Nachfolgend ein Beitrag vom 20.4.2018 von Geisler, jurisPR-BGHZivilR 7/2018 Anm. 3

Leitsatz

Der Abschluss einer Vollkaskoversicherung für ein Familienfahrzeug der Ehegatten kann ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i.S.v. § 1357 Abs. 1 BGB sein. Gleiches gilt für die Kündigung eines solchen Vertrags.

A. Problemstellung

Schließt ein Ehegatte ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie ab, werden nach § 1357 BGB beide Ehegatten schuldrechtlich berechtigt und verpflichtet. Soll ein solcher Vertrag beendet werden, stellt sich die Frage, ob Gestaltungsrechte (Kündigung, Rücktritt, Anfechtung) von den Ehegatten nur gemeinschaftlich oder von jedem Ehegatten allein ausgeübt werden können. Der BGH hatte zu entschieden, ob der Abschluss einer Vollkaskoversicherung für ein Familienfahrzeug der Ehegatten ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i.S.v. § 1357 Abs. 1 BGB ist und ein Ehegatte die auf seinen Partner laufende Vollkaskoversicherung für das Familienfahrzeug auch ohne dessen Vollmacht in dessen Namen kündigen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung für ein auf ihren Ehemann zugelassenes Fahrzeug. Mit einem vom Ehemann unterzeichneten Schreiben vom 22.12.2014 wurde die Vollkaskoversicherung für das Familienfahrzeug zum 01.01.2015 gekündigt. Die Beklagte fertigte daraufhin einen – die Vollkaskoversicherung nicht mehr enthaltenden – neuen Versicherungsschein und erstattete überschießend geleistete Beiträge. Das versicherte Fahrzeug wurde am 05.10.2015 bei einem selbst verschuldeten Unfall beschädigt. Die Reparaturkosten beliefen sich auf insgesamt 12.601.28 Euro zuzüglich Umsatzsteuer. Mit Schreiben vom 14.01.2016 widerrief die Klägerin die frühere Kündigung der Vollkaskoversicherung durch den Ehemann. Die Klägerin begehrte von der Beklagten Versicherungsleistungen in Höhe der Reparaturkosten abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung i.H.v. 300 Euro, insgesamt also 12.301,28 Euro sowie außergerichtliche Anwaltskosten von 958,18 Euro. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und das Oberlandesgericht ihre Berufung zurückgewiesen. Beide Gerichte haben ihre Entscheidungen auf die Regelung des § 1357 BGB gestützt. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision. Der BGH hat die Urteile der Vorinstanzen bestätigt und die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BGH könne die vom Ehemann erklärte Kündigung nicht nach den Regeln der Stellvertretung gemäß den §§ 164 ff. BGB der Klägerin zugerechnet werden. Das Berufungsgericht habe weder eine ausdrückliche Bevollmächtigung durch die Ehefrau noch die Voraussetzungen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht festgestellt. Auch kenne das BGB keine generelle gesetzliche Vertretungsmacht unter Ehegatten.
Die vom Ehegatten des Versicherungsnehmers ausgesprochene Kündigung könne aber gemäß § 1357 BGB wirksam sein. Voraussetzung hierfür sei zunächst, dass auch der Abschluss des Versicherungsvertrages ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfes der Familie darstelle. Das wiederum richte sich nach dem individuellen Zuschnitt der Familie. Danach könne auch der Abschluss einer Vollkaskoversicherung in den Anwendungsbereich des § 1357 Abs. 1 BGB fallen, sofern ein ausreichender Bezug zum Familienunterhalt vorliegt. Ein solcher Bezug sei nach den von den Instanzgerichten getroffenen Feststellungen hier gegeben. Bei dem versicherten Pkw handele es sich um das einzige Fahrzeug der fünfköpfigen Familie. Hinzu komme, dass der Pkw auf den Ehemann zugelassen gewesen sei und sich die zu zahlenden Monatsprämien für die Vollkaskoversicherung von rund 145 Euro bezogen auf die Bedarfsdeckung der Familie noch in einem angemessenen Rahmen bewegten, weshalb auch keine vorherige Verständigung der Ehegatten über den Abschluss der Vollkaskoversicherung erforderlich erschienen sei.
§ 1357 BGB, wonach jeder Ehegatte berechtigt ist, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfes der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen, könne auch für die Kündigung einer Vollkaskoversicherung gelten. Falle der Abschluss des Versicherungsvertrages unter § 1357 Abs. 1 BGB, begründe die hieraus folgende Mitberechtigung für beide Ehegatten die Stellung von Gesamtgläubigern. Zwar könnten Gesamtgläubiger eine Kündigung grundsätzlich nur gemeinsam erklären, diese Rechtsfolge werde aber von der Regelung des § 1357 Abs. 1 BGB überlagert. So wie es den Eheleuten danach möglich sei, für und gegen ihre jeweiligen Partner Rechte und Pflichten zu begründen, müsse es ihnen spiegelbildlich erlaubt sein, sich hiervon auch mit Wirkung für und gegen den anderen wieder zu lösen. Das gelte schließlich unabhängig davon, ob der das Gestaltungsrecht ausübende Ehegatte auch derjenige gewesen sei, der die Verpflichtung des anderen Ehegatten über § 1357 Abs. 1 BGB ursprünglich begründet habe.
Die Klägerin habe die Kündigung auch nicht einseitig widerrufen können, weil diese als rechtsgestaltende empfangsbedürftige Willenserklärung die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zum vertraglich bestimmten Zeitpunkt zur Folge gehabt habe.

C. Kontext der Entscheidung

Der Senat hat zwei in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum uneinheitlich beantwortete Fragen geklärt. Einmal ist der Abschluss von Versicherungsverträgen in der Regel als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs i.S.v. § 1357 Abs. 1 BGB anzusehen. Außerdem kann die Ausübung von Gestaltungsrechten, wie namentlich die Kündigung, unter § 1357 Abs. 1 BGB fallen. Danach darf ein Ehepartner ohne Vollmacht des anderen die auf seinen Partner laufende Vollkaskoversicherung für das Familienauto kündigen. Der Senat hat das Problem erkannt, dass die Ehegatten nach h.M. Gesamtgläubiger sind und Gestaltungsrechte nur gemeinsam, also nicht nur durch einen Ehegatten ausüben können. Dieses Hindernis umgeht der Senat mit der Begründung, dass die Umgestaltung durch das Ausüben von Gestaltungsrechten mit Wirkung für den anderen Ehegatten möglich sei, soweit es sich um Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i.S.v. § 1357 Abs. 1 BGB handelt. Dies widerspricht sowohl § 1357 BGB, der nur die Begründung eines Vertragsverhältnisses regelt als auch den Grundsätzen der Gesamtgläubigerschaft, dürfte aber als Ausnahme allein für Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs hinzunehmen sein. So wie es den Eheleuten ermöglicht wird, für und gegen ihre jeweiligen Partner Rechte und Pflichten zu begründen, muss es ihnen „spiegelbildlich“ erlaubt sein, sich hiervon auch mit Wirkung für und gegen den anderen wieder zu lösen. Der Senat spricht davon, dass die Rechtsfolge der Gesamtgläubigerschaft von der Regelung des § 1357 Abs. 1 BGB „überlagert“ werde.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie betrifft zwar nur einen Versicherungsvertrag. Die vom Senat entwickelten Grundsätze lassen sich jedoch auf alle nach § 1357 Abs. 1 BGB begründeten Vertragsverhältnisse anwenden. Dient das Geschäft der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs i.S.v. § 1357 Abs. 1 BGB, ist jeder Ehegatte auch zu dessen Umgestaltung berechtigt durch das Ausüben von Gestaltungsrechten (Kündigung, Rücktritt, Anfechtung) mit Wirkung für den anderen Ehegatten. Gestaltungsrechte müssen von den Ehegatten nicht gemeinschaftlich ausgeübt werden. Im Einzelnen bedarf es eines gründlichen Sachvortrags der Parteien und entsprechender Feststellungen durch das Tatsachengericht, ob das Vertragsverhältnis der Deckung des Lebensbedarfs dient und familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten noch angemessen ist. Steht danach ein Vertragsschluss fest, kann jeder Ehegatte „spiegelbildlich“ das Vertragsverhältnis auch wieder beenden.

Abschluss oder Kündigung der Vollkaskoversicherung als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
Denise HübenthalRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Wirtschaftsmediatorin (MuCDR)
Abschluss oder Kündigung der Vollkaskoversicherung als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
Andrea KahleRechtsanwältin

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