Nachfolgend ein Beitrag vom 1.9.2017 von Haberland, jurisPR-BGHZivilR 17/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Bei der Prüfung, ob eine sonstige Familiensache i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorliegt, ist das Tatbestandsmerkmal „im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung“ weit auszulegen (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 652/11 – FamRZ 2013, 281).
2. Streitigkeiten aus Mietverträgen über Wohnraum zwischen Schwiegereltern und ihrem Schwiegerkind anlässlich der Trennung ihres Kindes von dem Schwiegerkind können als sonstige Familiensachen i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zu qualifizieren sein.

A. Problemstellung

Die Schwiegereltern streiten mit ihrem Schwiegerkind anlässlich der Trennung zwischen Kind und Schwiegerkind über Zahlungsansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum. Der BGH hatte zu klären, ob diese Streitigkeit gemäß § 23 Nr. 2a GVG als Wohnraummietsache in die Zuständigkeit der allgemeinen Zivilabteilung der Amtsgerichte fällt oder ob es sich dabei um eine „sonstige Familiensache“ nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt, für die nach § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG i.V.m. § 111 Nr. 10 FamFG die Familiengerichte zuständig sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Kläger vermieteten ihrem Schwiegersohn, dem Beklagten, und ihrer Tochter die streitgegenständliche Wohnung. Der Beklagte und seine Ehefrau trennten sich im Mai 2011. Der Beklagte zog aus der Ehewohnung aus. Die Kläger verlangen vom Beklagten Miete sowie Betriebskostennachforderungen für mehrere Zeiträume nach der Trennung, insgesamt ca. 35.000 Euro. Nach dem Vorbringen des Beklagten ist der Mietvertrag anlässlich der Trennung der Ehegatten aufgehoben worden. Ferner seien die Mietzahlungen seiner Ehefrau und die Mietrückstände in Form eines von den Klägern an sie gewährten Darlehens im Verfahren über den Trennungsunterhalt bedarfserhöhend berücksichtigt worden. Ob bzw. wann die Ehegatten geschieden wurden, ist nicht substantiiert vorgetragen.
Die Parteien streiten darum, ob die funktionelle Zuständigkeit des Amtsgerichts in Zivilsachen oder die des Familiengerichts vorliegt. Das Amtsgericht hatte den Zivilrechtsweg für zulässig erklärt. Das Landgericht hatte die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit der zugelassenen und erfolgreichen Rechtsbeschwerde.
Der BGH begründet die Zuständigkeit des Familiengerichts im vorliegenden Fall damit, dass der Gesetzgeber mit § 266 FamFG den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert habe („Großes Familiengericht“). Ziel der Reform sei es gewesen, dass bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Sachnähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder die in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Im Interesse aller Beteiligten solle es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden.
Für die Anwendung des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG reiche es deshalb aus, dass ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehe. Im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte sei der Begriff des Zusammenhangs hier großzügig zu beurteilen und könne rechtlicher oder wirtschaftlicher Art sein. Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe müssten jedenfalls in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für die geltend gemachte Rechtsfolge ursächlich sein. Dass die Ansprüche ihren Grund unmittelbar in der Ehe haben oder aus diesem Rechtsverhältnis herrührten, sei für eine Zuständigkeit nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG nicht erforderlich. Es reiche vielmehr aus, dass das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betreffe. Zugrunde zu legen sei dabei eine Gesamtbetrachtung, bei der es nicht nur auf den Vortrag des Klägers, sondern auch auf das Verteidigungsvorbingen der Gegenseite ankomme.
Nach diesen Kriterien würden von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auch Mietstreitigkeiten erfasst, in denen sich Schwiegereltern mit ihrem Schwiegerkind im Rahmen eines zwischen ihnen geschlossenen Mietverhältnisses streiten, soweit es um Ansprüche im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe gehe. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass § 23 Nr. 2a GVG für Wohnraummietsachen eine ausschließliche Zuständigkeit der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichts begründe. Insoweit konkurrierten in Fällen der vorliegenden Art beide Zuständigkeiten miteinander, so dass es maßgeblich darauf ankomme, ob ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG bestehe. Streitigkeiten über die Verhältnisse an der Ehewohnung und die Frage, wer die Wohnkosten zu tragen habe, sowie ob und wie diese dann unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen seien, stellten sich als naheliegende und häufig vorkommende Folgen oder Begleiterscheinungen bei einer Trennung der Ehegatten dar. Entsprechendes gelte regelmäßig, wenn die Schwiegereltern Vermieter seien. Diese hätten im Zweifel – bezogen auf den Streit der Eheleute – keine neutrale Stellung inne, sondern stünden im „Lager“ ihres Kindes. Für eine Konzentration der Zuständigkeit beim Familiengericht spreche zudem die Möglichkeit, die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung in einem solchen Falle abschließend, auch im Außenverhältnis zu den Schwiegereltern, zu regeln und in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Regelung über die Wohnkosten herbeizuführen, die im Rahmen des Trennungsunterhaltsverfahrens für die Bemessung des Unterhalts maßgeblich seien.
Unter Würdigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles bejaht der BGH sodann die Zuständigkeit des Familiengerichts nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.

C. Kontext der Entscheidung

Während es in der ersten Zeit nach Inkrafttreten des FamFG erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die Frage gab, welche Streitigkeiten unter die sonstigen Familiensachen i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG fallen, kann die Abgrenzung inzwischen als im Wesentlichen geklärt angesehen werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift fallen darunter „Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung oder Auflösung der Ehe“. Das Tatbestandsmerkmal „im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung“ ist dabei weit auszulegen, denn die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten außerhalb des Güterrechts soll umfassend den Familiengerichten zugewiesen werden (BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 652/11 – MDR 2013, 109). Die Einordnung dieser Fallgestaltungen als Familiensachen hängt – wie der BGH auch in der besprochenen Entscheidung ausführt – davon ab, ob nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ein inhaltlicher Zusammenhang der Streitigkeit mit der Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe besteht (BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 652/11; BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – XII ZB 40/17). Dass die Ansprüche ihren Grund unmittelbar in der Ehe haben oder aus diesem Rechtsverhältnis herrühren, ist für die familiengerichtliche Zuständigkeit nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 16.09.2015 – XII ZB 340/14 – MDR 2015, 1382). Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten (BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 652/11; BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – XII ZB 40/17) oder „Dispositionen im Hinblick auf die Verbindung oder Vorgänge anlässlich ihrer Beendigung“ betrifft (Wever, FF 2012, 427, 431 f.; Haberland in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9. Aufl., § 23a GVG Rn. 21). Ob ein naher zeitlicher Zusammenhang des Anspruchs mit der Trennung oder Auflösung der Ehe erforderlich ist, ist nach wie vor umstritten (vgl. die Nachweise bei Haberland in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 23a GVG Rn. 21) und wird vom XII. Zivilsenat des BGH – auch in der besprochenen Entscheidung – bislang ausdrücklich offengelassen (BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 652/11; BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – XII ZB 40/17). Allerdings hat der IX. Zivilsenat kürzlich entschieden, dass auch der zeitliche Abstand zwischen Ehescheidung und Anhängigkeit des Verfahrens berücksichtigt werden müsse, ohne dass es insoweit eine feste zeitliche Grenze gebe, ab wann dieser Zusammenhang nicht mehr besteht (BGH, Beschl. v. 29.06.2017 – IX ZB 98/16).
Erfasst von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG werden z.B. folgende Fallgestaltungen (ausführlich dazu: Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 6. Aufl., Rn. 26a; Haberland in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 23a GVG Rn. 22): Ansprüche im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung, Nutzung, Nutzungsvergütung des im Miteigentum der (ehemaligen) Ehegatten stehenden Familienheims oder der Ehewohnung (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.01.2012 – 1 W 2/12 – FamRZ 12, 1410; OLG Braunschweig, Beschl. v. 21.12.2011 – 1 W 47/11 – MDR 2012, 489; OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.02.2013 – FamRZ 2013, 1681); Streitigkeiten aus Mietverträgen, die die Ehegatten miteinander geschlossen haben (BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 652/11); Streit um die Rückgewähr ehebezogener Zuwendungen und Schenkungen (OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.12.2011 – 12 W 2359/11 – FamRZ 2012, 896); Auseinandersetzung einer Ehegatten-BGB-Gesellschaft (OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.01.2011 – 13 W 69/10 – NJW-RR 2011, 867); Rückforderung eines Ehegattendarlehens nach Trennung (OLG München, Beschl. v. 02.04.2014 – 20 W 503/14 – MDR 2014, 724); Streit um Kontoguthaben oder Kontoabhebungen (KG, Beschl. v. 20.10.2011 – 13 W 12/11 – FamRZ 2013, 68); Aufteilung von Steuererstattungen; Schadensersatzansprüche von Ehegatten (auch deliktische) untereinander (OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.01.2014 – 1 SV 1/14 – FamRZ 2014, 1481); Ansprüche aus Auftragsrecht, z.B. bei Treuhandverhältnissen oder Vermögensverwaltungen; Besitzschutzansprüche bei verbotener Eigenmacht (§§ 858 ff. BGB).
Unter § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG fallen zudem Streitigkeiten zwischen Ehegatten und Schwiegereltern, zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern sowie zwischen Ehegatten mit den eigenen Eltern, sofern ein Zusammenhang mit der Trennung oder Scheidung besteht. Dazu gehört die Rückforderung einer gegenüber dem Schwiegerkind gemachten Vermögenszuwendung, einer Investition des Schwiegerkindes in die Immobilie der Schwiegereltern oder umgekehrt einer Investition der Schwiegereltern in die Immobilie des Schwiegerkindes (Wever, FamRZ 2014, 1669, 1670 m.w.N.; Haberland in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 23a GVG Rn. 22).

D. Auswirkungen für die Praxis

Mit seinem Beschluss stellt der BGH noch einmal klar, dass das Tatbestandsmerkmal „im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung“ in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG weit auszulegen ist und nicht nur die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten außerhalb des Güterrechts, sondern auch die sich daraus ergebenden Streitigkeiten zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern – auch aus Wohnraummietverträgen – umfassend den Familiengerichten zugewiesen sind. In derartigen Fällen sind gemäß § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG i.V.m. den §§ 111 Nr. 10, 266 Abs. 1 Nr. 3 die Familiengerichte ausschließlich zuständig. Die ausschließliche Zuständigkeit der Zivilabteilung des Amtsgerichts für Wohnraummietsachen (§ 23 Nr. 2a GVG) wird insoweit verdrängt.
Auch wenn die Frage, welche Fallgestaltungen als „sonstige Familiensachen“ zu beurteilen sind, im Wesentlichen als geklärt angesehen werden kann, zeigt die Praxis, dass in den allgemeinen Zivilgerichten die Bedeutung des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG nicht immer erkannt wird.