Nachfolgend ein Beitrag vom 19.08.2016 von Genius, jurisPR-BGHZivilR 14/2016 Anm. 1
Leitsätze
1. Zur entsprechenden Geltung der Voraussetzungen von § 301 ZPO wegen der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen, wenn der Kläger mehrere Ansprüche geltend macht, die sämtlich voraussetzen, dass der Kläger Eigentümer bestimmter Waren geworden ist, und das Berufungsgericht nur einen Teil der Ansprüche für entscheidungsreif erachtet, während es hinsichtlich des anderen Teils die Entscheidungsreife verneint und die Sache in diesem Umfang an das erstinstanzliche Gericht zurückverweist.
2. Zu den Voraussetzungen für die Nichtigkeit der Sicherungsübereignung eines Warenlagers wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB (Fortführung von BGH, Urt. v. 09.07.1953 – IV ZR 242/52 – BGHZ 10, 228).
A. Problemstellung
Die Entscheidung klärt zwei Fragen: Wann sind bei Zurückverweisung eines Teils des Rechtsstreits an das Erstgericht die Grundsätze des § 301 ZPO zu beachten? Welche Prüfungen setzt die Feststellung der Nichtigkeit einer Sicherungsübereignung wegen Gläubigergefährdung gemäß § 138 Abs. 1 BGB voraus?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die spätere Insolvenzschuldnerin hatte ihrer Hausbank (Beklagte) mit Raumsicherungsübereignungsverträgen vom 01.07.2010 und 01.03.2011 ihre gegenwärtig und zukünftig bei der H.-KG eingelagerten Waren zur Sicherung der Ansprüche aus der bankmäßigen Geschäftsbeziehung übereignet. Mit Vertrag vom 13./20.04.2011 verkaufte sie diese Waren an die Klägerin. Der Kaufpreis sollte unmittelbar an verschiedene Gläubiger der Insolvenzschuldnerin gezahlt werden. Vereinbart war weiter, dass die Insolvenzschuldnerin das Eigentum an den verkauften Waren an die Klägerin überträgt und ihren Herausgabeanspruch gegen die H.-KG an diese abtritt. Nachdem die Klägerin nach Zahlung einen Teil der bei der H.-KG eingelagerten Waren abtransportiert hatte, zeigte die Beklagte gegenüber der H.-KG ihr Sicherungseigentum an, worauf letztere die weitere Herausgabe an die Klägerin verweigerte.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege der Stufenklage Auskunft über die von dieser in Besitz genommenen Waren und nachfolgend deren Herausgabe. Daneben begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagte ihr zum Ersatz der Schäden aus der Inbesitznahme der Waren verpflichtet sei.
Anders als das die Klage abweisende Landgericht war das Berufungsgericht der Auffassung, die Klägerin habe aufgrund Kaufvertrags das Eigentum an den streitgegenständlichen Waren erworben. Die Insolvenzschuldnerin habe ihr Eigentum nicht zuvor wirksam auf die Beklagte übertragen, denn die Raumsicherungsübereignungsverträge seien gemäß § 138 BGB wegen Gläubigergefährdung nichtig. Der Klägerin stehe deshalb der Auskunftsanspruch zu (Klageantrag zu 1), auch die Feststellungsklage betreffend den Schadensersatzanspruch sei begründet (Klageantrag zu 3); der im Weg der Stufenklage nach § 254 ZPO geltend gemachte Herausgabeanspruch (Klageantrag zu 2) sei analog § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der XI. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Er kritisiert, das Berufungsgericht habe bei seiner Entscheidung – einerseits Feststellung gemäß dem Klageantrag zu 3), andererseits Zurückverweisung der Sache an das Landgericht hinsichtlich des Klageantrags zu 2) – die Grundsätze des § 301 ZPO verkannt. Weiter halte die Annahme einer Sittenwidrigkeit der Sicherungsübereignungsverträge als Voraussetzung für den auf Eigentum gestützten Auskunftsanspruch der Klägerin revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
C. Kontext der Entscheidung
Für das Vorliegen eines Sittenverstoßes bei der Gewährung von Krediten und/oder deren Besicherung haben sich in Rechtsprechung und Literatur zu § 138 BGB und § 826 BGB verschiedene Fallgruppen herausgebildet. Typische Tatbestände sind die Knebelung des Schuldners, Insolvenzverschleppung, Gläubigergefährdung bzw. Kredittäuschung. Der Senat zitiert dazu umfangreich Literatur und Rechtsprechung (Rn. 39 ff.). Zugleich verweist er darauf, dass bei Rechtshandlungen, deren Inhalt und Zweck im Wesentlichen darin besteht, die Gläubiger zu benachteiligen, die Sondervorschriften der Insolvenz- bzw. Gläubigeranfechtung grundsätzlich vorgehen (Rn. 43, m.w.N.).
In der Rechtsanwendung kommt den genannten Fallgruppen allerdings nur die Bedeutung eines Anhaltspunktes zu. Entscheidend ist die Gesamtwürdigung des einzelnen Vertrages unter Berücksichtigung aller ihn kennzeichnenden objektiven und subjektiven Umstände.
Der BGH kritisiert, dass sich das Berufungsgericht für das Verdikt eines Sittenverstoßes – gestützt auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1953 (BGH, Urt. v. 09.07.1953 – IV ZR 242/52 – BGHZ 10, 228) – mit der Feststellung subjektiver Voraussetzungen begnügt hat, dass nämlich die Beklagte subjektiv von einer – nicht näher definierten – „Sanierungsbedürftigkeit“ der Insolvenzschuldnerin ausgegangen sei. Er stellt klar, dass die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Sicherungsgebers nach der Rechtsprechung des BGH – auch im Urteil aus dem Jahre 1953 – ein wesentlicher Aspekt im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung ist (Rn. 53, m.w.N.). Danach ist die Insolvenzreife des Darlehensnehmers und Sicherungsgebers notwendige und vorrangig zu prüfende Voraussetzung. Zwar lässt der Senat offen, ob Insolvenzreife das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes nach den §§ 17, 19 InsO erfordert oder ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder auch schon eine noch früher einsetzende „Sanierungsbedürftigkeit“ des Sicherungsgebers genügt. Jedenfalls reicht es nicht aus, dass der Sicherungsnehmer (subjektiv) den Sicherungsgeber über einen längeren Zeitraum hinweg als „Sanierungsfall“ angesehen hat, ohne (objektiv) dessen tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung während dieser Zeit, insbesondere Anzeichen für eine Besserung der Lage, zu berücksichtigen (Rn. 52).
Die Entscheidung bekräftigt damit den Grundsatz, dass das Unwerturteil eines Sittenverstoßes mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrages stets eine umfassenden Gesamtwürdigung des einzelnen Vertrages voraussetzt, wobei einerseits alle wesentlichen äußeren Umstände, namentlich die objektiven Verhältnisse, unter denen der Vertrag zustande gekommen ist, und seine Auswirkungen, andererseits die innere Einstellung der Parteien, namentlich die subjektiven Merkmale wie der verfolgte Zweck und der zugrunde Beweggrund, zu berücksichtigen sind (Rn. 42, m.w.N.). Einer Ausweitung der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB im Fall fehlgeschlagener Sanierungsversuche erteilt der Senat eine Absage auch unter Hinweis darauf, dass sie die differenzierte Regelung (Fristen) der Gläubigeranfechtung nach dem Anfechtungsgesetz und der Insolvenzanfechtung in den §§ 129 ff. InsO überspielte, obwohl grundsätzlich eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung in Betracht kommt, wenn eine Sicherungsübereignung nicht Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist. Der Senat argumentiert, dass die Nichtigkeit einer Sicherungsübereignung gemäß § 138 Abs. 1 BGB weder die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger gewährleistet noch zwingend zugunsten der Gläubiger wirkt, die tatsächlich über die Kreditwürdigkeit des Sicherungsgebers und späteren Insolvenzschuldners getäuscht worden sind. Sie kann – wie der vorliegende Fall zeige – unter Umständen auch einem einzelnen Gläubiger zugutekommen, dessen Vertrag mit dem Insolvenzschuldner Besonderheiten aufweist, die auf einen Vertragsschluss in Kenntnis erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Insolvenzschuldners hindeuten (Rn. 54).
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Vorwurf einer sittenwidrigen Gläubigergefährdung durch eine Kreditvergabe gegen Sicherheitsleistung setzt die Feststellung einer Insolvenzreife, jedenfalls aber Sanierungsbedürftigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt der Vornahme der Sicherungsübereignung voraus. Weitere objektive und subjektive Umstände wie etwa der Inhalt des Sicherungsvertrages (Rn. 59) oder eine durch die Sicherungsübereignung bewirkte Täuschung (Rn. 60) sind in die Gesamtabwägung einzustellen, bevor sich die vom Berufungsgericht allein behandelte Frage einer Prüfpflicht des Kreditgebers stellt.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Ist – wie hier – eine Stufenklage in erster Instanz vollständig abgewiesen worden und bejaht das Berufungsgericht den mit der ersten Stufe geltend gemachten Auskunftsanspruch, so kann es zugleich mit der Verurteilung zur Auskunft die weitergehende Klageabweisung erster Instanz aufheben und – auf Antrag einer Partei – die Sache über die weiteren Stufen entsprechend § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO zurückverweisen (BGH, Urt. v. 03.05.2006 – VIII ZR 168/05 – NJW 2006, 2626 Rn. 13 ff.; BGH, Beschl. v. 22.09.2008 – II ZR 257/07 – NJW 2009, 431 Rn. 12). Will das Berufungsgericht sich nicht auf die Bejahung des Auskunftsanspruchs beschränken, sondern daneben über einen weiteren Anspruch entscheiden, darf es das nur, wenn nicht die Gefahr widersprechender Entscheidungen im weiteren Verfahrenslauf besteht. Der Senat verweist auf die Grundsätze des § 301 ZPO, wonach bei Bestehen einer solchen Gefahr ein Teilurteil nicht ergehen darf. Eine solche Gefahr kann auch bestehen, wenn das Berufungsgericht zwar – wie hier – über den gesamten in seiner Instanz anhängigen Streitgegenstand entscheidet, dabei jedoch hinsichtlich eines Teils der Ansprüche die Entscheidungsreife verneint und die Sache in diesem Umfang an das Landgericht zurückverweist. Ein solches Urteil kommt in seinen Wirkungen einem Teilurteil gleich und darf daher nur unter Beachtung der Voraussetzungen des § 301 ZPO erlassen werden (Rn. 29, m.w.N.).
Im Fall hatte das Berufungsgericht verkannt, dass im Rahmen der Prüfung des zurückverwiesenen Herausgabeanspruchs (Klageantrag zu 2) erneut über das Eigentum der Klägerin an den Waren zu befinden war. Die Gefahr bestand, dass diese – mit der Stattgabe der Klageanträge zu 1) und 3) noch nicht bindend entschiedene – Vorfrage in einem späteren Urteil über den Klageantrag zu 2) anders beurteilt würde.