Nachfolgend ein Beitrag vom 9.5.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 9/2017 Anm. 2

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Der Widerruf eines Testaments per E-Mail ist unwirksam.
2. Es bleibt offen, unter welchen Voraussetzungen die Vernichtung eines Testaments einem Dritten übertragen werden kann.

A. Problemstellung

Dass Erblasser mit früheren letztwilligen Verfügungen unzufrieden sind, stellt kein seltenes Phänomen dar. In diesem Zusammenhang werden für Korrekturen gerne neue Kommunikationsformen gewählt, die aber aufgrund der Formerfordernisse im Erbrecht die gewünschte Wirkung nicht erzielen können. Dies wird hier für das Medium E-Mail-verdeutlicht. Der vorliegende Fall zeigt, welche Schwierigkeiten sich ergeben können, wenn in Bezug auf potentielle Widerrufe eines Testaments eine unübersichtliche Situation entsteht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet. Aus seiner ersten Ehe stammen vier Kinder.
In einem ersten handschriftlichen Testament, datiert vom 15.01.2010, welches der Erblasser an seinen darin bestimmten Testamentsvollstrecker übermittelt hatte, verfügte er, dass seine vier Kinder und seine jetzige Ehefrau ihren gesetzlichen Erbanspruch behalten sollten. Der Erbanspruch des Kindes 4 solle jedoch durch die „Übergabe“ einer Wohnung erfüllt werden.
Später hat der Erblasser in China ein weiteres handschriftliches Testament verfasst, das vom 24.03.2011 datiert, wobei der Erblasser unter seiner Unterschrift den „24.03.2010“ als Datum nennt. In diesem Testament widerrief der Erblasser alle bisher von ihm getroffenen Verfügungen. Er bestimmte wieder die gleiche Person zum Testamentsvollstrecker. Anders als in dem Testament vom 15.01.2010 sollte nun jedoch seine jetzige Ehefrau Alleinerbin werden. Seinen Kindern sollte lediglich der gesetzliche Pflichtteil zukommen. Das Original dieses Testaments ist nicht auffindbar, wobei das Gericht davon ausgeht, dass dieses auf dem Postweg verloren gegangen sei.
Im Jahre 2012 bat der Erblasser seinen Testamentsvollstrecker telefonisch, „das“ Testament zu vernichten, wobei im Verfahren unklar blieb, welches der beiden Testamente gemeint war. In einer E-Mail vom 22.11.2013 teilte der Erblasser ihm gegenüber zuletzt mit, dass er nichts mehr zu vererben habe und dass er von der gesetzlichen Erbfolge ausgehe.
Es stellte sich nun die Frage, ob der Erblasser nur das Testament vom 15.01.2010 wirksam widerrufen hat oder ob er dies auch in Bezug auf das Testament vom 24.03.2010/2011 getan hat.
Das KG Berlin ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Testament vom 24.03.2010/2011 – selbst wenn man einen derartigen Erklärungswillen des Erblassers unterstellen würde – nicht wirksam widerrufen wurde.
Da der Erblasser nach dem 24.03.2010/2011 kein Testament mehr verfasst habe, komme weder ein Widerruf nach § 2254 BGB (Widerruf durch Testament) noch ein Widerruf nach § 2258 BGB (Widerruf durch ein späteres Testament) in Betracht. Insbesondere konnte die E-Mail des Erblassers vom 22.11.2013 einen solchen Widerruf nicht bewirken, weil sie – unabhängig davon, dass ihr inhaltlich keine Widerrufserklärung entnommen werden könne – nicht der Form des § 2247 Abs. 1 BGB (eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung) gerecht werde. Ob sich der telefonisch geäußerte Wunsch des Erblassers gegenüber seinem Testamentsvollstrecker auch auf die Vernichtung des Testaments vom 24.03.2010/2011 bezogen habe, könne dahinstehen, da mangels Vernichtung ein Widerruf nach § 2255 BGB nicht in Betracht komme.

C. Kontext der Entscheidung

Das KG Berlin hat darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen umstritten seien, unter denen die Vernichtung eines Testaments nach § 2255 BGB durch einen Dritten für zulässig erklärt werde. Während die herrschende Meinung die Vernichtung durch einen Dritten für zulässig erachte, wenn der Dritte als unselbstständiges Werkzeug tätig werde, der im Auftrag und mit Willen des Erblassers die Urkunde vernichte, wobei dem Dritten kein Entschluss- und kein Handlungsspielraum verbleiben dürfe, wird teilweise eine Vernichtung in Gegenwart des Erblassers gefordert (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 – I-3 Wx 141/13; Baumann in: Staudinger, BGB, 2012, § 2255 Rn. 22 f.; Firsching/Graf, Nachlassrecht, 10. Aufl. 2014, Rn. 1.121).

D. Auswirkungen für die Praxis

Es bleibt abzuwarten, ob die Vernichtung eines Testaments durch einen Dritten in Abwesenheit des Erblassers von der Rechtsprechung künftig als wirksamer Widerruf angesehen wird. Mandanten sollten im Rahmen von Beratungsgesprächen darauf hingewiesen werden. Im Zweifel empfiehlt es sich für den Erblasser, das Testament selbst eigenhändig zu vernichten.