Der sicherste Weg zählt – und am Ende muss der Mandant entscheiden

Prozessförderungspflicht vs. taktisches Zurückhalten von Vortrag – was geht?
Michael Schwaiger, München
Der Autor ist Rechtsanwalt und bei der Allianz Versicherungs-AG tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder.

Der Beibringungsgrundsatz und die Konzentrationsmaxime bilden als dominierende Verfahrensprinzipien zwei tragende Säulen des Zivilprozessrechts. Es ist alleine Sache der Parteien, diejenigen Tatsachen in den Prozess einfließen zu lassen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen soll. Darüber hinaus soll der Rechtsstreit ohne Verzögerungen und möglichst in einem einzigen Haupttermin seine Erledigung finden. Um die Gefahr einer Präklusion wegen Verspätung zu vermeiden, müssen die Parteien in der mündlichen Verhandlung der ihnen obliegenden Pflicht zur Förderung des Prozesses nachkommen – und das gilt natürlich auch für die vorbereitenden Schriftsätze. Es stellt sich die Frage, welchen Vortrag der Anwalt halten muss, um dem gerecht zu werden und in welchem Umfang dabei noch Raum für prozesstaktische Erwägungen bleibt.

I. Inhalt und Umfang des Vortrags

Kern eines Rechtsstreits ist die mündliche Verhandlung, die in Anwaltsprozessen gemäß § 129 Abs. 1 ZPO durch Schriftsätze vorbereitet wird. Die Anforderungen an den Inhalt von Schriftsätzen sind in jedem Einzelfall verschieden und in der ZPO daher nur recht allgemein geregelt. § 130 ZPO gibt an, welche Angaben der Schriftsatz enthalten soll. Zudem stellt § 138 ZPO kurz klar, dass die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und wahrheitsgemäß abzugeben haben (§ 138 Abs. 1 ZPO) und sie sich über die vom Gegner behaupteten Tatsachen erklären müssen (§ 138 Abs. 2 ZPO). Im Rahmen dieser Vorgaben hängt es dann vom konkreten Fall ab, wie umfangreich und detailliert eine Partei – sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch in den vorbereitenden Schriftsätzen – vortragen muss.

1. Pflicht zur Substantiierung als Folge der Darlegungslast

Die Pflicht zum „substantiierten Tatsachenvortrag“ geht Hand in Hand mit der den Parteien jeweils obliegenden Darlegungslast. Ausgehend von § 138 Abs. 1 ZPO muss diejenige Partei, die im Hinblick auf einen tatsächlichen Umstand die Darlegungslast trägt, zunächst die insoweit relevanten Tatsachen schlüssig vorbringen. Die Pflicht zur Substantiierung hat die Partei erfüllt, wenn aufgrund ihrer Darstellung beurteilt werden kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind. Unerheblich ist dabei, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder einer Schlussfolgerung aus Indizien besteht. Daher genügt die Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH NJW-RR 2007, 1409; NJW 2009, 2137; NJW 2013, 3180). Sind nähere Einzelheiten, die den Zeitpunkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, für die Rechtsfolge nicht von Bedeutung, ist ihre Angabe nicht erforderlich. Erst wenn der Gegenvortrag dazu Anlass gibt, müssen sie eingebracht werden (BGH NJW 2005, 2710).

2. Erklärungspflicht des Gegners

Die Erklärungspflicht der Gegenpartei folgt aus § 138 Abs. 2 ZPO. Ihr Umfang richtet sich nach der vorangegangenen Einlassung des Gegners (BGH NJW-RR 1996, 1211). Denn ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, kann nur anhand des Wechselspiels von Vortrag und Gegenvortrag bestimmt werden (BGH NJW 1999, 1404). Je konkreter der Darlegungspflichtige vorgetragen hat, desto detaillierter muss der Gegner erwidern. Hat die darlegungsbelastete Partei die Tatsachen ohne weitere Ausführungen lediglich behauptet, kann sich der Gegner in der Regel mit einfachem Bestreiten – ebenfalls ohne nähere Schilderung – begnügen (BGH NJW 1995, 3311). Sofern der Tatsachenvortrag infolge der Einlassung des Gegners unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, ist es wiederum Aufgabe des Darlegungspflichtigen, sein Vorbringen zu ergänzen, näher aufzugliedern und gegebenenfalls durch Beweisangebote zu untermauern (BGH NJW 1999, 1404; NJW 2005, 2710).

3. Bezugnahme auf Anlagen

Vor allem in komplexen Rechtsstreiten werden die Ausführungen in den Schriftsätzen häufig auf einen Verweis auf umfangreiche Anlagen beschränkt. Dieser Weg ist gefährlich, denn regelmäßig können Anlagen lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nie ersetzen (BGH NJW 2008, 69). Das Vorbringen im Schriftsatz muss also grundsätzlich so gehalten sein, dass das Gericht zunächst alleine anhand seiner Lektüre beurteilen kann, ob der vorgetragene Sachverhalt geeignet ist, die begehrte Rechtsfolge zu begründen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich das Passende aus umfangreichen Anlagen selbst herauszusuchen (KG NJW-RR 2006, 301). So kann beispielsweise in einem Schadensersatzprozess die Vorlage von Rechnungen, Bestätigungen oder Lichtbildern den Geschädigten nicht davon entpflichten, in einem Schriftsatz darzulegen, aus welchen einzelnen Positionen sich der geltend gemachte Gesamtschaden zusammenstellt und auf welche Umstände diese Posten jeweils kausal zurückzuführen sind.

Sofern der im Schriftsatz dargelegte Sachverhalt verständlich und für sich geeignet ist, das Begehren der Partei als begründet erscheinen zu lassen, darf zur Belegung des Vorbringens auch auf Anlagen Bezug genommen werden. Wird im Schriftsatz einzeln auf die jeweiligen Anlagen verwiesen und kann das Gericht anhand dieser Dokumente ohne Mühe überprüfen, ob der schriftsätzliche Vortrag zutreffend ist, darf es das Vorbringen nicht mit der Begründung, die Anlage sei nicht in verständlicher Weise aufgearbeitet worden, als unsubstantiiert zurückweisen. Sofern ein zu den Akten gereichtes Rechenwerk für das Gericht nachvollziehbar ist, spielt es keine Rolle, dass es in der Sache übersichtlicher hätte gestaltet werden können. Vielmehr ist das Gericht gehalten, den Vortrag trotz sich aus der Natur der Sache ergebender Schwierigkeiten, wie sie zum Beispiel bei einer mehrjährigen Nebenkostenabrechnung auftreten können, zur Kenntnis zu nehmen (BVerfG NJW 1994, 2683). Eine Ergänzung des – an sich bereits hinreichend konkreten – Vorbringens durch Beifügung von Anlagen, wie etwa Privatgutachten, ist stets zulässig. Voraussetzung ist aber, dass der Schriftsatz aus sich heraus verständlich bleibt und die Bezugnahme substantiiert erfolgt (Zöller/Greger, ZPO, 30. Auflage, § 130, Rn. 2).

II. Rechtzeitigkeit des Vorbringens

1. § 282 Abs. 1 ZPO: Rechtzeitiges Vorbringen in der mündlichen Verhandlung

Die Vorschrift des § 282 ZPO normiert die Prozessförderungspflicht der Parteien und hält diese zu konzentrierter Verfahrensführung an. Nach § 282 Abs. 1 ZPO hat jede Partei in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so rechtzeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Sobald ein bestimmter Vortrag erforderlich ist, muss er unverzüglich erfolgen (Zöller/Greger, aaO., § 282, Rn. 3). Das gilt auch für die Verjährungseinrede; sie darf nicht etwa bis zum Ergebnis einer Beweiserhebung zurückgehalten werden (OLG Hamm NJW-RR 1993, 1150). § 282 Abs. 1 ZPO ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden. Ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (BGH NJW-RR 2005, 1007; NJW 2012, 3787). Eine Zurückweisung über § 296 Abs. 1 ZPO oder § 296 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 282 Abs. 2 ZPO bleibt aber möglich.

2. § 282 Abs. 2 ZPO: Rechtzeitigkeit vorbereitender Schriftsätze

§ 282 Abs. 2 ZPO betrifft die Rechtzeitigkeit der vorbereitenden Schriftsätze. Soweit sich der Gegner hierauf voraussichtlich ohne vorherige Erkundigung nicht erklären kann, sind sie vor der mündlichen Verhandlung so rechtzeitig einzureichen, dass die Gegenseite diese Erkundigung noch einziehen kann. Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit sind nicht allein die in § 132 ZPO normierten Fristen maßgeblich. Kann es dem Gegner nicht zugemutet werden, die notwendigen Informationen noch vor dem Termin einzuholen, ist das Vorbringen auch dann nicht mehr rechtzeitig, wenn der Schriftsatz innerhalb der in § 132 ZPO genannten Fristen eingereicht ist. Andersherum kann ein Vortrag dann nicht als verspätet zurückgewiesen werden, wenn er zwar nicht innerhalb der Fristen des § 132 ZPO angekündigt wurde, aber die Gegenseite hierauf keine weiteren Erkundigungen mehr einholen muss. Insbesondere verlangt § 282 Abs. 2 ZPO nicht, neues Vorbringen so rechtzeitig anzukündigen, dass das Gericht noch vorbereitende Maßnahmen nach § 273 ZPO treffen kann. Will das Gericht die Anordnung vorbereitender Maßnahmen sicherstellen, muss es die entsprechenden Fristen (§§ 273, 275, 276, 277 ZPO) setzen (BGH NJW 1989, 716).

III. Gerichtliche Hinweispflicht auf fehlende Sustantiierung

1. Hinweispflicht aus § 139 ZPO

Problematisch ist, ob und inwieweit das Gericht gehalten ist, die anwaltlich vertretene Partei auf die bislang mangelnde Substantiierung ihres Vortrags hinzuweisen. Gemäß § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO hat es darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Zudem sieht § 139 Abs. 2 ZPO zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen eine gerichtliche Hinweispflicht vor. Nach der Rechtsprechung des BGH muss das Gericht grundsätzlich auch im Anwaltsprozess auf eine mangelnde Substantiierung des Vorbringens hinweisen (BGH NJW 2002, 3317). Insbesondere wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Anwalt nicht zu rechnen brauchte, verletzt das Gericht den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (BGH NJW 2007, 1455).

2. Entfallen der Hinweispflicht

Die Pflicht des Gerichts zum Hinweis auf die fehlende Substantiierung kann unter Umständen entfallen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Anwalt bereits durch den Vortrag der Gegenseite auf die fehlende Substantiierung seines Vorbringens aufmerksam gemacht wurde. In der Rechtsprechung wird teilweise davon ausgegangen, dass bereits der Hinweis des Gegners für sich ausreicht, die gerichtliche Aufklärungspflicht entfallen zu lassen (OLG Oldenburg NJW-RR 2000, 949; wohl auch BGH NJW 2013, 2817). Diese strenge Ansicht kollidiert – jedenfalls in ihrer pauschalen Ausgestaltung – mit dem Regelungszweck des § 139 ZPO. Der Vorzug ist daher einer gemäßigteren Auffassung zu geben. Hiernach wird ein gerichtlicher Hinweis entbehrlich, wenn die Partei vom Gegner die gebotene, zutreffende und hinreichend klare Unterrichtung erhalten und sie zudem dieses Vorbringen richtig erfasst hat, was sich insbesondere aus ihrem weiteren Prozessverhalten ergibt (OLG Rostock, Beschl. v. 22.7.2005 – 6 U 132/04, BeckRS 2005, 09268; BGH NJW-RR 2008, 581; OLG Brandenburg, Urt. v. 25.2.2014 – 3 U 154/11, BeckRS 2014, 04899).

3. Reaktion auf den Hinweis

Hinweise des Gerichts – oder entsprechendes Vorbringen der Gegenseite – sind stets ernst zu nehmen. Der Anwalt ist dann gehalten, seinen Vortrag nachzubessern und hat hierzu gegebenenfalls beim Mandanten weitere Informationen einzuholen. Insbesondere muss er seine Ausführungen auf den erhaltenen Hinweis einstellen. Er darf auch nicht darauf vertrauen, dass das Gericht einen Hinweis wiederholt, wenn er seinen Vortrag nicht auf ihn einrichtet. Zwar muss ein Gericht einen einmal erteilten Hinweis präzisieren und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme geben, wenn sich erweist, dass sie den ursprünglichen Hinweis falsch aufgenommen hat (BGH NJW 2002, 3317). Ein erneuter Hinweis kommt nach Ansicht des XII. Zivilsenats jedoch nur in Betracht, wenn der ursprüngliche Hinweis eine missverständliche Deutung zulässt, nicht aber wenn dieser bereits eindeutig war (BGH NJW 2008, 2036).

IV. Zurückhalten von Vorbringen aus prozesstaktischen Gründen

1. Taktik darf nicht zur Verfahrensverzögerung führen

In manchen Fällen kann es aus taktischen Gründen günstiger erscheinen, ein bestimmtes Vorbringen vorläufig zurückzuhalten, um beispielsweise zunächst abzuwarten, in welche Richtung sich das Verfahren entwickelt oder welchen Vortrag der Gegner hält. Hierbei muss der Anwalt aber äußerste Vorsicht an den Tag legen. Zwar ist taktisches Vorgehen auch im Hinblick auf den Prozessvortrag nicht ohne weiteres ausgeschlossen. Jedoch hält § 282 ZPO die Parteien zu einer konzentrierten Verfahrensführung an. Aufgrund ihrer Prozessförderungspflicht dürfen sie Vorbringen grundsätzlich nicht aus prozesstaktischen Gründen zurückhalten (BGH NJW-RR 2011, 211; NJW-RR 2014, 85). Die Parteien sind grundsätzlich verpflichtet, von Anfang an alle Beweismittel zu benennen, die nach ihrer Ansicht geeignet sein können, ihre Darstellung zu belegen. Kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel in Betracht, muss dieses unabhängig davon, dass auch ein Zeugenbeweis angetreten wurde, beantragt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der erst im Anschluss an die Zeugenvernehmung angetretene Sachverständigenbeweis als verspätet zurückgewiesen wird (KG MDR 2009, 1244; MDR 2010, 345). Bei mehreren zur Verfügung stehenden Zeugen darf sich eine Partei nicht damit begnügen, nur einen von Ihnen als Beweismittel anzubieten und sich den anderen zunächst „aufsparen“, selbst wenn sie annimmt, dass das Gericht dem benannten Zeugen glauben werde. Hält nämlich eine Partei ein Beweismittel zurück, um abzuwarten, zu welchem Ergebnis die bisher angebotenen Beweise führen, verstößt sie gegen ihre Prozessförderungspflicht (BGH VersR 2007, 373).

Selbst wenn der Anwalt davon ausgeht, ein bestimmtes Vorbringen, auf das es in dem Prozess maßgeblich ankommt, sei nicht beweisbar, darf er nicht nur abwarten, sondern muss auch insoweit rechtzeitig vortragen. Denn die Frage der Beweisbarkeit der Angaben stellt sich erst, wenn der Gegner diese bestreitet. Der Anwalt kann einen Hinweis des Gerichts dazu erbitten, ob es seinen Vortrag für ausreichend substantiiert erachtet, um daraufhin Beweis zu erheben. Hält das Gericht die bisherige Darstellung für ungenügend, muss es dem Anwalt nach Darlegung der Erforderlichkeit die notwendige Zeit geben, seinen Vortrag zu ergänzen (BGH NJW 2013, 2965).

2. Gestaltungsrechte und Prozesstaktik

Besondere Sorgfalt ist für den Anwalt geboten, wenn der Mandant die Möglichkeit hätte, durch die Ausübung von Gestaltungsrechten auf den Prozess einzuwirken. Denn auch Gestaltungsrechte dürfen grundsätzlich nicht zurückgehalten werden. Ist eine Gestaltungslage entstanden, muss die Gestaltung ausgeübt und in den Prozess eingeführt werden (MüKo/Prütting, ZPO, 4. Auflage, § 282, Rn. 16). Anderenfalls droht die Präklusion und damit insgesamt der Verlust des Gestaltungsrechts. Denn die Rechtsprechung des BGH stellt für die zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft bei Gestaltungsrechten nicht auf ihre Ausübung, sondern – ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Berechtigten – auf den Zeitpunkt ihres Entstehens und die objektive Befugnis zu ihrer Ausübung ab. Dies gilt beispielsweise für die Aufrechnung (BGH NJW 2005, 2926), die Anfechtung (BGH NJW 2004, 1252) und die Kündigungserklärung (BGH NJW-RR 2006, 229). Etwas anderes soll lediglich dann gelten, wenn es gerade zum Zweck des Gestaltungsrechts gehört, dem Berechtigten die Entscheidung darüber zu überlassen, wann er von seinem Recht Gebrauch macht. Daher ist die Partei nicht gehalten, vorzeitig ein ihr für einen bestimmten Zeitpunkt eingeräumtes Optionsrecht zu verwenden (BGH NJW 1985, 2481) oder ein Leistungsverweigerungsrecht aufzugeben, um eine Aufrechnungslage herbeizuführen (BGH NJW 2005, 2926).

3. Zulässiges Zurückhalten

Wie bereits erwähnt ist aber nicht jedes Taktieren ausgeschlossen. Insbesondere im Hinblick auf vom Gegner bislang nur außerprozessual gehaltenen Vortrag besteht Raum für taktische Erwägungen. Die Erklärungspflicht der Partei nach § 138 Abs. 2 ZPO bezieht sich nicht auf alle ihr vorprozessual bekannt gewordenen Umstände, sondern nur auf die im Prozess vorgetragenen Tatsachen (BGH NJW 1983, 2879). Hier kann die Partei wählen, ob sie entsprechenden Vortrag zunächst zurückhält oder ihn sofort in den Prozess einführt, um der Gegenseite möglicherweise sogleich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Parteien sind also nicht gezwungen, sich vorsorglich gegenüber einem Sachverhalt zu verteidigen, der noch gar nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist (BVerfG NJW 1984, 2203; NJW 1991, 2275).

Eine Pflicht der Partei, den vom Gegner vorgetragenen Sachverhalt zu ergänzen oder zu erweitern, besteht nicht (BVerfG NJW 1980, 1737). Ähnlich verhält es sich mit Tatsachen, die die Partei nicht kennt. Denn aus der Prozessförderungspflicht ist grundsätzlich keine Verpflichtung abzuleiten, tatsächliche Umstände, die der Partei unbekannt sind, erst zu ermitteln. Vielmehr kann eine solche Pflicht nur durch besondere Umstände begründet werden (BGH VersR 2009, 1683; NJW-RR 2011, 211; NJW-RR 2014, 85). In diesem Zusammenhang reicht die Verletzung einer anderen Zwecken dienenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung durch die Partei nicht aus, eine entsprechende „prozessuale Ermittlungspflicht“ zu konstituieren (BGH NJW 2003, 200).

V. Fazit

Auch wenn die den Parteien obliegende Prozessförderungspflicht das gesamte zivilprozessuale Verfahren beherrscht, ist gewisses taktisches Verhalten beim Sachvortrag nicht von vornherein ausgeschlossen. Ob und in welchem Umfang Vorbringen zurückgehalten werden darf und sollte, ist stets vom Einzelfall abhängig. Da der Anwalt auch im Rahmen der Prozessvertretung das Gebot des sichersten Wegs zu beachten hat, muss er aber ganz besondere Sorgfalt an den Tag legen. Die Entscheidung über das Vorgehen obliegt auch hier letztlich dem Mandanten, so dass dieser stets über die bestehenden Risiken aufgeklärt werden muss.

© Deutscher Anwaltverein, Schwaiger, AnwBl 2014, 554-556