Nachfolgend ein Beitrag vom 17.5.2018 von Dötsch, jurisPR-MietR 10/2018 Anm. 5
Orientierungssätze
1. Eine Vereinbarung zwischen Wohnraummieter und Vermieter, wonach Forderungen des Mieters im Rahmen eines bestimmten Zeitraums mit der Miete aufzurechnen sind, stellt eine Vorausverfügung i.S.d. § 110 InsO dar.
2. Eine derartige Verrechnungsabrede ist im Falle der Eröffnung der Insolvenz über das Vermietervermögen aber nur für den in § 110 Abs. 1 InsO genannten Zeitraum wirksam.
A. Problemstellung
Gegenüber Insolvenzverwaltern, aber auch gegenüber Zwangsverwaltern und/oder rechtsgeschäftlichen bzw. in der Zwangsversteigerung den Zuschlag erhaltenden Erwerbern bzw. auch gegenüber Grundpfandgläubigern treten in der Praxis – nicht selten durch mehr oder weniger professionelle „Schuldnerberater“ angetriggert – oft Behauptungen irgendwelcher abenteuerlicher Vorauszahlungsgestaltungen und -abreden auf. Zumeist geht es um angebliche (abwohnbare) sog. Baukostenzuschüsse in schillernden Erscheinungsformen (dazu zuletzt auch AG Dortmund, Urt. v. 29.08.2017 – 425 C 7634/16, dazu Dötsch, jurisPR-MietR 20/2017 Anm. 6 m.w.N.), aber auch um behauptete Einmalzahlungen, auffallend günstige Mietverträge mit Angehörigen/Bekannten etc. Soweit es um Vorausverfügungen geht, sind die gesetzlichen Regelungen in § 110 InsO, §§ 566b f., 1124 BGB eigentlich vom Wortlaut her recht streng und eindeutig gefasst und spätestens mit Streichung der eher unglücklichen Sonderregelung in § 57c ZVG a.F. sollte man hier auch möglichst den Hammer niedergehen lassen – was das Amtsgericht erfreulich deutlich getan hat.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Vermieterin begehrt von den beklagten Mietern Räumung und Herausgabe eines vermieteten Einfamilienhauses. Das Haus war mit einem Mietvertrag für eine monatlich im Voraus zu zahlende Miete zunächst unbefristet, dann zum 01.11.2020 befristet mit Verlängerungsoption vermietet worden. In diversen schriftlichen Nachträgen wurde vereinbart, dass die Grundmiete in bestimmter Höhe mit Renovierungskosten verrechnet werden sollte, zuletzt bis zum 30.06.2018 unter Bezifferung von Renovierungskosten i.H.v. 100.800 Euro. An die Beklagte zu 3) wurde schließlich für zuletzt 450 Euro ein Raum im Objekt vermietet und es wurde vereinbart, dass die Gesamtmiete für die Dauer des Mietverhältnisses mit Zinsen für ein von der Beklagten zu 3) gewährtes Darlehen über 270.000 Euro verrechnet werden sollte. In einem weiteren Nachtrag zum Ausgangsmietvertrag wurde vereinbart, dass wegen der Überlassung des Raumes an den Beklagten zu 3) die Gesamtmiete im Übrigen nun noch 900 Euro beträgt und diese Miete für die Dauer des Mietverhältnisses vollständig mit Aufwendungen für die Instandhaltung, Sanierung und Renovierung des Hauses sowie Gartenarbeiten, die bisher i.H.v. ca. 101.000 Euro entstanden seien bzw. weiter noch entstehen würden, verrechnet werden sollte. Mitte 2014 wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Vermieterin eröffnet. Der Insolvenzverwalter kann von den Beklagten – die sich auf die vorgelegten Abreden berufen – keine Miete beitreiben. Er beruft sich seinerseits auf § 110 InsO, kündigt wegen der ab August 2014 nicht gezahlten Mieten gegenüber allen Beklagten und klagt auf Räumung. Mit Erfolg?
Ja! Dem Kläger als Treuhänder über das Vermögen der Gemeinschuldnerin steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch aus § 546 BGB zu.
Zwischen der Gemeinschuldnerin und den Beklagten bestanden Mietverhältnisse mit einer monatlichen Grundmiete von 1.350 Euro warm monatlich. Die fristlose Kündigung war gemäß § 543 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB berechtigt, denn die Beklagten zahlten seit August 2014 durchgehend keine Mieten. Hierzu waren sie indessen – trotz der Verrechnungsvereinbarungen in den vorgelegten Verträgen – verpflichtet, da diese Vereinbarungen sog. „Vorausverfügungen“ über die künftigen Mietforderungen der Gemeinschuldnerin enthielten, welche gemäß § 110 InsO lediglich bis zu dem Kalendermonat wirksam waren, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde; also hier nur bis Juli 2014. Die Beklagten – denen das Insolvenzverfahren auch bekannt war – hätten ab August 2014 wieder die vereinbarten Mietzahlungsverpflichtungen erfüllen müssen. Die Regelung des § 110 InsO ist klar und eindeutig sowie abschließend. Es sind, so das AG Hamburg-Harburg, keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, aus Billigkeitsgründen von dieser bei Schaffung der InsO und Abschaffung der KO in die InsO aufgenommenen Regelung, die unzweideutig sämtliche Vorausverfügungen über Mietforderungen über den Monat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, hinaus ausnahmslos unwirksam sein lässt, abzuweichen.
Selbst wenn – was die Beklagten nur unsubstantiiert vorgetragen haben und was vom Kläger bestritten worden ist – die zur Verrechnung in den vertraglichen Vereinbarungen gestellten Gegenforderungen (Sanierungskosten, Darlehen etc.) tatsächlich bestünden, wird auch im Lichte dessen die Unwirksamkeit der Vorausverfügungen nicht als unbillig erachtet. Es ist keineswegs so, dass eine „doppelte“ Zahlung seitens der Beklagten vorläge. Vielmehr lägen Mietzahlungen als Gegenleistung für den Mietgebrauch einerseits und Forderungen der Beklagten gegen die Gemeinschuldnerin andererseits, die zur Tabelle angemeldet werden könnten, vor. Es ist nicht ersichtlich, was daran unbillig sein sollte.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung liegt auf der zu § 110 InsO zunehmend vertretenen harten Linie, setzt sich aber nicht näher damit auseinander, dass „Baukosten-Abwohnungs-Gestaltungen“ in der Rechtsprechung bisweilen durchaus auch den Segen des BGH gefunden haben, zuletzt insbesondere zu § 1124 Abs. 2 BGB (BGH, Urt. v. 15.02.2012 – VIII ZR 166/10 Rn. 10 ff.; wohl auch BGH, Urt. v. 18.12.2015 – V ZR 191/14 Rn. 32; zum Problem auch Dötsch, NZM 2012, 296). Auch wenn ein Auseinanderlaufen der vom Gesetzgeber parallel gedachten gesetzlichen Bestimmungen unerwünscht ist, setzt sich jedoch jedenfalls zu § 110 InsO dennoch aber zunehmend eine strengere Lesart durch (etwa OLG Schleswig, Urt. v. 25.10.2000 – 4 U 40/00; AG Dortmund, Urt. v. 29.08.2017 – 425 C 7634/16; Jaeger/Jacoby, InsO, 2014, § 2010 Rn. 41; Dötsch, NZI 2009, 713); nichts anderes sollte künftig auch für § 1124 Abs. 2 BGB und §§ 566 b f. BGB gelten (vgl. nur Wolfsteiner in: Staudinger, BGB, 2015, § 1124 Rn. 29 ff. m.w.N. und zu den einzelnen Fallgruppen der Vorauszahlungsabreden und den Nuancen in der Rechtsprechung). Der BGH ist in der zitierten Entscheidung vom 15.02.2011 darauf leider nur am Rande eingegangen und hat in Tz. 11 gesehen, dass die das Thema Baukostenzuschuss betreffende Sonderregelung in § 57c ZVG a.F. gestrichen worden ist. Er hat versäumt, sich näher damit auseinanderzusetzen, ob nicht deshalb die althergebrachte Rechtsprechung zu § 1124 Abs. 2 BGB aufzugeben wäre und dies folgerichtig auch bei den §§ 566b, 556c BGB und § 110 InsO (dazu auch etwa Eckert, ZfIR 2008, 453; Streyl, NZM 2010, 343, 353).
Bleibt man mit dem BGH „mieterfreundlich“, wird zum Schutz eines (unter Umständen fragwürdigen) Mieters – der sich (Vor-)Leistungen auf das Grundstück eigentlich wie jeder andere Dritte dinglich hätte absichern lassen können und dies nur versäumt hat (bzw. versäumen wollte?) – außerhalb des Grundbuchs ein Institut geschaffen, mit dem gerade in Versteigerungsfällen jede sinnvolle Verwertung des Grundstücks faktisch für sehr lange Zeit unmöglich werden kann. Schöner kann der Realkredit nicht mehr unterlaufen werden (so schon Strecker in: Planck, BGB, 5. Aufl. 1933, § 1124 Anm. 2b). Zumindest wird man bei der Beweiswürdigung zu solchen Abreden – die oft auf fragwürdigen Dokumenten mit windigen Geschichten „präsentiert“ werden – die Daumenschrauben anziehen müssen (vgl. etwa vergleichbar zur Vorlage nachteiliger Mietverträge mit Angehörigen auch Dötsch, jurisPR-MietR 2/2014 Anm. 4).
D. Auswirkungen für die Praxis
§ 110 InsO soll der Insolvenzmasse die Einkünfte aus Mietverträgen sichern, die der Insolvenzschuldner als Vermieter geschlossen hat. Unbeachtliche Vorausverfügungen sind etwa Abtretungen, Stundungen oder – hier relevant – deren Vorauszahlung.
Aufrechnungen gegen Mietforderungen sind grundsätzlich schon nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam, wenn die Forderungen des Mieters schon vor Insolvenzeröffnung bestanden. § 110 Abs. 3 Satz 1 InsO erweitert zwar die Aufrechnungsmöglichkeit, indem er die Aufrechnung mit der Miete im Eröffnungsmonat erlaubt; im Übrigen ist eine Aufrechnung jedoch ausgeschlossen. Im hier entschiedenen Fall sollten freilich offenbar auch laufende Instandhaltungskosten verrechnet werden – was durch § 96 InsO nicht ausgeschlossen wäre. Das AG Hamburg-Harburg hat jedoch hier bereits die gesamte Verrechnungsabrede als „Vorausverfügung“ i.S.d. § 110 InsO gewertet, was zutreffen dürfte – zumal sonst der Umgehung Tür und Tor geöffnet würden (so auch Cymutta, IMR 2018, 74).
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In der Praxis verlagert sich der Ärger mit „Zwangsvollstreckungsverhinderern“ zunehmend – „gut“ beraten – auf den Suizideinwand (u.a. im Rahmen von Anträgen nach § 765a ZPO). Damit tun die Gerichte sich oft schwer (traurig, aber wahr: Ertle/Schmidberger, ZfIR 2016, 609), nicht umsonst stand das Thema auf dem Deutschen Mietgerichtstag 2018 im Fokus. Eine Lösung ist indes wohl nicht in Sicht.
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