Nachfolgend ein Beitrag vom 18.3.2016 von Ebert, jurisPR-BGHZivilR 5/2016 Anm. 3

Leitsatz

Die mit der Darstellung der Haltungsbedingungen von Tieren verbundene, an eine Bank gerichtete Aufforderung auf der Internetseite eines Tierschutzvereins, das Konto eines Interessenverbandes der Tierzüchter zu kündigen, kann ein mit einer Meinungsäußerung verbundener zulässiger Boykottaufruf sein.

A. Problemstellung

Unter welchen Voraussetzungen ist ein Boykottaufruf rechtmäßig?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der beklagte Tierschutzverein hatte auf seiner Internetseite unter der Überschrift „Volksbank – kündigt die Konten der Nerzquäler, jetzt“ über seinen Schriftwechsel mit der Volksbank berichtet, in dem diese aufgefordert wurde, die Kontoverbindung mit dem Kläger, einem Verein zur Vertretung der Interessen von Pelztierzüchtern, zu kündigen. In diesem Zusammenhang wurden auch die Haltungsbedingungen von Pelztieren kritisiert. Ebenso wurde angekündigt, falls die Volksbank die Konten nicht kündigen würde, eventuell die Kunden der Bank darüber zu informieren, „dass an dem Geld der Bank Blut klebt“. Auf der gleichen Internetseite wurde auch um Spenden gebeten und auf den Onlineshop des Tierschutzvereins verwiesen.
Der Kläger sieht in diesem Aufruf einen rechtswidrigen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Mit seiner Klage begehrt er die Unterlassung des im Internet veröffentlichten Aufrufs.
Das LG Osnabrück wies die Klage ab. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers gab das OLG Oldenburg der Klage statt: Der gezielte Boykottaufruf des Beklagten überschreite die Grenze einer zulässigen Meinungsäußerung und stelle daher einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Diesem stünde daher ein Unterlassungsanspruch aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB zu.
Die dagegen gerichtete Revision des Beklagten führte zur Aufhebung des Urteils des OLG Oldenburg und zur Abweisung der Klage durch den BGH:
Zwar greife der Aufruf des Beklagten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. Insbesondere stehe dem Kläger als juristischer Person Persönlichkeitsschutz zu, zumal, wenn sie wie hier in ihrem sozialen Geltungsbereich in ihrem Aufgabenbereich betroffen sei. Denn mit seinem Aufruf bringe der Beklagte zum Ausdruck, dass er den Kläger nicht für einen würdigen Geschäftspartner halte.
Dennoch stehe dem Kläger kein Unterlassungsanspruch zu, da eine Abwägung der Interessen der Parteien nicht dazu führe, dass der Aufruf des Beklagten als rechtswidrig anzusehen sei. Vielmehr überwiege die grundrechtlich geschützte Position des Klägers nicht die des Beklagten.
Da es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein Rahmenrecht handele, liege seine Reichweite nicht absolut fest, sondern müsse stets durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange der Parteien bestimmt werden. Hierbei seien die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei dabei nur rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange des Eingreifenden überwiegen.
Danach war im vorliegenden Fall das Schutzinteresse des Klägers mit dem Recht auf Meinungsfreiheit des Beklagten (Art. 5 GG, Art. 10 EMRK) abzuwägen. Der Aufruf des Beklagten sei dabei als Meinungsäußerung und nicht als Tatsachenbehauptung anzusehen. Denn die Äußerungen des Beklagten seien „entscheidend durch das Element des Dafürhaltens und Meinens geprägt“, da sie die Missbilligung des geschäftlichen Verhaltens von Pelztierzüchtern zum Ausdruck bringen. Auch sei der Begriff „Nerzquäler“ unabhängig von der Definition eines straf- oder bußgeldbewehrten Verstoßes gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes dahin zu interpretieren, dass der Beklagte den Umgang mit Pelztieren als unverantwortlich und daher moralisch verwerflich bewerte. Ein grundrechtlicher Schutz sei den Äußerungen des Beklagten auch nicht etwa deshalb entzogen, weil es sich bei dessen Aufforderung zur Kontokündigung um eine Boykottmaßnahme handele. Denn auch ein Boykottaufruf könne von Art. 5 GG geschützt sein (BVerfG, Beschl. v. 26.02.1969 – 1 BvR 619/63 – BVerfGE 25, 256 „Blinkfüer“).
Schließlich überwiege hier auch nicht das Schutzinteresse des Klägers das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit. Maßgeblich für die gebotene Abwägung der Interessen beider Seiten sollen drei Kriterien sein:
1. Zunächst müssten die Motive des zum Boykott Aufrufenden, das Ziel und der Zweck des Aufrufs berücksichtigt werden. Handelt der Aufrufende aus Sorge um politische, soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, habe regelmäßig der Schutz seiner Interessen Vorrang. Dies sei hier der Fall. Daran ändere auch nichts, dass der Beklagte auf der gleichen Internetseite auch wirtschaftliche Interessen verfolgt, wie etwa das Einwerben von Spenden. Auch etwaige wirtschaftlich nachteilige Effekte für den Kläger seien für diese Bewertung unschädlich. Eine andere Bewertung wäre hingegen geboten, wenn der Boykottaufruf im Rahmen eines wirtschaftlichen Wettbewerbs erfolgt wäre. Kläger und Beklagter stünden hier jedoch in keinem wirtschaftlichen Konkurrenzverhältnis, sondern der Beklagte habe sich mit einem die Öffentlichkeit berührenden Anliegen befasst und hierzu seine Meinung kundgetan.
2. Darüber hinaus sei zu prüfen, ob der zum Boykott Aufrufende das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder Dritter nicht überschritten habe. Dies sei hier nicht der Fall, zumal der Beklagte ein die Öffentlichkeit wesentlich berührendes Anliegen verfolge und die Beeinträchtigungen der Betroffenen kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreichen. Der Beklagte hätte sich lediglich auf ein weniger belastendes Mittel beschränken müssen, wenn dieses in gleicher Weise Erfolg versprochen hätte. Ein solches milderes Mittel sei hier aber nicht ersichtlich. Ebenso wenig gäbe es Anzeichen dafür, dass der Kläger, selbst wenn es zu einer Kündigung seiner Konten bei der Volksbank gekommen wäre, nicht die Möglichkeit gehabt hätte, anderweitig ein Bankkonto zu führen. Der Boykottaufruf des Beklagten sei schließlich auch nicht uneeignet, weil der Kläger selbst gar keine Pelztiere züchtet. Denn aus der Sicht des objektiven Empfängerhorizonts des Adressatenkreises könne der Kläger eine Verbesserung der Haltungsbedingungen von Pelztieren zumindest mittelbar erreichen. Als Interessenverband sei es auch gerade seine Aufgabe, als Sprachrohr der Pelztierzüchter am öffentlichen Meinungskampf teilzunehmen. Ebenso fehle es an einer unzulässigen Prangerwirkung. Pelztierzüchter und ihre Interessenvertreter seien wegen der Haltungsbedingungen von Pelztieren seit längerem einer intensiven öffentlichen Diskussion ausgesetzt. Durch den Boykottaufruf des Beklagten werde daher nicht etwa ein beanstandungswürdiges Verhalten erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht.
3. Schließlich dürften auch die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein. Hier habe der Beklagte jedoch kein verfassungsrechtlich nicht zu billigendes Machtmittel eingesetzt. Der Beklagte habe nicht den Bereich freier geistiger Auseinandersetzung verlassen und der Volksbank nicht die Möglichkeit genommen, durch eine freie Willensentschließung darüber zu befinden, ob sie dem Boykottaufruf folgen wolle. Es liege insbesondere keine Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile oder die Ausnutzung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit vor. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte über solche Einflussmöglichkeiten verfüge, dass der Volksbank durch seinen Druck geradezu die Entscheidungsfreiheit genommen wurde. Allein der Umstand einer druckvollen Einflussnahme auf die Meinungsfindung reiche nicht aus, um ein Machtmittel als verfassungsrechtlich missbilligenswert zu bewerten (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 26.02.1969 – 1 BvR 619/63; BVerfG, Beschl. v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80, 1 BvR 438/80, 1 BvR 437/80 – BVerfGE 62, 230 „Boykottaufruf“).
Im Ergebnis müsse daher der Kläger in Anbetracht des hohen Stellenwertes des Rechts auf freie Meinungsäußerung das Vorgehen des Beklagten hinnehmen.

C. Kontext der Entscheidung

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist verfassungsrechtlich geschützt und genießt einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig kollidiert es aber regelmäßig mit Grundrechten der Gegenseite, insbesondere dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Dem trägt die Rechtsprechung dadurch Rechnung, dass in jedem Einzelfall umfassend die Interessen beider Seiten abgewogen werden.
Der BGH hat in der vorliegenden Entscheidung wieder einmal verdeutlicht, dass es bei dieser Interessenabwägung neben den Motiven für die Meinungsäußerung (nur persönliche wirtschaftliche Interessen oder zumindest auch übergeordnete Interessen der Öffentlichkeit?) vor allem auf die Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten ankommt: Nutzt der sich Äußernde ein Abhängigkeitsverhältnis aus oder hat er die Möglichkeit, dem anderen schweren Schaden zuzufügen, spricht das für den Vorrang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wenn hingegen wie hier jemand aufgrund seines Verhaltens ohnehin Gegenstand einer öffentlichen Diskussion ist, können andere in dieser Auseinandersetzung auch Position beziehen. Dies schließt jedenfalls dann auch das Recht zu einem Boykottaufruf ein, wie der BGH zutreffend klarstellt, wenn es sich dabei lediglich um einen Denkanstoß für einen in seiner Entscheidungsfreiheit nicht Eingeschränkten handelt und sich die Beeinträchtigungen für den gegebenenfalls Boykottierten in Grenzen halten.

D. Auswirkungen für die Praxis
Wer als Interessenvertreter für eine in der Öffentlichkeit äußerst umstrittene Gruppe auftritt, muss damit rechnen, auch öffentlich deutlicher Kritik ausgesetzt zu sein. Dies gilt schon für natürliche Personen und muss erst recht für juristische Personen gelten, deren einziger Zweck die Teilnahme am Meinungskampf ist.