Nachfolgend ein Beitrag vom 26.10.2015 von Keramati, jurisPR-InsR 19/2015 Anm. 3

Leitsatz

Die drohende Schließung einer Apotheke gem. § 5 ApoG führt im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung nicht zu einer Anordnung der Eigenverwaltung, wenn schwerwiegende Umstände bekannt geworden sind, die eine zukünftige Benachteiligung der Gläubiger erwarten lassen.

A. Problemstellung

Das AG Essen hatte über einen Antrag eines Apothekers auf Anordnung der Eigenverwaltung zu entscheiden und zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gegeben sind. Hierbei hatte es im Wesentlichen zu entscheiden, ob die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen der Interessen der Gläubiger führen kann. Zudem hatte das Gericht zu beachten, dass bei Ablehnung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung die Apotheke voraussichtlich unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen werden würde.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Über das Vermögen des Schuldners, der eine Apotheke betreibt, wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Das AG Essen lehnte einen Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung ab, da zu erwarten sei, dass die Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu Nachteilen für die Gläubiger führen könne. Es führt aus und hält es für zutreffend, dass nach allgemeiner Auffassung strafrechtliche Ermittlungen geeignet seien, eine Gläubigergefährdungsprognose zu begründen (Undritz in: Schmidt, InsO, 18. Aufl., § 270 Rn. 11; Foltis in: Frankfurter Komm. InsO, 7. Aufl., § 270 Rn. 56, 69). Dies gelte auch dann, wenn die Strafbarkeit sich im Vorfeld oder während eines anhängigen Insolvenzverfahrens ereigne, ein Ermittlungsverfahren jedoch noch nicht eingeleitet sei.
Vorliegend habe sich der Schuldner nach § 266a StGB strafbar gemacht, da er über einen Zeitraum von teilweise bis zu sieben Monaten keine Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung abgeführt habe. Eine Strafbarkeit nach § 266a StGB führe in einem Eigenverwaltungsverfahren einer natürlichen Person zu der konkreten Gefahr, dass der Schuldner die Sozialversicherungsträger nach Insolvenzeröffnung mit Mitteln der Insolvenzmasse befriedige. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass der Schuldner in einem folgenden Strafverfahren die Zahlung, wenn auch verspätet, als strafmildernden Umstand geltend machen könne. Überdies zeige sich in dem monatelangen Nichtabführen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung die Einstellung des Schuldners, für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten keine Gewähr zu bieten.
Die Unzuverlässigkeit des Schuldners würde zudem durch den Umstand bestätigt, dass gegen ihn ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Die Ausführungen des Schuldners zu dem strafrechtlich relevanten Sachverhalt seien wenig überzeugend. Sie könnten den Schuldner jedoch selbst dann, wenn man ihnen folgen würde, weder von dem Vorwurf eines erheblichen Organisationsverschuldens noch von einer möglichen Strafbarkeit entlasten.
Für eine Gläubigergefährdungsprognose spreche ferner, dass die schuldnerische Buchhaltung bis unmittelbar vor Insolvenzantragstellung unzulänglich gewesen sei. Es hätten eklatante Mängel in der Buchhaltung bestanden, so dass der damalige Steuerberater des Schuldners von „Verfälschungen“ ausgegangen sei. Das Amtsgericht habe bereits während des Eröffnungsverfahrens Zweifel an der Eignung des Schuldners für eine Eigenverwaltung gehabt. Aus diesem Grunde sei ein vorläufiger fakultativer Gläubigerausschuss bestellt worden, um diesen die Möglichkeit einer einstimmigen Beschlussfassung nach § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO zu geben. Dieser habe sich nicht einstimmig für eine Eigenverwaltung ausgesprochen. Vielmehr habe die Hauptgläubigerin dagegen gestimmt. Auch habe es in der rund siebenjährigen außergerichtlichen Sanierungsphase wiederholt Anhaltspunkte für eine mangelnde Redlichkeit des Schuldners gegeben, so dass die Hauptgläubigerin auch einem potentiellen Insolvenzplan nicht zustimmen würde.
Das Gericht führt weiter aus, dass es den Antrag auf Eigenverwaltung abzulehnen habe, wenn bereits eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für den Eintritt von Nachteilen spreche (Ringstmeier in: Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 270 Rn. 13). Vorliegend gehe das Gericht im Rahmen des ihm zukommenden Ermessens bei der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung davon aus, dass die aufgezeigten Umstände auch für die Zukunft Nachteile für die Gläubiger erwarten ließen. Dabei verkenne das Gericht nicht den Umstand, dass die Ablehnung der Eigenverwaltung voraussichtlich unmittelbar nach Insolvenzeröffnung zur Schließung der Apotheke führen wird.
Die geltende Rechtslage im Hinblick auf insolvente Apotheker unterscheide sich von der Handhabung der jeweiligen Kammern bei den Berufsträgern Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Auf der Grundlage von § 5 ApoG schließe der zuständige Amtsapotheker die Apotheke selbst dann, wenn ein prepackaged plan vorliege (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 18.06.2002 – 5 S 14.02 – ZVI 2004, 620). Das Amtsgericht sehe die dargelegten Umstände jedoch als so schwerwiegend an, dass selbst die drohende Schließung der Apotheke im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht zu einer Anordnung der Eigenverwaltung führen könne.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des Amtsgerichts, die Anordnung der Eigenverwaltung abzulehnen, ist konsequent und folgerichtig. Gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Das in § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO aufgeführte Tatbestandsmerkmal des Nachteils ist unbestimmt und weder im Gesetz noch in den Gesetzesbegründungen näher definiert (vgl. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 270 Rn. 46). Das Merkmal des Nachteils ist jedoch weit zu fassen und soll letztlich jede Gefährdung der Interessen der Gläubiger berücksichtigen (vgl. Tetzlaff in: MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 47). Bei der Prüfung eines solchen Nachteils handelt es sich jedoch um eine Prognoseentscheidung des Gerichts, die anhand von Indizien unter Einbeziehung der Besonderheiten des Einzelfalls vorzunehmen ist (vgl. Fiebig in: HHKo/InsO, 5. Aufl. 2015, § 270 Rn. 19; AG Köln, Beschl. v. 17.09.1999 – 71 IN 28/99 – ZinsO 1999, 601; AG Köln, Beschl. v. 23.01.2004 – 71 IN 1/04 – ZinsO 2004, 216). Hierfür kann bereits ausreichend sein, dass Ermittlungsverfahren wegen Vermögensdelikten eingeleitet worden sind (AG Hamburg, Beschl. v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13 – NZI 2014, 269) und den Buchhaltungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen wurde. Dies war hier der Fall, so dass das Gericht in seiner Prognoseentscheidung zutreffend davon ausgegangen ist, dass Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass Interessen der Gläubiger benachteiligt werden.
Zudem lag auch kein einstimmiger Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses vor, der gemäß § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO die Anordnung der Eigenverwaltung als nicht nachteilig hätte gelten lassen. Hätte der vorläufige Gläubigerausschuss die Anordnung einstimmig unterstützt, wäre das Gericht bei der Beurteilung von Nachteilen gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gebunden gewesen und hätte keine eigenen Erwägungen anstellen dürfen (vgl. Tetzlaff in: MünchKomm InsO, § 270 Rn. 97). Diese Bindung des Gerichts an die Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses wird damit begründet, dass diejenigen, deren Vermögenswerte zur Disposition stehen, auch über das Schicksal dieser entscheiden dürfen (vgl. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rn. 58; BT-Drs. 12/2443, S. 80).
Zudem ist der Entscheidung des Amtsgerichts auch vor dem Hintergrund einer drohenden Schließung des Apothekenbetriebes zuzustimmen. Gemäß § 5 ApoG hat die zuständige Behörde die Apotheke zu schließen, wenn diese ohne Erlaubnis geführt wird. Die Erlaubnis verpflichtet den Apotheker gemäß § 7 ApoG zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung. Dies wiederum ist nur dann gegeben, wenn die eigenverantwortliche Führung und Leitung der Apotheke sowohl in fachlicher als auch in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht in der Hand des Apothekers liegt und auch die indirekte Einflussnahme seitens Dritter ausgeschlossen ist (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 07.06.2002 – 14 A 51.02 – ZVI 2004, 618, 619; BGH, Urt. v. 22.10.1997 – XII ZR 142/95 – NJW-RR 1998, 803, 805). Diese Unabhängigkeit ist in einem eröffneten (Regel-)Insolvenzverfahren nicht gegeben, da mit Eröffnung des Verfahrens gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 07.06.2002 – 14 A 51.02; OVG Berlin, Beschl. v. 18.06.2002 – 5 S 14.02). Folglich ist dem Schuldner nach Eröffnung die Erlaubnis zu entziehen. Eine strikte Auslegung des ApoG ergibt sich zudem auch aus der Regelung des § 8 Satz 2 ApoG, die selbst eine stille Beteiligung an einer Apotheke als unzulässig erachtet. Hieraus ergibt sich auch, dass selbst eine Aufspaltung einer Apotheke in einen wirtschaftlichen und einen pharmazeutischen Geschäftsteil nicht zu einem Fortbestand der Erlaubnis führen kann (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 18.06.2002 – 5 S 14.02).
Das Amtsgericht musste hier zwischen dem Fortbestand des Apothekenbetriebes und den Interessen der Gläubiger abwägen. Da das Insolvenzverfahren gemäß § 1 InsO jedoch dem Ziel dient, dass die Gläubiger gemeinschaftlich befriedigt werden und nicht dem Ziel, das schuldnerische Unternehmen zwangsläufig zu erhalten, war der Antrag auf Eigenverwaltung abzulehnen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Schuldner als unzuverlässig anzusehen ist und die Hauptgläubigerin bereits mitteilte, einem etwaigen Insolvenzplan nicht zustimmen zu wollen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein Antrag auf Eigenverwaltung ohne Unterstützung der Gläubiger und ohne einstimmige Unterstützung des vorläufigen Gläubigerausschusses – zu Recht – hohe Anforderungen an die Person des Schuldners stellt. Indizien, bei deren Vorliegen ein Antrag auf Eigenverwaltung abgelehnt werden kann, sind unter anderem das Bestehen von Bankrott- und Vermögensdelikten, eine unzulängliche Buchhaltung und unvollständige oder unzutreffende Angaben bei Einreichung des Insolvenzantrages (Fiebig in: HHKo/InsO, § 270 Rn. 21, m.w.N.).
Sofern Bedenken hinsichtlich einzelner Punkte bestehen, wird sich der Schuldner bereits im Vorfeld mit der Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses auseinanderzusetzen haben und etwaige Befürchtungen bei den Gläubigern zerstreuen müssen. Gelingt es ihm, den vorläufigen Gläubigerausschuss von seinem Vorhaben zu überzeugen und eine einstimmige Unterstützung zu erzielen, ist das Gericht an die Entscheidung gebunden, und eine Überprüfung etwaiger Indizien, die Nachteile der Gläubiger vermuten lassen könnten, wäre unerheblich.
Insbesondere bei der Insolvenz einer Apotheke sind im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens die Folgen einer etwaigen Eröffnung zu bedenken und die Gläubiger in die Überlegungen mit einzubeziehen. Wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat, wird die Zulassung zum Betrieb der Apotheke mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entzogen. Eine Fortführung des Betriebs durch den insolventen Schuldner ist gemäß der Rechtsprechung des OVG Berlin (Beschl. v. 18.06.2002 – 5 S 14.02) nur im Falle der Eigenverwaltung möglich, da nur so auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Apothekers gewährleistet ist. Zudem wäre auch eine Verpachtung des Geschäftsbetriebes gemäß § 9 ApoG oder die Freigabe des Geschäftsbetriebs mit Eröffnung denkbar. Jedoch bedarf es auch hierbei der Zustimmung der Gläubiger.
Anordnung der Eigenverwaltung in der Insolvenz eines Apothekers
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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