Nachfolgend ein Beitrag vom 17.1.2017 von Podewils, jurisPR-FamR 1/2017 Anm. 1

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die Einsetzung der einseitigen Abkömmlinge eines der Eheleute kann wechselbezüglich sein. Entscheidend ist der durch Auslegung ermittelbare Wille beider Eheleute.

A. Problemstellung

Wenn Eheleute ein gemeinschaftliches Testament errichten, steht regelmäßig die mögliche Bindungswirkung nach dem Tod des Erstversterbenden im Raum. Ob und inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich indes nicht schematisch beantworten, sondern ist oftmals erst durch Auslegung zu ermitteln.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Erblasser hatte es in seinem Leben ebenso zu beträchtlichem Vermögen wie zu insgesamt drei Ehen gebracht. Der ersten Ehe entsprangen seine (einzigen) beiden Kinder. Mit der zweiten Ehefrau errichtete er 1979 ein gemeinschaftliches Testament, in dem er und seine kinderlose Gattin sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und zu Schlusserben die Kinder des Erblassers aus erster Ehe bestimmten. Für den Fall, dass der Ehemann zuerst verstürbe und seine beiden Kinder daraufhin ihren Pflichtteil verlangen sollten, war vorgesehen, dass die Ehefrau frei wäre, neu zu testieren.
Indes verstarb die zweite Ehefrau vor dem Erblasser, nämlich im Jahr 2003. Ca. ein Jahr später ging der Erblasser ein drittes Mal den Bund des Lebens ein. In der Folge schloss der Erblasser etliche Renten- und Lebensversicherungsverträge ab und benannte die dritte Ehefrau für den Fall seines Todes als Bezugsberechtigte. Zusätzlich erhielt sie von ihm erhebliche Zuwendungen zum Erwerb einer Immobilie in Starnberg.
Nach dem Tod des Erblassers verlangten seine Kinder aus erster Ehe von der letzten Ehefrau Herausgabe der vorgenannten Zuwendungen, im Falle der Versicherungsverträge durch Abtretung ihrer Bezugsberechtigung, da es sich hierbei um beeinträchtigende Schenkungen i.S.v. § 2287 Abs. 1 BGB gehandelt habe.
Nach einhelliger Meinung ist diese erbvertragliche Norm auf das gemeinschaftliche Testament entsprechend anwendbar – allerdings nur, soweit dort wechselbezügliche Verfügungen getroffen werden (BGH, Urt. v. 23.09.1981 – IVa ZR 185/80 – BGHZ 82, 274, 277 f.; Reymann in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., 2014, § 2269 Rn. 156). Hintergrund ist die weitgehend identische Interessenlage betreffend die Bindung des Erblassers (eingehend Musielak in: MünchKomm BGB, 6. Aufl., 2013, § 2271 Rn. 45).
Genau bei der Wechselbezüglichkeit lag der Knackpunkt des Falles und dessen Lösung durch das OLG München. Wie § 2270 Abs. 1 BGB zu entnehmen ist, sind diejenigen Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments wechselbezüglich, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Gatten nicht ohne die des anderen getroffen worden ist. Soweit das Testament hierzu keine klaren Aussagen enthält, ist der Wille der Ehegatten durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BayObLG, Beschl. v. 29.04.1982 – 1 Z 11/82 – Rpfleger 1982, 285; umfassend Reymann in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., 2014, § 2270 Rn. 17 ff.). Bei der Auslegung sind auch die Äußerungen des überlebenden Ehegatten zur Frage der Wechselbezüglichkeit mitzuberücksichtigen (so ausdrücklich BayObLG, Beschl. v. 29.04.1982 – 1 Z 11/82).
Das OLG München bezog sich insoweit ganz maßgeblich auf die Zeugenaussage eines Rechtsanwalts, der den Erblasser im Jahr 2004 im Hinblick auf die neue Situation nach dem Tod der zweiten Ehefrau und anschließender Neuverheiratung beraten hatte. In diesem Zusammenhang habe der Erblasser ihm ausdrücklich gesagt, es sei bei Errichtung des fraglichen Testaments der ausdrückliche Wille – und zwar sowohl von ihm selbst als auch seiner zweiten Frau – gewesen, dass am Ende seine beiden Kinder alles bekommen sollten, dass er sich hieran gebunden fühle und nichts gegen den Willen seiner zweiten Frau tun wolle. Aus diesem Grund habe es der Erblasser auch abgelehnt, sich durch Anfechtung analog den §§ 2281 i.V.m. 2079 BGB von dem gemeinschaftlichen Testament zu lösen.
Dies bestätigte auch eine weitere Zeugin, nämlich die Friseuse des Erblassers, der ihr hiervon ebenfalls erzählt habe.
Vor diesem Hintergrund sah das OLG München die Erbeinsetzung der Kinder zu Schlusserben als von beiden Ehegatten bindend gewollte wechselbezügliche Verfügung an.
Da eine beeinträchtigende Schenkung i.S.v. § 2287 BGB nach ständiger Rechtsprechung nicht verlangt, dass der maßgebliche Beweggrund der Schenkung in der Absicht besteht, den Vertrags-/Schlusserben zu schädigen bzw. ihm die Vorteile der Erbeinsetzung zu entziehen, sondern vielmehr eine Schenkung unter § 2287 BGB fällt, wenn der Erblasser hieran kein anerkennenswertes lebzeitiges Interesse hat (BGH, Urt. v. 05.07.1972 – IV ZR 125/70 – BGHZ 59, 343; BGH, Urt. v. 23.09.1981 – IVa ZR 185/80 – BGHZ 82, 274, 281; eingehend Geiger in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., 2014, § 2287 Rn. 44 ff.), bejahte das OLG München den Herausgabeanspruch der Kläger gemäß § 2287 Abs. 1 BGB.

C. Kontext der Entscheidung

Zunächst einmal erscheint das Verhalten des Erblassers nicht wirklich stringent: Einerseits fühlt er sich an das gemeinschaftliche Testament mit seiner zweiten Ehefrau gebunden und will auch eine Anfechtung nicht näher erwägen. Andererseits nimmt er ganz erkleckliche Schenkungen vor, die die Position seiner Schlusserben doch offensichtlich unterminieren. Besonders deutlich wird das an der Bezugsberechtigung der dritten Ehefrau an den Versicherungsleistungen nach seinem Tod.
Letztlich dürfte der Sachverhalt – wie so oft im Erbrecht – vor allem menschlich-psychologisch zu begreifen sein.
Juristisch ist klar zu trennen zwischen der Schlusserbeneinsetzung der Kinder einerseits und der Frage, ob und inwieweit die Ehegatten diesbezüglich eine Bindungswirkung gewollt haben mögen. Da das Testament der Ehefrau die Befugnis zur erneuten letztwilligen Verfügung einräumte, wenn bei Erstversterben des Ehemanns dessen Kinder ihren Pflichtteil verlangen sollten, wussten die Eheleute offensichtlich um die potentielle Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments und wollten diese jedenfalls dem Grunde nach auch.
Generell liegt es bei einem gemeinschaftlichen Testament eines kinderlosen Ehegatten und einem mit Kindern aus einer anderen Beziehung nahe, dass die Schlusserbeneinsetzung dieser Abkömmlinge wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des kinderlosen Ehepartners ist, weil diese bei völliger Bindungslosigkeit des kinderlosen Ehepartners Gefahr liefen, überhaupt nichts vom Nachlass ihres zuerst verstorbenen Elternteils zu erhalten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 28.04.1992 – 1Z BR 17/92 – NJW-RR 1992, 1223; Litzenburger in: Bamberger/Roth, BGB, 41. Ed., Stand 01.11.2016, § 2270 Rn. 20). Hiernach leuchtet es unmittelbar ein, dass der Erblasser seine Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt hatte, weil diese – wechselbezüglich – seine Kinder ebenfalls als Schlusserben eingesetzt hatte.
Ob vorliegend aber wirklich hinreichende Anhaltspunkte bestanden haben, dass die Ehefrau den Erblasser nur deswegen zum Alleinerben bestimmt hatte, weil dieser seine eigenen Kinder zu Schlusserben berufen hatte – sprich ob die Ehefrau tatsächlich wollte, dass ihr Ehemann und leiblicher Vater der Schlusserben im Falle ihres Vorversterbens keine Abänderungsmöglichkeit haben solle –, ist wohl doch zweifelhaft.
Vielmehr spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass beim Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen dem zuerst verstorbenen Ehegatten und dem eingesetzten Schlusserben der Längerlebende berechtigt bleiben soll, die Erbfolge anderweitig festzulegen (vgl. OLG München, Beschl. v. 16.04.2007 – 31 Wx 108/06 – FamRZ 2007, 2111; OLG Koblenz, Beschl. v. 13.12.2006 – 2 U 80/06 – FamRZ 2007, 1917; OLG Schleswig, Beschl. v. 05.09.2011 – 3 Wx 64/10 – FamRZ 2012, 402).
Hieran ändert auch die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB nichts, wonach Wechselbezüglichkeit im Zweifel gegeben ist, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn einem Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht. Auf diese Zweifelsregelung kommt es ohnehin erst an, wenn und soweit nicht bereits die Auslegung der jeweiligen Verfügungen zu einem eindeutigen Ergebnis geführt haben sollte (BayObLG, Beschl. v. 17.03.2005 – 1Z BR 106/04 – FamRZ 2005, 1931, 1932; Podewils, ErbStB 2014, 165). Jedenfalls sind Verwandte des überlebenden Ehegatten im Allgemeinen keine dem Erstversterbenden nahestehende Personen i.S.v. § 2270 Abs. 2 BGB (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.07.1997 – 20 W 193/95 – FamRZ 1997, 1572).

D. Auswirkungen für die Praxis

Nach alledem dürfte es sich im gegebenen Fall mutmaßlich eher um eine sog. „einseitig wechselbezügliche“ Verfügung gehandelt haben (hierzu Reymann in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., 2014, § 2270 Rn. 15). Dieser Gedanke dürfte auch dem OLG München zwischendurch gekommen sein; denn es weist, wenn auch aus dem Zusammenhang gerissen, darauf hin, dass auf diese Fälle die §§ 2270, 2271 BGB nach allgemeiner Meinung analog anzuwenden seien (unter Verweis auf Musielak in: MünchKomm BGB, 6. Aufl., 2013, § 2270 Rn. 3). Dies ist so allerdings nicht ganz richtig und auch der vom Gericht zitierten Kommentarstelle nicht zu entnehmen. Vielmehr ist in solchen Konstellationen ausschließlich die Verfügung, die mit Rücksicht auf die andere getroffen wurde, wechselbezüglich; die andere ist frei widerruflich (vgl. Weidlich in: Palandt, BGB, 76. Aufl., 2017, § 2270 Rn. 2 m.w.N.; Reymann in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., 2014, § 2270 Rn. 15). Folgerichtig kommt auch eine Anwendung von § 2287 Abs. 1 BGB nur in Bezug auf erstere in Frage.
Das Risiko späterer Erbstreitigkeiten lässt sich zumindest minimieren, wenn bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments unmissverständlich klargestellt wird, welche Verfügungen wechselbezüglich, welche nicht wechselbezüglich – und ggf. noch welche lediglich einseitig wechselbezüglich sein sollen.