Nachfolgend ein Beitrag vom 15.5.2018 von Gessner, jurisPR-BKR 5/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Der mittelbare Besitz des Schuldners an einer beweglichen Sache begründet kein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters, wenn die Sache nach der Art des mittelbaren Besitzes dauerhaft mit der erfolgten Überlassung an den unmittelbaren Besitzer so aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden ist, dass gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers keine weitere Nutzung durch den Schuldner möglich ist.
2. Beim Finanzierungsleasing scheidet ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus, wenn der Schuldner die Sache dem Leasingnehmer für eine feste, nicht ordentlich kündbare Grundlaufzeit überlassen hat und bei deren Ablauf eine Vollamortisation erlangt, weil der Leasingnehmer aufgrund der vertraglichen Regelungen – sei es auch erst in Verbindung mit besonderen Vertragsbestimmungen wie einer Abschlusszahlung, einer Restwertgarantie, einer Kaufoption oder einem Andienungsrecht – insgesamt einen Betrag zu zahlen hat, der das vom Schuldner für die Anschaffung der Sache eingesetzte Kapital zuzüglich Verzinsung und Gewinn erreicht oder übersteigt.
Orientierungssatz zur Anmerkung
Dem Insolvenzverwalter eines Leasingunternehmens steht ein Verwertungsrecht an sicherungsübereigneten Leasinggütern trotz mittelbaren Besitzes nur dann zu, wenn das Gut mit der Überlassung nicht dauerhaft aus dem schuldnerischen Vermögen ausgeschieden ist. Im Falle des Finanzierungsleasings sind bei der hierfür erforderlichen Beurteilung die vertraglichen Regelungen heranzuziehen.
A. Problemstellung
Die in den §§ 165 f. InsO geregelten Verwertungsrechte des Insolvenzverwalters sind in der Praxis von besonderer Bedeutung. Oftmals unterliegen nahezu alle nennenswerten Vermögenswerte eines schuldnerischen Unternehmens Absonderungsrechten i.S.d. §§ 49 ff. InsO. Eine die Verfahrenskosten deckende Masse kann in diesem Fall vom Insolvenzverwalter nicht selten allein über die zu erzielenden Kostenpauschalen nach den §§ 170 f. InsO generiert werden. Nicht verwunderlich ist daher, dass die Frage, wem das Verwertungsrecht an einer beweglichen Sache zusteht, immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten ist.
Vorliegend hatte sich der BGH mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit dem Insolvenzverwalter ein Verwertungsrecht an einem Fahrzeug zusteht, welches im Rahmen des Finanzierungsleasings überlassen war. Die Entscheidung schließt sich an zwei Urteile des BGH aus dem Jahre 2006 an, in denen er seinerzeit zu vergleichbaren Sachverhalten Stellung genommen hatte. Allgemein geht es dabei um die Frage, ob und wann mittelbarer Besitz den Tatbestand des § 166 Abs. 1 InsO erfüllt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in einem am 01.06.2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Leasinggesellschaft. Diese hatte Finanzierungsleasingverträge über Fahrzeuge abgeschlossen und dabei ihre eigenen allgemeinen Geschäftsbedingungen zugrunde gelegt. Darin war festgehalten, dass das jeweilige Fahrzeug im Eigentum der späteren Insolvenzschuldnerin steht und diese berechtigt ist, ihre Rechte und Pflichten aus dem Vertrag an einen Dritten abzutreten.
Die insolvente Leasinggesellschaft finanzierte den Ankauf ihrer Fahrzeuge bei der in diesem Verfahren beklagten Gesellschaft. Mit dieser bestand zudem ein Rahmenvertrag für eine Forfaitierung, wonach die Insolvenzschuldnerin die Leasingraten während der gesamten Laufzeit des Leasingvertrages verkauft und ihr dies mit einem abgezinsten Gesamtbetrag vergütet wird. Die Leasinggesellschaft trat die Ansprüche aus den Leasingverträgen im Gegenzug an die Beklagte ab. Weiter war in dem Rahmenvertrag geregelt, dass das Eigentum bzw. das entsprechende Anwartschaftsrecht an den Fahrzeugen auf die Beklagte übergehen soll, sobald der jeweilige Forderungskaufvertrag abgeschlossen und das jeweilige Fahrzeug bezahlt ist. Die für eine Eigentumsverschaffung erforderliche Übergabe ersetzten die Parteien durch die Abtretung der Herausgabeansprüche gegen den unmittelbaren Besitzer des Fahrzeuges, also hier den Leasingnehmer.
Der Kläger verlangte nun im Prozess die Feststellung, dass die Beklagte zur Zahlung von 6.539,77 Euro verpflichtet ist. Als Begründung trug er vor, ihm stehe gemäß den §§ 170 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 1 InsO ein Anspruch auf Zahlung der Feststellungskostenpauschale zu, da er diverse Fahrzeuge in Abstimmung mit der Beklagten verwertet habe und diese aufgrund der Sicherungsübereignung lediglich absonderungsberechtigt gemäß § 50 Abs. 1 InsO gewesen sei. Das LG Chemnitz wies die Klage ab, während das OLG Dresden ihr vollumfänglich stattgab. Es argumentierte, die Insolvenzschuldnerin sei aufgrund der Leasingverträge mittelbarer Besitzer gewesen, wodurch gegenüber der absonderungsberechtigten Beklagten ein Verwertungsrecht nach § 166 Abs. 1 InsO begründet worden sei.
Der BGH hat dies anders gesehen und das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben.
Der BGH argumentiert, dass vorliegend der mittelbare Besitz der Insolvenzschuldnerin nicht ausreichend sei, um den Tatbestand des § 166 Abs. 1 InsO zu erfüllen. Die vertragliche Ausgestaltung der Leasingverträge vermittle dem Kläger lediglich eine Form des mittelbaren Besitzes, die nicht ausreichend sei, um ein Verwertungsrecht zu begründen. Entscheidend hierfür sei, dass die Fahrzeuge bereits so aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin ausgeschieden seien, dass gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers – also des Leasingnehmers – keine weitere Nutzung möglich sei.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH betrifft einen praxisrelevanten Sachverhalt und beschäftigt sich ausführlich mit dem Tatbestandsmerkmal des „Besitzes“ in § 166 Abs. 1 InsO. Hinter dieser Voraussetzung verbirgt sich der gesetzgeberische Wille, Sicherungsgüter, die mit dem übrigen Schuldnervermögen zumindest organisatorisch verbunden sind, vor einer Verwertung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu schützen (BT-Drs. 12/2443, S. 178). Dies ist oftmals sinnvoll, um entweder eine vorläufige Fortführung des Geschäftsbetriebes zu ermöglichen oder zumindest eine profitablere, weil gebündelte Verwertung zu ermöglichen. Bei Vermögensgegenständen, die indes nicht organisatorisch in das Schuldvermögen eingegliedert sind, bedarf es eines solchen Schutzes vor einer „gewillkürten Verwertung“ nicht.
Steht der Vermögensgegenstand im unmittelbaren Besitz der Insolvenzschuldnerin, so ist ohne Zweifel ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gegeben (Sinz in: Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 166 Rn. 8). Bei der Frage, ob auch mittelbarer Besitz den Tatbestand des § 166 Abs. 1 InsO erfüllt, kommt es hingegen auf den Einzelfall an. Grundsätzlich wird mittelbarer Besitz als ausreichend angesehen, wenn die Insolvenzschuldnerin einem Dritten die Sache aus betrieblichen Gründen gegen Entgeltzahlung überlässt (BGH, Urt. v. 16.02.2006 – IX ZR 26/05; BGH, Urt. v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05; Sinz in: Schmidt, InsO, § 166 Rn. 8; Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, 33. EL 2017, § 166 Rn. 17). Hierunter würde demzufolge auch – wie in diesem Fall – der Abschluss von Leasingverträgen durch ein Leasingunternehmen gehören (ausführlich Zahn, ZIP 2007, 365). Die allseits erkannte Ausnahme, auch in diesem Fall scheide ein Verwertungsrecht aus, wenn der Sicherungsnehmer zugleich unmittelbarer Besitzer sei (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.2015 – IX ZR 272/13), lag nicht vor. Der BGH kommt im vorliegenden Fall jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Verwertungsrecht trotz mittelbaren Besitzes der Insolvenzschuldnerin ausscheidet (ähnlich BGH, Urt. v. 24.09.2015 – IX ZR 272/13; Undritz, BB 2016, 74). Zurückkommend auf die Prämisse des Gesetzgebers müsse dies immer dann der Fall sein, wenn der unmittelbare Besitzer auch im Insolvenzfall besitzrechtlich geschützt sei. Denn dann fehlt es auch nach Insolvenzeröffnung an einer „organisatorischen Einbindung“ dieses Gegenstandes in das Schuldnervermögen (so auch Sinz in: Schmidt, InsO, § 166 Rn. 9).
Zunächst ist festzuhalten, dass der Leasingvertrag im eröffneten Insolvenzverfahren gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbesteht (ausführlich Primozic, NZI 2008, 465). Entscheidend ist im vorliegenden Fall eines Finanzierungsleasings dann die vertragliche Ausgestaltung und die damit verbundene Frage, ob der Leasinggeber nach Insolvenzeröffnung noch auf das Leasinggut zugreifen und sich unmittelbaren Besitz verschaffen kann. Dies hängt zunächst davon ab, ob die Insolvenzschuldnerin die Fahrzeuge zur Sicherheit gemäß den §§ 929, 930 BGB oder nach den §§ 929, 931 BGB an die Beklagte übereignet hat. Wird ein Besitzkonstitut vereinbart, so bleibt das Leasingunternehmen mittelbare Fremdbesitzerin und das finanzierende Unternehmen wird mittelbare Eigenbesitzerin zweiter Stufe. Eine „organisatorische Einbindung“ in das schuldnerische Vermögen nimmt der BGH jedoch nur dann an, wenn der Leasingvertrag für eine feste unkündbare Laufzeit abgeschlossen ist und eine Vollamortisation am Vertragsende, z.B. durch Zahlung einer Schlussrate, nicht erreicht wird. Denn nur in diesem eher untypischen Fall unterstellt der BGH, dass die Insolvenzschuldnerin ein Interesse an der Übernahme des Leasinggutes bei Vertragende hat. Typischerweise aber sind Finanzierungsleasingverträge auf eine Vollamortisation ausgelegt, sodass aus Sicht des Leasingunternehmens von Beginn an kein Interesse an der Wiedereinräumung des unmittelbaren Besitzes besteht (so auch Zahn, ZIP 2007, 365, 366 f.). Das Leasinggut wird daher bereits mit Vertragsschluss aus der „organisatorischen“ Einheit der Insolvenzschuldnerin entlassen. Ist die Sicherungsübereignung nach den §§ 929, 931 BGB ausgestaltet, so scheidet eine „organisatorische“ Einheit mit dem restlichen schuldnerischen Vermögen ohnehin aus, da sich die Insolvenzschuldnerin damit ihres mittelbaren Besitzes begibt. Denn es fehlt in diesem Fall dann offenkundig an einem Besitzerwerbswillen der Insolvenzschuldnerin (vgl. Berger in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 868 Rn. 9).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die besprochene Entscheidung des BGH präzisiert seine Haltung zum Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei der Sicherungsübereignung von Leasinggegenständen (pauschaler noch BGH, Urt. v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05). Es wird deutlich gemacht, dass der mittelbare Besitz nicht pauschal als Tatbestandsmerkmal des § 166 Abs. 1 InsO anzuerkennen ist. Vielmehr kommt es auf vertragliche Ausgestaltungen im Einzelfall an. Die Insolvenzverwalter werden daher zukünftig genauer zu untersuchen haben, ob im konkreten Sachverhalt ein Verwertungsrecht besteht. Aus Sicht der Banken ist indes eine Sicherungsübereignung von Leasinggütern nach den §§ 929, 931 BGB auszugestalten, um ein Verwertungsrecht des Verwalters eindeutig ausschließen zu können.
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