Beschluss vom 19. Juni 2012
Notare werden als unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege in den Ländern bestellt. Sie unterstehen der Aufsicht durch den Präsidenten des Landgerichts, durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts sowie durch die Landesjustizverwaltung (§ 92 Bundesnotarordnung – BNotO), die unter anderem die regelmäßige Prüfung und Überwachung der Amtsführung der Notare umfasst. Der Notar ist verpflichtet, den Aufsichtsbehörden Akten, Verzeichnisse und Bücher sowie die in seiner Verwahrung befindlichen Urkunden zur Einsicht vorzulegen und auszuhändigen (§ 93 BNotO). Die Notare sind in Notarkammern zusammengeschlossen, denen es insbesondere obliegt, in Richtlinien die Amtspflichten und sonstigen Pflichten ihrer Mitglieder im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und auf deren Grundlage erlassener Verordnungen durch Satzung näher zu bestimmen.
Zu den Aufgaben des Notars gehört unter anderem die Verwahrung von Geld und Wertgegen-ständen, die ihnen zur Aufbewahrung oder Ablieferung an Dritte übergeben werden. Die Dokumentation notarieller Verwahrungsgeschäfte ist in der von den Landesjustizverwaltungen erlassenen Dienstordnung für Notarinnen und Notare geregelt. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Vorschrift des § 10 der schleswig-holsteinischen Dienstordnung für Notarinnen und Notare (DONot). Danach sind für die Verbuchung von empfangenen oder ausgezahlten Fremdgeldern jede Einnahme und jede Ausgabe im Verwahrungsbuch und im Massenbuch einzutragen. Bei bargeldlosem Zahlungsverkehr sind die Eintragungen an dem Tag vorzunehmen, an dem die Kontoauszüge oder die Mitteilung über Zinsgutschriften oder Spesenabrechnungen beim Notar eingehen (§ 10 Abs. 3 DONot).
Der Beschwerdeführer, ein in Schleswig-Holstein zugelassener Notar, nahm dagegen die Verbuchung von bargeldlosen Zahlungen unter dem Datum der Gutschrift oder der Abbuchung im Verwahrungs- und im Massenbuch vor. Nachdem er seine Buchungspraxis trotz entsprechender Beanstandung nicht änderte, wies ihn der Präsident des Landgerichts schriftlich an, Buchungen bei bargeldlosem Zahlungsverkehr entsprechend § 10 Abs. 3 DONot durchzuführen, mit dem Hinweis, dass erneute Verstöße zu dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen führen müssten. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel des Beschwerdeführers blieben vor dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die mit seiner Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen im Wesentlichen in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzt, weil die Dienstordnung für Notarinnen und Notare und die gegen ihn auf dieser Grundlage ergangene Weisung nicht von einer gesetzlichen Grundlage getragen seien und daher nicht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügten.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Durch die angegriffene Weisung und die sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen wird der Beschwerdeführer nicht in seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit verletzt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Der Notar übt einen staatlich gebundenen Beruf aus. Er nimmt als selbständiger Berufsträger im Bereich vorsorgender Rechtspflege Staatsaufgaben wahr, die richterlichen Funktionen nahe kommen, und wird mithin typischerweise in sachlich bedingter Nähe zum öffentlichen Dienst tätig. Auch für einen solchen Beruf gilt ebenso wie für die Berufe, die im engeren Sinne zum öffentlichen Dienst gehören, grundsätzlich die grundrechtliche Gewährleistung der freien Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG. Aufgrund der Nähe staatlich gebundener Berufe zum öffentlichen Dienst müssen es jedoch die Notare hinnehmen, dass für sie die Wirkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit durch Sonderregelungen zurückgedrängt werden. Wegen der unterschiedlichen beruflichen Tätigkeitsfelder im Zusammenhang mit der notariellen Amtsführung ist hinsichtlich des genauen Grades der Annäherung und der damit im konkreten Fall verbundenen Zulässigkeit von Sonderregelungen zu differenzieren. Die hier maßgeblichen Vorschriften über die Dokumentation der Verwahrungsgeschäfte nach der Dienstordnung für Notare sind dem übertragenen Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zuzuordnen, der Sonderregelungen zugänglich ist. Sie betreffen nicht lediglich die der privaten Freiheit unterfallende Organisation der internen Betriebsabläufe des Notariats. Die Führung des Verwahrungs- und des Massenbuchs als Dokumentation des Verwahrungsgeschäfts ist notwendiger Teil der Durchführung dieses notariellen Amtsgeschäfts. Sie dient nicht nur der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung fremder Gelder und Wertgegenstände in den Notariaten, sondern soll auch die Kontrolle dieser Amtsgeschäfte durch die Dienstaufsichtsbehörde gewährleisten.
2. Danach sind die von dem Beschwerdeführer angegriffene Weisung und die ihr zugrunde liegende allgemeine Vorschrift in § 10 Abs. 3 Satz 1 DONot weder der Form noch dem Inhalt nach verfassungsrechtlich zu beanstanden. Selbst wenn die angegriffenen Maßnahmen am Grundrecht der Berufsfreiheit zu messen sein sollten, was der Beschluss offen lässt, genügen sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Weisung als Mittel der Dienstaufsicht als auch hinsichtlich des Inhalts der Weisung.
a) Die dem Beschwerdeführer erteilte Einzelweisung als Mittel der Dienstaufsicht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Für ein Weisungsrecht der Dienstaufsichtsbehörden gegenüber Notaren fehlt es zwar an einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz. Es genügt jedoch den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn den Aufsichtsbehörden im Rahmen ihrer in §§ 92, 93 BNotO geregelten Aufsichtsbefugnisse ein Weisungsrecht gegenüber Notaren zugebilligt wird. Das Weisungsrecht zählt zu den typischen Instrumentarien der öffentlichen Aufsicht. Der Mittel und Möglichkeiten der Dienstaufsicht bedient sich der Gesetzgeber auf der Grundlage der §§ 92, 93 BNotO zur Kontrolle notarieller Amtsführung. Es ist daher vertretbar, wenn die Fachgerichte durch Auslegung der §§ 92, 93 BNotO zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Weisungsrecht bei den gesetzlich ausdrücklich geregelten Aufsichtsbefugnissen der Justizverwaltung vorausgesetzt wird und in der Gesamtregelung der Dienstaufsicht über Notare angelegt ist. In materieller Hinsicht bestehen gegen das Mittel der Weisung als solches weder in der Form einer Einzelweisung noch in der Form der allgemeinen Weisung verfassungsrechtliche Bedenken. In beiden Fällen dient die Weisung vernünftigen Gründen des Gemeinwohls, nämlich der Aufsicht über die notarielle Amtsführung und damit der demokratischen und rechtsstaatlichen Rückbindung eines außerhalb der staatlichen Verwaltungsorganisation stehenden Amtsträgers sowie der Sicherung eines ordnungsgemäßen Handelns im Bereich der staatlichen Aufgabe zur vorsorgenden Rechtspflege.
b) Auch ihrem Inhalt nach genügt die dem Beschwerdeführer erteilte Einzelweisung den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es besteht eine gesetzliche Grundlage. Die Regelungen der Dienstordnung zur Dokumentation von Verwahrungsgeschäften lassen sich auf die Befugnisse der Landesjustizverwaltung als Dienstaufsichtsbehörde zur Erteilung allgemeiner Weisungen nach Maßgabe des § 93 BNotO stützen. Insbesondere ermächtigen die gesetzlichen Regelungen die Aufsichtsbehörden dazu, nähere Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung technischer Einzelfragen der Dokumentation zu machen, wenn dies die Adressaten nicht wesentlich belastet. Das ist hier der Fall. Die in der Dienstordnung enthaltenen Regelungen zur Dokumentation der Verwahrungsgeschäfte dienen der staatlichen Aufsicht. Die Regelung zum Buchungsdatum ist, wenn überhaupt, nur mit einer geringen Mehrbelastung gegenüber anderen Arten der Buchführung verbunden. Die allgemeine Weisung in § 10 Abs. 3 Satz 1 DONot verstößt auch nicht deshalb gegen höherrangiges Recht, weil dadurch eine Amtspflicht auferlegt wird, deren Begründung nach der Konzeption der Bundesnotarordnung den Notarkammern vorbehalten wäre. Es entspricht der Nähe des Notarberufs zum öffentlichen Dienst, dass die unmittelbare staatliche Aufsicht über die notarielle Amtsführung schon angesichts der fortbestehenden Verantwortung des Staates nicht vollständig durch die Kompetenzen einer Selbstverwaltungskörperschaft verdrängt werden kann.
(Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung vom 5. Juli 2012)