners, verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung, nach Verfahrenskostenstundung das Verbraucherinsolvenzverfahren und bestellte einen Treuhänder. Durch Beschluss vom 07.11.2013, rechtskräftig seit dem 06.12.2013, hob das Insolvenzgericht die bewilligte Stundung auf, weil der Schuldner trotz Aufforderung des Treuhänders keine Auskunft über seine Vermögensverhältnisse erteilt habe. Im Anschluss an die Aufhebung der Kostenstundung stellte das Insolvenzgericht am 25.06.2014 das Insolvenzverfahren nach § 207 InsO mangels Masse ein, was zur Folge hatte, dass der Schuldner nicht von seinen Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit wurde.
Am 09.03.2016 hat der Schuldner erneut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, die Stundung der Kosten sowie die Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt. Das Insolvenzgericht hat diese Anträge insgesamt als unzulässig verworfen. Nach Übertragung der Sache auf die Kammer hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen:
Nach der Neuregelung im Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013 fänden sich in § 287a Abs. 2 InsO gesetzlich geregelte Sperrfristen. Sperrfristen für andere, dort nicht geregelte Fälle seien nach der Gesetzesbegründung ausgeschlossen. Die in dieser Neuregelung genannten Voraussetzungen seien vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Doch sei der erneute Antrag des Schuldners auf Kostenstundung wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Sein neuer Antrag stelle sich als rechtsmissbräuchlich dar, weil es aufgrund des Fehlverhaltens des Schuldners im vorangegangenen Verfahren zum Abbruch des Verfahrens gekommen sei.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine erstinstanzlichen Anträge weiter.
Der BGH hat der Rechtsbeschwerde zum Erfolg verholfen.
Die Ausführungen des Beschwerdegerichts hielten – so der BGH – in einem entscheidenden Punkt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Maßgeblich seien zunächst gemäß Art. 103h Satz 1 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der Fassung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013, da der Schuldner den Antrag auf Insolvenzeröffnung nach dem 01.07.2014 gestellt habe. Der Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung sei nicht deswegen unzulässig, weil das vorangegangene Verfahren nach Aufhebung der Kostenstundung wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 207 InsO mangels Masse eingestellt worden sei. Nach dem auslaufenden Recht sei ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung und Stundung der Kosten nach den §§ 287 Abs. 1 Satz 1, 4a InsO wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO oder nach Ablehnung der Kostenstundung wegen Vorliegens dieser Versagungstatbestände gestellt worden sei. Entsprechendes gelte, wenn im Erstverfahren die Restschuldbefreiung rechtskräftig nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO versagt worden sei oder wenn der Schuldner auf die im Anschluss an den Antrag eines Gläubigers erteilten gerichtlichen Hinweise, er könne einen eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag des Gläubigers nicht reagiert oder er seinen Antrag auf Restschuldbefreiung zurückgenommen habe, um so eine Entscheidung des Insolvenzgerichts über einen Versagungsantrag zu verhindern. Ebenso sei der Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung und auf Kostenstundung unzulässig, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren wegen fehlender Deckung der Mindestvergütung des Treuhänders gestellt worden sei. Der Gesetzgeber habe diese von der Rechtsprechung entwickelten Sperrfristen teilweise aufgegriffen und in § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO geregelt, dass der Antrag auf Restschuldbefreiung unzulässig sei, wenn dem Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 bzw. 6 oder 7 InsO oder nach § 296 InsO versagt worden sei. Jedoch habe der Gesetzgeber – abweichend von der Rechtsprechung des BGH – unter anderem für den vorliegend zu entscheidenden Fall, der dadurch gekennzeichnet sei, dass der Schuldner im Erstverfahren seinen Auskunftspflichten nach § 97 InsO nicht nachgekommen sei, ihm aber nicht die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt, sondern die Kostenstundung wegen dieser Pflichtverletzung nach § 4c InsO aufgehoben worden sei, keine Sperrfrist für die Einleitung eines neuen Verfahrens vorgesehen. In der Literatur werde einerseits die Ansicht vertreten, dass die zum alten Recht entwickelten Sperrfristen weiterhin, teilweise beschränkt auf bestimmte Fallgruppen, auch unter dem neuen Recht anzuwenden seien, auch wenn der Gesetzgeber eine Sperrfrist in § 287a Abs. 2 InsO nicht vorgesehen habe. Andere meinen, dass die zum auslaufenden Recht entwickelten Rechtsgrundsätze seit Inkrafttreten des § 287a Abs. 2 InsO nicht mehr anwendbar seien, weil diese Vorschrift die Frage abschließend regele, wann die Beantragung eines neuen Verfahrens im Hinblick auf Vorverfahren unzulässig sei.
In dem hier zu entscheidenden Fall der Verfahrenseinstellung nach Aufhebung der Kostenstundung aufgrund eines schuldnerischen Fehlverhaltens weicht der Senat von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Der Schuldner könne danach einen neuen Antrag auf Restschuldbefreiung verbunden mit einem neuen Antrag auf Insolvenzeröffnung stellen. Der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 31.10.2012 sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber Sperrfristen nur insoweit habe anordnen wollen, als der Schuldner im vorangegangenen Verfahren die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzt, unzutreffende Angaben gemacht oder Obliegenheiten nicht beachtet habe und deshalb auf Antrag eines Gläubigers die Restschuldbefreiung versagt worden sei. Dem unredlichen Schuldner sei nach einer im vorangegangenen Verfahren ausgesprochenen Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Verletzung von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten eine neue Verfahrenseinleitung für eine bestimmte Zeit verwehrt, weil der Zweck der Versagungsgründe, nur einem redlichen Schuldner die Vergünstigung einer Restschuldbefreiung zuteilwerden zu lassen, ansonsten verfehlt würde.
Eine analoge Anwendung des § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO auf den vorliegenden Fall komme aufgrund der klaren gesetzgeberischen Entscheidung nicht in Betracht. Eine Analogie setze eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Der Gesetzgeber habe zwar den vorliegenden Fall nicht ausdrücklich angesprochen, aber sehr ähnliche, nämlich einmal, dass dem Schuldner von vornherein eine Stundung im Hinblick auf die Verwirklichung eines Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht gewährt wurde und zum anderen die Aufhebung der Kostenstundung wegen schuldnerischen Fehlverhaltens in der Wohlverhaltensperiode mit der Folge der Versagung der Restschuldbefreiung nach § 298 InsO. Dann aber könne nicht angenommen werden, dass er einen Verstoß nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO im eröffneten Verfahren, in dessen Folge die Kostenstundung aufgehoben und das Verfahren nach § 207 InsO eingestellt werde, anders behandelt wissen wollte. Der vorliegende Fall habe mit den im Gesetzgebungsverfahren angesprochenen Fallgestaltungen gemeinsam, dass das vorausgegangene Restschuldbefreiungsverfahren an der abgelehnten Kostenstundung gescheitert war.
Der BGH hält insofern einen Antrag auf Kostenstundung auch im vorliegenden Verfahren für zulässig, da – anders als vom Beschwerdegericht angenommen – ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Auch hier verweist der BGH erneut auf die unterschiedliche Handhabung in Rechtsprechung und Literatur. Nach der früheren Rechtslage sei dem Schuldner auch dann die Kostenstundung zu versagen, wenn die Voraussetzungen der § 4a Abs. 1 Sätze 3 und 4 InsO nicht vorlägen, aber bereits im Eröffnungsverfahren zweifelsfrei feststehe, dass der Schuldner aus anderem Grund keine Restschuldbefreiung erlangen könne. Es sollten, so der BGH zur Begründung, nicht öffentliche Mittel für eine Stundung eingesetzt werden, wenn von Anfang an zweifelsfrei feststehe, dass die Restschuldbefreiung letztlich versagt werden würde. Daraus sei auch für das neue Recht abzuleiten, dass in den Fällen, in denen der Schuldner die Restschuldbefreiung erreichen könne, ihm die Kostenstundung grundsätzlich zu gewähren sei. Der Schuldner handele insoweit mit der Stellung eines neuen Antrags nicht rechtsmissbräuchlich.
Für diese Lösung spreche auch die Entstehungsgeschichte des § 287a Abs. 2 InsO. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 31.10.2012 werde davon gesprochen, dass aus dem Umstand, dass einem Schuldner in einem Erstverfahren die Kostenstundung versagt worden sei, weil nach der Feststellung des Gerichts ein Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO zweifelsfrei vorliege, nicht auf ein unredliches Verhalten des Schuldners geschlossen werden könne. Dem Gesetzgeber sei im Übrigen das Problem bekannt gewesen, wie sich etwa auch aus dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung, des Kreditwesengesetzes und andere Gesetze vom 16.09.2004 ergebe.
Abschließend räumt der BGH selbst ein, dass es unbefriedigend sei, dass die dem Schuldner eingeräumte Möglichkeit bestehe, nach Einstellung des Verfahrens mangels Masse oder nach Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 298 InsO sofort wieder einen neuen Antrag auf Insolvenzeröffnung, Kostenstundung und Restschuldbefreiung zu stellen, obwohl er die Verfahrenseinstellung und Restschuldbefreiungsversagung dadurch provoziert habe, dass sein eigenes Fehlverhalten zur Aufhebung der Kostenstundung geführt habe. Diese Rechtslage eröffne dem unredlichen Schuldner nicht zu rechtfertigende Handlungsspielräume und belaste die Insolvenzgerichte sowie die öffentlichen Haushalte völlig unverhältnismäßig.
Der BGH schließt mit einer sprichwörtlichen „Ohrfeige“ für den Gesetzgeber wie folgt: „Dass einem Schuldner diese Möglichkeit eingeräumt wird, hat der Gesetzgeber entschieden“.
C. Kontext der Entscheidung
Hatte man sich in den vergangenen Jahren zusehends daran gewöhnt, dass der IX. Zivilsenat des BGH manche gesetzgeberische Unzulänglichkeit oder krude Gestaltung im Sinne einer sachgerechten Rechtsanwendung des Insolvenzrechts „schon wieder richten“, sprich korrigieren werde, lässt der BGH im vorliegenden Fall den Gesetzgeber „vor die Wand laufen“.
Die Fallgestaltung ist denkbar praxisnah. Einem unredlichen Schuldner war wegen fehlender Mitwirkung die Verfahrenskostenstundung aufgehoben und sodann das Verfahren nach § 207 InsO eingestellt worden. Der BGH sieht hier aufgrund fehlender Regelung einer Sperrfrist keine Sperre veranlasst.
Wenn man an der Idee einer Sperrfrist für den Schuldner festhalten will, müsste dieser Fall jedoch eindeutig erfasst sein. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass dies nach geltendem Recht eben gerade nicht der Fall ist. Fast schon genüsslich exerziert der BGH durch, dass auch eine Analogiebildung im konkreten Fall aus rechtsdogmatischen Gründen ausscheide, da dem Gesetzgeber das Problem bekannt gewesen ist. Besonders frappierend dürfte der Umstand sein, dass die Fallgestaltung der Aufhebung einer Kostenstundung nach § 4c InsO den praktisch weitaus häufigeren Fall darstellen dürfte als die Versagung der Restschuldbefreiung. Dass der Gesetzgeber gleichwohl keine entsprechende Regelung zu Wege gebracht hat, spricht entweder für die mangelnde Praxiskenntnis des Gesetzgebers oder die bewusste Privilegierung unredlicher Schuldner. Beide Varianten sind kein Ruhmesblatt für den Gesetzgeber.
D. Auswirkungen für die Praxis
Es wird sich zeigen, ob der Gesetzgeber nunmehr „seine Hausaufgaben macht“ oder dem unredlichen Schuldner das vom BGH völlig zu Recht gelassene Schlupfloch belässt. Im letztgenannten Fall wäre die Sperrfristrechtsprechung in einer großen Vielzahl der Fälle obsolet.