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Nachfolgend veröffentliche ich einen Beitrag von Iris Henning vom 15. November 2013

Wenn sie nicht gestorben sind

Wilhelm und Jacob Grimm erzählten „Böse Märchen für Erwachsene“

Von Iris Henning

Mühlhausen. Vor nicht allzu ferner Zeit, als die Glühbirne noch nicht erfunden war und in jeder Küche noch ein wärmender Herd stand, versammelten sich die Familienmitglieder vom Kleinkind bis zum Großpapa um eben jenen, besonders in der dunklen Jahreszeit. Der Herd spendende wohltuende Wärme. Eine Kerze schummriges Licht. Sich die langen Stunden in den trüben und kalten Herbst- und Winterabenden zu vertreiben, wurden Geschichten erfunden, erzählt und von Generation zu Generation weitergegeben. Märchen entstanden, in denen die Braven und Fleißigen belohnt , gutmütige Dummköpfe zu Königen geadelt und hochnäsige Prinzessinnen zu Fall gebracht wurden. In vielen der derb dargebotenen Schauermärchen wurde allerdings kaum jugendfrei geliebt und verraten,gemeuchelt und gemordet. Den Zuhörern wurde nicht selten Angst und Bange bei solch bitterbösen Geschichten, in denen sich Abgründe der menschlichen Psyche wie Höllenschlünde auftaten.

Computer, Fernseher und Heizung in jedem Null-acht-fünfzehn-Zimmer des heutigen modernen Wohnens haben die Welt der guten und bösen Märchen eingeengt. Aber nicht verbannt. Wie schaurig schön sie immer noch sind und es mit Sicherheit noch mit jedem guten Krimi im Fernseher aufnehmen können, stellten die Schauspieler Stefan Becker und Carlo Ghirardelli jetzt in der 3K-Spielstätte Kilianikirche unter Beweis. Innerhalb des Mühlhäuser Satireherbstes kamen sie im historischen Gewand als Wilhelm und Jacob Grimm auf die Bühne, um den Zuhörern mit ihren „Bösen Märchen für Erwachsene“ das Fürchten zu lehren und Schauer des Entsetzens über den Rücken zu jagen.

Sie wählten für ihr Programm die eher wenig bekannten Märchen der Erstausgabe von „Kinder- und Hausmärchen“, die vor 200 Jahren erschien. Mit netten Anekdoten aus dem Leben der Grimms , mit Wissenswertem, Überraschendem und vielfach Unbekanntem über das Schaffen des Brüderpaares lieferten die beiden Schauspieler eine überaus spannende und unterhaltsame szenische Lesung, die ebenso eine tiefe Verehrung der Grimm-Brüder darstellt. Und schließlich bezeichnen Becker und Ghirardelli die Grimms mit einem Augenzwinkern gar als „die Erfinder von Wikipedia“. Sie seien es schließlich gewesen, die all ihre Möglichkeiten nutzten, die von Mund zu Mund weitergegebenen Märchen wischen zwei Buchdeckel zu bannen und so in einer poetisch schönen Sprache für die Nachwelt zu sichern. Mit ihrer sprachlichen Überarbeitungen hätten die Grimm-Brüder zudem einen Stil geschaffen, der bis heute das Bild von Märchen prägt.

„Uns liegt viel daran, die Menschen mit den Gedanken und dem Leben der berühmten Märchensammlern vertraut zu machen“, sagte Stefan Becker in einem kurzen Gespräch mit unserer Zeitung. So hätten die Grimms mit ihrer Märchensammlung auf ihre Art einen Beitrag zum besseren Verständnis der Menschen untereinander leisten wollen. Immerhin prägte in den Zeiten, als die Erstausgabe der Hausmärchen erschien, die Kleinstaaterei die politischen Verhältnisse in Deutschland. Mit der Poesie der Sprache sowohl in den guten als auch in den bösen Märchen wollten die Grimms zum einen politische, zum anderen auch Grenzen in den Köpfen überwinden.

Wenn die Gebrüder Grimm auch schon vor langer Zeit gestorben sind und den Erfolg ihrer romantischen Sammelleidenschaft selbst nicht mehr erlebten, so leben sie doch heute immer noch in den Herzen der Menschen – nicht nur in Deutschland. Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm sind neben der Luther-Bibel das bekannteste und weltweit am meisten verbreitete Buch der deutschen Kulturgeschichte. Übersetzungen in über 160 Sprachen aller Erdteile lassen sich nachweisen.

Auch darüber wussten die Schauspieler zu berichten: Aschenputtel und Rotkäppchen, Dornröschen und Rapunzel haben längst die höchste kulturelle Weihe erfahren: Die UNESCO hat Grimms Märchen schon vor acht Jahren ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. Sie selbst – Stefan Becker und Carlo Ghirardelli – seien seit einer Auftragsarbeit aus dieser Zeit zum Thema Wilhelm Grimm von den Grimms so begeistert, dass sie gleich mehrere Programme erarbeiteten, in denen es um die Märchen der Erstausgabe geht. Mit „Böse Märchen für Erwachsene“ überzeugten sie jetzt in einem ausverkauftes Haus in Mühlhausen.