Nachfolgend ein Beitrag vom 24.9.2018 von Wehner, jurisPR-InsR 19/2018 Anm. 3
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Das Steuergeheimnis wird bei Einsicht des Insolvenzverwalters in die den Schuldner betreffenden steuerlichen Unterlagen nicht verletzt. Für den Insolvenzverwalter gilt insoweit nichts anderes als für den steuerpflichtigen Insolvenzschuldner.
2. Das Steuergeheimnis steht dem Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber dem Finanzamt auch dann nicht entgegen, wenn die Auskunft mit Blick auf mögliche Anfechtungen begehrt wird.
A. Problemstellung
Die Finanzverwaltung sieht in den landesrechtlichen Auskunftsansprüchen des Insolvenzverwalters einen Konflikt mit dem bundesrechtlich statuierten Steuergeheimnis.
Die Finanzverwaltung gehört neben den Sozialversicherungsträgern und den Energieversorgern zu den Gläubigern, die sich am häufigsten mit Insolvenzanfechtungsansprüchen von Insolvenzverwaltern konfrontiert sehen. Im zivilrechtlichen Anfechtungsprozess gilt die Parteimaxime. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die Finanzverwaltung kein Interesse daran hat, den Insolvenzverwaltern beim Zusammentragen von Anfechtungsansprüchen behilflich zu sein. Gläubiger, die nicht in den Anwendungsbereich eines Informationsfreiheitsgesetzes fallen, können sich gegen solche Auskunftsersuchen mit dem Verweis auf den verbotenen Ausforschungsbeweis verteidigen. Insoweit ist die Finanzverwaltung gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt. Doch auch zwischen den einzelnen Ländern zeigen sich Unterschiede. Die Finanzverwaltung in den Freistaaten Bayern und Sachsen sowie in Niedersachsen sieht sich keinem Landes-Informationsfreiheitsgesetz ausgesetzt
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Insolvenzverwalter beantragte beim Finanzamt die Übersendung von Kontoauszügen aller dort geführten Steuerarten betreffend die Insolvenzschuldnerin. Den Antrag stützte der Insolvenzverwalter auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW). Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Das VG Köln und das OVG Münster hatten der gegen die ablehnende Entscheidung gerichteten Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben.
Das OVG Münster hatte bereits entschieden, dass der Anspruch des Insolvenzverwalters aus § 4 Abs. 1 IFG NRW folgt. Es geht vorliegend nicht um das Akteneinsichtsrecht in ein steuerliches Verwaltungsverfahren. Der Insolvenzverwalter handelt bei seinem Auskunftsverlangen, das der Ermittlung anfechtbarer Zahlungen auf Steuerschulden dient, nicht gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO in Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners.
Das Steuergeheimnis nach § 80 AO wird durch den Informationsanspruch nicht verletzt. Die begehrten Auskünfte sind gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht geheimhaltungsbedürftig. Der Insolvenzverwalter kann nach Übergang der Verfügungsbefugnis als nunmehr Betroffener i.S.v. § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO das Finanzamt von der Beachtung des Steuergeheimnisses entbinden. Dieser Befreiung bedarf es nicht, wenn der Insolvenzverwalter die Herausgabe steuerlicher Daten an sich selbst begehrt. Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO erstreckt sich auch auf Geschäftsgeheimnisse und steuerliche Daten, soweit dies für die ordnungsgemäße Verwaltung der Insolvenzmasse und die Insolvenzabwicklung erforderlich ist. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzschuldner gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse hat. Der Insolvenzschuldner hat eine Mitwirkungspflicht, welche die Verpflichtung umfasst, das Finanzamt vom Steuergeheimnis zu befreien. Die Geheimhaltungsinteressen des Insolvenzschuldners müssen deswegen zurücktreten.
Die Beklagte hält mit der Revision ihre Rüge der Verletzung des Steuergeheimnisses aufrecht. Die Durchbrechung des Steuergeheimnisses sei nicht durch eine der abschließenden Regelungen nach § 30 Abs. 4 bis 6 AO gerechtfertigt. Der Kläger als Insolvenzverwalter sei nicht Betroffener i.S.v. § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO und könne folglich nicht von der Wahrung des Steuergeheimnisses entbinden. Den Regelungen in den §§ 97 ff. InsO sei nur ein Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner zu entnehmen.
Das BVerwG hat die Revision zurückgewiesen und Folgendes ergänzt: Das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt nicht gegen Bundesrecht. Die beantragten Informationen sind nicht für die materiell-rechtlichen Steueransprüche, sondern in erster Linie für die insolvenzrechtlich relevanten Zahlungsflüsse als ggf. anfechtbare Rechtshandlungen i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO von Interesse. Der gegen das Finanzamt gerichtete Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr insolvenzrechtlich angefochtener Leistungen zählt nicht zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Insolvenzanfechtung führt lediglich zur Unwirksamkeit der die Gläubiger benachteiligenden Rechtshandlung, jedoch nicht zur Unwirksamkeit der dieser zugrunde liegenden Verpflichtung. Vielmehr bleibt der Rechtsgrund einer angefochtenen Leistung – hier die steuerlichen Ansprüche – von der Insolvenzanfechtung unberührt. Das Auskunftsverlangen unterfällt demnach nicht der Regelung des § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO.
Die beantragten Informationen sind aber grundsätzlich vom Steuergeheimnis erfasst. Nach allgemeiner Auffassung entfällt der Schutz des Steuergeheimnisses gegenüber dem Steuerpflichtigen allerdings, soweit dessen eigene Verhältnisse betroffen sind. Bei einer Informationsweitergabe an den betroffenen „Geheimnisherrn“ fehlt es vielmehr an der Verletzungshandlung, nämlich einem Offenbaren der geschützten Information. Gleiches gilt für Personen, die von Rechts wegen in Bezug auf die Verfügung über das geschützte Wissen an die Stelle des Betroffenen treten. Hierzu zählt nach § 80 Abs. 1 InsO auch der Insolvenzverwalter, wenn die Information einen Massebezug hat. Da sich die Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO auch auf Maßnahmen zur Erweiterung der Insolvenzmasse im Wege der Anfechtung erstreckt, kann er grundsätzlich über alle Geheimnisse des Insolvenzschuldners verfügen, die hierfür von Belang sind. Die Vorschriften nach den §§ 97 ff. InsO schließen die Berufung auf die Rechtswirkungen des § 80 Abs. 1 InsO nicht aus.
Das Recht auf Wahrung des Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht und kann folglich auch kein die insolvenzrechtlichen Grundsätze überspielendes Gewicht beanspruchen. Auch die grundrechtlichen Garantien gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG, gegebenenfalls i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, stehen der Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nicht entgegen. Die Verwendung der begehrten Informationen für einen Anfechtungsrechtsstreit dient dem gesetzlichen Zweck der gemeinschaftlichen und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger (§ 1 Satz 1 InsO) und ist demnach durch Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt.
C. Kontext der Entscheidung
I. Die Entscheidung des BVerwG stellt klar, dass das Steuergeheimnis dem landesrechtlichen Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nicht entgegensteht. Auf den Insolvenzverwalter geht gemäß § 80 InsO auch die Geheimnis-Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über, soweit die Insolvenzmasse betroffen ist.
II. Wichtig ist auch die Klarstellung, dass der Auskunftsanspruch zur Ermittlung von Anfechtungsansprüchen nicht das Steuerverfahren betrifft. Denn in einigen Informationsfreiheitsgesetzen, so zum Beispiel in § 3 Nr. 11 Informationszugangsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt oder § 2 Abs. 3 Nr. 4 Landesinformationsfreiheitsgesetz Baden-Württemberg ist die Finanzverwaltung aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen, soweit diese in Steuersachen tätig wird.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung wird den Insolvenzverwaltern die Arbeit zumindest in den Ländern mit Informationsfreiheitsgesetzen erleichtern. Bei Anhaltspunkten für eine verspätete Insolvenzantragstellung dürfte es spätestens seit der klarstellenden Entscheidung des BVerwG zum Pflichtenkreis der Insolvenzverwalter gehören, die Auskunftsansprüche zur Massemehrung zu nutzen. Die Entscheidung könnte auch die Zivilgerichte entlasten. Denn wenn die Fakten darüber, was die Finanzverwaltung wusste, auf dem Tisch liegen, ist verstärkt mit einer außergerichtlichen Verständigung über das Bestehen der Anfechtungsansprüche zu rechnen.
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