Nachfolgend ein Beitrag vom 19.09.2016 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 38/2016 Anm. 6

Tenor

1. Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, in dem ein Gebäude auf der Ausgangsstufe sowohl zur Ausführung bestimmter Umsätze verwendet wird, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch zur Ausführung anderer Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, die Mitgliedstaaten nicht vorschreiben müssen, dass die auf der Eingangsstufe für die Errichtung, Anschaffung, Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung dieses Gebäudes verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen zunächst diesen verschiedenen Umsätzen zugeordnet werden, wenn eine solche Zuordnung schwer durchführbar ist, damit danach nur das Recht auf Vorsteuerabzug für diejenigen Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für bestimmte Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für andere Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, anhand eines Umsatzschlüssels oder, vorausgesetzt, diese Methode gewährleistet eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs, eines Flächenschlüssels bestimmt wird.
2. Art. 20 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 95/7 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er verlangt, dass infolge der während des betreffenden Berichtigungszeitraums erfolgten Festlegung eines für die Berechnung der Vorsteuerabzüge verwendeten Aufteilungsschlüssels, der von der in dieser Richtlinie vorgesehenen Methode zur Bestimmung des Rechts auf Vorsteuerabzug abweicht, eine Berichtigung der Vorsteuerabzüge für Gegenstände oder Dienstleistungen, die unter Art. 17 Abs. 5 dieser Richtlinie fallen, vorgenommen wird.
3. Die allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind dahin auszulegen, dass sie geltenden nationalen Rechtsvorschriften, die weder ausdrücklich eine Vorsteuerberichtigung i.S.v. Art. 20 der Sechsten Richtlinie in der durch die Richtlinie 95/7 geänderten Fassung infolge einer Änderung des für die Berechnung bestimmter Vorsteuerabzüge verwendeten Aufteilungsschlüssels anordnen noch eine Übergangsregelung vorsehen, obwohl die vom Steuerpflichtigen angewandte Vorsteueraufteilung nach dem vor dieser Änderung geltenden Aufteilungsschlüssel höchstrichterlich generell als sachgerecht anerkannt worden war, nicht entgegenstehen.

A. Problemstellung

Der Vorsteueraufteilungsschlüssel für Immobilien beschäftigt die Finanzgerichte seit mehr als 20 Jahren. Nach einer weiteren EuGH-Vorlage des BFH (Beschl. v. 05.06.2014 – XI R 31/09 – BFHE 245, 447 = BFH/NV 2014, 1334, Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 45/2014 Anm. 6) war teilweise die endgültige Klärung der Fundamentalfrage erwartet worden, unter welchen Umständen ein Umsatzschlüssel durch nationale Gesetzgebung als nachrangig definiert werden darf. Allerdings wich der EuGH in der hier besprochenen Entscheidung von den Schlussanträgen des Generalanwalts deutlich ab.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Grundstücksgemeinschaft Rey (Rey GbR) ließ in den Jahren 1999 bis 2004 ein Altgebäude abreißen und ein neues Gebäude errichten, das 2004 fertiggestellt wurde. Teilweise wurden Einheiten (Wohnungen und Geschäfte sowie Garagenplätze) bereits nach deren Fertigstellung im Jahr 2002 vermietet. Für Zwecke des Vorsteuerabzugs in den Jahren bis 2003 wandte die Rey GbR eine Aufteilung nach dem Verhältnis der Umsätze (einschließlich der geplanten Vermietung der noch unfertigen Einheiten) an, wobei dann im Jahr 2004 teilweise tatsächlich abweichend von den Erwartungen steuerfrei vermietet wurde (§ 4 Nr. 12 UStG). In Deutschland wurde zudem zum 01.01.2004 § 15 Abs. 4 UStG geändert, so dass nach dem Gesetzeswortlaut ein Umsatzschlüssel nur noch angewendet werden sollte, wenn keine andere wirtschaftliche Zuordnung möglich war.
Dementsprechend änderte das Finanzamt Krefeld die Umsatzsteuerveranlagung 2004 zulasten der Rey GbR unter Anwendung eines flächenbezogenen Aufteilungsmaßstabs. Hiergegen klagte die Rey GbR teilweise erfolgreich vor dem FG Düsseldorf (Urt. v. 11.09.2009 – 1 K 996/07 U – EFG 2010, 178) und erreichte insoweit eine Änderung, als dass nach Meinung des Finanzgerichts nur die Vorsteuerbeträge des Jahres 2004 nach der neuen Methode aufzuteilen waren. Gegen das Urteil wandten sich sowohl die Rey GbR als auch das Finanzamt mit der Revision zum BFH.
Dieser legte dem EuGH die im Beschlusstenor formulierten Fragen zur Beurteilung vor. Der EuGH beantwortet die Fragen einzeln. Dabei folgt er nicht den Schlussanträgen des Generalanwalts Mengozi vom 25.11.2015, der eine zusammengefasste Entscheidung dergestalt vorgeschlagen hatte, dass die Sechste Richtlinie es den Mitgliedstaaten verwehre, global den Umsatzschlüssel auszuschließen, sowie verlange, bei abweichenden Vorgaben müssten diese ausreichend eindeutig sein.
I. Zur ersten Frage, die Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 173 MwStSystRL) betrifft, gibt der EuGH die Antwort, dass ein Mitgliedstaat bei gemischter Verwendung eines Gebäudes nicht zunächst eine Zuordnung vorschreiben muss, falls eine solche Zuordnung schwer durchführbar ist, und im Übrigen eine Aufteilung nach einem Umsatzschlüssel, oder, wenn dieser präziser ist, nach einem Flächenschlüssel erfolgen soll. Der EuGH äußert die Vermutung, eine direkte Zuordnung von Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines Gebäudes sei allgemein leicht durchführbar, doch habe dies abschließend das vorlegende nationale Gericht zu beurteilen. Zu den Eingangsleistungen aus der Errichtung macht der EuGH keine entsprechende Aussage, sondern überlässt dies vollumfänglich dem BFH zur Beurteilung.
Im Übrigen sehe die Richtlinie als Regelmethode den Umsatzschlüssel vor. Doch dürften die Mitgliedstaaten hiervon abweichen, wenn die abweichende Methode präziser sei (Verweis auf EuGH, Urt. v. 08.11.2012 – C-511/10 – UR 2012, 968 = DStR 2012, 2333 „BLC Baumarkt“, Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 51/2012 Anm. 6), ohne dass dabei die abweichende Methode zwingend die genauestmögliche sein muss. Der BFH müsse nun prüfen, ob der Flächenschlüssel ein präziseres Ergebnis liefere als der Umsatzschlüssel.
II. Die zweite Frage beantwortet der EuGH eindeutig und bejahend, d.h. ein vorgeschriebener Methodenwechsel führt zu einer Vorsteuerberichtigungspflicht nach Art. 20 Sechste Richtlinie (nunmehr Art. 184 ff. MwStSystRL).
III. Zur dritten Frage schließlich führt der EuGH aus, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht der vorliegenden Änderung des Aufteilungsschlüssels entgegenstehen. Im vorliegenden Fall sei eine neue Rechtsnorm ohne Rückwirkung eingeführt worden, was grundsätzlich unionsrechtskonform sei. Zwar könnten besondere Umstände Anpassungen erfordern, insbesondere müsse den Steuerpflichtigen ausreichend Zeit zur Umsetzung gegeben werden. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall, denn die Änderung führe nicht zu einer Aufhebung des Rechts auf Vorsteuerabzug, sondern nur zu einer abweichenden Berechnungsmethode. Auch sei ein Gesetzgeber berechtigt, seine Rechtsvorschriften zukunftsbezogen zu ändern.

C. Kontext der Entscheidung

Mindestens seit den Neunzigerjahren ist unklar, ob Vorsteuerbeträge aus Immobilien nach einem Umsatzschlüssel oder einem Flächenschlüssel aufzuteilen sind. Der BFH hatte ursprünglich in mehreren Entscheidungen den Umsatzschlüssel als sachgerecht angesehen (vgl. insbesondere BFH, Urt. v. 17.08.2001 – V R 32/01 – BFH/NV 2002, 229; BFH, Urt. v. 17.08.2001 – V R 1/01 – BStBl II 2002, 833; BFH, Urt. v. 17.08.2001 – V R 52/00 – BFH/NV 2002, 225, sämtlich unter Aufgabe älterer Rechtsprechung zum Flächenschlüssel; vgl. BFH, Urt. v. 12.03.1992 – V R 70/87 – BStBl II 1992, 755).
Die Finanzverwaltung reagierte teilweise mit einem Nichtanwendungserlass (BMF-Schreiben v. 19.11.2002 – IV B 7-S 7306-25/02 – BStBl I 2002, 1368), bevor dann durch das Steueränderungsgesetz 2003 mit Wirkung zum 01.01.2004 § 15 Abs. 4 UStG neu gefasst und der Umsatzschlüssel als nachrangig gesetzlich vorgeschrieben wurde. Für Veranlagungsjahre bis 2003 akzeptierte die Finanzverwaltung allerdings letztlich den Umsatzschlüssel (vgl. BMF-Schreiben v. 24.11.2004 – IV A 5-S 7306-4/04 – BStBl I 2004, 1125), während für spätere Zeiträume der Flächenschlüssel vorrangig sein soll (vgl. nunmehr Abschnitt 15.17 Abs. 7 Satz 4 UStAE). Steuerpflichtige, die bis 2003 den Umsatzschlüssel angewendet hatten, sind zusätzlich nach Verwaltungsmeinung zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG verpflichtet.
Der V. Senat des BFH legte Grundsatzfragen an den EuGH vor, die dieser im Jahr 2012 in seiner Entscheidung in der Rechtssache „BlC Baumarkt“ mit der Kernaussage beantwortete, dass ein vom Umsatzschlüssel als Regelaufteilungsmethode abweichender Maßstab nur als vorrangig vorgeschrieben werden durfte, wenn dieser präziser ist. Der BFH setzte dies in seinem Nachfolgeurteil (BFH, Urt. v. 22.08.2013 – V R 19/09 – BFHE 243, 8 = BFH/NV 2014, 278) im Wege einer teleologischen Reduktion des § 15 Abs. 4 UStG so um, dass ein objektbezogener Flächenschlüssel im Urteilsfall die präzisere Methode darstellte, dies jedoch nur für von § 15a UStG erfasste Vorsteuerbeträge gelten sollte. Für die übrigen Vorsteuerbeträge sei ein Umsatzschlüssel zu verwenden.
Eine schriftliche Verwaltungsreaktion unterblieb. Der BFH gab die Rechtsprechung ohne ausführliche Begründung bereits im Folgejahr wieder teilweise auf (BFH, Urt. v. 07.05.2014 – V R 1/10 – BFHE 245, 416 = BFH/NV 2014, 1177, Anm. Eversloh, jurisPR-SteuerR 28/2014 Anm. 6), indem er die Anknüpfung an § 15a UStG wieder fallenließ und für den Urteilsfall weiter entschied, bei abweichender Ausstattung der unterschiedlich genutzten Räume sei ein objektbezogener Umsatzschlüssel anzuwenden. Auch zu dieser Entscheidung liegt keine schriftliche Verwaltungsmeinung vor, denn wenig später legte der XI. Senat im nunmehr entschiedenen Verfahren an den EuGH vor.
Es ist abzuwarten, wie der BFH nun entscheiden wird, jedoch ist voraussichtlich davon auszugehen, dass ein objektbezogener Umsatzschlüssel für alle nicht direkt bestimmten Umsätzen zuordenbaren Kosten als sachgerecht und unionsrechtlich geboten bewertet werden wird, vorausgesetzt, ein objektbezogener Flächenschlüssel ist nicht präziser, wobei die Überlegung des V. Senats zur abweichenden Raumausstattung überzeugt. Zusätzlich dürfte der BFH entscheiden, dass Eingangsleistungen aus laufenden Kosten zunächst direkt zuzuordnen sind, soweit dies möglich ist (z.B. Reparaturarbeiten im steuerfrei vermieteten Teil).
Es ist zu hoffen, dass der BFH nicht entscheiden wird, dass Herstellungskosten entsprechend zugeordnet werden müssen, denn dies erscheint für größere Projekte nicht umsetzbar. Man stelle sich nur vor, ein mehrjähriges Bauprojekt sei – wie praxisüblich der Fall – mehrmaligen Änderungen der objektiven Verwendungsabsicht unterworfen. Dies hätte dann zur Folge, dass nicht wie bisher ein Berichtigungsobjekt „Gebäude“ zu bilden wäre, sondern im Extremfall würden in jedem Konstruktionsjahr mehrere Berichtigungsobjekte je nach geplanter Verwendung eines Gebäudebereichs gebildet, die dann später anzupassen und nach Beginn der Verwendung für § 15a-Zwecke separat fortzuführen wären.
Im Übrigen hat der BFH erst Mitte der 2000er Jahre entschieden, dass Anschaffungs- oder Herstellungskosten in der Regel einem einheitlichen Berichtigungsobjekt „Gebäude“ zuzuordnen und dann mit Schlüssel aufzuteilen seien (BFH, Urt. v. 22.11.2007 – V R 43/06 – BStBl II 2008, 770; BFH, Urt. v. 28.09.2006 – V R 43/03 – BStBl II 2007, 417, Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 2/2007 Anm. 3). Der BFH verwarf in dieser Rechtsprechung die vorher vertretene Verwaltungsmeinung, die eine getrennte Zuordnung vorschrieb, und die dann schließlich in 2008 aufgegeben wurde (vgl. BMF-Schreiben v. 30.09.2008 – IV B 8-S 7306/08/10001 – BStBl I 2008, 896, nunmehr Abschn. 15.17 Abs. 7 UStAE mit Beispielen).
Eine Abweichung von diesen Grundsätzen kam durch ein EuGH-Verfahren aus dem Niederlanden zustande, nach dem ein nachträglicher Dachgeschossausbau als eigenes Investitionsgut für Vorsteuerzwecke anzusehen sei (EuGH, Urt. v. 19.07.2012 – C-334/10 – DStR 2012, 1551 = UR 2012, 726 „X“), was durch BMF-Schreiben vom 02.01.2014 (IV D 2-S 7300/12/10002:001) umgesetzt worden ist (nun in Abschn. 15.2c Abs. 9 UStAE).

D. Auswirkungen für die Praxis

Es ist unklar, wie der XI. Senat des BFH das Urteil umsetzen wird. Abermals liefert der EuGH keine eindeutige Antwort auf die Frage, welcher Schlüssel vorrangig anzuwenden ist, sondern er wiederholt im Wesentlichen die Grundsätze älterer Entscheidungen, dass der Umsatzschlüssel die Regelmethode darstelle, die Mitgliedstaaten jedoch abweichende Methoden vorschreiben dürften, wenn diese präziser seien. Immerhin hat der EuGH entschieden, was allerdings nicht überraschend ist, dass die Grundsätze für alle Vorsteuerbeträge, die aufzuteilen sind, gleichermaßen gelten.
Nach wie vor ist Unternehmen, die gemischt genutzte Immobilien halten, eine Günstigerprüfung anzuraten. Ist ein Umsatzschlüssel vorteilhaft, und liegt eine abweichende Raumausstattung vor, sollten Veranlagungen möglichst offengehalten werden, bis der BFH entschieden und die Finanzverwaltung reagiert hat. Dann wird allerdings bei Objekten, für die ursprünglich ein Flächenschlüssel angewendet wurde, zusätzlich zu entscheiden sein, ob die BFH-Rechtsprechung einem Methodenwechsel entgegensteht, den der BFH in der Vergangenheit für „sachgerechte“ Methoden bereits mehrmals verwehrte (vgl. BFH, Urt. v. 02.03.2006 – V R 49/05 – BStBl II 2006, 729, Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 43/2006 Anm. 5; BFH, Urt. v. 18.03.2010 – V R 44/08 – BFH/NV 2010, 1871, Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 46/2010 Anm. 6). Andererseits sind Zweifel angebracht, ob ein Flächenschlüssel bei abweichender Raumausstattung „sachgerecht“ ist.