Nachfolgend ein Beitrag vom 13.12.2018 von Pelz, jurisPR-Compl 6/2018 Anm. 1

Leitsatz

Vereitelt ein Strafverteidiger die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, für die kein Beschlagnahmeverbot besteht, indem er absichtlich oder wissentlich falsche Angaben zu seinem Besitz an diesen macht, überschreitet er die Grenzen zulässiger Verteidigung. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch das Strafverfahren gegen den Mandanten zumindest für geraume Zeit verzögert wird.

A. Problemstellung

Fragen der Beschlagnahmefreiheit von bei Berufsgeheimnisträgern befindlichen Unterlagen gehören immer noch zu den weitgehend ungeklärten Problemen des Strafprozessrechts. Zuletzt hatte das BVerfG in der „Jones Day“-Entscheidung (Urt. v. 27.06.2018 – 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17 u.a. m. Anm. Neuhöfer/Kindhäuser, jurisPR-Compl 4/2018 Anm. 1) den Grundsatz der Effektivität der Strafrechtspflege betont und Skepsis gegenüber einem weit verstandenen Beschlagnahmeprivileg geäußert. Während bislang vor allem untergerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage vorlagen, hatte nunmehr der BGH Gelegenheit, zur Reichweite der Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen im Gewahrsam des Verteidigers während eines laufenden Ermittlungsverfahrens sowie zu den Grenzen zulässiger Verteidigungstätigkeit Stellung zu nehmen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Hintergrund der Entscheidung war die sofortige Beschwerde eines Rechtsanwalts, der gemäß den §§ 138c Abs. 1 Satz 1, 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen Verdachts der Strafvereitelung von der Mitwirkung als Verteidiger ausgeschlossen worden war.
Dem lag folgendes Geschehen zugrunde: Gegen den Mandanten des Verteidigers war wegen Verdachts der Steuerhinterziehung Anklage erhoben worden. Ihm war vorgeworfen worden, über Scheinrechnungen Betriebsausgaben für tatsächlich nicht stattgefundene Warenlieferungen geltend gemacht zu haben. In der Hauptverhandlung beantragte die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen, da solche bei einer früheren Durchsuchung der Räume des angeklagten Mandanten nicht aufgefunden worden waren. Der Verteidiger teilte zunächst mit, dass keine Unterlagen herausgegeben würden, sollten sie vorhanden sein. In der Folgezeit legte er teilweise Rechnungen und Lieferscheine vor und kündigte mehrfach an, weitere Unterlagen beizubringen. Sukzessive wurden zwar Unterlagen vorgelegt, darin befanden sich aber nicht die gesuchten Buchhaltungsdokumente. Bei einer offenbar freiwillig gestatteten Nachschau im Wohnhaus des Verteidigers gab er weitere Unterlagen heraus und erklärte, darüber hinaus über keine Unterlagen mehr zu verfügen. Tatsächlich wurden jedoch noch weitere Unterlagen aufgefunden. Das Oberlandesgericht hat nach Antrag der Staatsanwaltschaft die Ausschließung des Rechtsanwalts als Verteidiger angeordnet und im Wesentlichen dazu ausgeführt, es bestehe der dringende Verdacht einer zumindest versuchten Strafvereitelung. Gegen die Ausschließung erhob der Verteidiger sofortige Beschwerde mit der Begründung, er habe Unterlagen zwischen seiner Kanzlei und seiner Wohnung hin- und hertransportiert und dabei sei Unordnung entstanden.
Der BGH hat die sofortige Beschwerde verworfen.
Der BGH bestätigte die Ausschließung des Verteidigers und nahm an, der Verteidiger sei einer Strafvereitelung verdächtig. Zunächst erkannte der BGH an, dass der Verteidiger auch Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein könnten, in Besitz nehmen dürfe. Dies allerdings nur zu dem Zweck, sie für Verteidigungszwecke auszuwerten. Nach Erledigung habe er diese Unterlagen aber unverzüglich wieder zurückzugeben. Wenn Ermittlungsbehörden die Herausgabe von Unterlagen forderten, die nicht originär durch oder für die Verteidigung entstanden seien, dürfe der Verteidiger diese nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er diese verborgen halte oder falsche Angaben zu ihrem Verbleib mache. Ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO bestehe nicht, da dieses nur Gegenstände umfasse, die im Rahmen des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und Mandant entstanden seien. Darüber hinaus erfasse das Beschlagnahmeprivileg nicht Beweisurkunden, die keine Kommunikation aus dem Mandatsverhältnis verkörpern, sondern als Überführungsstücke anzusehen seien.
Keinesfalls dürfe der Verteidiger Beweismittel vor dem Zugriff von Strafverfolgungsbehörden verstecken, selbst dann nicht, wenn er diese Beweismittel für Verteidigungszwecke auswerten möchte. Letzteres sei auch durch Besichtigung der Beweisurkunden oder mit Hilfe von Kopien möglich. Das Verhalten eines Verteidigers, der wiederholt falsche Angaben über den Belegenheitsort gesuchter Dokumente mache und solche nur teilweise vorlege, sei als Strafvereitelung anzusehen, zumal im konkreten Fall der Fortgang des Strafverfahrens um mehrere Monate verzögert worden sei.

C. Kontext der Entscheidung

Im Zentrum der Entscheidung stand die Frage nach den Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens, denn ein Verteidiger kann nach § 138a Abs. 1 StPO nur dann ausgeschlossen werden, wenn er der Teilnahme an Taten seines Mandanten oder wegen (Daten-)Hehlerei, Begünstigung oder Strafvereitelung zu Taten seines Mandanten verdächtig wäre.
Allgemein anerkannt ist das Recht des Verteidigers, eigene Sachverhaltsermittlungen anzustellen (BGH, Urt. v. 10.02.2000 – 4 StR 616/99 – BGHSt 46, 1, 4; Dierlamm in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 29 Rn. 63). Hierher gehört auch das Recht, Unterlagen, die Beweisrelevanz für das weitere Strafverfahren haben, zu sichten und auszuwerten. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei diesen Unterlagen um als „Überführungsstücke“ bezeichnete wesentliche Beweismittel handelt. Daher ist die Inbesitznahme solcher Beweismittel durch den Verteidiger zunächst zulässig. Fragen von Ermittlungsbehörden über den Verbleib solcher Beweismittel braucht und darf der Verteidiger ohne Zustimmung seines Mandanten nicht (zu) beantworten. Insoweit steht ihm nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, dessen Verletzung nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbewehrt ist.
Im vorliegenden Fall hat sich der Verteidiger jedoch nicht aufs Schweigen beschränkt. Allgemein anerkannt ist, dass die Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens überschritten werden, wenn der Verteidiger falsche Angaben über den Besitz von Beweismitteln oder über deren Aufbewahrungsort macht. Der Verteidiger hat zwar die Interessen seines Mandanten zu vertreten und ihn vor einer Verurteilung zu schützen, er darf dabei allerdings nicht jedes Mittel anwenden. Der Verteidiger muss zwar nicht alles sagen, was er weiß, aber alles, was er sagt, muss wahr sein. Die Lüge ist ihm verboten (BGH, Beschl. v. 09.05.2000 – 1 StR 106/00 – BGHSt 46, 53, 56; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.07.1997 – 1 Ws 518/97 – StV 1998, 65). Werden unrichtige Angaben gemacht, kann dies eine Strafvereitelungshandlung darstellen.
Allerdings würde es an einem Vereitelungserfolg fehlen, wenn die Beweismittel auch bei zutreffenden Angaben über deren Aufbewahrungsort nicht hätten beschlagnahmt werden dürfen. Absolut geschützt sind nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO zunächst Unterlagen, die vom Beschuldigten oder Verteidiger gerade zum Zwecke der Verteidigung angefertigt wurden oder die vom Beschuldigten stammen und dem Verteidiger zum Zwecke der Verteidigung überlassen wurden. Dazu zählen Geschäftsunterlagen primär nicht.
§ 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO erstreckt das Beschlagnahmeverbot auf sonstige Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers erstreckt. In seinem Beschluss sieht der BGH unabhängig vom Verteidigungsverhältnis entstandene Beweismittel grundsätzlich nicht als vom Beschlagnahmeschutz erfasst an. Dies vermag allerdings nicht zu überzeugen. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO bezieht sich seinem Wortlaut nach gerade auf solche Gegenstände, die nicht unter Nr. 1 und 2 fallen, also weder vom Verteidiger noch vom Beschuldigten stammen und nicht die direkte Verteidigungskorrespondenz betreffen. Die Vorschrift nennt beispielhaft für solche Gegenstände ärztliche Untersuchungsberichte, also Unterlagen, die typischerweise gerade nicht zum Zwecke der Verteidigung des Beschuldigten geschaffen wurden. So ist anerkannt, dass von § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO auch Beweismittel umfasst sein können (Greven in: KK-StPO, § 97 Rn. 14). Entgegen dem BGH läge daher eine Beschlagnahmefreiheit nahe.
Zwar ist anerkannt, dass dem Beschlagnahmeprivileg nicht Tatmittel und Deliktsgegenstände unterfallen, also solche Unterlagen, die zur Begehung einer Tat verwendet oder durch die Tat hervorgebracht wurden (BGH, Beschl. v. 24.11.1995 – StB 84/95 – NStZ 1996, 199). Hierzu dürften die Geschäftsunterlagen im konkreten Fall jedoch nicht gehören, denn bei der Steuerhinterziehung werden typischerweise falsche Beträge in Steuererklärungsvordrucke eingetragen, einer Übermittlung von Unterlagen an die Finanzbehörden bedarf es daher nicht und eine solche hat auch nicht stattgefunden. Es liegt allenfalls ein mittelbarer Zusammenhang vor, wenn solche fingierten Rechnungen der Erstellung einer unrichtigen Buchführung gedient haben sollten, deren Rechenwerk wiederum Grundlage der Steuerhinterziehung war. Gleichwohl sind solche Geschäftsunterlagen dennoch kein unmittelbares Tatmittel einer Steuerhinterziehung.
Zudem wird bei Buchhaltungsunterlagen von der h.M. ein Beschlagnahmeprivileg verneint, wenn diese dem Berufsgeheimnisträger lediglich zum Zwecke der Erstellung der Buchführung überlassen wurden. Dies wird damit begründet, dass insoweit eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht bestehe und ein Geheimhaltungsinteresse zu verneinen sei. Etwas anderes gilt aber, wenn solche Buchhaltungsunterlagen Gegenstand der Erstellung von Jahresabschlüssen oder Steuererklärungen oder der steuerlichen Beratung sind (Greven in: KK-StPO, § 97 Rn. 16 m.w.N.). Insoweit wird ein Geheimhaltungsinteresse allgemein akzeptiert. Ein solches Beschlagnahmeprivileg muss auch für Geschäftsunterlagen gelten, die dem Verteidiger für Verteidigungszwecke übergeben werden.
Allerdings greift die Beschlagnahmeprivilegierung in zeitlicher Hinsicht nur so lange ein, als die Unterlagen tatsächlich für Verteidigungszwecke benötigt werden. Hier will der BGH jedoch zusätzliche Einschränkungen vornehmen: er fordert, dass der Verteidiger Unterlagen nach Auswertung unverzüglich zurückgeben müsse. Diese zeitliche Beschränkung findet im Gesetz jedoch keine Stütze. Solange ein tatsächlicher – und nicht nur vorgespiegelter – Verteidigungszweck besteht, greift die Beschlagnahmefreiheit ein. Zeitliche Vorgaben, bis wann der Verteidiger Unterlagen ausgewertet haben muss, bestehen nicht. Ebenso wenig muss sich der Verteidiger auf die Nutzung von Kopien oder die Besichtigung von Beweismitteln bei den Ermittlungsbehörden verweisen lassen. Sieht man dies wie der BGH anders, wäre § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO gänzlich sinnentleert und überflüssig.
Zutreffend ist aber, dass kein Beschlagnahmeschutz besteht, wenn die Verwahrung nicht mehr zu Zwecken der Verteidigung erfolgt, sondern andere Gründe im Vordergrund stehen, insbesondere wenn es ausschließlich darum geht, belastende Dokumente zu verbergen und dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen. Letzteres hat der BGH angesichts des Gesamtverhaltens des Verteidigers und seiner wechselnden Aussagen angenommen. Insoweit war es auch ausreichend, dass lediglich ein Verdacht der (versuchten) Strafvereitelung bestand, ein vollständiger Nachweis musste nicht erbracht werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BGH zeigt einmal mehr, welches Misstrauen Gerichte zunehmend der Rechtsanwaltschaft entgegenbringen, im konkreten Fall allerdings nicht gänzlich unberechtigt. Streit um die Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen wird es in vielen Strafverfahren geben. Wichtig ist, diesen Streit „mit offenem Visier“ auszutragen. Die im Hinblick auf das Eingreifen der Beschlagnahmefreiheit gestützte explizite Weigerung zur Herausgabe von Unterlagen wird wohl nicht als Vereitelungshandlung angesehen werden können. Hier fehlt es sowohl an einer nicht unerheblichen zeitlichen Verhinderung der Strafverfolgung, da den Ermittlungsbehörden typischerweise Zwangsmaßnahmen zur Verschaffung des Zugriffs auf diese zustehen, als auch an einer Vereitelungsabsicht, wenn mit vertretbaren Gründen vermeintlich unzulässigen Ermittlungsmaßnahmen entgegengetreten wird. Die richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit einer Beschlagnahme ist gerade der Weg, den das Gesetz zur Klärung solcher Meinungsverschiedenheiten vorsieht. Zuzugeben ist, dass von außen oftmals nicht klar erkennbar ist, wann der Besitz von Beweismitteln (noch) dem Zweck der Verteidigung oder nur noch dem der Verhinderung des Bekanntwerdens von Existenz und Inhalt dieser Unterlagen dient. Diese Schwierigkeiten müssen aber hingenommen werden: Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege und es ist zu vermuten, dass diese in Verteidigungsabsicht und nicht zum Zwecke der Strafvereitelung tätig werden (BGH, Beschl. v. 20.09.1999 – 5 StR 729/98 – NStZ 2000, 34). Insoweit bleibt zu hoffen, dass diese Entscheidung lediglich einen Ausreißer darstellt und nicht Schule macht.

Keine Beschlagnahmefreiheit von Beweismitteln als Verteidigungsunterlagen
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