Nachfolgend ein Beitrag vom 11.8.2017 von Wenn, jurisPR-ITR 16/2017 Anm. 2

Leitsätze

Dem EuGH werden zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kommt es bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU für die Frage, ob bei einem Fernkommunikationsmittel (hier: Werbeprospekt mit Bestellpostkarte) für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht, darauf an,
a) ob das Fernkommunikationsmittel (abstrakt) seiner Art nach nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stellt, oder darauf,
b) ob es (konkret) in seiner vom Unternehmer gewählten Gestaltung nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet?
2. Ist es mit Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vereinbar, die Information über das Widerrufsrecht im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit i.S.v. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU auf die Information über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu beschränken?
3. Ist es nach Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vor einem Vertragsabschluss im Fernabsatz auch im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit stets zwingend geboten, dem Fernkommunikationsmittel das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie 2011/83/EU beizufügen?

A. Problemstellung

Fragen zum fernabsatzrechtlichen Widerrufsrecht und zu den dieses betreffenden Informationspflichten des Unternehmers beschäftigen die Gerichte regelmäßig. Auf Vorlage des BGH wird der EuGH zu drei Auslegungsfragen Stellung nehmen müssen, denen eine erhebliche praktische Bedeutung für die künftige Gestaltung von Prospektwerbung zukommt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte hatte 2014 einen aufklappbaren Werbeprospekt veröffentlicht. Er bestand aufgeklappt aus sechs Seiten im Format 19 cm x 23,7 cm und enthielt auf der rechten Ausklappseite eine abtrennbare Bestellpostkarte sowie Hinweise auf weitere Bestell- und Kontaktmöglichkeiten. Die Bestellpostkarte enthielt auf ihrer Vorder- und Rückseite jeweils ausdrückliche Hinweise auf das Bestehen des fernabsatzrechtlichen Widerrufsrechts. Im Prospekt fanden sich allerdings weder die weiteren gesetzlich vorgeschriebenen Informationen über Ausübung und Rechtsfolgen eines Widerrufs noch das Muster für die Widerrufsbelehrung. Diese Informationen hielt die Beklagte auf einer Internetseite parat, die von der Startseite ihres Internetauftritts aus über den Link „AGB“ aufgefunden werden konnte.
Gegen diese Gestaltung des Werbeprospekts wandte sich die Zentrale für die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs mit ihrer Klage. Sie hält die Gestaltung des Werbeprospekts für unvereinbar mit den dem Unternehmer gemäß § 312d BGB i.V.m. Art. 246a § 1 EGBGB obliegenden Informationspflichten. Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf Art. 246a § 3 EGBGB: Der Werbeprospekt biete nur eine begrenzte Darstellungsmöglichkeit, so dass die Beklagte sich darauf beschränken könne, über das Bestehen des Widerrufsrechts zu informieren. Die Pflichtinformationen sowie das Muster für die Widerrufserklärung hätten einen Umfang von ca. zwei DIN-A4-Seiten und nähmen damit ein Drittel des Werbeprospekts in Anspruch.
Das LG Wuppertal und das OLG Düsseldorf erachteten die Gestaltung des Werbeprospekts für unzulässig. Im Ergebnis vertraten sie die Auffassung, dass auf einen Werbeprospekt die Ausnahmeregel von Art. 246a § 3 EGBGB keine Anwendung findet. Denn Werbeprospekte könnten so gestaltet werden, dass für die Erfüllung der gesetzlichen Pflichtangaben genügend Raum bleibe. Wenn dies im Einzelfall nicht möglich sei, läge dies allein an der vom Unternehmer gewählten Gestaltung. Mit dem hohen Verbraucherschutzniveau, das das Fernabsatzrecht anstrebe, sei es unvereinbar, den Umfang der Informationspflichten davon abhängig zu machen, wie der Unternehmer seine Werbematerialien gestalte.
Im Unterschied zu den Vorinstanzen sieht der BGH diese verbraucherfreundliche Auslegung nicht als zwingend an und hat daher dem EuGH drei Fragen zur Auslegung der Fernabsatzrichtlinie vorgelegt:
Die erste betrifft die Frage, ob die Ausnahmeregelung, nach der bei begrenzter Darstellungsmöglichkeit nur über das Bestehen des Widerrufsrechts informiert werden muss, nur greift, wenn die Beschränkungen der Darstellungsmöglichkeit technisch bedingt sind, oder ob es genügt, dass die Beschränkungen der Darstellungsmöglichkeit auf die vom Unternehmer (frei) gewählte Gestaltung zurückzuführen sind. Die zweite Frage zielt darauf ab, ob der Unternehmer nur über das Bestehen des Widerrufsrechts informieren muss, sollten die Darstellungsmöglichkeiten allein aufgrund der vom Unternehmer gewählten Gestaltung beschränkt sein. Und die dritte Frage betrifft die Notwendigkeit, einem Werbeprospekt das Muster für die Widerrufserklärung beizufügen, wenn die Darstellungsmöglichkeiten im Werbeprospekt beschränkt sind.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidungen des LG Wuppertal (Urt. v. 21.07.2015 – 11 O 40/15) und OLG Düsseldorf (Urt. v. 18.02.2016 – I-15 U 54/15) sind in der Fachliteratur nicht nur auf Zustimmung gestoßen (vgl. Schirmbacher, WRP 2015, 1402). Mit den Vorgaben der Fernabsatzrichtlinie sind sie allerdings ohne weiteres vereinbar. Für sie sprechen bereits der Grundsatz, dass Ausnahmevorschriften wie Art. 246a § 3 EGBGB im Zweifel eng auszulegen sind, und das angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau, dem es widerspräche, wenn der Unternehmer durch die freie Gestaltung seiner Werbematerialien Einfluss auf Inhalt und Umfang der vorvertraglichen Informationspflichten nehmen könnte.
Der BGH gibt in seinem Beschluss zu bedenken, dass die Regelungen der Fernabsatzrichtlinie EU-grundrechtekonform auszulegen sind und daher zu berücksichtigen ist, dass eine etwaige Pflicht zur vollständigen Wiedergabe aller Pflichtinformationen es Unternehmen unmöglich machen könnte, Werbeprospekte wie im Streitfall zu nutzen. Es könnte ggf. zu einer erheblichen Einschränkung in der Wahl der Werbemittel kommen. Außerdem, so der BGH, könnte auch die Gefahr bestehen, dass Verbraucher mit Informationen überfrachtet würden. Im Übrigen sei der Verbraucher ggf. auch bereits dadurch hinreichend geschützt, dass er bei Vertragsschluss in Textform über das Bestehen, die Bedingungen für die Ausübung und die Rechtsfolgen des Widerrufsrechts belehrt werden muss.
Die Bedenken des BGH hinsichtlich der Freiheit in der Wahl der Werbemittel sind freilich eher theoretischer Natur: Die Beklagte hat – jedenfalls soweit sich dies anhand der veröffentlichten Instanzurteile nachvollziehen lässt – nicht substantiiert dargelegt, aus welchem Grund sie sich für die gewählte Gestaltung entschieden hat bzw. gleichsam entscheiden musste. Bereits das OLG Düsseldorf hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass bei einem reinen Werbeprospekt ohne Bestellpostkarte auf die Erfüllung der vorvertraglichen Informationspflichten verzichtet werden könnte. Auch die mögliche Überfrachtung des Verbrauchers mit Informationen stellt keinen Grund dar, der es rechtfertigte, den Anwendungsbereich des Art. 246a § 3 EGBGB weit auszulegen. Zum einen ist diese Gefahr vom Gesetzgeber beabsichtigt. Zum anderen bedarf ein Verbraucher der vorvertraglichen Informationen über Bestehen, Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufsrechts, um eine informierte Entscheidung treffen zu können, ob er das Angebot des Unternehmers annehmen will.

D. Auswirkungen für die Praxis

Es ist zu erwarten, dass die Entscheidung des EuGH den Einsatz, die Nutzung und die Gestaltung von Werbeprospekten, denen auch im Internetzeitalter noch erhebliche Bedeutung für die werbliche Ansprache der Marktgegenseite zukommt, maßgeblich beeinflussen wird.