Nachfolgend ein Beitrag vom 22.5.2017 von Nöcker, jurisPR-SteuerR 21/2017 Anm. 3

Leitsatz

Zahlungen auf offene Kirchensteuern des Erblassers durch den Erben sind bei diesem im Jahr der Zahlung als Sonderausgabe abziehbar.

A. Problemstellung

Erbt der Steuerpflichtige Kirchensteuerverbindlichkeiten, stellt sich die Frage, ob die Zahlung aus dem ererbten Vermögen zum Abzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG führen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin hatte als Miterbin nach ihrem Vater einen Anspruch aus der Veräußerung eines Steuerberatungsbüros geerbt. Alle Miterben einigten sich mit der Erwerberin auf eine Änderung der Zahlungsweise des Veräußerungserlöses. Es kam folglich zur Zahlung des Restkaufpreises, was zur Besteuerung des Veräußerungsgewinns im Jahr der Veräußerung des Steuerberatungsbüros im VZ 2007 führte. Die insoweit anfallenden Kirchensteuern zahlte die Klägerin anteilig im Streitjahr 2011 und machte diese als Sonderausgaben geltend.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht hatte entschieden, schon nach dem Gesetzeswortlaut sei ein Abzug als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG gegeben. Auch rechtfertige die Zahlung aus dem Vermögen der Klägerin, zu dem nach dem Tod des Vaters auch das anteilige Nachlassvermögen gehöre, diesen Abzug (FG Kassel, Urt. v. 26.09.2013 – 8 K 649/13 – EFG 2014, 128).
Die Revision des Finanzamts war unbegründet. Eine teleologische Reduktion des Wortlautes des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG sei angesichts der wirtschaftlichen Belastung der Klägerin durch die Kirchensteuerzahlung nicht angemessen und komme deshalb nicht in Betracht. Denn schließlich hafte die Klägerin für die Nachlassverbindlichkeiten. Sie sei nach § 45 Abs. 1 AO in die steuerschuldrechtliche Position des Erblassers eingetreten und hafte unbeschränkt.

C. Kontext der Entscheidung

I. Sonderausgaben verlangen „Aufwendungen“. Folglich geht schon das BVerfG in seinem Kammerbeschluss vom 18.02.1988 (1 BvR 930/86 – HFR 1989, 271) davon aus, dass eine wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen vorliegen muss. Erbt der Steuerpflichtige, so umfasst das Erbe grundsätzlich auch Verbindlichkeiten, einschließlich Steuerschulden. Nicht erfüllte Verpflichtungen des Erblassers hat der Gesamtrechtsnachfolger nach § 1922 BGB deshalb aus dem Nachlass zu zahlen. Der Erbe ist insoweit nicht wirtschaftlich belastet (so auch Fischer in: Kirchhof, EStG, § 10 Anm. 6 m.w.N.). Auf der anderen Seite verlangt die Rechtsprechung für die meisten Sonderausgabentatbestände eine zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Schuldnerschaft des Steuerpflichtigen (vgl. Kulosa in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG Rn. 36 m.w.N.). Deshalb kann ein Sohn nicht die Kirchensteuer seiner noch lebenden Mutter zahlen, um sie – bei besserem Steuersatz – als Sonderausgaben geltend zu machen (BFH, Urt. v. 26.03.1965 – VI 313/63 – HFR 1965, 411).
II. Nunmehr hat der X. Senat dieser Schuldnerschaft des Steuerpflichtigen ein gewisses Übergewicht zugebilligt. Denn neben dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG, der auf die „gezahlte Kirchensteuer“ verweist, stellt der Senat ausdrücklich auf die „auch“ vorliegende Steuerschuldnerschaft des Erben und das unbeschränkte Einstehen für diese nach § 1967 Abs. 1 BGB übergegangenen Verbindlichkeiten auch mit dem Eigenvermögen ab. Insoweit sieht er sich in der Tradition der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 05.02.1960 – VI 204/59 U – BStBl III 1960, 140; BFH, Urt. v. 16.05.2001 – I R 76/99 – BStBl II 2002, 487). Der Große Senat des BFH (Beschl. v. 17.12.2007 – GrS 2/04 Rn. 77 – BStBl II 2008, 608; Anm. Dötsch, jurisPR-SteuerR 16/2008 Anm. 1) hatte diese Rechtsprechung nicht aufgegeben, auch wenn er die Vererblichkeit des Verlustabzugs verneinte.
Einer besonderen Widmung oder gar eines höchstpersönlichen Umstands, warum die Kirchensteuern zu zahlen sind, bedarf es nach Ansicht des X. Senats des BFH bei Kirchensteuerzahlungen, anders als im Fall von Spenden (vgl. BFH, Urt. v. 21.10.2008 – X R 44/05 – BFH/NV 2009, 375), nicht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil ist zwischenzeitlich im BStBl II 2017, 256 veröffentlicht worden. Folglich geht auch die Finanzverwaltung davon aus, dass vom Erben gezahlte Kirchensteuerverbindlichkeiten des Erblassers als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG abziehbar sind. Aufgrund des Abstellens auf die eigene Steuerschuldnerschaft des Steuerpflichtigen wird dagegen eine Zahlung von Kirchensteuern für lebende Angehörige weiterhin nicht möglich sein. Diese Fälle von Drittaufwand sind grundsätzlich vom Abzug als Sonderausgaben ausgeschlossen (vgl. nur Kulosa in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG Rn. 36 m.w.N.). Dies betrifft insbesondere auch die Fälle, bei denen die Eltern Versicherungsbeiträge der Kinder, insbesondere für die Kfz-Haftpflichtversicherung von Pkws der Kinder, übernehmen oder in ihrem Namen einen Versicherungsvertrag abschließen, dessen Kosten das Kind trägt (Vertragsabschluss in eigenem Namen für Kind zur Nutzung günstiger Schadensfreiheitsrabatte bei Kfz-Haftpflichtversicherung: BFH, Urt. v. 08.03.1995 – X R 80/91 – BStBl II 1995, 637). Ausnahmen hiervon sind die Fälle der Zusammenveranlagung von Ehegatten nach § 26b EStG, da diese als ein Steuerpflichtiger behandelt werden, und die Mitversicherung von Familienangehörigen aufgrund eines eigenen Versicherungsverhältnisses (vgl. nur Kulosa in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG Rn. 36 m.w.N.).
Für eigene Krankenversicherungs(basis)- und Pflegepflichtversicherungsbeiträge von Kindern hat der Gesetzgeber seit VZ 2010 darüber hinaus in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG (und mittelbar damit auch in § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG in Bezug auf den Höchstbetrag) eine Berücksichtigung dieser Beiträge als „eigene Beiträge des Steuerpflichtigen“ vorgesehen. Ob dies auch im Fall der Übernahme von Kranken- und Pflegepflichtversicherungsbeiträgen eines im Rahmen der Berufsausbildung beschäftigten Kindes gilt, ist Gegenstand des beim X. Senat anhängigen Revisionsverfahrens X R 25/15.