Nachfolgend ein Beitrag vom 28.11.2016 von Bartone, jurisPR-SteuerR 48/2016 Anm. 4

Leitsatz

Der Eintritt eines Vermögensverfalls ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG auch dann zu vermuten, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dessen Recht eröffnet worden ist.

A. Problemstellung

Die Ausübung des Steuerberaterberufs ist unter anderem abhängig von der Bestellung durch die zuständige Steuerberaterkammer (§ 40 Abs. 1 Satz 1 StBerG). Bei dieser Bestellung handelt es sich um einen Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO), der aus den in § 46 Abs. 2 StBerG abschließend aufgeführten Gründen zu widerrufen (vgl. § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AO) ist. Einen solchen Widerrufsgrund bildet gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG der Vermögensverfall. Eine gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall in diesem Sinn besteht unter anderem bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerberaters (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 StBerG).
Der BFH hatte darüber zu entscheiden, ob Insolvenzverfahren im Sinne der genannten Vorschrift auch ein solches ist, das nicht in Deutschland, sondern in einem anderen EU-Mitgliedstaat nach dessen Recht eröffnet worden ist

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin war Steuerberaterin. Nachdem sie ein Vermögensverzeichnis vorgelegt hatte, das Verbindlichkeiten in Höhe von 873.878,89 Euro aufwies, denen mehrere Immobilien mit geschätzten Verkehrswerten von 585.000 Euro gegenüberstanden, hat die Steuerberaterkammer nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG die Bestellung der Klägerin als Steuerberaterin widerrufen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass aufgrund einer Anzeige seit dem 13.07.2015 gegen die Klägerin in England ein Insolvenzverfahren (bankruptcy) geführt werde.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte ebenso wenig Erfolg wie die gegen das Urteil des Finanzgerichts erhobene Nichtzulassungsbeschwerde, welche die Klägerin auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO stützte. Der BFH hat die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Fragen verneint.

C. Kontext der Entscheidung

I. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ist die Bestellung zu widerrufen (vgl. § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO; zur Anwendung der AO vgl. § 164a Abs. 1 Satz 1 StBerG), wenn der Steuerberater in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall wird u.a. (widerlegbar) vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters eröffnet ist. Dabei ist das mit dieser Vorschrift verfolgte gesetzgeberische Ziel, die Interessen der Hilfeleistung in Steuersachen suchenden Mandanten vor Gefährdungen zu schützen, die von einem in Vermögensverfall geratenen Steuerberater ausgehen können (vgl. z.B. BFH v. 20.04.2010 – VII B 235/09 – BFH/NV 2010, 1496). Denn bei ungeordneten Vermögensverhältnissen besteht die Gefahr, dass der Steuerberater zur Erlangung eines finanziellen Vorteils seine beruflichen Pflichten verletzen und die Interessen seiner Mandanten nicht mit der erforderlichen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit verfolgen könnte. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass der Steuerberater oftmals Fremdgelder verwaltet und zu diesem Zweck Treuhandkonten unterhält.
II. Der BFH hat nun klargestellt, dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG nicht nur greift, wenn im Inland ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters eröffnet wird. Vielmehr gilt dies auch, wenn es sich um ein Insolvenzverfahren eines anderen EU-Mitgliedstaats handelt, hier ein in Großbritannien eröffnetes Insolvenzverfahren (bankruptcy) nach Part IX Insolvency Act 1986. Denn dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ist nicht zu entnehmen, dass die Vorschrift lediglich auf nach den Bestimmungen der InsO eröffnete Insolvenzverfahren Anwendung finden soll. Vielmehr gebieten Ziel und Zweck der Regelung eine Erstreckung ihres Anwendungsbereichs auch auf Insolvenzverfahren, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eröffnet worden sind, zumal die Mitgliedstaaten mit der Verabschiedung der VO Nr. 2015/848 deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass sie den in anderen Mitgliedstaaten eröffneten Insolvenzverfahren gleiche Wirkungen beimessen, weshalb – zumindest aus verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten – eine gegenseitige Anerkennung für notwendig erachtet wurde. Es ist kein Grund ersichtlich, warum ein nach englischem Recht eröffnetes Insolvenzverfahren, das ebenso wie ein nach deutschem Recht eröffnetes Insolvenzverfahren die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners belegt, bei der Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG keine Berücksichtigung finden sollte.
III. Bei dem britischen bankruptcy-Verfahren handelt es sich um ein Insolvenzverfahren eines anderen EU-Mitgliedstaats, das in Anhang A VO Nr. 2015/848 aufgeführt ist. Nach Art. 19 Abs. 1 VO Nr. 2015/848 sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein zuständiges Gericht eines EU-Mitgliedstaats anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Mit der VO Nr. 2015/848 wird das Ziel einer Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung und die Vermeidung eines sog. Forum Shopping verfolgt (vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 zur VO Nr. 2015/848). Wesentlicher Bestandteil der Strategie ist die gegenseitige Anerkennung von Hauptinsolvenzverfahren, d.h. Insolvenzverfahren, die in dem Mitgliedstaat eröffnet worden sind, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 2015/848).
Dieses Verfahren setzt ebenso wie die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens regelmäßig die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraus (§ 17 Abs. 1 InsO, Section 272 (1) Insolvency Act 1986).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BFH hat unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG sowie seines Regelungszwecks eine klarstellende Entscheidung getroffen. Mit der genannten Norm wird der Schutz der Mandanteninteressen bezweckt, indem im Fall der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens festgestellten Zahlungsunfähigkeit widerlegbar ein Vermögensverfall unterstellt wird. Das Gesetz geht beim Vorliegen eines solchen Vermögensverfalls ohne weiteres davon aus, dass aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Situation des Steuerberaters die Interessen der Auftraggeber gefährdet sind (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 04.03.2004 – VII R 21/02 – BStBl II 2004, 1016; BFH, Urt. v. 22.09.1992 – VII R 43/92 – BStBl II 1993, 203).
Hierfür ist unbeachtlich, ob das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters im Inland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat eröffnet wurde.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

I. Die Klägerin hatte in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde auch beanstandet, dass die tragende Begründung des Finanzgerichts falsch sei. Damit konnte sie die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht erreichen. Denn damit wendet sie sich gegen eine vermeintlich unzutreffende Rechtsanwendung. (Angebliche) Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen nach der Rechtsprechung des BFH jedoch für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile umfassend zu gewährleisten (st. Rspr.; vgl. z.B. BFH, Beschl. v. 06.10.2003 – VII B 130/03 – BFH/NV 2004, 215; weitere Nachweise bei Ratschow in: Gräber, FGO, 8. Aufl. 2015, § 115 Rn. 23). Demgegenüber hat eine Rechtssache nur dann grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (grundlegend BFH, Beschl. v. 15.07.1966 – VI B 2/66 – BStBl III 1966, 628; Ratschow in: Gräber, FGO, § 115 Rn. 23, m.w.N.) bzw. wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (z.B. BFH, Beschl. v. 11.09.2013 – I B 17/13 – BFH/NV 2014, 184; BFH, Beschl. v. 07.06.2016 – I B 6/15 – BFH/NV 2016, 1496).
II. Darüber hinaus kommt einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Ratschow in: Gräber, FGO, § 115 Rn. 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (st. Rspr., z.B. BFH, Beschl. v. 18.12.1998 – VI B 215/98 – BStBl II 1999, 231; BFH, Beschl. v. 31.05.2000 – X B 111/99 – BFH/NV 2000, 1461).
III. Die Eröffnung des Finanzrechtswegs für Streitigkeiten der vorliegenden Art folgt aus § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO. Danach entscheiden die Finanzgerichte unter anderen auch in öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Streitigkeiten, die durch den Zweiten Abschnitt des Zweiten Teils des StBerG (§§ 35 ff. StBerG) geregelt sind, also insbesondere Streitigkeiten betreffend die Zulassung als Steuerberater und deren Widerruf, der den Gegenstand des Besprechungsfalls bildete.