Nachfolgend ein Beitrag vom 13.4.2017 von Genius, jurisPR-BGHZivilR 7/2017 Anm. 1

Leitsätze

1. Der Besteller kann Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen.
2. Der Besteller kann berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Allein das Verlangen eines Vorschusses für die Beseitigung eines Mangels im Wege der Selbstvornahme genügt dafür nicht. In diesem Fall entsteht ein Abrechnungsverhältnis dagegen, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen.

A. Problemstellung

Die Neuregelung der gesetzlichen Haftung für Mängel im Werkvertragsrecht durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung seit dem 01.01.2002 hat die sehr intensiv diskutierte Frage aufgeworfen, ob die Mängelrechte nach § 634 BGB vom Besteller schon vor bzw. ohne Abnahme geltend gemacht werden können. Der BGH hatte die Frage bislang offengelassen. In der Besprechungs- sowie zwei weiteren Entscheidungen vom 19.01.2017 hat er sie nun entschieden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Rechtsvorgänger des Klägers beauftragte den Beklagten 2008 mit Fassadenarbeiten an denkmalgeschützten Gebäuden. Die Arbeiten wurden ausgeführt, eine Abnahme erfolgte nicht. Der Besteller rügte Mängel und setzte eine Frist zur Beseitigung. Der Beklagte bestritt – nach Einschaltung eines Privatsachverständigen – die Mängel. Der Besteller leitete ein selbstständiges Beweisverfahren ein, das Mängel ergab. Mit seiner Klage machte der Kläger u.a. Mangelbeseitigungskosten unter Berücksichtigung restlichen Werklohns als Kostenvorschuss geltend, hilfsweise – falls ein Kostenvorschuss vor Abnahme nicht geltend gemacht werden kann – verlangte er Schadensersatz.
Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hatte ebenfalls den Kostenvorschussanspruch bejaht und die Berufung des Beklagten mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der BGH hat nach Zulassung der Revision die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Ein Kostenvorschussanspruch könne auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht bejaht werden. Der Besteller könne Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach einer – hier nicht erfolgten – Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen (Rn. 23 ff.). Eine Abnahme sei nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (Rn. 43 ff.). Zwar könne der Besteller in bestimmten Fällen berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrages verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (Rn. 44). Allein das Verlangen eines Vorschusses für die Beseitigung des Mangels im Weg der Selbstvornahme genüge dafür nicht (Rn. 45). Die weiteren Voraussetzungen, unter denen ein solches Vorschussverlangen ausnahmsweise doch zu einem Abrechnungs- und Abwicklungsverhältnis führt, in dessen Rahmen die Rechte aus § 634 Nr. 2 bis 4 BGB geltend gemacht werden können, seien bislang nicht festgestellt.

C. Kontext der Entscheidung

Ausgehend von der Rechtslage vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz war zu den §§ 634 ff. BGB n.F. (seit dem 01.01.2002) umstritten, ob dem Besteller auch schon vor oder ohne Abnahme die Mängelrechte nach § 634 BGB zustehen können. Die Frage betraf insbesondere das Recht auf Selbstvornahme und die damit verbundenen Ansprüche nach den §§ 634 Nr. 2, 637 BGB. Der Meinungsstreit reichte von der Auffassung, dass Mängelrechte aus § 634 BGB bereits vor Abnahme bestehen, über die Ansicht, grundsätzlich sei die Abnahme für das Entstehen der Mängelrechte aus § 634 BGB erforderlich, unter bestimmten Voraussetzungen seien dem Besteller diese Rechte aber auch ohne Abnahme zuzubilligen, bis zur Auffassung, Mängelrechte vor Abnahme seien auch nach Herstellung des Werks und bei berechtigter Abnahmeverweigerung durch den Besteller ausgeschlossen. Der BGH referiert den Stand der Diskussion ausführlich in der Besprechungsentscheidung (Rn. 26 bis 30).
Nachdem der Senat die Rechtsfrage bislang ausdrücklich offengelassen hatte (Rn. 27 m.w.N.), hat er sie nun in diesem Verfahren sowie zwei weiteren Urteilen vom 19.01.2017 (VII ZR 193/15 und VII ZR 235/15) dahin entschieden, dass der Besteller Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen kann. Er erteilt damit Vorschlägen, die Mängelrechte des Bestellers an andere Merkmale als die Abnahme anzuknüpfen, unter Hinweis auf die Gesetzessystematik (Rn. 32 bis 36) eine Absage. Die Auslegung, dass dem Besteller die Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme zustehen, führe auch zu einem interessengerechten Ergebnis (Rn. 37 bis 42): Die Interessen des Bestellers seien durch die ihm vor Abnahme aufgrund des allgemeinen Leistungsstörungsrechts zustehenden Rechte angemessen gewahrt (Rn. 40 f.). Der Senat verweist auf Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB, Schadensersatz statt der Leistung nach den §§ 281, 280 BGB, Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung, §§ 280 Abs. 2, 286 BGB, Rücktritt nach § 323 BGB oder Kündigung aus wichtigem Grund entsprechend § 314 BGB (Rn. 40). Der Besteller habe hiernach die Wahl, ein faktischer Zwang zur Erklärung der Abnahme für ein objektiv nicht abnahmefähiges Werk bestehe – so der Senat – entgegen verbreiteter Meinung nicht (Rn. 42).
Allerdings: kein Grundsatz ohne Ausnahme! In Anknüpfung an Senatsrechtsprechung zum früheren Recht (Rn. 44 m.w.N.) statuiert der Senat mögliche Ausnahmen zum Grundsatz, dass der Besteller berechtigt sein soll, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (Rn. 44). Voraussetzung ist, dass der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme anbietet und der Besteller mit seiner Forderung gegenüber dem Unternehmer nicht mehr zu einem (Nach-)Erfüllungsanspruch zurückkehren kann. Auf mögliche Konstellationen bei Schadensersatzbegehren und Minderung weist der Senat hin (Rn. 44).
Für das vor allem interessierende Selbstvornahmerecht nach den §§ 634 Nr. 2, 637 BGB, hier insbesondere – wie im Fall und in der weiteren am 19.01.2017 entschiedenen Sache VII ZR 193/15 – der Anspruch auf Vorschuss für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten, klärt der Senat, dass das Vorschussverlangen allein nicht genügt, da der Besteller auch nach einem Kostenvorschussverlangen berechtigt bleibt, den (Nach-)Erfüllungsanspruch geltend zu machen (Rn. 45). Vielmehr muss hinzu kommen, dass der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen, also endgültig und ernsthaft eine (Nach-)Erfüllung durch ihn ablehnt, selbst für den Fall, dass die Selbstvornahme nicht zu einer mangelfreien Herstellung des Werks führt. Erst in dieser Konstellation kann der Besteller nicht mehr zum (Nach-)Erfüllungsanspruch gegen den Unternehmer zurückkehren (Rn. 46).
Ausnahmen mit der Folge, dass der Besteller die Rechte aus § 634 Nr. 2 bis 4 BGB geltend machen kann, gibt es damit nur, wenn – auf unterschiedlichen Wegen – die Vertragsdurchführung einen nach einer Abnahme und gescheiterter Nacherfüllung vergleichbaren Zustand erreicht, sie also das Erfüllungsstadium verlassen hat.
„Mängelrechte ohne Abnahme“ gibt es daneben in einem weiteren Fall: Ist eine Abnahme nach der Natur der Sache ausgeschlossen und hat der Unternehmer die Leistung in Erfüllung seiner gesamten Verbindlichkeiten erbracht, ist das Mängelrecht der §§ 634 ff. BGB anzuwenden, wenn die Leistung mangelhaft (unvollständig) ist (BGH, Urt. v. 06.06.2013 – VII ZR 355/12 Rn. 16, 17).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Abnahme stellt in vielerlei Hinsicht eine Zäsur im Werkvertragsrecht dar. Das gilt auch – nunmehr bestätigt durch die Rechtsprechung vom 19.01.2017 – für die Frage, welche Ansprüche dem Besteller bei Mängeln des Werkes zustehen.
Vor Abnahme des Werkes stehen in Bezug auf Mängel nur die Rechte aus dem Erfüllungsstadium zu, d.h. neben dem Erfüllungsanspruch (§ 631 Abs. 1 BGB) die Rechte des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, namentlich die in der Besprechungsentscheidung (Rn. 40 f.) genannten Ansprüche: Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB, Schadensersatz statt der Leistung nach den §§ 281, 280 BGB, Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung, §§ 280 Abs. 2, 286 BGB, Rücktritt nach § 323 BGB oder Kündigung aus wichtigem Grund entsprechend § 314 BGB. In der Praxis erscheint allerdings die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen neben oder statt der Leistung vor Abnahme des Werkes durchaus problematisch. Denn nur eine fällige Leistung kann in einen Schadensersatzanspruch umgewandelt werden. Vor Ablauf einer vereinbarten Fertigstellungsfrist wird dies nicht der Fall sein; den §§ 4 Abs. 7, 5 Abs. 4 VOB/B entsprechende Regelungen fehlen im BGB-Werksvertragsrecht.
Erst nach der Abnahme gibt es die Rechte nach § 634 BGB: Nacherfüllungsanspruch (§§ 634 Nr. 1, 635 BGB), Recht auf Selbstvornahme (§§ 634 Nr. 2, 637 BGB), Minderung der Vergütung oder Rücktritt vom Vertrag (§§ 634 Nr. 3, 323, 326 Abs. 5, 636, 638 BGB), Ansprüche auf Schadensersatz und Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283, 311a, 284 BGB).
Bietet der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme an, steht der Besteller vor einer Wahl:
Verweigert er – berechtigt – die Abnahme, bleibt es grundsätzlich bei den Rechten aus dem Erfüllungsstadium, verlässt er jedoch mit seinem Begehren das Erfüllungsstadium, so dass er nicht mehr zu einem (Nach-)Erfüllungsanspruch zurückkehren kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergeht, kann er ausnahmsweise auch ohne Abnahme Mängelrechte nach § 634 BGB geltend machen; erklärt der Besteller – ggf. unter Mängelvorbehalt – die Abnahme, stehen ihm die Mängelrechte nach § 634 BGB zu.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Zu entscheiden war auch zur Prozessführungsbefugnis/Aktivlegitimation des Klägers. Bei der Abtretung der Klageforderung an ihn war das Erfordernis einer Genehmigung übersehen worden. Die Genehmigung wurde während des Revisionsverfahrens – unstreitig und mit Rückwirkung (§ 184 Abs. 1 BGB) – erteilt. Ihre Beachtlichkeit in der Revisionsinstanz zugunsten des Klägers bejaht die Entscheidung im Anschluss an bisherige Rechtsprechung: Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Dabei hat das Revisionsgericht unter Berücksichtigung neuen Vorbringens in der Revisionsinstanz grundsätzlich selbstständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Prozessführungsbefugnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben (Rn. 18 m.w.N.). Hinsichtlich der Aktivlegitimation ist § 559 ZPO einschränkend dahin auszulegen, dass in der Revisionsinstanz auch – erst während des Revisionsverfahrens bzw. nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingetretene – neue, im Hinblick auf die materielle Rechtslage relevante Tatsachen berücksichtigt werden können, wenn die Tatsachen unstreitig sind und schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (Rn. 20 m.w.N.).