Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2017 von Eversloh, jurisPR-SteuerR 27/2017 Anm. 4
Leitsatz
Führt die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO aufgrund einer Rückzahlung an den Insolvenzverwalter zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG, ist der sich hieraus ergebende Steueranspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Teil der Masseverbindlichkeit für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung.
A. Problemstellung
Die Berichtigung der Vorsteuer im Insolvenzfall ist immer wieder Gegenstand finanzgerichtlicher Entscheidungen. Der Insolvenzverwalter kann durch Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) eine Rückzahlung des vom Insolvenzschuldner eingenommenen Entgelts aus einem mit einem Dritten getätigten Rechtsgeschäft verlangen, was zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs führt. Zu klären war, ob es sich beim somit ergebenden Steueranspruch um eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung handelt. Dabei ist einerseits die Frage zu beantworten, wann ein Entgelt uneinbringlich i.S.d. § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist und ob es sogar nachträglich einbringlich werden kann. Ferner ist auf den Rechtscharakter der Berichtigung einzugehen, d.h. zu prüfen, ob es sich dabei um einen eigenständigen Tatbestand handelt, der sich nicht in der bloßen Berücksichtigung der Rückzahlung erschöpft. Und schließlich ist auf den maßgebenden Zeitpunkt für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs einzugehen – ist es derjenige der Entstehung des Rückgewähranspruchs oder derjenige der tatsächlichen Rückzahlung?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Einzelunternehmer X bezog vor der Insolvenzeröffnung (12.05.2010) von Y Leistungen, bezahlte sie und beanspruchte den Vorsteuerabzug. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde diese Rechtshandlung durch den Insolvenzverwalter (Kläger) angefochten und die Rückzahlung vom Y bis Ende 2010 vereinnahmt. Das Finanzamt ordnete die Vorsteuerberichtigung dem Bereich der Masseverwaltung zu, so dass sich eine Steuererhöhung ergab. Dem hielt der Kläger entgegen, dass die Vorsteuerberichtigung zu einer Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO führe, da die den Anfechtungsanspruch begründenden Voraussetzungen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegen hätten. Daher hätten die vom X in anfechtbarer Weise geleisteten Zahlungen zu einem Anspruch nach § 17 UStG geführt, der im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet gewesen sei.
Der BFH folgte der Ansicht des Finanzgerichts, dass es sich bei der Vorsteuerberichtigung um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt, so dass die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 UStG zur Massenverwaltung zählt. Bei Änderung der Bemessungsgrundlage für den steuerpflichtigen Umsatz (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) muss der diesen Umsatz ausführende Unternehmer den dafür geschuldeten Steuerbetrag berichtigen. Der Unternehmer, an den der Umsatz ausgeführt wurde, muss den Vorsteuerabzug berichtigen.
Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt § 17 Abs. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. Bei nachträglicher Vereinnahmung müssen Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut berichtigt werden. Uneinbringlichkeit des Entgelts ist laut BFH zu bejahen, wenn „bei objektiver Betrachtungsweise damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann“. Auch ein vereinnahmtes Entgelt kann also aufgrund nachträglicher Rückgewähr uneinbringlich werden.
Vorliegend war die Insolvenzanfechtung Grundlage für die Rückgewähr. Erst aufgrund dieser Rückgewähr lebten die ursprünglichen Zahlungsansprüche wieder auf (§ 144 InsO), so dass diese Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) darstellen und als uneinbringlich zu behandeln sind. Die Rückgewähr führt zu einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 UStG.
Die Berichtigungsansprüche sind im Rahmen der Masseverwaltung entstanden und erhöhen daher die als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO festzusetzende Umsatzsteuerjahresschuld. Insoweit müssen sie gegenüber dem Insolvenzverwalter per Steuerbescheid, der auf einer Steuerberechnung nach den §§ 16 ff. UStG fußt, geltend gemacht werden. Dagegen ist der sich für das Kalenderjahr ergebende Umsatzsteueranspruch – soweit er auf den Besteuerungsgrundlagen beruht, die auf einen „zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch“ i.S.d. § 38 InsO fußen – als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174 ff. InsO).
Wie der BFH ausdrücklich betont, ist bezüglich der Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeit und Insolvenzforderung maßgebend, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Irrelevant ist der Zeitpunkt der Steuerentstehung gemäß § 13 UStG. Vorliegend war dies erst nach Insolvenzeröffnung der Fall.
Die Berichtigung nach § 17 UStG ist – so der BFH – wie auch z.B. bei § 15a UStG ein eigenständiger Tatbestand. Dieser erschöpft sich nicht in der bloßen Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs. Erfüllt werden müssen weitere Voraussetzungen – so im Besprechungsfall die tatsächliche Entgeltrückgewähr.
Liegt die Uneinbringlichkeit zuerst vor, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erst dann zu berichtigen, wenn das Entgelt nachträglich vereinnahmt wird. Daraus folgt für den umgekehrten Fall, dass das Entgelt zuerst entrichtet wird, dann aber zurückzuzahlen ist, dass die Berichtigung erst bei tatsächlicher Rückgewähr und nicht bereits mit Entstehung des Rückgewähranspruchs begründet wird.
C. Kontext der Entscheidung
Die doppelte Vorsteuerkorrektur hat unionsrechtliche Wurzeln: Die Vorsteuerberichtigung des § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG beruht unionsrechtlich auf Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL. Danach muss der Vorsteuerabzug berichtigt werden, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, gerändert haben. Die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 UStG fußt unionsrechtlich auf Art. 182 Abs. 2 MwStSystRL. Danach können die EU-Mitgliedstaaten in denjenigen Fällen eine Berichtigung verlangen, in denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet worden ist.
Die vorliegende Entscheidung steht nicht im Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung, nach welcher für eine Insolvenzforderung maßgebend ist, ob „der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen“ ist, ob also das diesen Tatbestand begründende „Schuldverhältnis vor Verfahrenseröffnung bestand“ (BGH, Beschl. v. 07.04.2005 – IX ZB 195/03 – NZI 2005, 403; Anm. Wehdeking, jurisPR-InsR 5/2005 Anm. 6; BGH, Beschl. v. 07.04.2005 – IX ZB 129/03 – ZInsO 2005, 537; BGH, Beschl. v. 22.09.2011 – IX ZB 121/11 – NZI 2011, 953). Sie weicht auch nicht von der BAG-Rechtsprechung ab, wonach die Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO voraussetzt, dass es sich um ein vom Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung eingegangenes Schuldverhältnis handelt (BAG, Beschl. v. 09.12.2009 – 7 ABR 90/07 – BAGE 132, 333 = ZIP 2010, 588). Entscheidend ist also, ob das Berichtigungsschuldverhältnis i.S.d. § 17 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 UStG vor oder nach der Insolvenzeröffnung „eingegangen“ oder begründet wurde.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Fall konkretisiert die Rechtsprechung zur doppelten Korrektur der Vorsteuer. Wie dem Besprechungsurteil zu entnehmen ist, ist für die Beurteilung des Berichtigungsmaßstabs nicht das Entstehen des Rückgewähranspruchs entscheidend, sondern der Zeitpunkt der tatsächlichen Rückzahlung. Das bedeutet im umgekehrten Fall: Liegt die Uneinbringlichkeit aufgrund der Insolvenzeröffnung zuerst vor, müssen der Steuerbetrag und der Vorsteuerabzug erst und nur dann berichtigt werden, wenn das Entgelt nachträglich vereinnahmt wird (vgl. auch Heuermann, DStR 2017, 495, 496).
Der BFH sieht durchaus, dass die Rückgewähr nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung völlig offen ist. Denn der Schuldner des Rückzahlungsanspruchs kann zahlungsunfähig oder -unwillig werden. Dieses Risiko ist systemimmanent. Auch wenn Intention der Insolvenzanfechtung das Wiederaufleben der ursprünglichen Forderung ist, begründet dies, wie der BFH ausdrücklich betont, keine Rückbeziehung des umsatzsteuerrechtlichen Berichtigungstatbestands, der erst durch die tatsächliche Rückzahlung realisiert wird.