Nachfolgend ein Beitrag vom 24.3.2017 von Albrecht/Wessels, jurisPR-ITR 6/2017 Anm. 5
Leitsatz
Wird ein Beitrag in einem sozialen Netzwerk „geteilt“, macht sich der Nutzer dessen Inhalte erst dann zu eigen, wenn er die Weiterverbreitung mit einer positiven Bewertung verbindet.
Orientierungssatz zur Anmerkung
Wer Beiträge in sozialen Netzwerken teilt, macht sich deren Inhalte zu eigen, wenn die fremde Äußerung so in eine eigene Stellungnahme eingebunden wird, dass die Gesamtäußerung als eigene erscheint.
A. Problemstellung
In sozialen Netzwerken kursieren häufig streitbare oder gar rechtsverletzende Äußerungen (Stichwort: „Hate Speech“), die von den einzelnen Nutzern „viral“ verbreitet werden. Dabei kann im Zweifel nicht nur den Urheber, sondern auch den Verbreiter des streitigen Inhalts eine rechtliche Einstandspflicht treffen. Eine solche eigene Verantwortlichkeit für fremde Informationen kann jedoch nur dann begründet werden, wenn sich der Nutzer die fremden Inhalte in irgendeiner Weise „zu eigen gemacht“ hat. Das OLG Dresden hatte sich vorliegend mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen das „Teilen“ eines Beitrags in einem sozialen Netzwerk ein solches „Zueigenmachen“ begründen kann.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte in einem sozialen Netzwerk einen Artikel eines Schriftstellers geteilt, der einen Vergleich zwischen Adolf Hitler und Angela Merkel enthielt und den geteilten Beitrag mit dem Hinweis versehen, der Beitrag des Autors sei „zu erwägenswert, um ihn zu unterschlagen“. Im Zuge der anschließenden Presseberichterstattung berichtete eine vom Verlag des Beklagten herausgegebene Zeitung, der Kläger habe Hitler und die Bundeskanzlerin miteinander „verglichen“. Der Kläger sah sich in den Äußerungen des verlinkten Artikels in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und beantragte vor dem LG Dresden erfolgreich den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog.
Dem ist das OLG Dresden nicht gefolgt. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts abgeändert und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts steht dem Kläger kein Unterlassungsanspruch zu. Bei der streitgegenständlichen Presseberichterstattung handele es sich im Ergebnis um eine wahre Tatsachenbehauptung, womit eine Verletzung des Klägers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausscheide.
Zu Begründung führt das Oberlandesgericht aus, dass sich der Kläger durch den beigefügten Begleitkommentar und die unbedingte Leseempfehlung die Äußerungen des besagten Schriftstellers „zu eigen gemacht“ habe. Bei der Funktion „Teilen“ handele es sich zwar lediglich um eine Möglichkeit, auf private Inhalte anderer Nutzer hinzuweisen, ohne dass hiermit zugleich eine Bewertung verbunden werde. Durch den beigefügten Hinweis, der Beitrag sei „zu erwägenswert, um ihn zu unterschlagen“, habe der Kläger jedoch zugleich eine dringliche Leseempfehlung ausgesprochen, welche der durchschnittliche Empfänger des geteilten Beitrags als inhaltliche Identifikation mit den geteilten Positionen und damit als eine von ihm gleichermaßen vertretene Auffassung verstehen dürfe. Die geteilten Aussagen waren dem Kläger somit zurechenbar, womit auch durch die Presse entsprechend darüber berichtet werden durfte.
C. Kontext der Entscheidung
Der Zurechnung fremder, in sozialen Netzwerken geteilter Inhalte über die Figur des „Zueigenmachens“ kommt grundsätzlich in zwei Konstellationen Bedeutung zu: Zum einen geht es (wie im vorliegenden Fall) um das Interesse des Nutzers, nicht direkt mit den geteilten Inhalten in Verbindung gebracht zu werden. Zum anderen geht es nicht selten um die Frage der Haftung des Nutzers für die von ihm verbreiteten Inhalte. Diese Problematik wurde in der Vergangenheit vor allem im Rahmen der klassischen „Linksetzung“ diskutiert (BGH, Urt. v. 30.06.2009 – VI ZR 210/08 – NJW-RR 2009, 1413, 1415; BGH, Urt. v. 27.03.2012 – VI ZR 144/11 – NJW 2012, 2345; BGH, Urt. v. 18.06.2015 – I ZR 74/14 – NJW 2016, 804).
Für das Setzen von Links hat der BGH mehrfach entschieden, dass sich der Verbreiter eine fremde Äußerung regelmäßig dann zu eigen macht, wenn er sich mit ihr identifiziert und sie so in den eigenen Gedankengang einfügt, dass sie als seine eigene erscheint (BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – NJW 2014, 2029, 2031; OLG Frankfurt, Urt. v. 26.11.2015 – 16 U 64/15). Hierfür ist die objektive Sicht eines verständigen Durchschnittsnutzers auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller Umstände maßgeblich (BGH, Urt. v. 18.06.2015 – I ZR 74/14 – NJW 2016, 804).
Fraglich ist, inwiefern diese Rechtsprechung auf das „Teilen“ fremder Inhalte in sozialen Netzwerken übertragbar ist. Das OLG Frankfurt hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich die Beurteilung der „Teilen“-Funktion von den Fällen der klassischen Linksetzung unterscheidet. Auch wenn beide Funktionen in technischer Hinsicht ähnlich seien, reduziere sich die Bedeutung des „Teilens“ auf den bloßen Hinweis auf fremde Inhalte (so das OLG Frankfurt, Urt. v. 26.11.2015 – 16 U 64/15 Rn. 40 m. zustimmender Anm. Spoenle, jurisPR-ITR 7/2016 Anm. 2).
Das OLG Dresden hat sich dieser Auffassung zumindest im Grundsatz angeschlossen und misst dem einfachen „Teilen“ für sich genommen keine über die lediglich „virale“ Verbreitung des Postings hinausgehende Bedeutung zu. Eine andere Bewertung kann sich nach dem OLG Dresden aber dann ergeben, wenn der Verbreiter sich mit der fremden Äußerung identifiziert und sich eindeutig hinter den geteilten Inhalt stellt (ähnlich bereits für das Verlinken fremder Inhalte auf Twitter Lederer, jurisPR-ITR 9/2011 Anm. 4 sowie Roggenkamp, jurisPR-ITR 10/2010 Anm. 5). Damit orientiert sich das OLG Dresden im Ergebnis doch wieder an den Grundsätzen des BGH zur Linksetzung.
In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, dass auch der BGH stets die gebotene Zurückhaltung bei der Bewertung entsprechender Fälle betont, um den verfassungsrechtlich elementaren Schutzgehalt der Meinungsfreiheit nicht über Gebühr zu beeinträchtigen (BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – NJW 2014, 2029, 2031). Der vorliegende Sachverhalt ist insofern besonders, als sich der teilende Nutzer selbst gegen eine Berichterstattung über die ihm als eigene zugerechnete Aussage wendete. Geht es aber im umgekehrten Fall um die Rechtmäßigkeit einer „zu eigen gemachten“ Äußerung selbst, so stellt deren Zurechnung nur die Voraussetzung für eine umfassende Würdigung der Aussage an den Grundsätzen der Meinungs- und Informationsfreiheit dar.
Davon abzugrenzen ist die rechtliche Bewertung des „Gefällt mir“-Buttons sowie der bei Facebook seit kurzem zur Verfügung stehenden „Reaktionen“. Der Nutzer wird sich regelmäßig durch die Betätigung eines „Gefällt mir“-Buttons eine fremde, beleidigende Aussage eines anderen zu eigen machen (Bauer/Günther, NZA 2013, 67, 71; Spoenle, jurisPR-ITR 7/2016 Anm. 2). Denn im Gegensatz zum „Teilen“ liegt darin schon der Ausdruck von positiver Zustimmung bzw. Befürwortung. Auch hier kommt es jedoch auf den Umstand des Einzelfalls an (Piltz, CR 2013, 260, 262 – Anm. zu LG Hamburg, Urt. v. 10.01.2013 – 327 O 438/11).
D. Auswirkungen für die Praxis
Damit bleibt festzuhalten, dass das bloße „Teilen“ in sozialen Netzwerken nach der Tendenz der bisherigen Rechtsprechung noch kein „Zueigenmachen“ darstellt und damit im Regelfall unproblematisch ist. Das gleiche dürfte für das „Retweeten“ und für entsprechende Funktionen anderer sozialer Netzwerke gelten, denn auch hier werden fremde Äußerungen lediglich „neutral“ weitergeleitet.
Werden dem geteilten Beitrag jedoch persönliche Kommentare hinzugefügt, so kommt es jeweils auf den Einzelfall an. Nach dem OLG Dresden soll bereits eine „dringliche Leseempfehlung“ für die Annahme genügen, dass sich der Nutzer mit der fremden Äußerung identifiziert. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Eine Leseempfehlung lässt auch dann, wenn sie „dringlich“ ist, ebenso wie die Anmerkungen „unbedingt anschauen“ oder „bemerkenswert“ nicht zwangsläufig den Schluss zu, der Nutzer wolle sich mit den Äußerungen des Beitrags identifizieren.