Nachfolgend ein Beitrag vom 13.4.2018 von Rathsack, jurisPR-ITR 7/2018 Anm. 2

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Bei der Bestimmung des Gegenstandwertes eines Unterlassungsanspruches ist der unterschiedlichen Funktion von Schadensersatz- und Unterlassungsanspruch Rechnung zu tragen.
2. Eine schematische Bestimmung des Gegenstandwertes auf Grundlage eines Mehrfachen der für die bereits geschehene Nutzung anzusetzenden fiktiven Lizenzgebühr wird dieser Unterscheidung nicht gerecht.

A. Problemstellung

Der von einer Urheberrechtsverletzung betroffene Rechteinhaber hat neben dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch zudem Anspruch auf Ersatz der durch die Abmahnung entstandenen Kosten. Da außergerichtlich zumeist eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Abmahnung beauftragt wird, richten sich die Kosten für die Inanspruchnahme der anwaltlichen Dienstleistung im Außenverhältnis zum Unterlassungsgläubiger nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). In § 2 RVG ist geregelt, dass sich die Gebühren des Rechtsanwaltes nach dem Wert berechnen, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat. Da der Gegenstandswert gerade in urheberrechtlichen Angelegenheiten durchaus beträchtlich ist, entsteht eine zusätzliche finanzielle Belastung für den Unterlassungsschuldner. Diese Konstellation führt dann dazu, dass sich die Gerichte immer wieder mit Fragen der Streitwertbestimmung beschäftigen, wie die vorliegende Entscheidung des BGH zeigt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an vier verschiedenen Computerprogrammen, die dazu dienen, Spielvorteile in anderen Computerspielen (z.B. „World of Warcraft“) zu erlangen, sog. „Bot-Programme“. Diese Computerprogramme wurden durch den Beklagten im September 2013 auf einer eigenen Internetseite zum Download angeboten, weswegen die Klägerin den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 30.09.2014 abmahnen lies und die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verlangte. Mit Mahnbescheid vom 22.09.2014 machte die Klägerin dann einen Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten i.H.v. 1.336,90 Euro zuzüglich Zinsen geltend. Gegen den Mahnbescheid legte der Beklagte Widerspruch ein.
Im sich anschließenden Verfahren verurteilte das AG Bochum den Beklagten zur Zahlung von 124 Euro zuzüglich Zinsen und wies die weitergehende Zahlungsklage ab. Die sich anschließende Berufung der Klägerin wurde durch das LG Bochum zurückgewiesen. Hierzu führte das Landgericht aus, dass der Beklagte der Klägerin grundsätzlich den Ersatz von Abmahnkosten gemäß § 97a UrhG a.F. schulde, da dieser durch das Bereithalten der Computerprogramme zum Herunterladen die Programme ohne Zustimmung der Klägerin öffentlich zugänglich gemacht habe. Der Gegenstandswert der Abmahnung richte sich dabei nach dem Wert des mit der Abmahnung verfolgten Unterlassungsanspruches. Dieser sei mit dem Doppelten der je Programm betragenen Lizenzgebühr, hier 100 Euro, und damit für die vier betroffenen Programme mit insgesamt 800 Euro anzusetzen. Das Landgericht hat gegen die Entscheidung die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgte die Klägerin nun den Anspruch auf Erstattung der verbleibenden Abmahnkosten i.H.v. 1.212,90 Euro weiter.
Der BGH hat auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Der BGH entschied mit einem Versäumnisurteil, da der ordnungsgemäß geladene Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erschienen war. Inhaltlich beruht das Versäumnisurteil jedoch auf einer Sachprüfung und nicht auf der Säumnis des Beklagten.
Der BGH bestätigte dabei zunächst die Auffassung des Berufungsgerichts, dass § 97a UrhG a.F. auf den Sachverhalt Anwendung findet, da die Abmahnung vor dem Inkrafttreten der Neuregelung zur Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten zum 01.10.2013 ausgesprochen wurde. Auch konnte der BGH keine Rechtsfehler bezüglich der Feststellungen des Berufungsgerichts zur urheberrechtlichen Schutzwürdigkeit der Programme und zur Täterhaftung des Beklagten feststellen.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Gegenstandswert der Angelegenheit mit dem Doppelten des erstattungsfähigen Lizenzschadens anzusetzen ist, hält nach Auffassung des BGH der rechtlichen Nachprüfung hingegen nicht stand.
Der BGH stellt dabei zunächst in Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung klar, dass der Gegenstandswert einer Angelegenheit grundsätzlich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen ist, welches grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters liegt und daher vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob das Ermessen überhaupt und in den ihm gesetzten Grenzen ausgeübt worden ist und ob alle für seine Ausübung wesentlichen Umständen beachtet worden sind (Vgl. nur BGH, Urt. v. 12.05.2016 – I ZR 1/15 „Tannöd“).
Ausgangspunkt ist hierbei die Bestimmung des Werts des Unterlassungsanspruches, welcher mit der Abmahnung geltend gemacht wird. Bei der Bestimmung dieses Wertes verbietet sich nach Auffassung des BGH jedoch eine alleinige Orientierung an der Höhe des Lizenzschadensersatzes, da hierbei weder der unterschiedlichen Funktion von Schadensersatz- und Unterlassungsanspruch, noch dem bei jeder Wertbestimmung nach pflichtgemäßem Ermessen zu beachtenden Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalles Rechnung getragen wird. Der Wert des Unterlassungsanspruches bestimme sich vielmehr nach dem Interesse des Anspruchstellers an der Unterlassung weiterer gleichartiger Verstöße, wobei dieses Interesse durchaus pauschalierend bestimmt werden könne, jedoch anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu bestimmen sei. Maßgeblich sei dabei die Art des Verstoßes, insbesondere die Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des Schutzrechtes. Der BGH verlangt dabei eine Beurteilung des wirtschaftlichen Werts des verletzten Rechtes wie auch der Intensität und des Umfangs der Rechtverletzung. Dabei sei ein Angriffsfaktor zu bestimmen, der durch die Stellung des Verletzers und des Verletzten, die Qualität der Urheberrechtsverletzung, den drohenden Verletzungsumfang, die Art der Begehung des Rechtsverstoßes und eine hierdurch etwa begründete Gefahr der Nachahmung durch Dritte sowie subjektive Umstände auf Seiten des Verletzers wie den Verschuldensgrad zu bemessen sei.
Eine schematische Bestimmung auf Grundlage eines Mehrfachen der für die bereits geschehene Nutzung anzusetzende fiktiven Lizenzgebühr werde dabei diesen Anforderungen nicht gerecht, da etwa der Wert des verletzten Schutzrechtes nicht allein durch die zu erzielenden fiktiven Lizenzeinnahmen für eine konkrete Nutzungshandlung, sondern durch die dem Rechtsinhaber insgesamt zur Verfügung stehenden Auswertungsmöglichkeiten bestimmt werde, die durch die Verwirklichung der künftigen Rechtsverletzungen beeinträchtigt zu werden drohen. Auch seien hier Faktoren wie Aktualität und Popularität des Werkes zu berücksichtigen.
Bei der Bewertung des Interesses des Rechtsinhabers an der Abwehr künftiger Rechtsverletzungen sei nicht nur das Interesse an der Verhinderung fortgesetzter unlizenzierter Nutzung Rechnung zu tragen, sondern es seien das der fortgesetzten Rechtsverletzung innewohnende Gefährdungspotential für das Schutzrecht und seine wirtschaftliche Auswertung zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sei dabei insbesondere, dass durch die Bereitstellung eines Werkes auf einer Internetseite, einer Vielzahl von Nutzern die Möglichkeit gegeben werde, das Werk kostenlos herunterzuladen. Dies stelle die kommerzielle Auswertung des Werkes insgesamt in Frage.
Das Gefährdungspotential, welches dem Bereitstellen des Werks über das Internet innewohne, sei mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen. Für generalpräventive Erwägungen, mit denen etwa Dritte von Rechtsverletzungen abgeschreckt werden sollen, ist nach dem BGH bei der Bewertung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruches kein Raum.
Es könnten sich zudem aus Qualität und Intensität der bereits erfolgten Verletzungshandlungen Anhaltspunkte für die Bewertung des Unterlassungsanspruches ergeben. So kommen etwa Dauer und Häufigkeit der dem Unterlassungsschuldner zuzurechnenden Download-Angebote sowie die Anzahl der zum Herunterladen angebotenen Werke in Betracht. Auch subjektive Umstände auf Seiten des Verletzers könnten eine Rolle spielen.
Da das Berufungsgericht keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gab, dass es bei der Bemessung des Gegenstandes diesen einzubeziehenden Faktoren durch die Verdopplung der fiktiven Lizenzgebühr Rechnung getragen hat, war die Entscheidung aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

C. Kontext der Entscheidung

Nach der bereits angesprochenen „Tannöd“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 12.05.2016 – I ZR 1/15) zur Bezifferung des Gegenstandwerkes beim Filesharing eines Musikalbums beschäftigte sich der I. Zivilsenat des BGH ein weiteres Mal mit der Frage der Bestimmung des Gegenstandswertes beim unerlaubten Zugänglichmachen von geschützten Inhalten im Internet. Der BGH bestätigt hierbei seine zuvor getroffene Entscheidung, indem er maßgeblich auf den sog. Angriffsfaktor der Handlung abstellt. Eine pauschalierende Bestimmung des Gegenstandwertes ist danach grundsätzlich möglich, allerdings muss der erkennende Richter in seinem Urteil deutlich machen, dass er das bei der Streitwertbestimmung zustehende Ermessen tatsächlich ausübt und sich zu den einzelnen, vom BGH nunmehr wiederholt benannten Anhaltspunkten äußert. Die klare Differenzierung zwischen dem (fiktiven) Lizenzschaden gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG sowie dem Wert des Unterlassungsanspruches nach § 97 Abs. 1 UrhG ist zu begrüßen, da es sich grundsätzlich um verschiedene Ansprüche mit teils unterschiedlichen Voraussetzungen handelt. So erfordert das Bestehen eines Unterlassungsanspruches im Gegensatz zum Schadensersatzanspruch kein Verschulden, was dann bei den Filesharing-Fällen im Rahmen der sog. Störerhaftung des Anschlussinhabers zu berücksichtigen ist, da gegen den Störer zwar der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch geltend gemacht werden kann, jedoch kein Schadensersatzanspruch besteht. Der Rückgriff auf einen fiktiven Lizenzschaden zur Bestimmung des Streitwertes des Unterlassungsanspruches wäre insoweit systemwidrig.
Der BGH hat sich in der vorliegenden Entscheidung nicht zur konkreten Höhe des Streitwertes für das unerlaubte Zugänglichmachen eines Computerprogrammes im Internet geäußert. Anders als in der „Tannöd“-Entscheidung, in dem der Streitwert des Unterlassungsanspruchs in Bezug auf das unerlaubte Zugänglichmachen eines Musikalbums auf mindestens 10.000 Euro beziffert wurde, fehlt in der vorliegenden Entscheidung eine entsprechende Feststellung des BGH. Insoweit ist jedoch auf eine ebenfalls am 30.03.2017 verkündete Entscheidung des BGH (Versäumnisurt. v. 30.03.2017 – I ZR 124/16) hinzuweisen. In dieser Entscheidung, die inhaltlich der hier besprochenen Entscheidung gleicht, hält der BGH einen Gegenstandswert von nicht weniger als 15.000 Euro für angemessen. Beim Vorliegen besonderer Umstände, etwa einer sich in erheblichen Verkaufszahlen manifestierenden Popularität, könne auch ein höherer Gegenstandswert angenommen werden. Dass auch für Computerprogramme ähnlich hohe Streitwerte anzusetzen sind, erscheint nicht ausgeschlossen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen der Entscheidungen für die Praxis sind nicht zu unterschätzen. Der BGH wiederholt nochmals deutlich, dass die Streitwertgrenze für Abmahnungen nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG nur für Abmahnungen zutrifft, die nach dem 09.10.2013 ausgesprochen worden sind. Auf Abmahnungen älteren Datums findet die Vorschrift keine Anwendung. Somit sind insbesondere die derzeit noch nicht verjährten Verfahren betroffen.

Streitwertbemessung des Unterlassungsanspruchs einer urheberrechtlichen Abmahnung
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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