Nachfolgend ein Beitrag vom 28.4.2017 von Osterloh, jurisPR-BGHZivilR 8/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Ob der Insolvenzverwalter für eine unternehmerische Fehlentscheidung haftet, ist am Insolvenzzweck der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger unter Berücksichtigung der von den Insolvenzgläubigern getroffenen Verfahrensentscheidungen zu messen.
2. Der Insolvenzverwalter darf keine Geschäftschance persönlich nutzen, die aufgrund der Umstände des jeweiligen Falles dem von ihm verwalteten Schuldnerunternehmen zuzuordnen ist.

A. Problemstellung

Der Insolvenzverwalter wird zunächst bemüht sein, die Masse im Wert zu erhalten und im Gläubigerinteresse bestmöglich zu verwerten. Im Rahmen einer Betriebsfortführung muss er jedoch regelmäßig laufende Aufwendungen und auch den Ankauf von Betriebsstoffen und Material – jeweils zulasten der Masse – verantworten. Er muss die Sinnhaftigkeit einer Betriebsfortführung bis zum Berichtstermin selbst prüfen und wird sich anschließend insoweit auf einen Beschluss der Gläubigerversammlung zur Betriebsfortführung stützen können.
Darf und muss er jedoch ggf. auch investive Geschäfte im Sinne des Erwerbs von Anlagevermögen – insbesondere Immobilien – für die Masse tätigen, und in welchen Umfang ist er durch sein Amt gehindert, selbst geschäftlich tätig zu werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Wohnungs- und Baugesellschaft seinen Vorgänger in diesem Amt auf Schadensersatz in Anspruch. Die Schuldnerin hatte vor der im Jahr 2000 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Wohnblock in eine Wohnungseigentumsanlage verwandelt, einige Wohnungen, so auch die Nr. 24 für 70.000 DM, verkauft und die Verwaltung übernommen. Nachdem die Gläubigerversammlung 2007 die Liquidation der Schuldnerin und die Fortführung des Geschäftsbetriebes bis zur bestmöglichen Verwertung der Immobilien beschlossen hatte, erwarb der Beklagte 2008 persönlich die zuvor der Schuldnerin oder ihm als Insolvenzverwalter angebotene Wohnung Nr. 24 für 3.000 Euro und erklärte als Insolvenzverwalter der Schuldnerin die Verwalter-Zustimmung zur Veräußerung. Die spätere Erwerberin des Immobilienbestandes bot dem Beklagten – vergeblich – 45.000 Euro für den Verkauf der Wohnung.
Der IX. Zivilsenat hat eine Verletzung der Pflichten aus § 60 InsO in zweifacher Hinsicht angenommen. Zunächst habe der Beklagte die Wohnung für die Masse kaufen müssen. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Bewahrung und Verwaltung der Insolvenzmasse sei vielfach nicht schon dann erfüllt, wenn es dem Verwalter gelinge, den Bestand der Masse zu erhalten. Zur Masseverwaltungspflicht gehöre – insbesondere im Rahmen einer Betriebsfortführung – auch ein allgemeines Wertmehrungsgebot. Welche Pflichten den Insolvenzverwalter im Einzelfall treffen würden, hänge von den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls ab. Nach diesen habe es sich hier um ein Geschäft gehandelt, welches die Masse ohne sonderlichen Aufwand und ohne großes Risiko erheblich vermehrt hätte. Auch unter Anlegung eines großzügigen Maßstabes an unternehmerische Entscheidungen des Insolvenzverwalters, der in einer für das Unternehmen schwierigen Lage eine von vielen, teils unbeherrschbaren Faktoren abhängige Prognoseentscheidung zu treffen habe, und des ihm zukommenden weiten Ermessensspielraums sei die Entscheidung des Beklagten, die Wohnung zu dem von ihm gezahlten Preis nicht für die Masse zu erwerben, mit einer ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwaltung nicht zu vereinbaren.
Daneben liege eine Pflichtverletzung darin, dass der Beklagte eigennützig, ohne Berücksichtigung der Interessen der Insolvenz- und Massegläubiger und derjenigen der Insolvenzschuldnerin, ein vorteilhaftes Geschäft an sich gezogen habe, welches im engen Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin gestanden habe und daher dieser zuzuordnen gewesen sei. Der hinter den gesetzlichen Wettbewerbsbeschränkungen für Gesellschafter einer OHG (§ 112 Abs. 1 HGB), persönlich haftenden Gesellschaftern einer KG (§ 161 Abs. 2 HGB) und den geschäftsführenden Gesellschaftern einer Personengesellschaft oder den Geschäftsführern einer GmbH (entsprechend § 88 Abs. 1 AktG) stehende Rechtsgedanke lasse sich auf einen Insolvenzverwalter übertragen, der das Unternehmen des Insolvenzschuldners fortführe, auch er habe eine Rechtsmacht erhalten, die nicht hinter derjenigen eines Geschäftsleiters zurückbleibe. Er habe die ihm übertragenen weitreichenden Befugnisse ausschließlich zur Verfolgung des Verfahrenszwecks zu nutzen. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls sei eine Geschäftschance der Masse zugeordnet, wenn diese den Vertrag bereits geschlossen oder jedenfalls soweit vorbereitet habe, dass der endgültige Vertragsschluss nur noch eine Formsache sei. Gleiches gelte, wenn der Geschäftsleiter namens der Gesellschaft in Vertragsverhandlungen eingetreten sei oder wenn ihm ein vorteilhaftes Angebot nur mit Rücksicht auf seine Stellung unterbreitet worden sei. Erfasst seien schließlich auch Geschäftschancen, die im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft stünden.

C. Kontext der Entscheidung

Der IX. Zivilsenat hat die Forderung an den Insolvenzverwalter, die Masse auch zu mehren, maßgeblich auch auf seine Entscheidung vom 26.06.2014 (IX ZR 162/13 – WM 2014, 1434) gestützt, mit der er die Forderung an den Insolvenzverwalter formuliert hat, bis zur endgültigen Verteilung der Masse nicht benötigte Gelder nicht nur sicher, sondern auch zinsgünstig anzulegen. Er hat in diesem Zusammenhang dem Insolvenzverwalter zunächst eine Zeitspanne von sechs Wochen – die allerdings durch eine vorangegangene Zeit als vorläufiger Insolvenzverwalter verkürzt sein kann – eingeräumt, um sich einen Überblick über die zur Masse gehörenden und für eine zinsgünstige Anlage zur Verfügung stehenden Gelder zu verschaffen. Auch sei die Höhe des Betrages, die in Frage kommende Zeit einer Anlage und der mit einer Anlage verbundene Aufwand im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtung zu berücksichtigen. Abzustellen sei auf den möglichen Ertrag auf einem Tagesgeldkonto einer Inlandsbank. Der Insolvenzverwalter müsse nicht besonders günstige Angebote – etwa per Internet – ermitteln, sondern dürfe sich auf Anlagemöglichkeiten der Banken beschränken, mit denen er oder die Schuldnerin in Geschäftsbeziehungen stünden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Gegen den Vorwurf, pflichtwidrig ein investives Rechtsgeschäft selbst abgeschlossen zu haben, von dem er im Zusammenhang mit einer Verwaltungstätigkeit erfahren hat, wird sich der Insolvenzverwalter noch vergleichsweise leicht durch eine – nach dieser Entscheidung allerdings auch gebotene – umfassende Enthaltung schützen können. Schwieriger wird dies schon, wenn ein Geschäft im Rahmen zweier Verwaltungen für beide Schuldnerinnen möglich und nützlich – vielleicht sogar sehr vorteilhaft – erscheint. Ungleich problematischer kann die Verteidigung gegen den Vorwurf sein, ein investives Geschäft für die Masse unterlassen zu haben. Es hieße jedoch, die Entscheidung gründlich fehlzuverstehen, würde man hieraus eine Aufforderung und regelmäßige Pflicht zu – ggf. sogar riskanten – investiven Geschäften ableiten. Der IX. Zivilsenat hat in der Entscheidung sehr umfassend dargestellt, aus welchen besonderen Gründen hier nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt von einer nicht nur vorteilhaften, sondern letztlich recht risikolosen Investition ausgegangen werden musste, insbesondere weil der ohnehin auch absolut geringe Kaufpreis von 3.000 Euro nur ein Bruchteil des anzunehmenden Wertes von 45.000 Euro ausmachte. Zudem hat der Senat auch in dieser Entscheidung deutlich auf den insoweit bestehenden Ermessensspielraum des Verwalters abgestellt, der ihn vor dem Vorwurf eines pflichtwidrig unterlassenen investiven Geschäftes in der Regel schützen sollte.