Nachfolgend ein Beitrag von Telle, jurisPR-ITR 13/2015 Anm. 5
Orientierungssatz zur Anmerkung
Ein von einer Ratingagentur erstelltes negatives Scoring stellt einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn als einziger Umstand für die schlechte Bewertung der Umstand herangezogen wurde, dass es sich bei dem bewerteten Unternehmen um einen eingetragenen Kaufmann und nicht um eine Kapitalgesellschaft handelt.
A. Problemstellung
- Die vorliegende Entscheidung des OLG Frankfurt hatte einen Unterlassungsanspruch eines Unternehmens gegenüber einer Ratingagentur zum Gegenstand. Es ging um einen schlechten Wahrscheinlichkeitswert, der ein hohes Zahlungsausfallrisiko wiedergab (sogenannter Score). Derartige Problemfelder treten immer wieder auf, da die Auskünfte von Rating-Agenturen häufig von Dritten herangezogen werden, um das Risiko von Zahlungsausfällen einschätzen zu können. Für die Betroffenen kann das dazu führen, dass im Falle negativer Bewertungen ihre Geschäftspartner nicht bereit sind, Kredite zu gewähren. Aber auch der gute Ruf kann beeinträchtigt sein. Für Privatpersonen wie für Unternehmen besteht deshalb ein großes Bedürfnis, sich effektiv gegen derart beeinträchtigende Wahrscheinlichkeitswerte zur Wehr zu setzen. Ob derartige Bewertungen sogar verboten werden können oder ob die Berechnungsgrundlagen von der jeweiligen Rating-Agentur mitzuteilen sind, ist in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen und verneint worden. Das OLG Frankfurt hatte dagegen einen Fall zu entscheiden, in der ein Unternehmen gegen einen seiner Ansicht nach ungerechtfertigten Wahrscheinlichkeitswert vorging.
- B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
- Die Klägerin ist eingetragener Kaufmann und bereits seit längerer Zeit geschäftlich tätig. Von einem ihrer Geschäftspartner wurde sie auf ein negatives Scoring der späteren Beklagten hingewiesen. Da hieraus ein hohes Zahlungsausfallrisiko zu entnehmen sei, müsse man nun auf Vorkasse bestehen. Daraufhin holte die Klägerin eine Selbstauskunft ein, nach der für sie der schlechteste Scoring-Wert ausgewiesen wurde. Mittels eines anwaltlichen Schreibens forderte sie die Beklagte auf, den Wahrscheinlichkeitswert zu ändern, da diese Bewertung einer Tatsachengrundlage entbehre. Dem widersetzte sich die Beklagte mit ihrer Auffassung, dass es sich um reine Werturteile handele, die ihr nach § 28b BDSG ausdrücklich gestattet seien. Außerdem müssten Unternehmen damit rechnen, schlechter bewertet zu werden, wenn über sie keine Informationen verfügbar seien. Außerdem könne sich die Klägerin als Ratingagentur auf einen absoluten Schutz ihrer Werturteile berufen, der zuletzt sogar vom BGH bestätigt worden sei.Dem hatte sich das LG Darmstadt angeschlossen (Urt. v. 31.01.2014 – 10 O 37/13). In der Berufungsinstanz argumentierte die Beklagte weiter, die Grundlagen ihrer Werturteile seien aufgrund der letztinstanzlichen Entscheidung des BGH vom 28.01.2014 (VI ZR 156/13) geschützt, wonach ein Informationsanspruch hinsichtlich der sogenannten Score-Formel nicht bestehe.Das OLG Frankfurt hat die Entscheidung mit sehr eindeutigen Worten aufgehoben, da die „von einer verantwortungslosen Oberflächlichkeit“ geprägten Bewertungen das in § 823 Abs. 1 BGB geschützte absolute Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb rechtswidrig und schuldhaft verletzten. Maßstab für ein rechtmäßiges Handeln der Ratingagentur sei § 28b BDSG, wobei es wegen des bereits in § 823 Abs. 1 BGB absolut geschützten Rechtsguts nicht mehr auf die Frage ankam, ob es sich hierbei um eine Schutznorm i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB handelte.Entscheidendes Tatbestandsmerkmal sei dabei, ob die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswerts herangezogenen Daten „nachweisbar erheblich“ seien. An dieser Stelle argumentierte die Beklagte, aufgrund der BGH-Entscheidung aus dem Jahre 2014 seien die Basisdaten und die Score-Formel als Geschäftsgeheimnisse nach § 34 BDSG geschützt. Dem erteilte das Oberlandesgericht jedoch eine Absage.Wolle eine Ratingagentur die vom BGH erkannten Privilegien für sich in Anspruch nehmen, so müsse ihr Werturteil auf zutreffenden Tatsachengrundlagen aufbauen. Das bedeute, in diesem Fall hätte die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass sich ihr Werturteil lediglich aus der Tatsache ergebe, dass die Klägerin als Kaufmann und nicht als Kapitalgesellschaft eingetragen sei. Aus diesem Grund könne sich die Beklagte auch nicht hinter der BGH-Entscheidung verschanzen, wonach Wahrscheinlichkeitswerte weitgehend unangreifbar erscheinen. Dieser Aspekt taucht erneut in der Begründung auf, weshalb das Oberlandesgericht die Zulassung der Revision ablehnte. Zwar teile er die Rechtsmaßstäbe des BGH. Allerdings habe die Beklagte eine falsche Prognose aufgestellt, die den Qualitätsanforderungen an eine Ratingagentur nicht genügten.
- C. Kontext der Entscheidung
- Der 24. Zivilsenat des OLG Frankfurt setzt sich zutreffend mit der oben genannten Entscheidung des BGH auseinander und differenziert im Ergebnis zutreffend zwischen der dort entschiedenen Frage der Herausgabe der Score-Formel und dem vorliegenden rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch eine grob unsachliche Bewertung. Erste Frage behandelt, ob überhaupt Angaben zu der ausgeübten Tätigkeit der Ratingagentur geliefert werden müssen. Die hier relevante Frage war jedoch, ob die Ratingagentur den für sie maßgeblichen Rechtsrahmen eingehalten hat. Damit stellt das Oberlandesgericht auch klar, dass der BGH keinesfalls derartiges Verhalten jeglicher rechtlicher Kontrolle entzogen hat.
- D. Auswirkungen für die Praxis
- Das Oberlandesgericht hat eine wichtige Entscheidung im Zusammenhang mit dem Rechtsschutz gegen betriebsschädigende Bonitätswerte gefällt. Es hat im Zusammenhang mit der oben genannten Entscheidung des BGH die Grenze zur nicht erzwingbaren Herausgabe der Score-Formel gezogen. Zwar können sich Ratingagenturen auf die grundgesetzlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit ihrer Werturteile berufen. Allerdings steht dem § 28b BDSG als verfassungsmäßige Schranke gegenüber. Verstößt ein Werturteil einer Rankingagentur gegen diese Norm, so ist es rechtwidrig und kann damit Gegenstand eines Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs sein.