Nachfolgend ein Beitrag vom 29.3.2003 von Jürgen Wand in der
Ohnesorge Theater leidenschaftlich gern
Er wirkt gelassen, mit einem Lächeln im Gesicht, aus dem ein wenig der Schelm lugt; vertieft sich in Gespräche, als ob die Gedanken frei sind. Sein langer schwarzer Trenchcoat flattert hinter ihm her, sobald er auf den nächsten Gesprächspartner zugeht. Eher zustürmt? Vielleicht ein wenig. Kurz und gut: Er verhält sich, wie ihn jeder kennt. Am Tag, als die Ministerin den Förderbescheid bringt und so wohl auch für ein Stück Befreiung in seiner Seele sorgt.
Von Jürgen Wand
Die Wochen und Monate vorher nämlich hatten es in sich, die selbst einen wie ihn, der die Unwägbarkeiten der Bürokratie kennt, dazulernen ließen. Doch das Äußere trügt ein wenig, denn ganz so gelassen, abgeklärt ist er doch nicht. Jedenfalls nicht immer. Sagt jemand, der ihn noch besser kennt als ihn jeder kennt – seine Kollegin und Ehefrau. Es ist wohl ein Stück Lebenserfahrung in seinem Job, die ihn so geprägt hat: nicht gleich zu offenbaren, dass es in einem brodelt.
Carsten Oehlmann. Als Vorsitzender der Kilianistiftung hat er den Hut auf für das wohl Schwierigste bei einem der wohl kulturvollsten Projekte, die es je in Mühlhau- sen gab. Es geht um die Beschaffung des Eigenanteils für den Umbau der ausgedienten Kilianikirche zu einer 3K-Theaterwerkstatt. Rund eine halbe Million. Und mit dem Besuch von Dagmar Schipanski an jenem 12. November 2002 ist das Vorhaben „unumkehrbar geworden“, wie er in seiner Rede in der alten Autowerkstatt tri- umphiert. Die Genugtuung sieht man ihm an. Auch das Selbstbewusstsein. Dieses Projekt spiegelt viel von seiner Seele wider. Es lässt ihn nicht mehr los. Darf es auch nicht, wenn sich der Erfolg nachhaltig einstellen soll. Das ist er der Flasche Rotwein schuldig, bei der er mit dem Oberbürgermeister erfolgreich auf Ideensuche ging …
Seine Erkenntnis, dass „der Kultur eine gesellschaftspolitisch herausragende Bedeutung zukommt und als so genannter weicher Standortfaktor auch für die hiesige Wirtschaftsentwicklung mit entscheidend ist“, wird von vielen geteilt. Es könnten noch mehr sein. „Bitte melde dich!“ Zweifelsohne eine gewaltige Herausforderung.
Doch die gab es in seinem Leben schon en masse. Vielleicht nicht ganz so bürgerwirksam wie die in seiner neuen Heimat, in Mühlhausen. Nachdem er 1993 vom hessischen Gießen ausgezogen war, die jungen Länder kennen zu lernen. Als „reisender“ Wirtschaftsanwalt in Sachen Unternehmenssanierung und Insolvenz. Woraus so rasant wie die Entwicklung in der Region ein neues Standbein für die bis dahin in Hessen und Sachsen tätige Sozietät wurde.
Mit dabei die ebenfalls als Rechtsanwältin tätige Ehefrau Birgit – seit 2002 mit einer eigenen Kanzlei im Geschaft. Der Insider erinnert sich: Richtig, die Insolvenzverwalterin beim Mühlhäuser Sporthotel und bei AX syscom. Doch ist die Abwicklung von Betrieben in einem Gebiet, in dem blühende Landschaffen entstehen sollen, wirklich die berufliche Erfüllung? Ja, dann nämlich, wenn in der Insolvenz strukturell möglichst viele Betriebe gerettet werden können. Sozusagen Neuentwicklung statt Abwicklung, Sanierung statt Verwaltung. Wie bei den Oehlmanns.
„Uns liegt eben die oftmals praktizierte Totschlagmentalität nicht.“ Womit sich der heute 42-Jährige nicht nur Freunde macht. Vielleicht war dieser Erfolg auch der Grund, ihn damit zu beauftragen, der durch die Scholdan-Affäre Anfang der Neunziger arg gebeutelten Sparkasse Unstrut-Hainich wieder auf die Beine zu helfen. Im Klartext: In einer mehrjährigen Projektarbeit federführend den Neuaufbau der Rechtsabteilung des Kreditinstituts zu betreiben. Wer weiß das schon (oder noch)?
Oder Konermann und Thuringia, „notleidende Engagements“, wie er sie bezeichnet, die über seinen Schreibtisch „gingen“. Weitere Spuren von ihm in Mühlhausen: der Bau der neuen Polizeiinspektion in der Brunnenstraße, die Beschaffung des Grundstücks für das neue Berufliche Ausbildungszentrum an der Sondershäuser Landstraße, die Geburt der Burggalerie An der Burg.
Apropos, als die erste Tochter Helena 1996 das Licht der Welt erblickte, mussten die Oehlmanns eine wichtige Entscheidung treffen: Wo soll ihr künftiger Lebensmittelpunkt sein? Während sich die Ehefrau noch in Gießen Häuser und Baugrundstücke anschaute, zeigte ein Mühlhäuser Geschäftspartner dem Ehemann das Anwesen am Stadtwald 27. Wow! Zwar vom ehemaligen Nutzer nicht gerade gepflegt hinterlassen und das „Rapunzelschloss“ mittendrin in einem erbärmlichen Zustand. Doch er hat sich sofort verliebt. Nach zwei Handy-Stunden hatte er seine Birgit überzeugt, dass es nicht „Rapunzel“, sondern das „Schloss“ ist, das es ihm angetan hat. Bis heute haben die beiden diese Entscheidung nicht bereut. Kein Wunder, denn aus der einstigen Dschungel-Landschaft wurde ein wunderschön angelegter Park, in dem das sanierte Gebäude mit dem Rapunzelturm thront. Immerhin 6000 Stunden hat er selbst mit Hand angelegt. Man traut ihm das gar nicht zu. Im Übrigen, einmal im Jahr ist das Terrain Treffpunkt für viele seiner Freunde, Geschäftskunden und Ansprechpartner im öffentlichen Leben – beim mitt- lerweile schon traditionellen Sommerfest der Kanzlei.
Immer mit einem Bühnen-Bonbon durch die 3K-Theaterwerkstatt als Überraschung. „Ehrlich gesagt“, meint er, „sollte der Stadtwald 27 nur der Wohnsitz der Familie werden.“ Doch nach einem kurzen Stelldichein in Bad Langensalza, bis das Anwesen in der Kreisstadt zum Einzug fertig war, und nach der Geburt der zweiten Tochter Sophia 1998 entwickelte sich der neue Standort „aus Versehen so sprunghaft“, dass die Hauptniederlassung in Gießen im Anwaltsbereich übertroffen wurde. Die Priorität lag somit klar auf der Hand: Mühlhausen. Wenn Carsten Oehlmann auch in seiner berufenen Aufgabe als Kilianistifter die Fäden im Hintergrund knüpft, das Rampenlicht gern denen überlässt, die etwas vom (Bühnen-) Fach verstehen, zeigt er sich in seiner Berufsaufgabe eher ganz anders. Offensiv, energisch, ja impulsiv, leidenschaftlich, mitunter unbequem, sehr direkt, was weh tun, auch manchmal verletzen kann. Doch sein Lächeln wirkt oft wie ein Trostpflaster: Wenigstens das.
Er ist aber nicht jemand, der uneinsichtig bleibt, wenn ein anderes als das eigene Argument überzeugt. Dann lenkt er ein, wenngleich ihm das nicht immer leicht fällt, ein bisschen eitel ist er schon. Aber: Seines möglichen Siegs über ihn ist man erst sicher, wenn der Vorhang der letzten Instanz fällt. Gehobener Respekt einer von ihm geschätzten Richterin: „Sie sind ein Trüffelschwein!“ Will meinen, er sucht und sucht – Und findet tatsächlich noch am letzten Tag eines über vier Jahre dauernden Prozesses das entscheidende Argument, das die Richterin überzeugt. Kurz: Ein Frontmann, der weiß, was er will, der das Rampenlicht sucht — und wohl auch immer findet. Gern ergreift er selbst die Initiative; gleichwohl ist er ein Mann, der den Konsens sucht, den Kompromiss. So ist es auch zu erklären, dass er 85 Prozent seiner streitigen Fälle außergerichtlich klärt.
Ein Ergebnis, das möglich wurde, nicht zuletzt, weil er seinen scharfen Verstand gnadenlos bedient. Denn der Erfolg ist ihm schon wichtig. So überlässt er auch nichts dem Zufall, wenngleich er es dem Zufall verdankt, dass ihm die Oper „Nabucco“ heute die liebste ist. Seine spätere Ehefrau war es, die ihn zum Besuch einer Aufführung überredete, als deren Freundin kurzfristig absagen und die erstandene Karte zurückgeben musste. Damit waren wohl nicht nur die wilden Jahre in seinen Musikauffassungen passe. Auch wenn er heute noch so mancher Erinnerung, so manchem Kindheitstraum nächhängt. Wie dem des „Kleinen Häwelmannes“ — Geschichten aus einem Kinderbuch von Theodor Storm. In seinem Bett auf Rädern erlebt Häwelmann eine fantastische Reise zum gutmütigen, alten Mond…
Alte Kinderstubenromantik. Ein Geschenk von Verwandten aus der ehemaligen DDR, verlegt in einem Leipziger VEB-Verlag. Noch heute eine der Kostbarkeiten, die er aus seiner Kindheit in das Erwachsensein hinübergerettet und denen er einen gebührenden Platz in der Gegenwart eingeräumt hat. Wie gern hätte er das Lieb- lingsstück auf der 3K-Bühne. Weil er überzeugt ist, dass es auch den Kindern von heute gefallen würde. „Woll’n wir wetten?“ Doch dazu bedarf es wohl noch Überzeugungsarbeit (womöglich bei einer Flasche Wein), um dem Theaterleiter Bernhard Ohnesorge das Okay zu entlocken. Als Premierenstück im neu auf- gestellten Ohnesorge-Theater? Könnte durchaus sein.
Könnte auch sein, dass er der neue Berater des Mühlhäuser Oberbürgermeisters ist? Und wieder huscht ein Lä cheln über sein Gesicht. Er wirkt fast ein wenig verlegen. „Nur gelegentlich“, erwidert er. Weder als Frontmann noch als jemand, der die Fäden im Hintergrund knüpft. Einfach nur beratend, wie zu einem guten alten Freund. Spricht nicht schon einiges dafür, dass das längst begonnen hat? Prüfung der Übernahme kreiseigener Einrichtungen, wie Musikschule und Schul- landheim, durch die Stadt? Oder Beteiligung an der Unstrut-Hainich Kreiskrankenhaus gGmbH? Oder Mineralwasser aus dem Hainich? Oder Umfunktionierung einstiger Fabrikschlote zu originellen Werbeträgem? Oder die Überführung der Kindergärten in die freie Trägerschaft? Wenngleich, alles ist noch im Stadium der Abwägung und Prüfung, da ist noch nichts in trockenen Tüchern. Gut Ding braucht Weile? Offensichtlich. Und gute gereifte Argumente, die einen selbstbewussten Stadtrat überzeugen können.
Der Wahl-Mühlhäuser erinnert daran, dass auch die Kiliani-Idee ihre Zeit beanspruchte, ehe sie reif für eine Umsetzung war. Doch ließ er schon mal durchblicken, dass da alsbald mit etwas zu rechnen ist. Möge der Rotwein nie versiegen …
TA vom 29.03.2003