Nachfolgend ein Beitrag vom 27.10.2017 von Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 20/2017 Anm. 3
Leitsatz
Spart ein Kunde durch regelmäßige Zahlungen ein Reisewertguthaben an und kann er die erworbenen Reisewerte bei der späteren Buchung von Reiseleistungen dazu einsetzen, sich in einem dem Wert der Reisewerte entsprechenden Umfang von der Verpflichtung zur Zahlung des Reiseentgelts zu entlasten, handelt es sich bei dem Anspruch auf Einlösung von Reisewerten um einen aufschiebend bedingten Anspruch, der erst mit Eintritt der Bedingung – dem auf eine konkrete Reise bezogenen Einlösungsbegehren – entsteht. Die Verjährung für diesen Anspruch beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem er entstanden ist.
A. Problemstellung
Geschäftsmodelle können sich aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen schlicht überholen. So braucht heute niemand mehr den Laternenanzünder, der jeden Abend die „hochmodernen“ Gaslaternen anzündete. Auch die in Ortssatzungen vorgesehene Verpflichtung, im Winter Schnee auf die Straße zu schippen, damit die Pferdeschlitten diese befahren konnten, hat sich heute eher in das Gegenteil verkehrt. Ähnliche Veränderungen gibt es zurzeit in der Reisebranche.
So hatte sich um die Jahrtausendwende ein Unternehmen gegründet, das den Kunden sog. Reisewerte verkaufte. So konnte man „Reisewerte“ im Nominalwert von z.B. 100 Euro für 89 Euro oder solche für 75 Euro für 69,75 Euro erwerben. Mit diesen Reisewerten konnte man dann die in einem mit dem Unternehmen verbundenen Reisebüro gebuchten Reisen bezahlen. Das ging so lange gut, solange das Unternehmen die erheblichen Vorschüsse hochverzinslich anlegen konnte und solange die Reiseveranstalter den Reisebüros auskömmliche Provisionen für die Reisevermittlung zahlten. Beides ist bekanntlich nicht mehr der Fall, so dass das Geschäftsmodell nicht mehr zu funktionieren scheint.
In Folge dessen versucht das Unternehmen die ursprünglich bestehenden Verpflichtungen aus dem Kauf der Reisewerte mit allen möglichen juristischen Kniffen zu verringern. Hierzu gehört die nachträgliche Änderung von Geschäftsbedingungen, die die Anrechenbarkeit der Reisewerte verändert, die mehrfache Verlegung des Sitzes des Unternehmens, die Aufsplitterung in mehrere namensähnliche Firmen sowie die „Verpachtung“ des Kundenstammes sowie das Berufen auf vermeintliche Verjährung der Ansprüche aus den Reisewerten. Folge davon waren und sind mehrere hundert Klagen vor den Zivilgerichten.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH musste sich jetzt unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten mit der Verjährungsproblematik beschäftigen.
Ein Verbraucherverband hatte nach dem Unterlassungsklagegesetz geklagt, weil die Beklagte sich gegenüber ihren Kunden darauf berief, dass der Anspruch auf Einlösung der Reisewerte verjährt sei. In dem vom Verbraucherverband zum Anlass genommenen Vertragsverhältnis hatte die Kundin in den Jahren 2008, 2009 und 2013 Reiseleistungen über das Reisebüro gebucht, wobei sie zur Bezahlung der gebuchten Leistungen erworbene Reisewerte einsetzen konnte. Die Kundin erhielt Saldenlisten, auf denen die Einzahlungen und Reisebuchungen kontokorrentmäßig verbucht waren. Die auf der Rückseite dieser Listen abgedruckten „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ lauteten:
„Die nach Maßgabe dieser Bestimmungen entstandenen Reisewerte verfallen jeweils nach Ablauf von 36 Monaten seit ihrer jeweiligen Gutschrift.“
Im Juni 2013 erhielt die Kundin von der Beklagten eine Aufstellung über Reisewerte. Diese erhielt den Hinweis:
„Wir weisen höflich darauf hin, dass Ihr im Reisewertkonto dokumentierter Anspruch auf Anrechnung der erworbenen Reisewerte auf den Reisepreis einer […] gebuchten Reise der gesetzlichen dreijährigen Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 BGB unterliegt. Die Verjährung beginnt am Schluss des Jahres, in dem der jeweilige Reisewert erworben wurde.“
Das Landgericht hatte der Klage auf Unterlassung dieser Formulierungen stattgegeben. Das Berufungsgericht (OLG Hamm, Urt. v. 05.04.2016 – I-4 U 36/15) hatte die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Der BGH hat im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren I ZR 114/16 zum Urteil des OLG Hamm vom 05.04.2016 (4 U 138/15) die Revisionen des Unternehmens jeweils zurückgewiesen. Dem jeweils klagenden Verband stehe der Unterlassungsanspruch aus den §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3, 3 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 1 UWG zu.
1. Anwendbares Recht
Auf den Vertrag ist deutsches Recht anwendbar, selbst wenn die spanische Gesellschaft Vertragspartnerin der Kundin geworden sei. Dies folgt für den im Jahr 2006 abgeschlossenen Vertrag aus Art. 29 Abs. 2 EGBGB a.F. Für später abgeschlossene Verträge ergibt sich dies aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der VO (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-Verordnung).
2. Verjährungsproblematik
Nach Ansicht des Senats verjähren Ansprüche aus den Reisewerten nicht in drei Jahren seit dem Schluss des Jahres, in dem der Kunde die Reisewerte erworben hat. Die dreijährige Verjährungsfrist für diese Ansprüche beginne vielmehr erst mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Kunde erklärt hat, dass die Reisewerte auf die Verpflichtung zur Zahlung des Entgelts für eine gebuchte Reiseleistung angerechnet werden sollen. Bei den Ansprüchen handele es sich um bedingte Ansprüche.
Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der hier in Rede stehende Anspruch des Kunden auf Einlösung von Reisewerten bei der Buchung von Reiseleistungen ist kein verhaltener Anspruch, weil er erst mit seiner Geltendmachung durch den Kunden entsteht. Anders als bei einem verhaltenen Anspruch, bei dem das Entstehen des Anspruchs und seine Geltendmachung durch den Gläubiger auseinanderfallen, besteht daher nicht die Gefahr, dass der Anspruch zum Zeitpunkt seiner Geltendmachung bereits verjährt ist. Es gibt daher keine Veranlassung, den Beginn der Verjährungsfrist für diesen Anspruch nicht nach der allgemeinen Regelung des § 199 Abs. 1 BGB zu bestimmen.
Der Erwerb von Reisewerten ist weder zeitlich noch betragsmäßig begrenzt. Die Reisewerte kann der Kunde bei der späteren Buchung von Reiseleistungen dazu einsetzen, sich in einem dem Wert der Reisewerte entsprechenden Umfang wirtschaftlich von der Verpflichtung zur Zahlung des Entgelts für diese Reiseleistungen zu entlasten. Der Kunde kann sein Reisewertguthaben nach seinen Wünschen für mehr oder weniger teure Reisen verwenden. Wann er welche Reise für welche Zeit bucht und in welchem Umfang er dafür Reisewerte einlöst, ist allein dem Kunden überlassen. Deshalb handelt es sich bei dem Anspruch auf Einlösung der Reisewerte um einen Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit in entsprechender Höhe aus dem Abschluss eines bestimmten Reisevertrags. Dieser Anspruch kann nicht bereits mit dem Erwerb von Reisewerten für das Reisewertkonto entstehen, sondern erst durch das auf eine konkrete Reise bezogene spätere Einlösungsbegehren des Kunden. Damit fehlt es an dem für einen verhaltenen Anspruch erforderlichen Auseinanderfallen von Entstehung des Anspruchs und Leistungsbegehren.
Bei dem Anspruch auf Einlösung von Reisewerten handelt es sich vielmehr um einen aufschiebend bedingten Anspruch, der erst mit Eintritt der Bedingung – dem auf eine konkrete Reise bezogenen Einlösungsbegehren – entsteht. Die gemäß § 195 BGB dreijährige Verjährung für diesen Anspruch kann nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst mit dem Schluss des Jahres beginnen, in dem er entstanden ist. Dafür ist unerheblich, dass der Eintritt der Bedingung vom Wollen des Kunden abhängt.
C. Kontext der Entscheidung
Damit ist ein Einwand gegen die berechtigten Forderungen der Kunden nunmehr höchstrichterlich für unerheblich erklärt worden. Das entsprach im Übrigen auch schon der Rechtsprechung des OLG Köln (Urt. v. 23.08.2013 – I-6 U 27/13), das früher vor der Sitzverlegung für die Beklagte zuständig war. Damals hatte der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung noch zurückgewiesen (BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZR 491/13). Das OLG Hamm hatte dies in den beiden Entscheidungen in Übereinstimmung mit dem LG Dortmund ebenso gesehen.
Es geht jetzt wohl vor allem darum, ob die Beklagte überhaupt mit den Kunden Allgemeine Geschäftsbedingungen vereinbart hat und wann ja bzw. ob diese später geändert wurden. Die jeweiligen Unternehmen behaupten, dass in den allgemeinen Geschäftsbedingungen nunmehr vereinbart sei, dass die Reisewerte nur bis zur Höhe der Provisionen in Anrechnung gebracht werden dürfte. Im Ergebnis sind hier die Gerichte wohl der Auffassung, dass dies unwirksam ist. Das AG Dortmund (Urt. v. 07.07.2015 – 425 C 2660/15) hat die Auffassung vertreten, dass eine solche Regelung eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB darstelle. Die Regelung führe dazu, dass der Kunde seine Reise faktisch fast doppelt bezahlen müsse. Er zahle zunächst für die Reisewerte und müsse dann die Reise noch einmal bezahlen. Erstattet werden dann nur 10% des Reisepreises, so dass 90% weiter bei dem Unternehmen verblieben. Da weiter Ansparungen vorgenommen werden könnten/müssten, würden die Kunden gar nicht in der Lage sein, ihr „Guthaben“ an Reisewerten je „abzureisen“. Dies wäre allenfalls dann möglich, wenn sie sehr schnell hintereinander Reisen buchen, ohne dass weitere Ansparungen bei der Beklagten erfolgten. Das stelle eine unangemessene Benachteiligung dar. Die Zahlungen der Kunden an die Beklagte stellten letztendlich Zahlungen von Fremdgeld an die Beklagte dar. Das Geld der Kunden müsste bei der Beklagten ja treuhänderisch vorhanden sein. Letztendlich muss die Beklagte aus „eigenem Geld“ nur die Differenz zwischen der Einzahlung und der vereinbarten Reisewertgutschrift, aufbringen. Auch wenn die Konten bei der Beklagten nicht in Euro geführt werden, sondern in Reisewerten, ändert dies nichts daran, dass es sich wirtschaftlich um Guthaben bei der Beklagten handelt, die den Kunden in voller Höhe zustehen. Das Unternehmen sei weder befugt, diese Gelder zur Bezahlung von anderen Reisen anderer Kunden zu benutzen, noch zum Bestreiten von Verwaltungskosten oder anderer Ausgaben. Das LG Dortmund (Beschl. v. 09.12.2015 – 1 S 297/15) ist noch einen Schritt weitergegangen und hat eine solche Klausel bereits an der Einbeziehungskontrolle scheitern lassen, da es sich um eine überraschende Klausel gemäß § 305c Abs. 1 BGB handele.
Demgegenüber haben sich die Unternehmen mit Ihrer Auffassung durchgesetzt, dass ein Anspruch auf Auszahlung der Reisewerte ohne Reisebuchung nicht besteht (LG Dortmund, Urt. v. 13.12.2013 – 3 O 259/13). Den Kunden stehen Reisewerte zu. Es handele sich nicht um einen Sparvertrag. Auf dieser Linie liegen auch die beiden aktuellen BGH-Urteile.
Im Einzelfall kann sich in der Praxis noch die Frage der Widerruflichkeit des Vertrages stellen, da die Verträge regelmäßig im Wege des Fernabsatzes geschlossen wurden. Hier hat sich bekanntlich die Rechtslage in den letzten Jahren mehrfach geändert. Das betrifft vor allem die Frist für den Widerruf bei fehlender Belehrung und die Auswirkungen der nachträglichen Widerrufsbelehrung.
D. Auswirkungen für die Praxis
Kunden sind nun gegenüber einem Einwand der Unternehmen geschützt. Es bleibt ihnen aber im Zweifel keine Wahl, als die Reisewerte zur Buchung zu benutzen und ihren Zahlungsanspruch dann schnell und nachdrücklich gegenüber den Unternehmen geltend zu machen.
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