Berlin (DAV/BRAK). Die Richterstellen am Bundesverfassungsgericht werden neben den durch das Grundgesetz vorgeschriebenen Bundesrichtern in aller Regel mit Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern besetzt. Rechtsanwälte sind hingegen seit 2005 nicht mehr unter den Richtern gewesen. Eine Rechtsanwältin war noch nie Richterin. Die anwaltliche Expertise, insbesondere die praktische Erfahrung von Anwältinnen und Anwälten, könnten die Arbeit des Gerichts jedoch in erheblichem Maße bereichern. Daher sprechen sich der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) dafür aus, dass künftig sowohl im Ersten als auch im Zweiten Senat obligatorisch jeweils eine Anwältin oder ein Anwalt als Richterin oder Richter an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mitwirkt.

Nach dem Vorschlag des DAV und der BRAK soll gesetzlich verankert werden, dass mindestens eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt als Richterin oder Richter in jeden Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt wird. Eine solche Regelung ist nach Auffassung des DAV und der BRAK ohne eine Änderung des Grundgesetzes möglich. Hierfür müsste lediglich das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ergänzt werden. „Ein einfachgesetzliches Mindestquorum für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wäre ein naheliegendes Mittel, anwaltliches Know-how in den Senaten des Bundesverfassungsgerichts zu verankern und für das Gericht fruchtbar zu machen“, resümiert Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der BRAK.

Die Anwaltschaft als größte Berufsgruppe unter den volljuristischen Berufen ist bislang auf der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts nicht angemessen repräsentiert. Seit dem Beginn der Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts gab es zwischen 1967 und 2005 lediglich drei Rechtsanwälte unter den Richtern des Bundeverfassungsgerichts. In den letzten elf Jahren waren dagegen keine Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen mehr vertreten. „Seit der Gründung des Gerichts wurde der Erfahrungsschatz von Anwältinnen gar nicht und von Anwälten nur äußerst selten gehoben“, so Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg, Präsident des DAV.

Die Vorgaben des Grundgesetzes werden erfüllt

Der DAV und die BRAK haben keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer entsprechenden Neuregelung. Der Artikel 94 des Grundgesetzes gibt vor, dass das Bundesverfassungsgericht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern besteht. Daraus wird nach Auffassung des DAV und der BRAK deutlich, dass in die verfassungsrechtliche Entscheidungsfindung des Bundesverfassungsgerichts neben der praktischen richterlichen Erfahrung auch nichtrichterliche juristische Berufs- und Lebenserfahrung einfließen sollte. Dafür sind Anwältinnen und Anwälte vor allem wegen ihres spezifischen Erfahrungshorizonts in besonderer Weise geeignet. Den wirklichen Rechtsalltag kennen nur sie. Sie sind es, die täglich erleben, welche rechtlichen Gestaltungen gerade keinen Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben, sondern allgemein akzeptiert werden. Nur sie sind es, die abseits von Rechtsstreiten erfahren, was von den Betroffenen als angemessen angesehen wird.

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind nicht nur formal ebenso qualifiziert wie andere Volljuristen, sondern in der Anwaltschaft gibt es erstklassige Juristinnen und Juristen, die den hohen Anforderungen an die Aufgaben eines Richters des Bundesverfassungsgerichts vollauf genügen“, sagt Schellenberg. So gebe es eine Reihe von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die sich beispielsweise als Richter an Landesverfassungsgerichten, zum Teil sogar als deren Präsidenten, oder als Vertreter vor dem Bundesverfassungsgericht profiliert haben.

Auch Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes steht dem Vorhaben nach Ansicht des DAV und der BRAK nicht entgegen. Nach dem Grundsatz der Bestenauslese hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. “Anders als die Fachgerichte ist das Bundesverfassungsgericht aber ein Verfassungsorgan“, betont Schäfer. Die Mitglieder würden daher nicht berufen, sondern von den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat in einem politischen Verfahren bestimmt. Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz finde daher bei der Besetzung der Richterstellen des Bundesverfassungsgerichts keine Anwendung, so dass gesetzlich geregelt werden könne, dass eine Richterstelle für Anwältinnen und Anwälte vorgesehen ist.

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Der gemeinsame Vorschlag von BRAK und DAV im Wortlaut:

Für die Verankerung der Rechtsanwalts-Quote genügt es, den § 2 Abs. 3 BVerfGG wie folgt zu fassen:

Drei Richter jedes Senats werden aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes, ein Richter jedes Senats aus der Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte gewählt. Gewählt werden sollen nur Richter, die wenigstens drei Jahre an einem obersten Gerichtshof des Bundes, und nur Rechtsanwälte, die wenigstens fünf Jahre als Rechtsanwälte tätig gewesen sind.

Um das Zusammenspiel zwischen Bundestag und Bundesrat der neuen Situation anzupassen, müsste § 5 Abs. 1 BVerfGG um folgenden Satz 3 ergänzt werden:

Bei der Wahl der aus den Rechtsanwälten zu wählenden Richter wird einer von dem einen Wahlorgan in den ersten Senat und einer von dem anderen Wahlorgan in den zweiten Senat gewählt.

DAV, Pressemitteilung vom