Leitsatz

Bei der Erteilung taktischer Ratschläge nach rechtlicher Prüfung im konkreten Einzelfall durch pensionierte Richter ohne Anwaltszulassung handelt es sich nicht um ein dem Erlaubnisvorbehalt unterliegendes wissenschaftliches Gutachten, sondern um eine unbefugte Rechtdienstleistung.

© Deutscher Anwaltverein, AnwBl 2015, 628

Anmerkung:

Dieser kurz zusammen gefassten Aussage lag ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem LG Hamburg, Urteil vom 18. März 2015 – 315 O 82/15 –, juris zugrunde, in dem die Antragsgegner u.a. mit Werbeaussagen in einem Prospekt agierten, wonach

– die für die Antragsgegnerin tätigen pensionierten Richter als gewiefte Taktiker, die „Tipps für die Durchsetzung vor Gericht“ geben und die Chancen und Risiken des eingereichten Materials überprüfen und gegebenenfalls optimieren, beworben wurden,

– die Richter „durch eine juristische Zweitmeinung eine strategische Richtung“ „kommentieren, kontrollieren, entwerfen, verwerfen oder vereinfachen“ sollen,
– die Richter vor dem Gang zu Gericht oder nach Ergehen eines Urteils „durch inhaltliche, strategische und taktische Tipps die nächsten Schritte optimieren“ sollen,
– es um „erprobte Exit-Strategien“ bzw. „rechtswirksame Taktiken und Strategien“ gehe,
– der Richter auch als „Supervisor“ agieren könne.
Der beantragten einstweiligen Verfügung wurde stattgegeben und die Antragsgegner zur Unterlassung verurteilt.

 

Das Urteil ist in jeder Hinsicht zu begrüßen. In rechtlicher Hinsicht wird in dem Urteil zutreffend ausgeführt, aus welchen Gründen die beanstandete Werbemaßnahme wettbewerbswidrig ist. In tatsächlicher Hinsicht steckt jedoch hinter der Werbemaßnahme die Bedienung eines alten Vorurteils, einer sog. urban legend, wonach die Richter die besseren Juristen seien, dies lasse sich bereits an den Examensnoten ablesen. Dieses Vorurteil hat Kilian bereits in einer viel beachteten Aufsatzreihe mit überzeugenden empirischen Daten und Argumenten abschließend widerlegt.

Im Übrigen hat ein pensionierter Richter selbst mit 40 Jahren Berufserfahrung niemals Parteiinteressen vertreten, niemals taktische Überlegungen angestellt, niemals prozessuale Strategien entwickelt. Woher also sollten derartige pensionierte Richter auch nur ansatzweise über die Erfahrung verfügen, die es ihnen erlauben könnte, irgendeinen dieser Punkte „besser“ zu können als langjährig tätige Prozessanwälte? Woher sollten diese Richter, die teilweise jahrzehntelang nur in wenigen begrenzten Rechtsgebieten tätig waren, den „Blick über den Tellerrand“ haben lernen können? Mit welcher regelrechten Arroganz nehmen diese Richter für sich in Anspruch, irgend eines und vorliegend sogar ein „besseres“ Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge aufzuweisen, Richter, die in ihrer gesamten Laufbahn stets auskömmlich alimentiert waren und sich niemals in der Lage befunden haben, ein mittelständisches Unternehmen wie z.B. eine Anwaltskanzlei oder ein Steuerberatungsbüro mit 10, 20 oder mehr Angestellten erfolgreich zu führen? Das wiederum hat Rechtsanwalt und Notar a.D. Dr. Ulrich Angersbach, Offenbach am Main, ehemaliger Richter am Hessischen Anwaltsgerichtshof, in seiner kurzen Stellungnahme, veröffentlicht im Anwaltsblatt 2015 unter dem Titel „Top-Anwälte haben mehr drauf“ kurz kommentiert und lässt vielmehr umgekehrt die Frage offen, ob nicht lediglich das „juristische Mittelmaß“ in die Justiz geht.

Damit erweist sich die Werbemaßnahme auch noch als objektiv unwahr und entlarvt diese u.a. als den untauglichen Versuch einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für pensionierte Richter, denen es ein wenig langweilig geworden ist; das auf Vorurteilen und Unwahrheiten  aufbauende Geschäftsmodell musste ein Rohrkrepierer bleiben und das ist auch gut so.