Nachfolgend ein Beitrag vom 13.10.2017 von Geisler, jurisPR-BGHZivilR 19/2017 Anm. 2

Leitsatz

Bei einer Grenzbepflanzung eines Grundstücks, das tiefer liegt als das Nachbargrundstück, ist die nach den nachbarrechtlichen Vorschriften zulässige Pflanzenwuchshöhe von dem höheren Geländeniveau des Nachbargrundstücks aus zu messen. Der Anspruch auf Rückschnitt gemäß Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB entsteht erst, wenn die Pflanze unter Hinzurechnung der Differenz zwischen dem Geländeniveau des tiefer gelegenen Grundstücks, auf dem sie stehen, und dem des höher gelegenen Grundstücks die zulässige Pflanzenwuchshöhe überschritten hat.

A. Problemstellung

Überschreitet eine Grenzbepflanzung die in den nachbarrechtlichen Gesetzen vorgegebenen Maße, kann Beseitigung verlangt werden. Für die Verjährung des Anspruchs sind konkrete Maße der Grenzabstände und der Wuchshöhe vorgegeben. Der BGH hatte zu entscheiden, ob bei einer Grenzbepflanzung eines Grundstücks, das tiefer liegt als das Nachbargrundstück, die nach den nachbarrechtlichen Vorschriften zulässige Pflanzenwuchshöhe von der Stelle aus zu messen ist, an der diese aus dem Boden austreten, oder vom höheren Geländeniveau des Nachbargrundstücks aus zu messen ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien sind Eigentümer aneinander grenzender Grundstücke in Hanglage in Bayern. Das Grundstück des Klägers liegt höher als das der Beklagten. Zwischen den Grundstücken befindet sich eine ca. 1 m bis 1,25 m hohe Geländestufe, an der eine Mauer verläuft. Auf dem Grundstück der Beklagten steht entlang der Geländestufe eine 6 m hohe Thujenhecke. Sie wurde zuletzt 2009 oder 2010 auf eine Höhe von ca. 2,90 m geschnitten, gemessen von ihrer Austrittstelle. Der Kläger verlangt von der Beklagten, die Hecke zweimal jährlich mit Ausnahme des Zeitraums vom 1. März bis 30. September auf eine Höhe von 2 m, gemessen ab dem oberen Ende der Mauer zwischen den Grundstücken der Parteien zurückzuschneiden. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hatte das Landgericht ihr stattgegeben. Der BGH hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BGH sind die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Rückschnitt der Thujenhecke nach Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB gegeben. Der Eigentümer eines Grundstücks nach Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB könne verlangen, dass u.a. Bäume, Sträucher und Hecken, die in einer geringeren Entfernung als 2 m von der Grenze seines Grundstücks gehalten werden, nicht höher als 2 m sind. Anderenfalls könne er den Rückschnitt der Pflanzen verlangen. Der Senat erläutert, dass im konkreten Fall die Hecke in einem Grenzabstand zwischen 0,50 m und 2 m steht und dass sie mit einer Wuchshöhe von 6 m eindeutig über die nach Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB zulässige Höhe hinausgewachsen sei. Die zulässige Höhe der Pflanzen sei grundsätzlich von der Stelle aus zu messen, an der diese aus dem Boden austreten. Das gelte aber nicht, wenn die Pflanzen auf einem Grundstück stünden, das tiefer als das Nachbargrundstück liege. In diesem Fall sei eine Beeinträchtigung des höher gelegenen Grundstücks erst möglich, wenn die Pflanzen dessen Höhenniveau erreichten. Die zulässige Pflanzenwuchshöhe sei deshalb nicht von der Austrittstelle der Pflanzen, sondern von dem Bodenniveau des höher gelegenen Grundstücks aus zu bestimmen. Der Anspruch auf Rückschnitt gemäß Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB entstehe also erst, wenn die Pflanze unter Hinzurechnung der Differenz zwischen dem Geländeniveau des tiefer gelegenen Grundstücks, auf dem sie steht, und dem des höher gelegenen Grundstücks die zulässige Pflanzenwuchshöhe überschritten hat.
Das führe dazu, dass Verjährung nicht eingetreten ist. Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 BayAGBG verjähre der Anspruch auf Rückschnitt in fünf Jahren. Der Anspruch des Klägers auf Rückschnitt sei entstanden, als die Thujenhecke zuletzt eine Höhe von 2 m, gemessen von der ca. 1 m hohen Geländestufe, und damit eine absolute Höhe von 3 m überschritten habe. Das war frühestens 2009 der Fall. Der zu diesem Zeitpunkt begonnene Lauf der Verjährungsfrist sei rechtzeitig gehemmt worden.

C. Kontext der Entscheidung

Mit dem vorliegenden Urteil hat der BGH zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob für die Ermittlung der im Grenzabstandsbereich nach Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB zulässigen Höhe der Pflanzen zu berücksichtigen ist, dass das Nachbargrundstück auf einem höheren Geländeniveau liegt. Nach Auffassung des Senats würde bei einer Bepflanzung des tiefer gelegenen Grundstücks eine Messung von der Austrittsstelle der Pflanze dem Sinn und Zweck von Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB widersprechen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sei deshalb im Wege teleologischer Reduktion zugunsten des tiefer liegenden Grundstücks einzuschränken.

D. Auswirkungen für die Praxis

Gegenstand der Entscheidung war nicht die Frage, wie die Messung im umgekehrten Fall zu erfolgen hat, also bei einer Grenzbepflanzung des höher gelegenen Nachbargrundstücks. Nach der vom Senat vorgenommenen Gesetzesauslegung dürfte in diesem Fall, ebenfalls ausgehend von der ca. 1 m hohen Geländestufe, die Hecke eine absolute Höhe von 1 m nicht überschreiten, während sie vom tiefer gelegenen Grundstück ausgehend dagegen 3 m erreichen kann. Bei derartigen Konstellationen fragt sich der Rechtssuchende, was eine klare gesetzliche Regelung, wie sie in den Nachbargesetzen für die Frage der Verjährung zentimetergenau vorgegeben wird, überhaupt noch soll. Das Gesetz ist für die Nachbarn nicht mehr richtungsweisend; die vorgegebenen klaren Abstände und Höhenangaben sind nur noch Makulatur. Der Senat hat seine Bindung an das Gesetz überschritten. Hätte der Gesetzgeber für Grundstücke in Hanglage, deren Vorhandensein ihm zweifelsfrei bekannt war, eine Sonderregelung durch abweichende Höhenmaße treffen wollen, hätte er dies im Gesetz manifestiert. Da der Gesetzgeber für Hanglagen keine besonderen Höhen festgelegt, aber in Art. 43 bis 54 BayAGBGB nachbarrechtliche Belange penibel genau geregelt hat, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber – anders als der Senat in dieser Entscheidung – für die Frage der Verjährung keine von Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB abweichende Maße zur Wuchshöhe festlegen wollte. Es sollte dem Gesetzgeber überlassen bleiben, welchen Sinn und Zweck und dem Bürger verständlichen Klarheit er einer Verjährungsregelung beimessen will. Der Senat geht in seiner Entscheidung selbst davon aus (Rn. 19), dass topographische Geländeunebenheiten keine Besonderheit einer Hanglage seien. Umso unverständlicher ist, wenn er entsprechend den topographischen Gegebenheiten contra legem an das Geländeniveau angepasste individuelle Wuchshöhen festlegen will.

Zulässige Höhe einer Grenzbepflanzung bei Nachbargrundstücken in Hanglage
Birgit OehlmannRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Zertifizierte Testamentsvollstreckerin (AGT)

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