Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2017 von Wozniak, jurisPR-InsR 13/2017 Anm. 2 zu dem gleichen Urteil des BFH

Leitsätze

1. Zahlt ein Gläubiger des Insolvenzschuldners Beträge, die er vor Insolvenzeröffnung vom Insolvenzschuldner vereinnahmt hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse zurück, hat der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Rückzahlung den Vorsteuerabzug gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen.
2. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs führt zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

A. Problemstellung

In einer bereits länger erwarteten Entscheidung hatte sich der 11. Senat des BFH nunmehr mit der Frage auseinander zu setzen, inwieweit eine Insolvenzanfechtung Umsatzsteuerzahllasten beim Insolvenzverwalter im Rang von Masseverbindlichkeiten begründen kann. Der BFH bejaht dies.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit Beschluss vom 22.04.2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Y eröffnet und der Kläger und Revisionskläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Y war Unternehmer, der seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuerte (Sollversteuerer). Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte Y Zahlungen an seine Gläubiger für an sein Unternehmen ausgeführte Lieferungen und sonstige Leistungen getätigt und den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Der Kläger focht diese Zahlungen im Originalwortlaut der Entscheidung „gemäß § 129 InsO“ an. Die Gläubiger, bei denen angefochten wurde, leisteten im Jahr 2013 Zahlungen aufgrund Insolvenzanfechtung an die Masse.
Der Kläger korrigierte unter der Steuernummer der Insolvenzmasse in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2013 den Vorsteuerabzug, indem er nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG geschuldete Steuerbeträge erklärte. Mit Schreiben vom 07.11.2014 beantragte der Kläger, die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 Euro festgesetzt werde. Dies lehnte das beklagte Finanzamt mit Bescheid vom 12.11.2014 ab. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Auch das Finanzgericht hatte die Klage, mit der der Kläger geltend machte, die Vorsteuerberichtigungsansprüche seien Insolvenzforderungen, weil sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden seien, abgewiesen. Das Finanzgericht ging von einer Masseverbindlichkeit aus, weshalb die Festsetzung im Jahr 2013 gegen die Masse zutreffend sei.
Mit der streitgegenständlichen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, die im Streitjahr vorzunehmende Vorsteuerberichtigung führe zu einer Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO, die nicht gegen den Kläger festzusetzen sei. Die Umsatzsteuer i.S.d. § 17 UStG sei bei Insolvenzeröffnung zwar noch nicht entstanden, aber begründet gewesen. Die den Anfechtungsanspruch begründenden Voraussetzungen hätten im Streitfall bereits vor Insolvenzeröffnung vorgelegen. Der Anfechtungsanspruch habe bereits vor Insolvenzeröffnung bestanden, der Anspruch auf Vorsteuer sei auflösend bedingt i.S.d. § 42 InsO gewesen. Dass die Rückzahlung erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt sei, sei unerheblich. Außerdem ergebe sich aus dem Kontext des § 144 InsO, dass die Rückgewähr zu einer Insolvenzforderung nicht zu einer Masseverbindlichkeit führe.
Der BFH hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen. Er geht davon aus, dass im Streitjahr nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug zu berichtigen sei. Ändere sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, habe der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt habe, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Dies gelte nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden sei. Werde das Entgelt nachträglich vereinnahmt, seien der Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen. Unionsrechtlich beruhten diese Vorschriften auf Art. 90, 185 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystem-Richtlinie). Soweit es um den Vorsteuerabzug gehe, sei dieser zu berücksichtigen, wenn die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrages berücksichtigt wurden, sich geändert hätten. In Fällen, in denen keine oder keine vollständige Zahlung geleistet werde, stehe es den Mitgliedstaaten frei, eine Berichtigung zu verlangen. Hiervon habe die Bundesrepublik Deutschland durch § 17 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG Gebrauch gemacht. Uneinbringlich werde ein Entgelt i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen sei, dass der Leistende die Entgeltforderung ganz oder teilweise jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen könne. Dies könne auch durch eine nachträgliche Rückgewähr an den Schuldner eintreten (unter Verweis auf BFH, Urt. v. 20.05.2010 – V R 5/09 Rn. 16 – BFH/NV 2011, 77).
Gemessen hieran habe – so der BFH – das Finanzgericht zu Recht angenommen, dass durch die im Jahr 2013 in Folge der Insolvenzanfechtung erfolgte Rückgewähr der gezahlten Beträge die Entgelte aus dem von Y bezogenen Leistungen nachträglich uneinbringlich geworden seien. Aufgrund dieser Rückgewähr lebten gemäß § 144 InsO die ursprünglichen Zahlungsansprüche der Gläubiger des Y wieder auf. Diese Ansprüche seien Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO und wegen der Insolvenz des Y uneinbringlich i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG. Deshalb hätten die Gläubiger des Y ihre Umsatzsteuer zu berichtigen; ebenso sei zeitgleich auch die Vorsteuer für die von Y bezogenen Leistungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen. Die sich insofern ergebenden Berichtigungsansprüche nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG seien auch im Rahmen der Masseverwaltung entstanden und daher als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegenüber dem Kläger festzusetzen. Masseverbindlichkeiten seien gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Diese seien durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen. Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimme sich nach ständiger Rechtsprechung danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sei. Ausgehend davon sei der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Streitjahr entstandene Vorsteuerberichtigungsanspruch eine Masseverbindlichkeit, denn er sei im Rahmen der Masseverwaltung entstanden. Hierzu zählte die Geltendmachung und Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen nach den §§ 129 ff. InsO. Da die Vorsteuerberichtigung erst im Zeitpunkt der Rückzahlung erfolge, führe § 144 InsO zu keiner anderen Beurteilung und widerspreche auch nicht § 42 InsO, da gerade durch die Berichtigung erst im Zeitpunkt der Rückzahlung § 42 InsO Rechnung getragen würde.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des BFH im konkreten Fall überrascht im Ergebnis (leider) inzwischen nicht mehr. Sie setzt eine scharf zu kritisierende Rechtsprechungstradition fort, die Fiskalvorrechte richterrechtlich generiert. Dass im vorliegenden Fall auch das Verhalten des Insolvenzverwalters für den Ausgang des Verfahrens nicht gänzlich ohne Ursache gewesen sein dürfte, ist relativ offensichtlich. Zunächst war nach den berichteten Tatbestandsvoraussetzungen eine Meldung auf die Massesteuernummer und eine Korrektur nach § 17 UStG für eine Anfechtungsforderung vorgenommen worden, von der der Verwalter nunmehr nach erfolgter Steuerfestsetzung sich „zurückrudernd“ wieder befreien wollte. Hier dürfte die Entscheidung der Finanzverwaltung und des Finanzgerichts zumindest nicht überraschen. Der weitere Vortrag im Verfahren, insbesondere betreffend die Frage der Entgeltkorrektur, kann nur als untunlich bezeichnet werden und geht an den tatsächlichen Problemstellungen vorbei. Man hätte hoffen können, dass zumindest der BFH sich mit den maßgeblichen Fragestellungen befasst, dies jedoch ist ebenfalls nicht geschehen. In einer kaum mehr mit dem Wortlaut der Norm zu vereinbarenden Art und Weise und in einer erstaunlichen Unkenntnis der dogmatischen Grundlagen des Insolvenzanfechtungsrechts werden fiskalische Ansprüche in den Rang von Masseverbindlichkeiten gehoben, die dort definitiv nichts verloren haben. Auch von einer nennenswerten Begründung, die insolvenzrechtlich trägt, kann keine Rede sein.
Bereits eine einfache Subsumtion der steuerrechtlichen Vorschriften widerlegt die Argumentation des BFH. Hat der Insolvenzschuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Zahlung an den Leistungsgläubiger erbracht, so ist Erfüllung eingetreten. Es kann also im Normalfall bereits keine Uneinbringlichkeit des Entgelts i.S.d. § 17 Abs. 2 Ziff. 1 UStG vorliegen. Auch vermengt der BFH die Frage der Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs, indem er in einem völlig verfehlten Verständnis des Anfechtungsrechts von einer Art Rücktrittsrecht oder einer Rückabwicklung des vorinsolvenzlich abgeschlossenen Schuldverhältnisses ausgeht. Der Anfechtungsanspruch ist jedenfalls in der insolvenzrechtlichen Literatur unstreitig ein originär insolvenzspezifischer gesetzlicher Anspruch. Er entsteht ausschließlich unter der Voraussetzung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Setzt der Insolvenzverwalter einen solchen Anspruch durch, so handelt es sich hierbei um die Durchsetzung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses. Bereits der Umstand, dass bei nur teilweisem Erfolg einer Anfechtungsforderung nur der aufgrund Anfechtung an die Masse gezahlte Betrag zur Tabelle angemeldet werden kann, widerlegt die „Rücktrittsthese“ des BFH.
Es liegen richtig betrachtet zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse vor. Zum einen liegt der vorinsolvenzlich abgeschlossene Leistungsaustausch vor, hinsichtlich dessen die Zahlungsforderung des Gläubigers durch Erfüllung seitens des Schuldners erloschen war. Dies ist nach dem hier mitgeteilten Sachverhalt auch bereits vor Insolvenzeröffnung geschehen. Steuerforderungen aus diesem Leistungsaustausch – sofern nicht erfüllt – stellen Forderungen im Rang von § 38 InsO dar.
Zum zweiten entsteht mit Insolvenzeröffnung ein gesetzliches Schuldverhältnis, das durch die insolvenzrechtliche Anfechtungsnorm begründet worden ist. Dieses gesetzliche Schuldverhältnis stellt selbst aber keinen steuerbaren Umsatz dar, weil dabei weder eine Lieferung noch eine sonstige Leistung erbracht wird. Insofern ist der Vorgang nicht steuerbar. Anders als der BFH meint, handelt es sich bei einer Insolvenzanfechtung auch nicht um die Rückabwicklung des ursprünglichen Umsatzgeschäftes, weil dieses von beiden Seiten vorinsolvenzlich abschließend erledigt und die wechselseitigen Ansprüche durch Erfüllung erloschen sind. Der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch ist kein Rücktrittsrecht, das zu einer Rückabwicklung des Umsatzgeschäftes führen würde, sondern ein insolvenzrechtlicher und damit bürgerlich-rechtlicher, normativ begründeter Anspruch auf Zahlung an die Insolvenzmasse, dem kein Leistungsaustausch zugrunde liegt.
Abgesehen davon ließe sich die Annahme einer Masseverbindlichkeit auch nicht mit der insolvenzrechtlichen Zielsetzung des Anfechtungsrechts vereinbaren. Insolvenzrechtliche Zielsetzung der Insolvenzanfechtung ist es, dem Gläubiger haftendes Vermögen wertmäßig wieder zuzuführen, was in durch den Gesetzgeber nicht tolerierter Weise (sprich anfechtbar) wirtschaftlich aus dem Schuldnervermögen abgeflossen ist. Die gläubigerbenachteiligende Wirkung dieser Zahlung auf Forderung eines Gläubigers bezieht sich aber nicht nur auf die Zahlung des Nettoentgeltes für die Leistung, sondern auf den gesamten, aus dem Schuldnervermögen abgeflossenen Bruttobetrag.
Außerdem geht die Annahme einer Masseverbindlichkeit auch deshalb nicht auf, da man bei konsequenter Fortführung zum Ergebnis eines Vorsteuererstattungsanspruchs kommen müsste. Wäre die Annahme zutreffend, dass aus der Insolvenzmasse die Vorsteuer berichtigt und abgeführt werden muss, die in dem angefochtenen Bruttobetrag enthalten war, müsste spiegelbildlich auf Seiten des Gläubigers, der auf den Anfechtungsanspruch hin an die Insolvenzmasse gezahlt hat, ein Erstattungsanspruch entstehen. Der Gläubiger würde seine wiederauflebende Bruttoforderung (§ 144 Abs. 1 InsO) dann zur Insolvenztabelle anmelden und dieser Anspruch wäre wieder als uneinbringlich i.S.d. § 17 UStG anzusehen. Hätte der Insolvenzschuldner die Vorsteuer bereits vorinsolvenzlich geltend gemacht und ausgezahlt erhalten, so wäre (wenn der Schuldner zu keinem Zeitpunkt Zahlungen an die Gläubiger geleistet hätte) der Anspruch der Finanzverwaltung auf Erstattung der wegen eingetretener Uneinbringlichkeit zu berichtigenden Vorsteuerbeträge bloße Insolvenzforderung. Denkt man diese Konstellation weiter, würde sich dadurch, dass der Insolvenzschuldner in einer durch den Gesetzgeber missbilligten Weise (anfechtbar) an den Gläubiger gezahlt hat, ein für die Gläubiger in ihrer Gesamtheit nachteiliges Ergebnis eintreten, weil die Vorsteuererstattungsforderung des Finanzamts nicht den Rang einer Insolvenzforderung, sondern plötzlich den Rang einer Masseverbindlichkeit einnimmt. Bereits dies belegt, wie widersinnig eine Einordnung als Masseverbindlichkeit bei Anfechtungsforderungen ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

In dieser Sache sind noch Verfahren beim BFH anhängig, auch aus dem Büro des Rezensenten, die im Laufe des Jahres 2017 verhandelt werden. Die Angelegenheit kann damit noch nicht als abschließend entschieden gelten. Es empfiehlt sich daher, die Voranmeldungen/Festsetzungen jedoch nicht bestandskräftig werden zu lassen und ggf. die Verfahren offenzuhalten, bis eine abschließende Entscheidung ergangen ist. Der BFH hat sich insbesondere mit der Fragestellung der Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs bislang in keiner Weise befasst, so dass auch hierauf aufbauend die Finanzverwaltung noch nicht abschließend entscheiden kann.
Es wäre für die nächste Legislaturperiode wünschenswert, wenn sich der Gesetzgeber nunmehr endlich zu einer Entscheidung durchringen könnte, ob er Fiskalvorrechte wieder einführen will und die Gläubigergleichbehandlung (partiell) aufgibt. Wer diesen Rückschritt vor 1999 will, sollte zumindest eine klare gesetzliche Regelung schaffen, statt das geltende Recht einzelfallbezogen in einer den Wortlaut sprengenden Auslegung fiskalisch motiviert „zurechtzubiegen“. Die Judikatur des BFH verfährt leider in den letzten Jahren wiederholt so und trägt damit nicht zur Qualität der Rechtsauslegung bei.