Nachfolgend ein Beitrag vom 26.2.2018 von Roth, jurisPR-InsR 4/2018 Anm. 2

Leitsatz

Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Fall einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG ist entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; die Steuerberichtigung wirkt insolvenzrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurück.

A. Problemstellung

Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter vorgenommene Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG auswirkt und ob die Finanzverwaltung mit früheren Steueransprüchen gegen den durch die Berichtigung entstandenen Steuererstattungsanspruch (Restguthaben) aufrechnen kann.
Die Aufrechnung durch das Finanzamt soll dann nach dem insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig sein, wenn in den Fällen der nachgelagerten Steuerkorrektur der Umsatzsteuererstattungsanspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht. Denn erst zu diesem späteren Zeitpunkt sind sämtliche für den Korrekturtatbestand relevanten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Bei einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG ist dafür entscheidend, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urt. v. 19.09.2000 – C-454/98 „Schmeink & Cofreth und Strobel“; Urt. v. 11.04.2013 – C-138/12 „Rusedespred“) endgültig feststehen muss, dass jedwede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist. Im Streitfall konnte diese Gefährdung des Steueraufkommens erst definitiv nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt werden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger wurde mit Beschluss vom 21.02.2003 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin bestellt. Die Insolvenzschuldnerin hatte in 2002 Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis erteilt und Umsatzsteuer an das beklagte Finanzamt abgeführt.
Das für einen Rechnungsempfänger des Insolvenzschuldners zuständige Finanzamt versagte diesem in 2003 die Vorsteuererstattung. Dabei vertrat es die Auffassung, dass die Insolvenzschuldnerin keine Leistung erbracht habe und deshalb nicht berechtigt gewesen sei, Umsatzsteuer in Ihren Rechnungen auszuweisen.
Der Rechnungsempfänger hatte dagegen erfolglos Klage beim zuständigen FG Hamburg eingereicht. Eine gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Rechnungsempfänger schließlich in 2008 zurückgenommen.
Anfang 2009 berichtigte der Kläger die von der Insolvenzschuldnerin erstellten Rechnungen und beantragte beim beklagten Finanzamt, den geschuldeten Steuerbetrag gemäß § 14c Abs. 2 Satz 5 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG zu berichtigen. Der Beklagte lehnte die Korrektur der Umsatzsteuer für 2002 mit der Begründung ab, dass eine Berichtigung erst für den Besteuerungszeitraum 2008 erfolgen könne.
Ende 2012 reichte der Kläger die Umsatzsteuererklärung für 2008 ein, in der er eine Minderung der Umsatzsteuer wegen der nicht durchgeführten Leistungen aus dem Jahr 2002 berücksichtigte. Das Finanzamt änderte daraufhin den Umsatzsteuerbescheid, der ein Restguthaben infolge der Umsatzsteuerminderung auswies.
Das Finanzamt rechnete jedoch mit den Ansprüchen aus Bescheiden über Umsatzsteuervorauszahlungen 2002 gegen das Guthaben der Insolvenzschuldnerin aus der Umsatzsteuer 2008 auf. Nachdem der Kläger dieser Aufrechnung widersprochen hatte, erließ der Beklagte den im Klageverfahren angegriffenen Abrechnungsbescheid, mit dem es die Aufrechnung bestätigte. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Klägers wies das Finanzamt als unbegründet zurück.
Die Vorinstanz (FG Hamburg) hob den Abrechnungsbescheid mit der Begründung auf, dass der Umsatzsteuererstattungsanspruch des Klägers erst im Jahr 2008 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei. Denn die Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens sei eine materiell-rechtliche und nicht bloß verfahrensrechtliche Voraussetzung für die Berichtigung gemäß § 14c Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG und diese Voraussetzung sei erst durch die rechtskräftige Entscheidung des FG Hamburg (im Verfahren des Rechnungsempfängers) erfüllt worden.
Der BFH hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt und die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung für unzulässig erachtet.
Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn der Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Im hiesigen Fall war das Steuerguthaben erst nach Insolvenzeröffnung entstanden. Für den § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO und damit für die Frage, ob ein Insolvenzgläubiger der Masse erst etwas nach der Insolvenzverfahrenseröffnung schuldig geworden sei, ist entscheidend, ob der den Anspruch begründende Tatbestand bereits vor oder erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig verwirklicht ist. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die zu berichtigende Umsatzsteuer erst mit der Vornahme des unberechtigten Steuerausweises entstehe und materiell-rechtlich bis zur Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG fortbestehe.
Eine Rechnungsberichtigung gemäß § 14 Abs. 2 UStG wirkt danach erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung, jedoch nicht auf den Besteuerungszeitraum der Rechnungserteilung zurück. Der entscheidende Besteuerungszeitraum wäre hier der Zeitraum, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist, wofür wiederum eine jedwede Gefährdung des Steueraufkommens endgültig ausgeschlossen sein muss. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war die Gefährdung des Steueraufkommens erst endgültig mit der rechtskräftigen Ablehnung des Vorsteuerabzugs beim Rechnungsempfänger in 2008 und somit erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt worden, so dass der Korrekturtatbestand des § 14c Abs. 2 UStG auch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig verwirklicht gewesen war.

C. Kontext der Entscheidung

Das besprochene Urteil stellt eine grundlegende Rechtsprechungsänderung des BFH dar. Mit dieser Entscheidung hat der BFH seine bisherige Auffassung, dass ein Steuererstattungsanspruch insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Rechnungserteilung entsteht (so noch in BFH, Urt. v. 04.02.2005 – VII R 20/04), aufgegeben. Der VII. Senat des BFH stellt damit ein weiteres Mal klar, dass eine Steuerberichtigung während des Insolvenzverfahrens nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurückwirkt.
Mit dieser Entscheidung führt der VII. Senat des BFH zugleich seine bisherige Rechtsprechungslinie im Falle der nachträglichen Steuerberichtigung konsequent fort. Er hatte bereits mit Urteil vom 25.07.2012 (VII R 29/11) eine Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO für unzulässig erklärt, wenn aufgrund eines erst während des Insolvenzverfahrens eingetretenen Tatbestands die Umsatzsteuer nach dem Korrekturtatbestand des § 17 Abs. 2 UStG zu berichtigen ist. Auch dort hatte er den Grundsatz bestätigt, dass eine Umsatzsteuerkorrektur erst dann vollständig erfolgt ist, wenn sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Steuer- bzw. Vergütungsanspruchs erfüllt sind. Mit dem vorliegenden Judikat schafft er bezüglich der Frage der Aufrechenbarkeit einen Gleichlauf zwischen den Korrekturvorschriften des § 17 Abs. 2 und des § 14c Abs. 2 UStG.
Der VII. Senat des BFH lässt hingegen die – für den Entscheidungsfall unerhebliche – Frage unbeantwortet, ob die nachträgliche Rechnungsberichtigung (im Streitfall in 2009) Teil der materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen ist, um einen Erstattungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG entstehen zu lassen.
In einem Nebensatz bezieht der BFH in seiner insgesamt nachvollziehbar begründeten Entscheidung noch zu einer verfahrensrechtlichen Frage Position. Die finanzamtliche Zustimmung zur Steuerberichtigung des die Korrektur betreffenden Besteuerungszeitraums nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG erfolge durch Verwaltungsakt und entfalte Bindungswirkung für das weitere Verfahren.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BFH schafft auf den ersten Blick Rechtssicherheit zu einer insolvenzsteuerlichen Frage, die bisher durch eine anderslautende Auffassung der Finanzverwaltung zu § 14c Abs. 2 UStG im Umsatzsteuer-Anwendungserlass gegenteilig beantwortet wurde. Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 6 UStAE besagt, wenn beim Empfänger kein Vorsteuerabzug vorgenommen wurde, so ist der wegen der unberechtigten Steuerausweises geschuldete Betrag beim Aussteller der Rechnung für den Zeitraum zu berichtigen, in dem die Steuer nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG entstanden ist. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung reagiert – ob sie den Anwendungserlass im Hinblick auf die neue BFH-Entscheidung ändern oder bezüglich der besprochenen Entscheidung mit einem Nicht-Anwendungserlass gegensteuern wird. Insbesondere im Zusammenhang mit Umsatzsteuerkarussellen wird man dieser Entscheidung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung beimessen dürfen (so auch de Weerth, EWiR 2017, 343, 344).

Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bei unberechtigtem Steuerausweis
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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