OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 20. September 2006 – 4 U 32/06 –, juris


Leitsatz

1. Ein röntgenologisch darstellbarer Engstand der Dornfortsätze an der Wirbelsäule eines Reitpferdes stellt für sich genommen keinen Mangel dar .
2. Die Vermutung des § 476 BGB ist mit der Erkrankung eines Pferdes am „Kissing-Spines-Syndrom“ unvereinbar .

Entgegen LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 14 O 10670/07 –, juris

Haftung beim Pferdekauf: Beweislastumkehr bei Vorliegen von Kissing-Spines

Leitsatz

1. Das Vorliegen von Kissing-Spines bei einem Pferd, das aufgrund der konkreten Gegebenheiten im Zeitpunkt des Gefahrüberganges eine mehr als 50%-ige Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sich bei dem Pferd alsbald klinische Symptome einstellen werden, steht der Anwendbarkeit des § 476 BGB nicht entgegen (gegen OLG Oldenburg, 20. September 2006, 4 U 32/06, RdL 2006, 319).(Rn.18)(Rn.24)
2. Einen Rechts- oder Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Wert der aus einem Pferd gezogenen Nutzungen regelmäßig mindestens so hoch ist, wie die Unterstell- und Fütterungskosten für das Pferd, gibt es nicht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des OLG Posen vom 23.12.1909 (OLGE 22, 236).


Anmerkung: Die vorstehenden gegensätzlichen Entscheidungen unter Einbeziehung einer Entscheidung des OLG Posen aus dem Jahre 1909 (!) zeigen deutlich auf, dass das Kissing-Spine-Syndrom bereits seit über 100 Jahren Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen war, so auch

OLG Frankfurt am Main · Urteil vom 6. Juli 2010 · Az. 17 U 28/09

Aus den Entscheidungsgründen:

„Der Senat hat nach einer selbst von ihm durchgeführten Beweisaufnahme keine Zweifel mehr daran, dass das im Streit befindliche Pferd im Zeitpunkt des Gefahrübergangs deshalb mit einem Mangel behaftet war, weil es Lahmheit zeigte. Diese Überzeugung ergibt sich bereits aus der im selbständigen Beweisverfahren durchgeführten Begutachtung durch den Tierarzt Dr. SV1 vom 15.11.2007, der immerhin zu dem Ergebnis kam, dass die Rückenmuskulatur des Pferdes deutlich unterentwickelt war. Darüber hinaus kommt er zu der Feststellung, dass auf der linken Hand in der Kurve eine geringgradige Lahmheit festzustellen war, die geradeaus und auf der rechten Hand nicht vorhanden war. Im Laufe des Vorreitens, besonders nach dem Galopp, verschwand die Lahmheit fast vollständig hinten links, was allerdings auch eindeutig belegt, dass die Lahmheit nie ganz verschwunden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Pferd beritten wird, und damit in einem Moment, als es diese Lahmheit nicht so sehr zeigt, während diese jedoch dann wieder mehr hervortritt, wenn das Pferd sich ohne Reiter in Bewegung befindet. Der Sachverständige kommt des weiteren zu dem Ergebnis, dass das Pferd sogenannte konditionelle Schwächen zeigte, die wahrscheinlich auf die minder entwickelte Muskulatur zurückzuführen sind. Der Senat stützt seine Überzeugung aber im Wesentlichen auf das durch den Tierarzt Dr. SV2 vorgelegte Gutachten vom 23.2.2010. Der Sachverständige im damals zur Entscheidung anstehenden Fall des OLG Oldenburg hatte ausgeführt, dass durch verschiedene Faktoren wie zunehmende Belastung, falsche Reitweise, schlecht sitzender Sattel, Muskelschmerzen, röntgenologische Veränderungen im Sinne eines Kissing-Spines-Syndroms auch relativ kurzzeitig klinisch auffällig würden. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung hatte der Sachverständige sodann hinzu gefügt, dass die reaktiven Veränderungen am Knochen auch binnen weniger Monate erfolgen könnten. Von einer derartigen Fallkonstellation ist jedoch vorliegend nicht auszugehen, weil weder durch die Parteien vorgetragen, noch sich aus anderen Umständen ergibt, dass die Symptome nicht bereits bei Gefahrübergang vorlagen, sondern bereits kurze Zeit nach Gefahrübergang, mindestens jedoch erst nach 6 Monaten, aufgetreten waren. Dafür gibt es keinerlei Hinweise, insbesondere nicht aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. SV2.

Nur bei bestimmten Tierkrankheiten kann die Vermutungsregel des § 476 BGB ausgeschlossen sein. Der insoweit in Bezug zu nehmenden Entscheidung des BGH vom 29.3.2006 (BGHZ 167, 40 ff. = NJW 2006, 2250 = RdL 2006, 205 ff), dem sich der Senat anschließt, ist zwar zu entnehmen, dass gerade bei Tierkäufen die Vermutungsregel des § 476 BGB nur grundsätzlich, nicht jedoch bei allen mit irgend welchen Fehlern behafteten Tieren gilt. Sie kann wegen der Art des Mangels bei bestimmten Tierkrankheiten ausgeschlossen sein, was der Senat insoweit aber nur für saisonal sichtbare Allergien entscheiden hat und zwar für den Fall von Sommerekzemen eines Pferdes. Eine solche Erkrankung ist jedoch bei dem hier streitgegenständlichen Pferd nicht Gegenstand des Rechtsstreits, sondern der wesentlich schwerer wiegende Befund von Kissing-Spines, der im übrigen nicht saisonal bedingt ist, sondern ständig bei dem Pferd vorhanden war und ist.“