Nachfolgend ein Beitrag vom 24.10.2016 von Cranshaw, jurisPR-InsR 20/2016 Anm. 1

Orientierungssatz zur Anmerkung

Das BVerwG bekommt Gelegenheit zur Klärung der Frage, ob mit der wirksamen Schließung einer Krankenkasse gemäß § 153 SGB V deren Insolvenzfähigkeit entfällt und ob dies das Erlöschen einer zuvor nach den §§ 10 Abs. 1 und 17 Abs. 2 BetrAVG bestehenden Insolvenzsicherungsbeitragspflicht zur Folge hat.

A. Problemstellung

Die kurze Besprechungsentscheidung des BVerwG befasst sich mit der seltenen Zulassung der Revision auf Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts, hier im Umfeld der Schließung einer gesetzlichen Krankenkasse. Das Ergebnis im Revisionsverfahren wird interessant sein. Die Besprechungsentscheidung wirft einige Fragen zum Insolvenzrecht auf einem Randgebiet auf, das man im Allgemeinen nicht im Blick hat. Die Problematik betrifft die Frage der Insolvenzfähigkeit von gesetzlichen Krankenkassen ebenso wie deren Beitragspflichten nach dem BetrAVG bzw. dem SGB III, dort im Hinblick auf die Refinanzierung des Insolvenzgeldes, wenn die letztere Thematik vorliegend auch nicht Verfahrensgegenstand ist, zumal dieser der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen wäre. Die dem BVerwG vorliegende Konstellation wirft aber auch erneut ein Schlaglicht darauf, dass z.B. über Fragen der eingetretenen Insolvenz oder ihrer Vermeidung in bestimmten Fällen nicht nur die Insolvenzgerichte in ihrem Instanzenzug bzw. die ordentliche Gerichtsbarkeit entscheiden, sondern wie hier (inzidenter) auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ggf. die Sozialgerichtsbarkeit.
Die Problematik ist vorliegend dadurch geprägt, dass der Bundesgesetzgeber in dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG vom 15.12.2008, BGBl I 2008, 2426) in Art. 1 Nr. 7 bis 10 in das SGB V einen Achten Titel „Kassenartenübergreifende Regelungen“ eingefügt hat (§§ 171b ff. SGB V), deren Gegenstand die Einführung der Insolvenzfähigkeit für alle gesetzlichen Krankenkassen einschließlich der „Ersatzkassen“ ist sowie die Behandlung von Krisen- bzw. Zahlungsunfähigkeitsszenarien. Die Fassung des Regierungsentwurfes beschreibt den Hintergrund der Besprechungsentscheidung. Der Bundestagsausschuss für Gesundheit hat hier nur sehr wenig und im hier interessierenden Kontext nichts geändert (vgl. BT-Drs. 16/10609 v. 15.10.2008). Grund für die Neuregelung war, dass etwa die AOK auf Länderebene nicht insolvenzfähig waren (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Verbindung mit Landesrecht), nicht der Landesaufsicht unterstehende Kassen aber schon. Hier sah man eine Wettbewerbsverzerrung, die man für auflösungsbedürftig hielt (vgl. die Regierungsbegründung zu § 171b SGB V-RegE, BT-Drs. 16/9559 v. 15.06.2008, S. 1, 19) und zwar deshalb, weil die Beiträge zur damaligen Insolvenzgeldumlage und die Umlage zur Sicherung der Insolvenzsicherung von Altersversorgungsansprüchen, die nur die „insolvenzfähigen“ Kassen zu zahlen hatten, als „finanziell bedeutsame Ungleichbehandlung“ gesehen wurden (BT-Drs. 16/9559). Das ist die Basis der Besprechungsentscheidung und des darauf folgenden Revisionsverfahrens. Zugleich wird damit deutlich, dass die öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Krankenkassen keineswegs gegen existenzbedrohende Zahlungskrisen gefeit sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits ist eine gesetzliche Krankenkasse (Betriebskrankenkasse), die auch bundesweit für „Betriebsfremde“ offen war und die durch Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 02.11.2011 zum 31.12.2011 geschlossen worden ist. Grund war, dass ihre Leistungsfähigkeit aus dem Blick des Bundesversicherungsamts nicht mehr auf Dauer gesichert war (§ 153 Satz 1 Nr. 3 SGB V). Als Folge hiervon setzte der später beklagte Pensionssicherungsverein (PSV) nach Maßgabe der gemeldeten Bemessungsgrundlage für das Jahr 2012 Beiträge der Klägerin in Höhe von 14.041,99 Euro fest. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos. Auf ihre Klage hat das VG Düsseldorf den Betragsbescheid vom 19.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Die Berufung des beklagten PSV war beim OVG Münster erfolglos, die Revision wurde nicht zugelassen.
II. Auf Nichtzulassungsbeschwerde des PSV hat das BVerwG die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
1. Das BVerwG sieht die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit unter zwei Aspekten. Die Revision könne zu der „voraussichtlich zu klärende

[n]“ Frage führen, ob die Schließung einer Krankenkasse nach § 153 SGB V zugleich den Wegfall von deren Insolvenzfähigkeit (vgl. § 171b Abs. 1 SGB V) zur Folge hat. Die gesetzlichen Krankenkassen sind „rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung“, § 4 Abs. 1 SGB V. Für die der landesrechtlichen Aufsicht unterstehenden Kassen gilt ab dem 01.01.2010 die landesrechtliche Option des Ausschlusses von der Insolvenzverfahrensfähigkeit (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO) nicht mehr; von dieser Möglichkeit haben alle Länder für die ihrer Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts Gebrauch gemacht. Mit dem Wegfall des § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO im Hinblick auf die gesetzlichen Kassen verbleibt es bei deren Insolvenzfähigkeit gem. § 11 Abs. 1 InsO. Ausgenommen von dem Ausschluss eines Insolvenzverfahrens sind bereits seit 2005 öffentlich-rechtliche Banken (und Versicherungen) unter der Aufsicht der Länder, die im marktwirtschaftlichen Wettbewerb stehen.
Für das BVerwG resultiert bei Bejahung des Wegfalls der Insolvenzfähigkeit durch die Schließung der Krankenkasse die weitere Frage, ob damit zugleich die Beitragspflicht an den PSV gem. den §§ 10 Abs. 1, 17 BetrAVG erloschen ist, so dass eine gesetzliche Krankenkasse in der Krise, welche die Schließung nach § 153 SGB V gerade voraussetzt, keine Leistungen mehr an den PSV zu erbringen hätte.
Außerdem meint das BVerwG, die Revision biete ggf. Gelegenheit zur Klärung der Problematik, ob der Kreis der nach § 10 Abs. 1 BetrAVG Beitragspflichtigen durch das sog. Äquivalenzprinzip weitgreifender beschränkt werde, als sich dies aus dem (persönlichen) Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 BetrAVG ergebe, wenn man diese Norm direkt oder ggf. analog anwende. Nach dieser letzteren Norm sind von den hier relevanten Vorschiften des BetrAVG die Gebietskörperschaften ausgenommen ebenso wie diejenigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die insolvenzunfähig sind oder deren Zahlungsfähigkeit kraft Gesetzes durch eine Gebietskörperschaft gewährleistet wird. Das Äquivalenzprinzip beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Leistungen der sozialen Sicherung und den dafür aufzubringenden Beiträgen, die zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen.
2. Das OVG Münster (Urt. v. 08.06.2015 – 12 A 2387/13) hat in den Mittelpunkt seiner nunmehr angefochtenen Berufungsentscheidung gerückt, das sozialversicherungsrechtliche Äquivalenzprinzip spreche gegen die Beitragspflicht der Klägerin nach dem BetrAVG an den PSV. Volle Äquivalenz sei im Sozialversicherungsrecht zwar ausgeschlossen, denn sie sei abgemildert durch den „Grundsatz des sozialen Ausgleichs“, ein Element der solidarischen Beitragslast aller Verpflichteten. Erforderlich sei nicht, dass der Beitrag zur Insolvenzsicherung der Altersvorsorge der Arbeitnehmer zum Ausgleich eines unmittelbaren Vorteils des Beitragsschuldners führe – hier: Übernahme des Insolvenzrisikos; vielmehr dürfe hier kein Missverhältnis zwischen Beitrag und Risikoübernahme bestehen, und der einzelne Beitragspflichtige dürfe nicht im Übermaß zu den Beiträgen herangezogen werden.
Genau eine solche Disproportionalität hat der Senat aber vorliegend bejaht. Die bereits geschlossene Krankenkasse könne nicht mehr in ein Insolvenzverfahren einbezogen werden und daher gehöre sie nicht mehr zu den beitragspflichtigen Arbeitgebern, unter denen „eine solidarische Verteilung“ (der Insolvenzrisiken bezüglich der Altersversorgung) stattfinde. Die Schließung wegen auf Dauer nicht mehr gesicherter Leistungsfähigkeit verhindere, soweit parallel (drohende) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung bei der Krankenkasse vorlägen, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Hier gelte der gesetzliche Vorrang der Schließung vor dem Insolvenzverfahren. Das OVG Münster leitet dies aus der Systematik des § 171b SGB V ab. Nach § 171b Abs. 2 Satz 1 SGB V hat der Vorstand der Krankenkasse bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes dies der Aufsichtsbehörde anzuzeigen, die allein insolvenzantragsbefugt ist (§ 171b Abs. 2 Satz 1 SGB V), die aber bei Vorliegen der Schließungsvoraussetzungen nach § 153 Abs. 1 Nr. 3 SGB V (auf Dauer nicht mehr gesicherte Leistungsfähigkeit) anstelle des Insolvenzverfahrens die Schließung wählen soll. Der Senat setzt sich hierzu ausführlich mit den Gesetzesmaterialien des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung auseinander (GKV-OrgWG, BT-Drs. 16/9559, S, 2, 16, 20) sowie mit der einschlägigen Literatur. Der Gesetzgeber habe „zwei Wege“ aufgezeigt, Schließung oder Insolvenz, und der Schließung den Vorrang zugewiesen. Damit habe er ein auf die Schließung zeitlich folgendes Insolvenzverfahren ausgeschlossen, soweit nicht ein neuer Insolvenzgrund eintritt, der innerhalb der Frist von drei Monaten nach der vorerwähnten Anzeige durch den Vorstand oder auch danach festgestellt wird. Ansonsten verbleibe es ohne neuen Insolvenzgrund dabei, dass nach Ablauf der Dreimonatsfrist, ohne dass die Aufsichtsbehörde Insolvenzantrag gestellt habe, nur noch die Schließung in Frage komme. Nach § 171b Abs. 3 Satz 3 SGB V führt das Unterlassen eines Insolvenzantrags durch die Aufsichtsbehörde innerhalb der Dreimonatsfrist nach der Anzeige nämlich dazu, dass ein Insolvenzantrag wegen der in der Anzeige aufgeführten Gründe unzulässig ist (§ 171b Abs. 3 Satz 3 SGB V). Nach Ablauf dieser Frist sei also nur noch die Schließung zulässig. Gegenteiliges lasse die Gesetzesbegründung nicht erkennen. Die Krankenkasse müsse in solchen Fällen des Vorliegens eines Insolvenzgrundes regelmäßig geschlossen werden, nur besondere Gründe könnten nach der Gesetzesbegründung den Insolvenzantrag rechtfertigen. Das Oberverwaltungsgericht setzt sich sodann mit der gegenteiligen Argumentation der Beklagten auseinander, die die Insolvenzfähigkeit auch nach Schließung mit verschiedenen Gründen bejaht; der Senat lehnt die vorgetragene Betrachtungsweise insgesamt ab. Im Ergebnis fokussiert das Ergebnis des Oberverwaltungsgerichts dahingehend, dass ein Insolvenzverfahren nach erfolgter Schließung der Krankenkasse sinnlos sei. Die Ansprüche der Gläubiger der Krankenkasse, der Versicherten und der Altersversorgungsberechtigten würden als Folge der Schließung vollständig befriedigt oder an ihre Stelle träten andere Verpflichtete (Rn. 56 ff., 57 des Berufungsurteils). Unter anderem verweist das Oberverwaltungsgericht auf die „Haftungskaskade“ des § 155 Abs. 4 SGB V für die Betriebskrankenkassen. Auf Einzelheiten der komplexen Haftungsstrukturen bei Schließung einer (Betriebs-)Krankenkasse, deren Vermögen nach Schließung nicht ausreicht, die Forderungen aller Berechtigten zu erfüllen, kann im vorliegenden Rahmen nicht weiter eingegangen werden. Da im Ergebnis die offenbleibenden Lasten der geschlossenen Kasse von der Gesamtheit der anderen Kassen in der einen oder anderen Art getragen werden, hat der Senat dies zu der Feststellung benutzt, ein vollständiger Ausfall aller Krankenkassen müsse – weil es sich hier um einen „überragend wichtigen Gemeinwohlbelang“ handele – durch den Gesetzgeber verhindert werden, wobei sich das Oberverwaltungsgericht auf das BVerfG (Nichtannahmebeschl. v. 04.02.2004 – 1 BvR 1103/03 – NZS 2005, 479) stützen kann. Ein solcher Ausfall könne daher ausgeschlossen werden. Auf die weiteren Argumente des beklagten PSV im Berufungsverfahren soll nur mit zwei Beispielen eingegangen werden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Erwägung des PSV, ein Bedürfnis für ein Insolvenzverfahren bestehe u.a. deshalb, weil die Situation der für die Verbindlichkeiten der insolventen und geschlossenen Kasse haftenden anderen gesetzlichen Kassen sich dadurch verbessern könnte, zurückgewiesen; die „finanzielle Entlastung der haftenden Krankenkassen“ dürfte, so der Senat, kein sachlicher Grund sein. Auch der Unterschied zwischen der Behandlung der Position der Arbeitnehmer der Kasse bei Schließung (Folge ist die Weiterbeschäftigung in angemessener Position bei einer anderen Kasse derselben Kassenart, allerdings nur für nicht ordentlich kündbare Arbeitsverhältnisse, vgl. die §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V) und in der Insolvenz (Pflicht ist hier das Angebot einer zumutbaren Arbeitsstelle für alle Beschäftigten der insolventen Kasse, vgl. die §§ 171d Abs. 5 i.V.m. 164 Abs. 3 SGB V) sei kein Argument für die Zulässigkeit der Insolvenz nach Schließung. Schließlich erwachse dem beklagten PSV aus dem Ausschluss des Insolvenzverfahrens auch kein Haftungsrisiko (als Folge des BetrAVG, u.a. des § 9 Abs. 2 BetrAVG; die Haftung der anderen Kassen stelle auch kein akzessorisches Sicherungsrecht im Sinn der zitierten Norm dar, das auf den PSV auf Träger der Insolvenzsicherung, vgl. § 14 Abs. 1 BetrAVG, übergehen könnte).

C. Kontext der Entscheidung

I. Kernthema des vorliegenden Verfahrens, Anlass der Zulassung der Revision
Die Entscheidung des OVG Münster, der Beschluss des BVerwG und die zu erwartende Revisionsentscheidung rücken zwei Gesichtspunkte in das Licht der Öffentlichkeit, jedenfalls der Fachöffentlichkeit, die ansonsten eher im Verborgenen bleiben. Zum einen sind gesetzliche Krankenkassen insolvenzfähig. Die Insolvenzfähigkeit wird aber aus systemischen Gründen (wie übrigens auch bei den Banken auf europäischer und nationaler Ebene durch die BRRD-Richtlinie bzw. das BRRD-Umsetzungsgesetz, insbesondere das dort als Art. 1 verabschiedete SAG, das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz) durch andere Mechanismen relativiert (vgl. sogleich unter II.). Zum anderen stellt sich die zunächst erstaunlich erscheinende Frage, ob im Liquidationsstadium einer Körperschaft (vgl. bei der Betriebskrankenkasse § 155 Abs. 1 Satz 1 SGB V), bei der materielle Insolvenz vorliegt, plötzlich die Insolvenzfähigkeit wegfällt und damit auch die Beitragspflicht zum PSV bzw. zur Zahlung der Insolvenzgeldumlage nach Maßgabe der §§ 358 ff. SGB III.
II. Leistungspflichten gegenüber dem PSV, Insolvenzgeldumlage
Die öffentlich-rechtlichen Beitragspflichten gegenüber dem PSV zur Sicherung der betrieblichen Altersversorgung nach dem BetrAVG oder gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezüglich der offenen Löhne und Gehälter (Insolvenzgeldumlage gem. den §§ 358 ff. SGB III) setzen strukturell an der Insolvenzfähigkeit des Arbeitgebers an und bestehen nicht, wenn dieser insolvenzunfähig ist. Die andere Seite der Medaille ist aber dann, dass die betroffenen Arbeitnehmer keinen Anspruch gegen den PSV oder die BA haben, da ihre Ansprüche nicht unter die verschiedenen „Insolvenzereignisse“ des § 165 Abs. 1 SGB III bzw. des § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 4 BetrAVG subsumiert werden können. Andererseits stellen die Strukturen des SGB III und des BetrAVG zur Insolvenzsicherung der Arbeitnehmer weitere selbstständige Zweige der gesetzlichen Sozialversicherung dar, wenn man das etwas pointiert einmal so ausdrücken darf. Es handelt sich um Insolvenzversicherungen der Arbeitnehmer, die nicht nur auf nationalem Recht beruhen, sondern die heute weitgehend durch die europäische Insolvenzsicherungsrichtlinie determiniert wird (RL 2008/94/EG v. 22.10.2008, ABl EU Nr. L 283 v. 28.10.2008, S. 36 ff. und die Vorgängerrichtlinie 80/987/EWG v. 20.10.1980; zu den Versorgungsleistungen oder Anwartschaften darauf vgl. Art. 8 RL). Soweit also PSV oder BA keine Leistungspflichten haben, weil Insolvenzfähigkeit nicht besteht, keine Beiträge bezahlt werden und dennoch Zahlungsunfähigkeit eintritt, hätte die Bundesrepublik gegen europäisches Recht verstoßen, und der Betroffene hätte einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des europäischen Rechts gegen den Bund oder das Land als Träger der jeweiligen Körperschaft – soweit nicht andere (Haftungs-)Mechanismen greifen, die den Arbeitnehmer schadlos stellen bzw. die Weiterzahlung von Lohn und Gehalt sowie von Versorgungsleistungen gewährleisten und auch die Versorgungsanwartschaften in entsprechender Weise schützen. Das zu ersetzende negative Interesse im Fall eines Ersatzanspruchs entspräche hier dem positiven Interesse, nämlich den Leistungen, den die betroffenen Arbeitnehmer nach dem BetrAVG vom PSV bzw. nach den §§ 165 ff. SGB III von der Arbeitsagentur zu erhalten hätten, hätte die dortige Sicherung jeweils bestanden. Die Haftung der Länder nach § 12 Abs. 2 InsO ist im Übrigen durch § 171c SGB V ab dem 01.01.2009 für die Kassen aufgehoben worden, so dass auch deswegen der Schutz der Arbeitnehmer durch anderweitige Regularien ersetzt werden musste, nämlich im Ergebnis die Lastentragung durch andere gesetzliche Kassen.
III. Beseitigung von Wettbewerbshemmnissen unter den Kassen durch Einführung der Beitrags-/Umlagepflicht gegenüber PSV und BA für alle Kassen infolge der bestehenden Insolvenzfähigkeit?
1. Die Begründung des GKV-OrgWG, die Konkurrenz unter den Krankenkassen zu fördern bzw. Wettbewerbsverzerrungen durch die Einführung der Insolvenzfähigkeit aller gesetzlichen Krankenkassen aufzuheben (namentlich wird dort auf die Beitragspflichten zur Insolvenzsicherung gegenüber PSV und BA abgestellt), vermag auch heute nicht wirklich zu überzeugen. Die Insolvenzfähigkeit wird, wie auch die vorliegenden Entscheidungen von OVG Münster und BVerwG zeigen, durchaus sachgerecht nur „halbherzig“ vom Gesetzgeber ausgeführt (vgl. dazu sogleich unter IV.).
2. Zum Weiteren waren die bisherigen Beitragssätze, die sich aus dem Umfang der Lohnsummen (vgl. § 358 Abs. 2 SGB III für die Insolvenzgeldumlage) bzw. aus den Parametern der jeweiligen Altersversorgungszulage, den Versorgungsleistungen und den unverfallbaren Anwartschaften als Bemessungsgrundlage ergeben (vgl. § 10 Abs. 2, 3 BetrAVG für die Beitragspflichten gegenüber dem PSV), wohl nicht geeignet, wirkliche Wettbewerbsverzerrungen zu generieren, wenn ein Teil der Kassen hiervon wegen fehlender Insolvenzfähigkeit davon ausgenommen ist, ein anderer nicht. Der Vorrang der Schließung vor der Insolvenz führt übrigens bei Bejahung der Entscheidung des OVG Münster dazu, dass die Beitragsleistungen der Kassen weiter reduziert werden, denn die geschlossene Kasse hat danach keine Beitragspflichten mehr. Es wird abzuwarten sein, wie das BVerwG entscheidet und ob sich für die Insolvenzgeldumlage die Sozialgerichtsbarkeit dem anschließt.
3. Die Beitragssätze zum PSV liegen seit dem 01.01.1975, dem Beginn der Tätigkeit des PSV, zwischen 0,3% (Jahr 1990) und 1,42% der relevanten Bemessungsgrundlage (im Krisenjahr 2009); 2015 waren es 0,24% (vgl. die „Übersicht über die Entwicklung des PENSIONS-SICHERUNGSVEREINS vom 1. Januar 1975“, Fundstelle: www.psvag.de, abgerufen am 19.10.2016). Der Umlagesatz der Bundesagentur für Arbeit für das Insolvenzgeld liegt bei 0,15% gem. § 360 SGB III, wobei durch die Verordnungsermächtigung gem. § 361 SGB III sichergestellt ist, dass sie dem jeweiligen zu erwartenden Bedarf angepasst wird; für das Jahr 2016 hat die InsoGeldFestV (BGBl I 2015, 1994) den Satz auf 0,12% festgesetzt. Mit anderen Worten geht es für beide Beitragssätze zusammen, wenn man einmal näherungsweise – wenn auch methodisch unrichtig – die gesamte Lohnsumme des betroffenen Unternehmens als Bemessungsgrundlage beider Sicherungen annähme, aktuell um 0,3% der Bruttolohnsumme, insgesamt nach den gemachten Erfahrungen aber auch in extremen Krisenjahren bislang um nicht oder kaum mehr als 2% der relevanten Lohnsumme. Der eine Arbeitgeber finanziert mit seinen Beiträgen mittels eines Solidarprinzips Ausfälle der Arbeitnehmer bei anderen, ohne dass die Arbeitnehmer eigene Beiträge leisten. In einer Organisation mit einer relativ größeren Zahl von Arbeitnehmern ist eine Belastung von 0,3% der Lohnsumme aus personalpolitischer Sicht letztlich geringfügig; 2,0% als Ausnahmeerscheinung können regelmäßig wohl ebenfalls durch geeignete Steuerungsmaßnahmen verkraftet werden. Ein Satz von nur 0,3% ist bei den Tarifverhandlungen wohl sogar einpreisbar. Eine spürbare wettbewerbliche Beeinträchtigung eines Teils der Kassen ging daher von der damaligen Befreiung von der Beitragspflicht nicht aus. Die geringen Umlagesätze für PSV und BA dürften sich übrigens auch kaum auf die Beitragssätze der Kassen auswirken, hätte man das Gesetz nicht geändert und die Kassen unter Landesaufsicht wären weiter insolvenzunfähig.
IV. Insolvenzfähigkeit von gesetzlichen Krankenkassen – eine reale Option?
Die Antwort auf die Frage der Insolvenzfähigkeit und ihre Folgen geben die §§ 171b SGB V ff. Das OVG Münster hat in seinem Berufungsurteil die Gesetzesmaterialien des GKV-OrgWG analysiert mit dem oben umrissenen Ergebnis für die Praxis. In praxi dürfte es daher die Insolvenz einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht geben. Der Gesetzgeber hat sich für ein „bail out“ unter gleichzeitiger Abwicklung der insolventen Kasse entschieden. Das ist auch sinnvoll, denn die Masse der Gläubiger oder der Anspruchsberechtigten auf die Leistungen der Kasse wird durch die Versicherten und ihre Ansprüche determiniert bzw. die an die KÄV zu erbringenden Leistungen. Daneben stehen die Arbeitnehmer der Kasse einschließlich ihrer Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung und schließlich die Gläubiger im Zusammenhang mit dem Betrieb der Krankenkasse (Lieferanten, Werkunternehmer, IT-Dienstleister). Kreditverbindlichkeiten haben die gesetzlichen Kassen freilich nicht, für sie gilt nach § 220 Abs. 1 Satz 2 SGB V ein Darlehensaufnahmeverbot; die Ausnahmeregelung hiervon (§ 222 SGB V a.F.) ist durch das Gesetz vom 22.12.2011 zum 01.01.2012 aufgehoben worden (BGBl I 2011, 2983). Die Kassen sind vielmehr selbst im Hinblick auf die Anlage ihrer etwaigen Reserven Kapitalsammelstellen, die unter der Niedrigzinspolitik bis hin zu Negativzinsen leiden, soweit sie Bankeinlagen getätigt haben; ggf. sind sie sogar Anleger in Schuldscheindarlehen von Unternehmen mit einem herausragenden „investment grade“.
Schließlich darf die wichtige Norm des § 172 SGB V („Vermeidung der Schließung oder Insolvenz von Krankenkassen“) nicht übersehen werden, der alternativ zu Schließung oder Insolvenz die Fusion mit einer anderen Kasse vorsieht, wobei die Zustimmung der übertragenden Kasse bei einer solchen freiwilligen Sanierungs(Fusion) auch von der Aufsichtsbehörde angeordnet werden kann (vgl. § 172 Abs. 3 SGB V).

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Der vom BVerwG zu entscheidende Fall lehrt, dass eine aus dem einen oder anderen Grund für „systemisch“ relevant angesehene Körperschaft (hier die gesetzlichen Krankenkassen als Folge des Sozialstaatsprinzips) in existenzbedrohender ökonomischer Krise trotz § 11 Abs. 1 InsO faktisch keinem von den Gläubigern bestimmten Insolvenzverfahren unterworfen werden soll.
II. Vielmehr wird eine solche systemisch wichtige Körperschaft entweder saniert, soweit dies möglich erscheint, und zwar prinzipiell ohne Kosten für die Allgemeinheit wie bei den Banken nach dem SAG bzw. dem europäischen Recht, d.h. durch „bail in“, die Tragung von Sanierungs- und Teilabwicklungslasten durch Gläubiger bzw. Anleger der Körperschaft und natürlich auch durch deren Gesellschafter. Dies ist im Ergebnis dasselbe wie im Insolvenzverfahren, aber eben unter staatlicher verwaltungsrechtlicher Ägide und Bestimmung ohne aktive Beteiligung der Gläubiger, also ohne jede Gläubigerautonomie.
III. Ganz ähnlich ist dies bei den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, die bei Leistungsinsuffizienz oder bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes ggf. als Körperschaft liquidiert werden, hier ebenfalls unter Leitung der Aufsichtsbehörde, aber durch „bail out“. Dies geschieht im Interesse des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung auf Kosten der anderen gesetzlichen Kassen und ihrer Organisationen, d.h. im Wesentlichen auf Kosten der Beitragszahler der haftenden Versicherungen, denn im Wesentlichen refinanziert sich die Kasse hierdurch. Das ist auch eine Folge des Solidarprinzips (vgl. z.B. die §§ 1, 3, 220 SGB V), zumal die gesetzliche Krankenversicherung weiten Kreisen offensteht, entweder durch Pflichtversicherung (vgl. § 5 SGB V), durch freiwillige Versicherung (vgl. § 9 SGB V) oder Familienversicherung (vgl. § 10 SGB V). Das Ergebnis ist richtig und Folge des Sozialstaatsprinzips. Ein Insolvenzverfahren erschiene auch vor dem Hintergrund fraglich, dass die weitaus meisten „Gläubiger“ die Versicherten mit ihren sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen sind.
IV. Fazit: Dem OVG Münster ist zuzustimmen. Ob es allerdings der dort transparent werdenden komplexen gesetzlichen Konstruktion über die Konkurrenz zwischen Schließung und Insolvenz der gesetzlichen Kassen angesichts der überschaubaren Aufwendungen für den PSV sowie die BA bedurfte hätte, darf hinterfragt werden. Den Wettbewerb unter den Kassen dürfte die Beitragspflicht praktisch nicht beeinflussen – der Gesetzgeber hat mit beachtlicher Komplexität wohl eher ein de minimis-Problem geregelt.