Nachfolgend ein Beitrag von Thomas Falkner vom 23.10.2014 in

Verurteilte Straftäterin gewinnt Prozesse gegen ihre Opfer

Verurteilte Straftäterin gewinnt Prozesse gegen ihre Opfer Foto: ARD plusminus

Jana H. war einfach nicht zu stoppen. Über zehn Jahre hielt sie Behörden und Gerichte mit ihren Geschäften in Atem. Mit illegalen Schneeballsystemen machte sie Schätzungen zufolge Millionen. Seit drei Wochen sitzt sie nun in Chemnitz in Haft.

Verlorenes Geld

Verurteilte Straftäterin gewinnt Prozesse gegen ihre Opfer

Im Fall Jana H. urteilten Strafgericht und Zivilgericht gegensätzlich.

Wohl über 10.000 Menschen hat Jana H. geschädigt. Eine von ihnen ist Rita E.. Rund 3.600 Euro hatte sie an Jana H. und ihre Helfer verloren. Das aber wollte sich die Rentnerin nicht gefallen lassen. Sie zog vor Gericht, um ihr Geld zurückzubekommen – doch ohne Erfolg:

„Wir haben Klage eingereicht und haben mehrere Jahre gekämpft. Aber es war für uns erfolglos. Es ist so ausgegangen, dass wir unser Geld leider nicht zurückerhalten haben.“

Das Urteil ist für Rita Eckardt nicht gerecht. Denn heute ist klar, dass sie ihr Geld durch Straftaten verloren hat. Tatsächlich hat kein einziger der vielen Geschädigten sein Geld zurückbekommen, weil die Zivilgerichte die Klagen nahezu ausnahmslos zurückgewiesen haben, wie die Prozessakten zeigen, die „Plusminus“ vorliegen.

Perfides System

Ein Rückblick: Vor mehr als zehn Jahren hatte Jana H. damit begonnen, sogenannte Schneeballsysteme zu organisieren. „Produkt Promotion Vertrieb“, kurz PPV, hieß eine ihrer vor allem in Ostdeutschland aktiven Firmen. Mit scheinbar seriösen Jobangeboten nahm die Firma gezielt Arbeitssuchende ins Visier. Um den Job zu bekommen mussten die aber erst einmal erst einmal teure Seminare buchen – und wieder neue Leute werben, die auch Seminare buchen, und so weiter.

Auf Veranstaltungen wurden die Bewerber psychologisch trickreich in das System hineingezogen. Die Geschädigten, meist Rentner und Arbeitslose, kratzten nicht selten ihre letzten Ersparnisse zusammen – für die vermeintlich große Chance.

Bald wurde die Polizei auf diese Veranstaltungen aufmerksam. Die Beamten beschlagnahmten Geschäftsunterlagen und sicherten Beweismaterial. Immer mehr Indizien stützten den Verdacht, dass hier Straftäter am Werk sind.

Konträre Entscheidungen

2007 erhebt das Landgericht Leipzig Klage gegen Jana H.  Die Anklage wirft ihr vor, sie habe mit ihren Helfern ein illegales Schneeballsystem aufgezogen – strafbare progressive Werbung ist der juristische Begriff.

Während als Jana H. noch auf der Anklagebank des Wirtschaftsstrafgerichts sitzt, kämpft Rita E. in einem gesonderten Zivilverfahren um ihr Geld. Auch hier ist die entscheidende Frage: Handelt es bei den Geschäften um ein illegales Schnellballsystem? Dann hätte Rita E. einen Anspruch auf Rückzahlung. Das Zivilgericht kann an den Geschäften aber nichts Illegales erkennen und weist die Klage ab. Die Entscheidung verschlimmert Rita E. Lage. „Es war für uns eine Belastung, denn es blieb ja nicht bei diesen 3.600 Euro. Wir mussten ja auch die Anwälte bezahlen, weil wir das eingeklagt haben. Dadurch erhöhte sich dann das, was wir an Schaden genommen haben, um reichlich das Doppelte.“

Als die Zivilklage von Rita E. abgewiesen wurde, hatte das Strafverfahren gegen Jana H. gerade erst begonnen. Bis 2009 dauert der Prozess. Dann stellt das Landgericht Leipzig schließlich fest: Die von Jana H. betriebenen Geschäfte waren tatsächlich illegal. Die Frau wird wegen Betreibens eines illegalen Schneeballsystems schuldig gesprochen.

Doch auch nach dieser Entscheidung kommt die Zivilabteilung desselben Gerichts  zu der Auffassung, die Geschäfte von Jana H. seien nicht strafbar. Die Klage eines anderen Geschädigten wird ebenfalls zurückgewiesen. Wie kann das sein? Kai-Uwe Deusing vom Landgericht Leipzig beruft sich auf die richterliche Unabhängigkeit:

„Die Zivilkammern haben es so gesehen. Die Wirtschaftsstrafkammer hat es anders gesehen. Die Frage war höchstrichterlich nicht geklärt. Höchstrichterlich geklärt ist sie erst durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 2011. … Die abweichenden Urteile der Zivilkammern zuvor, sind natürlich dadurch veranlasst, dass es diese höchstrichterliche Rechtsprechung für diesen Fall einfach noch nicht gab. Und Auslegung eines Gesetzes, Würdigung des Tatsachenstoffes ist Aufgabe eines jeden Gerichtes selbständig.“

BGH-Entscheidung kam für viele zu spät

Mit seiner Entscheidung hatte der BGH genau das bestätigt, was zuvor schon das Strafgericht in Leipzig festgestellt hatte: Die Geschäfte von Jana H. waren strafbar. Doch bis zu dieser Entscheidung wurden hunderte Rückzahlungsforderungen von Geschädigten zurückgewiesen – obwohl sie dargelegt hatten, wie sie Opfer dieses illegalen Schneeballsystems geworden waren. Rechtsanwalt Carsten Oehlmann, der etwa hundert Geschädigte vertreten hatte, kritisiert die Entscheidungen:

„Es gibt eine Vielzahl von Zivilverfahren, auch diejenigen, die ich betreut habe, in denen der komplette Sachverhalt auch den Zivilrichtern unterbreitet worden ist. Ich habe während der Verfahren laufend auch mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet – in einem Amtsgerichtsverfahren mit über 40 Seiten Klageschrift, das ist schon außergewöhnlich. Dieser Vortrag wurde schlichtweg in vielen Bereichen ignoriert. Aus heutiger Sicht muss man sagen, es handelt sich um eine Vielzahl von Fehlurteilen.“

Illegal, aber lukrativ

Trotzdem sind die Urteile die rechtskräftig. Jana H. dürfte diese Entscheidungen lange Zeit ermutigt haben, weiterzumachen. Denn das Geschäft lohnte sich. Jahrelang lebte die Frau in einer herrschaftlichen Villa, genoss ein Leben im Luxus.

Der Bundesgerichtshof hatte sie 2011 zunächst nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Weil sie trotzdem nicht aufhörte, folgten bald weitere Strafurteile. Und seit Juli dieses Jahres stand fest: Jana H. muss ins Gefängnis. Bis zuletzt verfolgte sie dennoch weiter dieselben Geschäfte. Wenige Wochen vor ihrem Haftantritt nahmen sie und ihre Helfer einer Frau mit derselben Masche 700 Euro ab. Die Geschädigte will jetzt ihr Geld zurück. Nur, Jana H. denkt gar nicht daran, irgendwas zurückzugeben.

Seit Anfang Oktober sitzt sie nun in Haft.


Anmerkung:

Der Beitrag gibt die Sachlage zutreffend wieder, ist jedoch in einem entscheidenden Punkt unvollständig. Alle abgewiesenen Klagen betrafen nicht Mandanten der der Kanzlei OEHLMANN, denn die abgewiesenen Klagen waren überwiegend auf Anspruchsgrundlagen gestützt, die nicht den Bereich der unerlaubten Handlung betrafen. Wie aus den zahlreichen Begegnungen mit dem Anwalt der Gegenseite und während Gerichtsverhandlungen vor dem Amtsgericht in Leipzig in Erfahrung gebracht wurde, wurden in den abgewiesenen Verfahren Anfechtungstatbestände, Widerruf, Kündigung und Sittenwidrigkeit thematisiert. Kaum ein anderer Geschädigtenvertreter hat die Klagen auf den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung gestützt und wenn, dann mit der Zielrichtung „Betrug“.  Allein die Kanzlei OEHLMANN und eine weitere von dieser wegen der Vielzahl der Verfahren zur Unterstützung hinzugebetene Kanzlei aus Mühlhausen hatte die Klagen auf den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung mit der Zielrichtung „Strafbare Werbung“ gestützt, denn die Tatbestandsmerkmale des Betruges waren nicht verwirklicht, wie auch das Landgericht Leipzig in dem parallel laufenden Strafverfahren späterhin feststellte.

§ 16 Strafbare Werbung

(1) Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Die Darstellung der Funktionsweise des verbotenen Schneeballsystems gestaltete sich außerordentlich kompliziert. Einige Richter am Amtsgericht in Leipzig vertraten im Rahmen von Entscheidungen zu Prozesskostenhilfeanträgen sogar die in jeder Hinsicht abstruse Auffassung, § 16 Abs. 2 UWG sei kein sog. Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Andere Richter bezweifelten die Verbrauchereigenschaft der Geschädigten. Tatsächlich gab es eine Literaturmeinung, die zu dieser seinerzeit noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Fragestellung explizit zu dem Schluss kam, dass eben wegen der vermeintlich regelmäßig gegebenen Gewerblichkeit des Handelns der Geschädigten die Strafvorschrift „Strafbare Werbung“ gänzlich ins Leere laufe und damit eine Strafbarkeitslücke gegeben sei.

Da sich die Kanzlei OEHLMANN nicht als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft versteht, sondern die Beachtung der wirtschaftlichen Interessen der Mandanten im Vordergrund stand, obwohl in diesem Komplex zum wechselseitigen Nutzen eine intensive Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft stattfand, folgten wir nicht der Strategie vieler Kollegen, die den Ausgang des Strafverfahrens abwarteten, um dann sicher die Klagen gewinnen zu können. Deren Vollstreckung musste dann nämlich  ins Leere laufen, was aus unserer Sicht vorher absehbar war. Über 90% der durch uns angestrengten Klagen endeten gemäß unserer Strategie vielmehr mit einem Vergleich bei Kostenaufhebung, bei dem in der Regel etwa 40% der Schadensumme realisiert werden konnte, mehrfach auch erst über den Weg der Zwangsvollstreckung. Da den Mandanten ebenso weit überwiegend Prozesskostenhilfe gewährt worden war, konnte der Gesamtschaden damit einigermaßen begrenzt werden.