KG Berlin, Urteil vom 29. Oktober 2013 – 26a U 88/13 –, juris

Orientierungssatz

§ 66 StBerG ist nach dessen Sinn und Zweck sowie dem Kontext der einzelnen Absätze eindeutig eine Pflicht des Steuerberaters zur Herausgabe seiner Handakten an den Mandanten zu entnehmen.


Aus den Entscheidungsgründen

Die Pflicht des Steuerberaters zur Herausgabe seiner Handakten an den Mandanten wird in § 66 StBerG vorausgesetzt, aber nicht normiert. Gleichwohl ist eine solche berufsrechtliche Herausgabepflicht unmittelbar aus dieser Vorschrift nach deren Sinn und Zweck sowie aus dem Kontext ihrer einzelnen Absätze eindeutig zu entnehmen (Goez in Kuhls, StBerG, 3. Aufl., 2012, § 66 Rdnr. 21). Im Mandatsverhältnis ergibt sich eine Herausgabepflicht aus §§ 667, 675 Abs. 1, 611 ff. BGB. Danach hat der Steuerberater dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. Dies umfasst auch die Handakten und gilt auch, soweit sich derSteuerberater zum Führen von Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedient (Goez, a. a. O., § 66 Rdnr. 21; BGH, Urteil vom 11.03.2004 – IX ZR 178/03MDR 2004, 967, Rdnr. 5 nach juris). Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist jeder Vorteil, den der Beauftragte aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit dem geführten Geschäft erhalten hat. Nach dieser Alternative sind auch die vom Beauftragten über die Geschäftsbesorgung selbst angelegten Akten, sonstigen Unterlagen und Dateien – mit Ausnahme von privaten Aufzeichnungen – herauszugeben (BGH – IX ZR 178/03 – a. a. O., Rdnr. 5 nach juris).

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG kann der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG normiert ein Zurückbehaltungs- und Leistungsverweigerungsrecht speziell in Bezug auf die – im oben genannten Sinn zu verstehenden – Handakten. Da diese vorliegend betroffen sind, ist nicht auf die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 66 StBerG heranzuziehenden allgemeinen Vorschriften der §§ 273, 320 BGB zurückzugreifen (vgl. OLG München, DStR 2012, 1939 Rdnr. 15 nach juris).

Nach § 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG darf der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten aber nicht verweigern, soweit die Vorenthaltung der Handakten und der einzelnen Schriftstücke nach den Umständen unangemessen ist. Dieser ausdrückliche Vorbehalt der Angemessenheit ist letztlich Ausfluss des Gebots von Treu und Glauben, § 242 BGB. Dabei wird im Besonderen auf die Verhältnismäßigkeit, also auf die Bedeutung der zurückbehaltenen Unterlagen für den Mandanten einerseits und auf die Höhe der Gebührenforderung des Steuerberaters andererseits, abgestellt. Die Zurückbehaltung der Handakten kann etwa dann treuwidrig sein, wenn der Steuerberater hinsichtlich der Erfüllung seines Anspruchs ausreichend gesichert ist oder wenn die Honorarforderung unverhältnismäßig gering ist (Goez, a. a. O., § 66 Rdnrn. 35, 36).