KG, Beschluss vom 28.11.2014, 6 W 140/14

Leitsatz:
1. Bei der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gemäß § 1956 BGB sind für die Kausalitätsprüfung des Irrtums für den hypothetischen Kausalverlauf die dem Anfechtenden zum Zeitpunkt des Fristablaufs bekannten und darüber hinaus die für ihn damals mit zumutbarer Anstrengung erfahrbaren Umstände zugrunde zu legen, nicht jedoch die erst wesentlich später bekannt gewordenen Tatsachen, die zu der weiteren Anfechtung dieser Anfechtungserklärung geführt haben. (amtlicher Leitsatz)

  1. Für diese zweite Anfechtung gelten die Fristen des § 121 BGB, nicht die längeren Fristen des § 1954 BGB. (amtlicher Leitsatz)

Gründe:
I. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind neben einem nachverstorbenen älteren Bruder die Kinder der Erblasserin. Die Beteiligten zu 3) bis 5) sind die Kinder der Beteiligten zu 1).

Am 19.11.1996 ging bei dem Nachlassgericht folgende notariell beglaubigte Erklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996 ein: „Die Erbschaft habe ich nicht annehmen wollen. Über die Frist zur Ausschlagung war mir nichts bekannt. Ich fechte daher die Versäumnis der Ausschlagungsfrist hiermit an und schlage die Erbschaft nach meine Mutter aus allen möglichen Berufungsgründen aus. Der Nachlass ist überschuldet“ (Bl. 1 bis 3 d. A.).

Am 29.8.2013 ging die notariell beglaubigte Anfechtungserklärung der Erbausschlagung der Beteiligten zu 1) vom 28.8.2013 (Bl. 26 f.) ein, in der sie die Anfechtung damit begründete, dass sie bei der Ausschlagung davon ausgegangen sei, der Nachlass sei überschuldet, jetzt jedoch durch ein Schreiben von Geneologen erfahren habe, dass zum Nachlass ihrer Mutter noch ein Anteil am Nachlass einer Tante ihrer Mutter, der Frau M. L. geb. K., verstorben 1955, gehört. Von dem Genealogen habe sie telefonisch erfahren, dass auf sie und ihre Brüder wohl ca. 12.000 Euro entfallen würden. Sie gehe deshalb davon aus, dass der Nachlass ihrer Mutter in Wirklichkeit nicht überschuldet war.

Der Beteiligte zu 2) hat durch notariell beurkundete Erklärung vom 12.11.2013 (Bl. 45 bis 52) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der aufgrund gesetzlicher Erbfolge ihn und den nachverstorbenen Bruder zu je 1/3 und im Hinblick auf die Ausschlagung der Beteiligten zu 1) deren Kinder zu je 1/9 als Miterben ausweist; für den Fall, dass die Ausschlagung nicht wirksam sein sollte, hat er hilfsweise die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der statt der Beteiligten zu 3) bis 5) die Beteiligte zu 1) als weitere Miterbin zu 1/3 ausweist. Den Wert des auf den Antrag entfallenden reinen Nachlasswertes hat er mit ca. 65.000 Euro angegeben; hierbei handele es sich um den Anteil der Erblasserin am Nachlass einer vorverstorbenen Tante.

Das Nachlassgericht hat durch den mit der Beschwerde der Beteiligten zu 1) angefochtenen Beschluss vom 14.8.2014 die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und angekündigt, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist dem Hauptantrag zu entsprechen. Dem Hilfsantrag könne nicht gefolgt werden. Die Beteiligte habe im Jahr 2013 ihre Erklärung vom 13.11.1996 nicht mehr anfechten können, da für die Anfechtung der Anfechtungserklärung nicht die 30-jährige Frist des § 1954 BGB, sondern die 10-jährige Frist des § 121 Abs. 2 BGB gelte.

6Nach Zustellung des Beschlusses am 20.8.2014 an den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) ist dessen Beschwerde vom 11.9.2014 am 12.9.2014 eingegangen, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.

  1. Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte, form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Nachlassgericht hat über den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge durch die funktionell zuständige Rechtspflegerin (§ 3 Nr. 2 c) RPflG entschieden; ein Richtervorbehalt (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG) greift hier nicht ein.

Da die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes verwitwet war und eine testamentarische Verfügung nicht ermittelt worden ist, sind ihre Kinder zu gleichen Teilen ihre gesetzlichen Erben (§ 1924 Abs. 1 und 4 BGB). Die Beteiligte zu 1) ist durch Ausschlagung als Miterbin weggefallen mit der Folge, dass an ihre Stelle ihre Kinder getreten sind (1953 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 1924 Abs. 3 BGB).

  1. Die erste Anfechtungserklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996, mit der sie die Annahme der Erbschaft und Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten hat, war wirksam.
  2. a) Gemäß § 1942 Abs. 1 BGB geht die Erbschaft auf den berufenen Erben unbeschadet des Rechts über, sie auszuschlagen (Anfall der Erbschaft). Gemäß § 1943 BGB kann der Erbe die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat oder wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist verstrichen ist; mit dem Ablauf der Frist gilt die Erbschaft als angenommen. Die Frist beträgt gemäß § 1944 Abs. 1 BGB sechs Wochen und beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und der Grund der Berufung Kenntnis erlangt.

Die Beteiligte zu 1) hatte Kenntnis vom Tod ihrer Mutter und davon, dass sie als ihre Tochter neben ihren beiden Brüdern als gesetzliche Miterbin berufen wäre. Die Ausschlagungsfrist war damit bei Abgabe ihrer Erklärung vom 13.11.1996 abgelaufen, wovon sie in dieser Erklärung auch selbst ausgegangen ist. Eine etwaig anfänglich bestehende Vorstellung, nicht Erbin „gewesen“ zu sein, „weil kein Vermögen vorhanden war“ (Bl. 88 d. A.), steht dem Beginn der Frist nicht entgegen, weil es sich dabei um keinen beachtlichen Rechtsirrtum handelt, sondern nur um die auf Tatsachen beruhende Schlussfolgerung, mangels eines vorhandenen Aktivnachlasses nichts geerbt zu haben.

  1. b) Die auf dem ungenutzten Verstreichenlassen beruhende Fiktion der Annahme gemäß § 1943 BGB und die Versäumung der Ausschlagungsfrist hat die Beteiligte zu 1) indes durch ihre Anfechtungserklärung gemäß §§ 1954 ff. BGB i. V. m. § 119 Abs. 1 BGB beseitigt mit der in § 1957 Abs. 1 BGB geregelten gegenläufigen Wirkung, dass die (fiktive) Annahme als Ausschlagung gilt.
  2. aa) Die Beteiligte zu 1) hat sich nach ihren Angaben in der Erklärung vom 13.11.1996 darüber geirrt, dass es der Ausschlagung der Erbschaft bedarf und dass die Versäumung der Ausschlagungsfrist von Gesetzes wegen zur Annahme führt. Hierin liegt nach allg. Auffassung (vgl. BayObLG MittRhNotK 1979, 159, 160; OLG Hamm OLGZ 1985, 286; BayObLGZ 1993, 88; BayObLG NJW-RR 1994, 586; OLG Rostock NJW-RR 2012, 1356 Rz. 17; OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 122 Rz. 12; Leipold in: Münchener Kommentar, 6. Auflage 2013 § 1956 Rz. 7 ff.; Palandt-Weidlich, BGB, 73. Auflage 2014 Rn. 2) seit der Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 143, 419, 422 f. ein beachtlicher Anfechtungsgrund gemäß § 1956 BGB, und zwar ein Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 2. Fall BGB (so RG a. a. O.).
  3. bb) Gemäß § 119 Abs. 1 BGB setzt die wirksame Anfechtung weiter die Feststellung voraus, dass der Anfechtende „bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles“ die angefochtene Erklärung nicht abgegeben hätte. Für diese Kausalitätsprüfung ist eine objektive Wertung vorzunehmen, die auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist abstellt (Leipold a. a. O. Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 29.1.2009 – I-15 Wx 213/08, NJW-RR 2009, 1664 = FamRZ 2009, 1353 Rz. 22). Voraussetzung des Anfechtungsrechtes ist mithin, dass ohne den Irrtum weder der Irrende noch auch ein unparteiischer Beobachter bei verständiger Würdigung der Gesamtheit der Umstände die Annahme erklärt oder die Abgabe einer wirksamen Ausschlagungserklärung versäumt hätte (RGZ a. a. O. S. 424).

(1) Für den hypothetischen Kausalverlauf sind nach Auffassung des Senats die dem Anfechtenden zum Zeitpunkt des Fristablaufs bekannten und darüber hinaus auch die für ihn damals mit zumutbarer Anstrengung erfahrbaren Umstände zugrunde zu legen, nicht jedoch die erst wesentlich später bekannt gewordenen Tatsachen, die zu der weiteren „Anfechtung der Anfechtung“ geführt haben. Denn die für die Kausalitätsprüfung hypothetisch zugrunde zu legende „Kenntnis der Sachlage“ bezieht sich auf den speziellen Sachverhalt, hinsichtlich dessen der Anfechtende bei der Abgabe der Erklärung – die bei der Annahme durch Ablauf der Ausschlagungsfrist fingiert wird – im Irrtum war, nicht auf die Kenntnis aller später jemals bekannt gewordener Umstände. Eine derart weite Einschränkung des Anfechtungsrechtes durch die Kausalitätsprüfung würde über den Gesetzeszweck der Kausalitätsprüfung auf objektiver Tatsachengrundlage weit hinaus gehen. Denn der Gesetzgeber bezweckte mit dem Kausalitätserfordernis, einem Missbrauch des Anfechtungsrechtes vorzubeugen, indem es „subjektiven Launen“ den Schutz versagt (vgl. Münchener-Kommentar-Armbrüster, 6. Auflage 2012 § 119 Rn. 137; Staudinger-Singer, BGB März 2004 § 119 Rn. 98; Anm. Stein zu LG Bonn, Rpfleger 1985, 148, 149). Es handelt sich damit um eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung bekannten Tatsachen. Der „Idee“ des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) im Schriftsatz vom 28.3.2014, dass wegen des erst später durch die Recherchen der Genealogen bekannt gewordenen Anteils am Nachlass einer vorverstorbenen Tante der Erblasserin als Aktivbestandteil des Nachlasses bereits für den Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist objektiv von der fehlenden Überschuldung auszugehen gewesen sei und bereits hieran die Wirksamkeit der ersten Anfechtungserklärung scheitere, kann also nicht gefolgt werden

(2) Es kommt demzufolge zunächst darauf an, ob die Beteiligte zu 1) aus ihrem Kenntnisstand heraus zum Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist aus damaliger Sicht objektiv berechtigten Anlass für die Ausschlagung wegen Überschuldung hatte. Vorliegend hat die Beteiligte zu 1) auf die Fragen des Nachlassgerichts vom 4.2.2014 und 5.3.2014 mit den Schriftsätzen ihres Verfahrensbevollmächtigten vom14.2.2014 und 28.3.2014 (Bl. 86 bis 91 d. A.) vortragen lassen, schon vor dem Tode ihrer Mutter gewusst zu haben, dass kein Vermögen vorhanden war. Diese habe sich in einem verwahrlosten Zustand befunden und der Betreuer habe sich nicht ordnungsgemäß um sie gekümmert. Sie habe sowohl vor als auch nach der Zeit der Abgabe der Erklärung vom 13.11.1996 Schreiben von Nachlassgläubigern erhalten; in der Zeit davor sei sie von der Wohnungsbaugesellschaft in Anspruch genommen worden. Ihre damalige Arbeitgeberin habe ihr daraufhin geraten, zu einem Notar zu gehen und die Erbschaft auszuschlagen. Für offene Forderungen der vormaligen Vermieterin, des Gaslieferanten und der Rentenversicherungsanstalten sprechen auch die sich in der Nachlassakte befindlichen Anfragen nach dem Erben (Bl. 6 bis 15 d. A.). Da auch der Beteiligte zu 2) in seinem Erbscheinsantrag S. 4 (Bl. 48 d. A.) als Nachlassvermögen lediglich den Anteil an dem Nachlass der Tante der Erblasserin angegeben hat, ist von der Richtigkeit der Angaben der Beteiligten zu 1) auszugehen, dass außer diesem erst später bekannt gewordenen Nachlassgegenstand kein verwertbarer Aktivnachlass vorhanden war. Jede bekannt gewordene Forderung gegen den Nachlass musste daher zwangsläufig dessen Überschuldung zur Folge haben. Ein umsichtiger Erbe, der von dem fehlenden Aktivnachlass Kenntnis hatte, hätte schon deswegen vorsorglich vor Ablauf der Frist die Ausschlagung erklärt, auch wenn er noch nicht von einem Nachlassgläubiger als Erbe ermittelt und in Anspruch genommen worden ist, zumal hier aufgrund der unzureichenden Betreuung und Verwahrlosung mit Forderungen des Vermieters zu rechnen war.

(3) Unabhängig davon wäre für die Kausalität – bezogen auf den damaligen Zeitpunkt des Fristablaufs – nicht allein auf die subjektive Kenntnis des Anfechtenden abzustellen (so allerdings offenbar OLG Düsseldorf a. a. O. und Rz. 14), sondern auf „die Sicht einer vollinformierten Person“ (so BayObLG NJW-RR 2004 a. a. O. Rz. 30), weil diese breitere Erkenntnisgrundlage dem objektiv normativen Maßstab des § 119 Abs. 1 BGB eher entspricht. Eine „vollinformierte Person“ hätte hier vor Ablauf der Ausschlagungsfrist Kenntnis von den oben genannten Nachlassverbindlichkeiten gehabt.

  1. Die zweite Anfechtungserklärung vom 29.8.2013 hat nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit der ersten Anfechtungserklärung vom 13.11.1996 geführt, da die zweite Anfechtungserklärung nicht wirksam ist.
  2. a) Gegen die rechtliche Möglichkeit, eine Anfechtungserklärung anfechten zu können, bestehen zwar keine grundsätzlichen Bedenken (BayObLG, Beschluss vom 29.1.1980 – BReg 1 Z 78/79, BayObLGZ 1980, 23, Rz. 34).
  3. b) Es liegt auch ein Anfechtungstatbestand vor. Die Beteiligte befand sich bis zu der Information durch die Genealogen M. & L. in einem kausalen Irrtum über die tatsächlich nicht gegebene Überschuldung des Nachlasses; die Überschuldung stellt nach allg. Auffassung eine verkehrswesentliche Eigenschaft desselben im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB dar (vgl. BayObLG NJW-RR 1999, 590 = FamRZ 1999, 1172; OLG Hamm vom 29.1.2009 Rz. 14 f.; Palandt-Weidlich a. a. O. § 1954 R. 6). Hätte sie gewusst, dass sich im Nachlass ein vermögenswerter Erbteil befindet, der die Nachlassforderungen übersteigt, hätte sie die Anfechtungserklärung vom 13.11.1996 vernünftigerweise nicht abgegeben.
  4. c) Die Anfechtungserklärung entspricht auch der in §§ 1955, 1945 BGB geforderten Form, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese Vorschriften (entsprechend) anwendbar sind..
  5. d) Sie ist jedoch nicht fristgemäß erfolgt.
  6. aa) Nach den allgemeinen Anfechtungsvorschriften muss die Anfechtung gemäß § 121 Abs. 1 BGB unverzüglich erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Davon kann hier unter Zugrundelegung der Angaben der Beteiligten zu 1) nicht ausgegangen werden. Sie hat danach zwar erst durch das Schreiben der Sozietät M. und L. vom 6.8.2013 von dem Anteil am Nachlass ihrer Großtante erfahren (Bl. 27, 94 d. A.), so dass es noch kein schuldhaftes Zögern darstellt, wenn sie Rechtsrat einholte und sich am 12.8.2013 von ihrem Verfahrensbevollmächtigten dahin beraten ließ, dass sie die Anfechtungserklärung abgeben sollte. Dass sodann weitere zwei Wochen nötig waren, um ihre Anfechtungserklärung abzugeben und am 26.8.2013 notariell beglaubigen zu lassen, legt sie nicht dar.
  7. bb) Einer weiteren Aufklärung des Grundes für diese Verzögerung bedarf es nicht, da jedenfalls die Frist des § 121 Abs. 2 BGB nicht gewahrt ist. Diese Vorschrift enthält eine Ausschlussfrist von zehn Jahren seit Abgabe der Willenserklärung, die hier nach Einführung der geänderten Norm ab dem 1.1.2002 zu laufen begann und am 31.12.2011 abgelaufen war (Art. 229 § 6 Abs. 5 EGBGB).
  8. cc) Demgegenüber wären die nach § 1954 für die Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung geltenden Fristen (sechs Wochen ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes und 30 Jahre ab der Annahme oder Ausschlagung) eingehalten.

(1) Unmittelbar ist diese Vorschrift nicht anwendbar. Denn Gegenstand der Anfechtungserklärung ist nicht die Ausschlagungserklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996. Diese hatte lediglich deklaratorische Wirkung, da die wirksame Anfechtung der Annahme und der Versäumung der Ausschlagungsfrist bereits gemäß § 1957 Abs. 1 BGB die gegenläufige Wirkung der Ausschlagung hatte, ohne dass es noch einer solchen ausdrücklichen Erklärung bedurft hätte.

(2) Da mit der wirksamen Anfechtung der Anfechtungserklärung somit nicht nur die Nichtigkeit der ersten Anfechtungserklärung gemäß § 142 Abs. 1 BGB eintreten, sondern zugleich auch die an ihre Wirksamkeit gemäß § 1957 Abs. 1 BGB geknüpfte Funktion entfallen würde und eo ipso der Rechtszustand wieder hergestellt wäre, der vor der ersten Anfechtungserklärung bestanden hat, besteht aus rechtsdogmatischen Gründen auch kein Bedürfnis dafür, die Anfechtung der Anfechtungserklärung wie eine Anfechtung der auf ihr beruhenden Fiktion der Ausschlagung (oder Annahme) zu behandeln und § 1954 BGB analog anzuwenden (BayObLG a. a. O. Rz. 36 bis 40). Dieser Auffassung hat sich das Schrifttum weitgehend angeschlossen (vgl. Palandt-Weidlich a. a. O. § 1955 Rn. 1; Leipold a. a. O. § 1954 Rn.21; Erman-Schmidt, BGB, 14. Auflage 2014 § 1955 Rn. 5 m. w. N.; jurisPK-Kommentar-Hönniger, 7. Auflage 2014, § 1954 Rn. 21; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Auflage 2001 § 8 Ziffer VII lit. l zu gamma S. 223 f.; Muscheler, Erbrecht, 2010, Bd. II § 45 VII. 3. a) S. 1583; Münchener Anwaltshandbuch-Malitz, 2014 § 22 Rz. 62; Kraitz, BWNotZ 1992, 31 ff. 35).

(3) Auch die erbrechtlichen Wirkungen der Anfechtung der Anfechtung rechtfertigen im Ergebnis nicht die analoge Anwendung des § 1954 BGB. Wie sich aus den vorstehend dargestellten Wirkungen einer zweiten wirksamen Anfechtungserklärung ergibt, hat zwar auch diese wiederum Konsequenzen für die Nachlassbeteiligten, auch sie kann Maßnahmen das Nachlassgerichtes veranlassen. Im Hinblick darauf wird von Gegenstimmen in der Literatur vertreten, dass die Bestimmung des § 1954 BGB auch für die Anfechtung der Anfechtung anzuwenden sei und beide Institute gleich zu behandeln seien (vgl. Soergel-Stein a. a. O. Rn. 12; Damrau/Masloff, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Auflage 2014, § 1954 Rn. 13; LG Berlin, Beschluss vom 6.12.1990 – 83 T 323/90, NJW 1991, 1238, Orientierungssatz Nr. 2 und Rz.18 zitiert nach Juris).

(4) Das OLG Hamm hat sich entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) in dem Beschluss vom 29.1.2008 zu dieser Frage nicht geäußert und sich lediglich für die entsprechende Anwendung der Formvorschriften der §§ 1955, 1945 ausgesprochen (Rz. 37 ff.), die dort schon nicht eingehalten war.

(5) Der Senat ist der Auffassung, dass eine entsprechende Anwendung der längeren Fristen des § 1954 BGB für die „Anfechtung der Anfechtung“ nicht geboten erscheint. Dies gilt zunächst für die Anfechtungsfrist von sechs Wochen. Denn hat der Erbe bereits eine Anfechtungserklärung in der besonderen Form der §§ 1955, 1945 abgegeben, weiß er um die Bedeutung dieser Erklärung für den Rechtsverkehr. Erfährt er später von Tatsachen, die seine in besonderer Form abgegebene Anfechtungserklärung wiederum als irrtumsbehaftet erscheinen lassen, ist es ihm zumutbar, nunmehr unverzüglich die Anfechtung der Anfechtung zu erklären, um möglichst schnell Rechtsklarheit zu schaffen. Darüber hinaus besteht aber auch kein Bedürfnis, durch eine entsprechende Anwendung der langen dreißigjährigen Ausschlussfrist gemäß § 1954 Abs. 4 BGB einen erneuten irrtumsbedingten Wechsel der Erbfolge zu ermöglichen, vielmehr ist dem Rechtssicherheitsinteresse der Vorzug zu geben. Die Ausschlussfrist soll dem Bedürfnis aller Nachlassbeteiligten und des Rechtsverkehrs nach endgültiger Rechtssicherheit dienen und vor den erheblichen Schwierigkeiten der Rückgängigmachung lang zurückliegender Entscheidungen des Erben bewahren. Angesichts der – seit der Schuldrechtsmodernisierung (1.1.2002) von den allgemeinen Vorschriften abweichenden – Dauer von 30 Jahren ist die Erreichung dieses Zwecks schon bei der ersten Anfechtung erheblich eingeschränkt. Würde sie auf nachfolgende Anfechtungen analog angewendet, würde ihr Zweck letztlich in ihr Gegenteil verkehrt, weil mit je 30-jährigen Fristen die Erbenstellung nach erfolgreicher Anfechtung wechseln könnte, was der Rechtssicherheit diametral zuwider läuft. Ein demgegenüber überragendes Schutzbedürfnis des sich mehrfach irrenden Erben an dem Durchgreifen seiner erneuten Anfechtungserklärung nach dem Ablauf von über zehn Jahren seit Abgabe seiner ersten Anfechtungserklärung besteht nach Auffassung des Senats nicht.

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, 1. Alt. FamFG wegen der grundsätzlichen klärungsbedürftigen Fragen der entsprechenden Anwendbarkeit des § 1954 BGB auf die Anfechtung der Anfechtungserklärung und wegen der unter II. 1. b) bb) erörterten Frage der Kausalität gemäß § 119 Abs. 1 BGB zugelassen.