Nachfolgend ein Beitrag vom 4.12.2017 von Schießl, jurisPR-SteuerR 49/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Unter § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG können deshalb auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden, fallen.
2. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken „im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren“ (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 Alt. 2 EStG) liegt vor, wenn das Gebäude in einem zusammenhängenden Zeitraum genutzt wird, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen.

A. Problemstellung

Die Entscheidung betrifft die für die Praxis bedeutsame Frage, ob der Gewinn aus der innerhalb der zehnjährigen Haltefrist erfolgten Veräußerung einer als Zweitwohnung genutzten Immobilie als privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu versteuern ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin und ihr Bruder erwarben am 05.03.1998 von ihrem Vater ein bebautes Grundstück in A zu jeweils hälftigem Miteigentum. Die Klägerin und ihr Bruder vermieteten die Immobilie anschließend an den Vater. Das Mietverhältnis endete mit Ablauf des Monats November 2004. Danach nutzte die Klägerin die Immobilie selbst. Am 02.06.2006 erwarb sie von ihrem Bruder dessen hälftigen Miteigentumsanteil hinzu. Mit Vertrag vom 07.09.2006 veräußerte die Klägerin das Objekt. Sie erzielte einen Veräußerungsgewinn.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2006) gab die Klägerin den Veräußerungsgewinn nicht an. Das Finanzamt berücksichtigte den Veräußerungsgewinn als sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft und setzte die Einkommensteuer entsprechend höher fest. Es vertrat insoweit die Auffassung, dass eine Anwendung der Ausnahmeregelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG (Nutzung zu eigenen Wohnzwecken über bestimmte Zeiträume) nicht in Betracht käme. Das FG Köln (Urt. v. 18.10.2016 – 8 K 3825/11 – EFG 2017, 222) hat die Klage abgewiesen. Eine Eigennutzung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin im Streitjahr ihren Hauptwohnsitz in B innegehabt habe und es sich bei dem Objekt um eine Zweitwohnung gehandelt habe, die sie lediglich für Ferienaufenthalte genutzt habe. Der Gesetzgeber habe mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nur beruflich genutzte Wohnungen begünstigen wollen.
Mit ihrer Revision brachte die Klägerin vor, eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liege auch dann vor, wenn das Objekt als Ferienwohnung oder Ferienhaus genutzt werde. Das ergebe sich auch aus dem BMF-Schreiben v. 05.10.2000 (BStBl I 2000, 1383 Rn. 22) zu Zweifelsfragen zur Neuregelung der Besteuerung privater Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach § 23 EStG. Daher sei im Streitfall die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG anzuwenden. Der BFH sah die Revision der Klägerin als begründet an. Er führte zur Begründung aus:
I. Ein Gebäude werde auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohne, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung stehe. Denn eine Nutzung zu „eigenen Wohnzwecken“ setze weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus noch müsse sich dort der Schwerpunkt der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger könne deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen Wohnzwecken nutzen. Erfasst seien daher auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt würden. Sei deren Nutzung auf Dauer angelegt, komme es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) habe und wie oft er sich darin aufhalte.
II. Anders als § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis 4c ErbStG spreche § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht von einem „Familienheim“. Vor diesem Hintergrund biete der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber nicht dauernd bewohnte Zweitwohnungen und ausschließlich eigengenutzte Ferienwohnungen von der Begünstigung ausnehmen habe wollen (vgl. BMF-Schreiben v. 05.10.2000 – BStBl I 2000, 1383 Rn. 22; OFD Frankfurt/M. v. 21.02.2011 – S 2256 A 13-St 225 Rn. 22; Blümich/Glenk/Ratschow, EStG, § 23 Rn. 53; Bachem in: Bordewin/Brandt, EStG, § 23 Rn. 129a; Hoheisel in: Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 23 Rn. 79; Kube in: Kirchhof, EStG, 16. Aufl. 2017, § 23 Rn. 6; Musil in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 23 EStG Rn. 130; Wernsmann in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. B 46; Bäuml in: Kanzler/Kraft/Bäuml, EStG, 2. Aufl., § 23 Rn. 180; zur Behandlung der Ferienwohnung bei § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG vgl. BFH, Urt. v. 18.07.2013 – II R 35/11 – BStBl II 2013, 1051, unter II.2.; Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 5/2014 Anm. 3). Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich nichts anderes; in ihr werde lediglich auf die Selbstnutzung und deren Aufgabe (z.B. wegen Arbeitsplatzwechsels) Bezug genommen (BT-Drs. 14/265, S. 181).
III. Die Gegenansicht, wonach eine Nutzung zu „eigenen Wohnzwecken“ wie in § 10e EStG und in § 2 Satz 2 EigZulG bei einer Nutzung als Zweit- oder Ferienwohnung nicht vorliegen solle (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 36. Aufl. 2017, § 23 Rn. 18; Höck, FR 2000, 764, 765; Seitz, DStR 2001, 277, 280), finde im Gesetz keine Stütze. Wenn der Gesetzgeber Zweit- und Ferienwohnungen von der Begünstigung hätte ausnehmen wollen, hätte es nahegelegen, dies – wie in § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG und § 2 Satz 2 EigZulG – ausdrücklich zu regeln. Dies sei jedoch nicht geschehen, obwohl der Gesetzgeber in der Vergangenheit die mit der Nutzung von Zweit- oder Ferienwohnungen verbundenen Fragestellungen regelmäßig in den Blick genommen habe. Die Abgrenzung nach der Intensität der Nutzung wäre im Übrigen in der Praxis nicht nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand verbunden, sondern würde im Einzelfall auch zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen. Steuerpflichtige, die aufgrund fester Arbeitszeiten ihre Zweitwohnung nur an Wochenenden und in den Ferien nutzen könnten, wären ggf. von der Begünstigung ausgeschlossen, während Steuerpflichtige, die nicht an feste Arbeitszeiten oder an einen festen Arbeitsplatz gebunden seien und daher die Zweitwohnung häufiger und insbesondere auch an Wochentagen und außerhalb der Ferienzeiten nutzen könnten, ohne ersichtlichen Grund begünstigt sein könnten. Eine Ungleichbehandlung bestünde ggf. auch zwischen Steuerpflichtigen, deren Zweitwohnung in einem räumlich nahen Umfeld belegen sei und daher auch nach der Arbeit aufgesucht werden könne, und anderen Steuerpflichtigen, deren Zweitwohnung weiter entfernt liege und daher nur an Wochenenden und in den Ferien genutzt werden könne.
IV. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 Alt. 1 EStG setze voraus, dass die Wohnung im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden sei. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 Alt. 2 EStG verlange demgegenüber eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung müsse die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genüge ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen (vgl. BMF-Schreiben v. 05.10.2000 – BStBl I 2000, 1383 Rn. 25; Musil in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 23 EStG Rn. 131; Wernsmann in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. B 55; Hoheisel in: Littmann/Bitz/Pust, § 23 EStG Rn. 74; a.A. Kube in: Kirchhof, EStG, § 23 Rn. 6; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 36. Aufl. 2017, § 23 Rn. 18).
V. Diesen Maßstäben entspreche das angefochtene Urteil nicht. Zwar habe das Finanzgericht zu Recht die von der Klägerin zu unterschiedlichen Zeitpunkten erworbenen jeweils hälftigen Miteigentumsanteile einer getrennten Betrachtung unterzogen. Die Erwägungen des Finanzgerichts zu den Voraussetzungen von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG wichen jedoch von der dargestellten Rechtslage ab. Das Urteil könne deshalb keinen Bestand haben.
Die Sache sei spruchreif. Die Klägerin habe mit der Veräußerung des Grundstücks kein steuerbares privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.

C. Kontext der Entscheidung

Nach § 22 Nr. 2 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG. Dazu gehören gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
Der Ausdruck „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ setzt in beiden Alternativen lediglich voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen geeignet ist und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest auch selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt (vgl. BFH, Urt. v. 23.07.1997 – X R 143/94 – BFH/NV 1998, 160, unter II.3.a; BFH, Urt. v. 28.11.2001 – X R 27/01 – BStBl II 2002, 145, unter II.1., beide jeweils zu § 10e EStG; BFH, Urt. v. 18.01.2006 – IX R 18/03 – BFH/NV 2006, 936, unter II.1.a; BFH, Urt. v. 25.05.2011 – IX R 48/10 – BStBl II 2011, 868, unter II.1.a; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 44/2011 Anm. 5; BFH, Beschl. v. 28.05.2002 – IX B 208/01 – BFH/NV 2002, 1284, unter II.2.a; BMF-Schreiben v. 05.10.2000 – BStBl I 2000, 1383 Rn. 22; Seitz, DStR 2001, 277, 280). Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Eine Nutzung zu „eigenen Wohnzwecken“ liegt hingegen nicht vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu bewohnen.

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Die Entscheidung betrifft im Privatvermögen befindliche Zweitimmobilien. Erfasst sind daher Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden, wenn sie im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
II. Ist deren Nutzung auf Dauer angelegt, kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) hat und wie oft er sich darin aufhält.
III. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken „im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren“ (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 Alt. 2 EStG) liegt vor, wenn das Gebäude in einem zusammenhängenden Zeitraum genutzt wird, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen.

Gewinn aus der Veräußerung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Zweitimmobilie kann nicht steuerbar sein
Thomas HansenRechtsanwalt
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