Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2018 von Reinke, jurisPR-PrivBauR 7/2018 Anm. 4
Leitsatz
1. Der Auftragnehmer schuldet gemäß § 13 Nr. 1 VOB/B (2006) grundsätzlich die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme. Dies gilt auch bei einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme.
2a. In einem solchen Fall hat der Auftragnehmer den Auftraggeber regelmäßig über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung zu informieren, es sei denn, diese sind dem Auftraggeber bekannt oder ergeben sich ohne Weiteres aus den Umständen.
2b. Der Auftraggeber hat sodann im Regelfall zwei Optionen. Der Auftraggeber kann zum einen die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangen mit der Folge, dass ein aufwändigeres Verfahren zur Herstellung erforderlich werden kann, als im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von den Parteien vorgesehen. Der Auftragnehmer kann, soweit hierfür nicht von der Vergütungsvereinbarung erfasste Leistungen erforderlich werden, im Regelfall eine Vergütungsanpassung nach § 1 Nr. 3 oder 4, § 2 Nr. 5 oder 6 VOB/B (2006) verlangen. Der Auftraggeber kann zum anderen von einer Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens absehen.
3. Ein Anspruch aus § 4 Nr. 7, § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (2006) setzt gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 5 VOB/B (2006) grundsätzlich eine schriftliche Kündigungserklärung des Auftraggebers voraus. Bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers muss der Auftraggeber, der Vorschuss verlangt, zumindest konkludent zum Ausdruck bringen, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will (Abweichung von BGH, Urt. v. 12.01.2012 – VII ZR 76/11 – BGHZ 192, 190 Rn. 9; BGH, Versäumnisurt. v. 09.10.2008 – VII ZR 80/07 – BauR 2009, 99 Rn. 16 = NZBau 2009, 173; BGH, Versäumnisurt. v. 05.07.2001 – VII ZR 201/99 Rn. 6 – BauR 2001, 1577 = NZBau 2001, 623; BGH, Urt. v. 20.04.2000 – VII ZR 164/99 Rn. 21 – BauR 2000, 1479, 1481 = NZBau 2000, 421).
A. Problemstellung
In der Entscheidung befasst sich der BGH mit der Änderung der allgemeinen Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme, daraus resultierende Vergütungsansprüche des Auftragnehmers sowie Aufklärungspflichten des Auftragnehmers. Zudem nimmt er Stellung zur Auslegung von Willenserklärungen und der Entbehrlichkeit einer Fristsetzung für die Kündigung des Vertrages nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 VOB/B (Änderung der bisherigen Rechtsprechung).
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Gericht hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Im Juli 2006 schlossen die Klägerin und die Beklagte einen Vertrag über die Errichtung von Pultdachhallen. In Abänderung dieses Vertrages erteilte die Klägerin auf der Grundlage eines Angebotes der Beklagten vom 14.03.2007 den Auftrag. Dem Angebot der Beklagten war die VOB/B beigefügt. Vertraglich vereinbart wurde ein Festpreis von 770.000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer. In der Gebäudebeschreibung war für die drei Hallen eine Schneelast von 80 kg/m² angegeben. Dies entsprach der DIN 1055-5 (1975) und der im Jahre 2006 erteilten Baugenehmigung. Nach den technischen Vorgaben der geänderten DIN 1055-5 (2005), deren verbindliche bauaufsichtliche Einführung für Bauvorhaben erfolgte, deren Genehmigung nach dem 01.01.2007 beantragt wurde, und die vorab im Jahr 2005 im Weißdruck erschienen war, war eine Schneelast von 139 kg/m² anzusetzen. Der Beklagte errichtete die Hallen in der Zeit bis August 2007. Ein anderer Unternehmer meldete Bedenken wegen der Durchbiegung der Dachkonstruktion an. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte auf, die Dachkonstruktion zu verstärken. Dem kam die Beklagte nicht nach. Vielmehr stellte sie unter dem 30.06.2008 die Schlussrechnung und zeigte am 01.07.2008 die Fertigstellung an. Die Klägerin verweigerte die förmliche Abnahme.
Ein im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens eingeholtes Sachverständigengutachten ergab Mängelbeseitigungskosten i.H.v. 856.800 Euro. Der Gutachter ging dabei von der Verpflichtung der Beklagten aus, die Dachkonstruktion unter Berücksichtigung der DIN 1055-5 (2005) mithin einer Schneelast von 139 kg/m² zu errichten. Die Klägerin nahm einen Einbehalt von der Werklohnforderung vor und reichte eine Vorschussklage ein.
Das Landgericht hatte der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil teilweise ab. Der BGH hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und es zurückgewiesen, da es der rechtlichen Überprüfung nicht standhalte.
Das Berufungsgericht hatte folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Abnahme des Bauwerks durch die Klägerin ist bislang nicht erfolgt. Die Vorgaben der DIN 1055-5 (2005) zählen spätestens ab dem Jahr 2010 zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Das Berufungsgericht kam aufgrund dieser Feststellungen bei seiner Auslegung zu dem Ergebnis, dass die Beklagte trotz Vereinbarung einer Schneelast von 80 kg/m² wegen der spätestens ab dem Jahr 2010 geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik die Halle unter Berücksichtigung der Schneelast von 139 kg/m² vertraglich schulde.
Dies sieht der BGH als rechtsfehlerhaft an. Richtig ist – so der BGH – dass nach § 13 VOB/B die zum Zeitpunkt der Abnahme des Bauwerkes geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik geschuldet werden, auch wenn die Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme erfolgt. Der Auftraggeber habe bei einem solchen Sachverhalt zwei Möglichkeiten: Er könne die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangen, müsse sich dann aber ggf. auf eine Vergütungsanpassung einlassen.
Alternativ dazu könne er von der Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens absehen.
Von der Rechtsprechung anerkannt sei zudem eine Vereinbarung der Parteien, nach der die Bauausführung hinter den aktuellen oder den künftig allgemein anerkannten Regeln der Technik, soweit deren Einführung bereits absehbar sei, zurückbleibe.
Damit eine solche Vereinbarung wirksam sei, müsse der Auftraggeber Kenntnis von der Bedeutung der allgemein anerkannten Regeln der Technik und der mit der Nichteinhaltung verbundenen Konsequenzen und Risiken haben. Dies geschehe in der Regel durch einen Hinweis des Auftragnehmers. Fehlen ausdrückliche Hinweise, ist zu prüfen, ob der Auftragnehmer auf andere Art Kenntnis erlangt habe oder erlangen konnte. Im vorliegenden Fall sei die Klägerin fachkundig gewesen und durch ihren Architekten und Statiker über die Änderungen informiert worden. Aufgrund des engen Finanzrahmens sei es der Klägerin auf eine preiswerte Herstellungsart angekommen. Daher sei eine Schneelast von 80 kg/m² vereinbart worden. Es habe somit keines ausdrücklichen Hinweises der Beklagten bedurft. Diesen Sachverhalt habe das Berufungsgericht nicht ausreichend gewürdigt.
Richtigerweise – so der BGH – habe das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend mangels Abnahme den Vorschussanspruch auf § 4 Nr. 7 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (2006) gestützt. Die Annahme des Berufungsgerichts, eine Kündigungserklärung der Klägerin sei hier entbehrlich gewesen, sieht der BGH aber als rechtsfehlerhaft an.
Ein Anspruch aus § 4 Nr. 7 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (2006) setze grundsätzlich eine schriftliche Kündigungserklärung des Auftraggebers voraus. Diese Voraussetzung entfalle bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers.
An dieser Rechtsprechung hält der BGH nicht uneingeschränkt fest. Neben der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers sei vielmehr auch ein Verhalten des Auftraggebers erforderlich, aus dem hervorgehe, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will. Nur so könne der mit der Regelung verfolgten Zweck, klare Verhältnisse zu schaffen, erreicht werden. Der Auftraggeber, der Vorschuss verlange, müsse deshalb zumindest konkludent zum Ausdruck bringen, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden wolle.
C. Kontext der Entscheidung
Die Rechtsprechung hat in einer Vielzahl an Urteilen bestätigt, dass der Auftragnehmer die allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der Ausführung seiner Leistung beachten muss. Diese sind üblicherweise immer als Mindeststandard heranzuziehen, selbst wenn sie nicht explizit im Vertrag erwähnt werden. Üblicherweise verspricht der Unternehmer stillschweigend bei Vertragsschluss die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik (vgl. BGH, Urt. v. 07.03.2013 – VII ZR 134/12).
§ 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/B regelt zudem ausdrücklich, dass die Leistung des Auftragnehmers bei Abnahme den anerkannten Regeln der Technik entsprechen muss. Nur dann ist die Leistung frei von Sachmängeln. Wenn auch in § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB nicht ausdrücklich die allgemein anerkannten Regeln der Technik erwähnt werden, so kann der Besteller auch bei Abschluss eines BGB-Bauvertrages erwarten, dass das Werk zum Zeitpunkt der Fertigstellung und Abnahme diejenigen Qualitäts- und Komfortstandards erfüllt, die auch vergleichbare andere zeitgleich fertiggestellte und abgenommene Bauwerke erfüllen.
Bei dem vorliegenden Urteil waren folgende Besonderheiten zu beachten und rechtlich zu werten: Zum einen änderten sich die allgemein anerkannten Regelungen zwischen Vertragsschluss und Abnahme. Zum anderen hatten die Parteien eine bestimmte Beschaffenheit der Leistung ausdrücklich vereinbart, die hinter den Standard der allgemein anerkannten Regeln der Technik lag. Zudem musste sich der BGH noch damit auseinandersetzen, wann eine Fristsetzung für die Kündigung des Vertrages nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 VOB/B entbehrlich ist.
Der BGH bestätigt zunächst in seinem Urteil, dass bei Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme der Auftragnehmer den Auftraggeber über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen zu unterrichten hat. Der Auftraggeber kann dann die Einhaltung der neuen anerkannten Regeln der Technik verlangen, was aber in der Regel zu einer Vergütungsanpassung führt, § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B.
Macht der Auftraggeber von dieser Möglichkeit hingegen keinen Gebrauch, schuldet der Unternehmer nur die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik nach dem ursprünglichen Stand und kann dementsprechend auch keine Mehrvergütung beanspruchen (BGH, Urt. v. 29.09.2011 – VII ZR 87/11 Rn. 14).
Die Parteien können jedoch ebenfalls von Anfang an eine Vereinbarung treffen, nach der die Bauausführung hinter den aktuellen oder künftigen anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben soll. Das setzt jedoch einen entsprechenden Risikohinweis des Unternehmers voraus (BGH, Urt. v. 04.06.2009 – VII ZR 54/07).
Nur dann hat der Auftraggeber die nötigen Kenntnisse, um sich bewusst gegen die anerkannten Regeln der Technik zu entscheiden.
Kommt es während der Ausführung zu einem Mangel kann der Auftraggeber den Auftragnehmer unter Fristsetzung und Androhung einer Kündigung zur Mängelbeseitigung auffordern. Verweigerte der Auftragnehmer die Mängelbeseitigung, kann der Auftraggeber sodann den Vertrag kündigen und den noch nicht vollendeten Teil der Leistung zulasten des Auftragnehmers durch einen Dritten ausführen lassen und insoweit Vorschuss verlangen, §§ 4 Nr. 7, 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 VOB/B (BGH, Urt. v. 20.04.1989 – VII ZR 80/88).
Der BGH hatte im Hinblick auf das Erfordernis der Fristsetzung bislang eine solche für entbehrlich angenommen, wenn der Auftragnehmer die Mängelbeseitigung endgültig verweigert. Dann – so der BGH – sei eine Fristsetzung eine reine Förmelei.
An dieser Rechtsprechung hält der BGH nicht mehr fest. Nach den Ausführungen des BGH ist auch bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers ein Verhalten des Auftraggebers erforderlich, mit dem er zumindest konkludent zum Ausdruck bringt, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will, ehe er den Schadensersatzanspruch bzw. Vorschussanspruch geltend machen kann.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Gericht stellt noch einmal für den VOB/B Vertrag klar wie sich die Vertragsparteien bei der Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zu verhalten haben, wenn sich diese zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändern. Insbesondere zum Vergütungsanspruch des Auftragnehmers nimmt der BGH Stellung. Zudem gibt der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Entbehrlichkeit einer Fristsetzung auf.
Auch bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers, bedarf es zumindest einer konkludenten Handlung des Auftraggebers, aus der erkennbar wird, dass er am Vertrag nicht mehr festhalten will.
Für den BGB-Werkvertrag ergibt sich ein erweiterter Vergütungsanspruch bei Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum einen aus der Vertragsauslegung, § 157 BGB und seit dem 01.01.2018 aus dem Anordnungsrecht des Bestellers, §§ 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 650c BGB. Wie sich die aktuelle Rechtsprechung auf das neu geschaffene Anordnungsrecht des Bestellers auswirken wird, bleibt abzuwarten. Die Erwägungen des Gerichts zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung dürften auch auf den BGB-Werkvertrag übertragbar sein. Nach § 281 Abs. 2 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. An die endgültige und ernsthafte Verweigerung der Leistung werden strenge Anforderungen gestellt, so dass auch bei Vorliegen eines BGB-Werkvertrages es zu keiner anderen Wertung kommen wird.
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