Nachfolgend ein Beitrag vom 26.7.2017 von Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 30/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz haftet der Erwerber nicht für die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits erdiente endgehaltsbezogene Dynamik. Der Arbeitnehmer hat die Gegenleistung für die dienstzeitabhängigen Steigerungsraten der Betriebsrente bis zur Insolvenzeröffnung bereits erbracht.
2. Die Differenz, die sich daraus ergibt, dass der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) aufgrund der Veränderungssperre in § 7 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG i.V.m. § 2 Abs. 5 BetrAVG den von ihm zu tragenden Teil der Betriebsrente nicht dynamisch auf der Grundlage des nach Insolvenzeröffnung sich entwickelnden Gehalts, sondern auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bezogenen Entgelts berechnet, kann der Arbeitnehmer nach den Verteilungsgrundsätzen der Insolvenz im Insolvenzverfahren geltend machen. Für die Berechnung der Anspruchshöhe ist die künftige Gehaltsentwicklung zu schätzen.
3. Stellt eine vor dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz entstandene Versorgungsordnung für den Eintritt des Versorgungsfalles auf die Vollendung des 65. Lebensjahres ab, so ist diese Versorgungsordnung auch dann regelmäßig dahin gehend auszulegen, dass damit auf die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nach §§ 35, 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Bezug genommen wird, wenn es sich nicht um eine Gesamtversorgung handelt.

A. Problemstellung

Im Falle der Arbeitgeberinsolvenz stellt sich bei nachfolgendem Betriebsübergang immer wieder die Frage, in welchem Umfang der Betriebserwerber für die bei ihm fortgeführte betriebliche Altersversorgung des insolventen Betriebsveräußerers haftet.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Dem Kläger waren auf der Basis einer Gesamtbetriebsvereinbarung Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden. Bemessungsgrundlage für die Höhe der zu zahlenden Betriebsrente war eine dienstzeit- und endgehaltsabhängige Versorgungsformel. Am 01.03.2009 wurde durch Beschluss des AG Köln das Insolvenzverfahren über das Vermögen des damaligen Arbeitgebers des Klägers eröffnet. Im Insolvenzverfahren wurde dann das Unternehmen an die Beklagte veräußert. Seit August 2015 bezieht der Kläger von der Beklagten eine monatliche Betriebsrente.
Im Rahmen der vorliegenden Klage streiten die Parteien um die Höhe der zu zahlenden Betriebsrente. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob aufgrund der endgehaltsbezogenen Versorgungszusage der Arbeitgeber auch für die bereits im Insolvenzzeitpunkt erdiente Gehaltsdynamik haftet. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die von der Beklagten geleistete Betriebsrente sei zu niedrig. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung einer höheren Betriebsrente abgewiesen.
Die zulässige Berufung des Klägers war vor dem LArbG Düsseldorf nur zu einem geringen Teil erfolgreich.
Ausgehend von der auch bei einer Betriebsveräußerung in einem laufenden Insolvenzverfahren anzuwendenden Vorschrift des § 613a BGB, hat das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung eingangs zutreffend festgestellt, dass die Beklagte als Betriebserwerber Versorgungsschuldner des Klägers geworden ist. Im Hinblick auf die Insolvenz des Betriebsveräußerers ist allerdings die Haftung des Betriebserwerbers durch die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts, die gegenüber § 613a als Spezialregelungen Vorrang genießen, beschränkt. Danach haftet der Betriebserwerber für den Teil der Betriebsrentenansprüche, der nach Eröffnung des insolvenzrechtlichen Verfahrens erdient worden ist. Waren bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens Betriebsrentenansprüche oder -anwartschaften entstanden, nehmen sie an der Verteilung als Konkurs- bzw. Insolvenzforderungen teil. Soweit gesetzliche Unverfallbarkeit vorliegt, haftet hierfür der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV).
Diese Grundsätze gelten auch für eine endgehaltsbezogene und damit gehaltsdynamische Versorgung. Dies hat zur Konsequenz, dass die bereits bis zur Insolvenz erdiente Gehaltsdynamik – soweit hierfür der PSV nicht eintritt – vom Kläger als Insolvenzforderung gegenüber der Insolvenzmasse geltend zu machen ist.
Das Landesarbeitsgericht zieht insoweit eine Parallele zu den vom BAG im Zusammenhang mit einer verschlechternden Neuordnung aufgestellten Grundsätzen und der insoweit vom BAG vorgenommenen Differenzierung zwischen dienstzeitabhängigen Steigerungsraten und einer gehaltsbezogenen Dynamik. Letztere genießt aufgrund der Tatsache, dass der Mitarbeiter insoweit schon seine Gegenleistung erbracht hat, einen höheren Besitzstandsschutz, als noch nicht erdiente künftige Zuwächse. Hat der Mitarbeiter aber bereits einen entsprechend schützenswerten Besitzstand erdient, so richtet sich der diesbezügliche Anspruch aufgrund der besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts nicht gegen den Betriebserwerber, sondern ist im Insolvenzverfahren geltend zu machen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass für die erdiente Gehaltsdynamik der PSV nicht haftet, da aufgrund der Ungewissheit der künftigen Gehaltsentwicklung § 7 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG i.V.m. § 2 Abs. 5 BetrAVG insoweit eine Haftungsbegrenzung vorsieht, als bei der Berechnung der vom PSV zu übernehmenden Anwartschaft auf das im Insolvenzzeitpunkt gezahlte Gehalt abzustellen ist und somit die Dynamik unberücksichtigt bleibt. Dieser vom Insolvenzschutz nicht erfasste Teil der erdienten Anwartschaft geht dem Versorgungsberechtigten allerdings nicht zwingend verloren, sondern kann als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle – unbedingte Forderung, deren Geldbetrag unbestimmt ist (§ 45 Satz 1 InsO) – angemeldet werden.
Für die Haftung der Beklagten aus der übernommenen Altersversorgung spielt es daher keine Rolle, ob der PSV einstandspflichtig ist oder nicht. Die Insolvenz des Arbeitgebers berührt nicht den Bestand und die Ausgestaltung der Versorgungsrechte, sondern ihre Durchsetzbarkeit. Jeder Gläubiger kann seine Forderung nur im Rahmen des Insolvenzrechts realisieren. Soweit die gesetzliche Einstandspflicht des PSV nicht greift, kann der Kläger den bis zur Insolvenzeröffnung erdienten Anteil daher wie jeder andere Gläubiger nur im Rahmen des Insolvenzverfahrens realisieren, nicht aber gegenüber der Beklagten als Betriebserwerberin. Diese Rechtsfolge ergibt sich vielmehr unmittelbar aus dem Insolvenzrecht.
Das Landesarbeitsgericht nimmt auch zur europarechtlichen Dimension des Insolvenzschutzes Stellung. Der Insolvenzschutz von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ist unionsrechtlich in Art. 8 RL 2008/94/EG geregelt. Danach müssen im nationalen Recht „notwendige Maßnahmen“ u.a. zum Schutz der Leistungen bei Alter getroffen werden. Dies ist in Deutschland die in den §§ 7 ff BetrAVG normierte Insolvenzsicherung durch den PSV.
Art. 8 RL 2008/94/EG verlangt jedoch keine vollständige Absicherung der Ansprüche auf Leistungen bei Alter aus Zusatzversorgungseinrichtungen, sondern lediglich allgemein den Erlass der notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Betroffenen und räumt damit den Mitgliedstaaten insoweit einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der Festlegung des Schutzniveaus ein, der eine Pflicht zur vollständigen Absicherung ausschließt. Nur Vorschriften, die auf eine Leistungsgarantie von weniger als die Hälfte der Ansprüche begrenzt sind, die einem Arbeitnehmer ohne Insolvenz zustünden, sind mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Eine solche Aushöhlung der Versorgungsansprüche ist im betriebsrentenrechtlichen Insolvenzschutz nicht vorgesehen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des LArbG Düsseldorf setzt die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Haftungsverteilung bei einem Betriebsübergang nach vorangegangener Arbeitgeberinsolvenz konsequent fort und begrenzt die Haftung des Betriebserwerbers auch im Falle einer endgehaltsbezogenen Versorgungsformel auf die bei ihm erdienten Versorgungsanwartschaften.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Rechtsfolgen des § 613a BGB sind auch bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz zu berücksichtigen, soweit es sich nicht um bei Insolvenzeröffnung bereits entstandene Ansprüche handelt. Insoweit haben die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens Vorrang.
Der Betriebserwerber tritt somit in die bestehenden Versorgungsanwartschaften ein, schuldet im Leistungsfall jedoch gleichwohl nicht deren volle Höhe. Soweit die Anwartschaft nämlich bei Insolvenzeröffnung bereits gesetzlich unverfallbar war, haftet hierfür der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung für den bis dahin zeitanteilig erdienten Teil nach Maßgabe von § 7 Abs. 2 BetrAVG. Die insolvenzrechtlichen Regelungen des Betriebsrentengesetzes sind somit lex specialis zu § 613a BGB. Der im Insolvenzverfahren die Arbeitsverhältnisse übernehmende Erwerber haftet daher nur insoweit, wie die bestehenden Ansprüche der Arbeitnehmer nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, mithin also nur insoweit, als sie auf Beschäftigungszeiten nach dem Betriebsübergang beruhen.
Sofern die Anwartschaft des betroffenen Mitarbeiters im Zeitpunkt der Insolvenz noch nicht die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen erfüllt hat und daher auch nicht vom PSV gesetzlich geschützt wird, muss der Arbeitnehmer den bis zur Insolvenzeröffnung erdienten Anwartschaftsbetrag zur Insolvenztabelle anmelden. Für den danach erdienten Teil haftet auch hier der Betriebserwerber.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Im Zusammenhang mit der Berechnung der dem Kläger zustehenden Betriebsrente vertritt das LArbG Düsseldorf die Auffassung, dass eine in einer Versorgungsordnung für den Bezug der Altersrente normierte Altersgrenze von 65 Jahren regelmäßig auch dann als dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zu werten ist, wenn es sich nicht um ein Gesamtversorgungssystem handelt. Damit geht das Landesarbeitsgericht über die zuletzt insoweit auf Gesamtversorgungssysteme beschränkte Rechtsprechung des BAG hinaus, ohne sich insoweit mit den kritischen Literaturansichten (u.a. Langohr-Plato, BetrAV 2013, 402 m.w.N.) auseinanderzusetzen. Von daher bleibt abzuwarten, ob das BAG in der anhängigen Revision (Az.: 3 AZR 139/17) diese Ansicht bestätigt oder zu einer differenzierten Bewertung gelangt.