Nachfolgend ein Beitrag vom 10.10.2016 von Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 41/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Die zur Erlangung der vollständigen Steuerbefreiung einer Kunstsammlung erforderliche Bereitschaft des Steuerpflichtigen, die Gegenstände den geltenden Bestimmungen der Denkmalspflege zu unterstellen, ist ein subjektives Tatbestandsmerkmal. Auf dessen Vorliegen kann nur anhand objektiver Sachverhalte geschlossen werden. Indizwirkung für die Bereitschaft können eine Erklärung gegenüber der zuständigen Denkmalbehörde oder der Abschluss eines Leih- und Kooperationsvertrages mit einem fachlich einschlägigen Museum entfalten.
2. Der Erwerb einer Kunstsammlung ist nur insoweit in vollem Umfang steuerbefreit, als sich die einzelnen zur Kunstsammlung gehörenden Gegenstände zum Zeitpunkt des Erwerbs bereits mindestens 20 Jahre im Besitz der Familie befunden haben.

A. Problemstellung

Es war zu klären, unter welchen Voraussetzungen der Erwerb einer Kunstsammlung vollumfänglich von der Schenkungsteuer befreit ist. In der Besprechungsentscheidung wird erstmals zu den einzelnen Voraussetzungen ausführlich Stellung genommen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger erhielt von seinem Vater (V.) mit dessen Ableben (Mitte Januar 2006) 20 Kunstwerke bekannter Maler des 19. und 20. Jahrhunderts geschenkt. 16 dieser Werke hatte V. bis 1985 und vier in der Zeit ab Ende Januar 1986 angeschafft. Seit der Anschaffung waren alle Werke durchgehend im Besitz der Eltern des Klägers und wurden an deren Wohnort in Z. verwahrt.
Am 27.04.2006 schloss der Kläger einen Kooperationsvertrag mit einer Stiftung (S.), die in Y. Kunstwerke in einem Museum ausstellt. S. erklärte, dass die Erhaltung der Kunstsammlung wegen ihrer Bedeutung für die Kunst im öffentlichen Interesse liege und sie daher daran interessiert sei, Bilder der Sammlung als Leihgabe zu erhalten und zur wissenschaftlichen Forschung zu bearbeiten. S. erhielt das jederzeitige Zugriffsrecht für die Dauer des Vertrages, um den gesamten Kunstbesitz oder einzelne Werke auszustellen. Der Kooperationsvertrag wurde für eine Dauer von zehn Jahren fest geschlossen. Seit April 2007 werden Bilder der Sammlung in Ausstellungen der S. und in anderen Museen gezeigt. Ein Werk verkaufte der Kläger.
Der Kläger beantragte in der Schenkungsteuererklärung vom 01.06.2006 die vollständige Schenkungsteuerbefreiung für die Sammlung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. b ErbStG. Das Finanzamt gewährte – mit Ausnahme für das verkaufte Werk – eine Steuerbefreiung von 60% nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. a ErbStG. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Der BFH hat entschieden, dass der Erwerb der Kunstsammlung – abgesehen von dem verkauften Werk – in vollem Umfang steuerbefreit ist, soweit sich die zur Kunstsammlung gehörenden Kunstwerke zum Zeitpunkt der Schenkung bereits 20 Jahre im Familienbesitz befunden haben. Für die vier erst in der Zeit ab Ende Januar 1986 erworbenen Kunstwerke scheide dagegen eine volle Steuerbefreiung aus. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Zur Gewährung der vollständigen Steuerbefreiung sei erforderlich, dass der Steuerpflichtige, also der Erwerber der Kunstsammlung, seine Bereitschaft nachweise, die Gegenstände den geltenden Bestimmungen der Denkmalspflege zu unterstellen. Dazu müsse er geeignete objektive Anhaltspunkte darlegen, die einen Rückschluss auf seine subjektive Bereitschaft zuließen. Ausreichend sei aber die Bekundung der generellen Bereitschaft z.B. in einer Erklärung gegenüber der Denkmalbehörde. Zuständig sei bei beweglichen Kunstgegenständen die Behörde an dem Ort, an dem sich zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 Abs. 1 ErbStG) die Kunstsammlung befinde oder an welchen die Kunstsammlung zeitnah verbracht werde. Auf eine Bereitschaft könne auch hindeuten, dass der Erwerber die konservatorisch einwandfreie, sichere Aufbewahrung und Pflege der Kunstgegenstände, die Einleitung von Maßnahmen der Instandhaltung, Restaurierung usw. darlege oder einen Leih- und Kooperationsvertrag mit einem fachlich einschlägigen Museum abschließe.
Die Maßnahmen, die in einer Gesamtschau als Indizien für den objektiven Nachweis der Bereitschaft dienen sollen, müssten in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang nach dem Erwerb bereits vorhanden oder zumindest eingeleitet sein. Ein zeitlicher Zusammenhang von bis zu ca. sechs Monaten ab Kenntnis des Erwerbs durch den Erwerber sei noch als rechtzeitig anzusehen.
Der Kläger habe mit dem Abschluss des Kooperationsvertrags rechtzeitig seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, seine Sammlung den geltenden Bestimmungen der Denkmalspflege zu unterstellen. S. sei das jederzeitige Zugriffsrecht auf seine Sammlung eingeräumt worden. Die Werke würden seit 2007 auch tatsächlich ausgestellt.
II. Die vollständige Steuerbefreiung einer Kunstsammlung setze weiter voraus, dass sich die einzelnen Gegenstände für den gesetzlich vorgesehenen Zeitraum von 20 Jahren im Familienbesitz befunden haben. Erfüllten einzelne Werke diese Voraussetzung zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht, sei der Erwerb insoweit nicht vollumfänglich, sondern allenfalls nur zu 60% steuerbefreit.
Im Streitfall hätten sich 15 Kunstwerke der Sammlung am Todestag des V seit 20 Jahren im Besitz der Familie des Klägers befunden. Vier weitere Kunstwerke seien hingegen erst zwischen Ende Januar 1986 und 1995 angeschafft worden; insoweit sei die zwanzigjährige Haltedauer am Todestag nicht erfüllt gewesen.
III. Für das vom Kläger verkaufte Kunstwerk sei die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen. Für den Wegfall der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG sei entscheidend, ob ein zu einer Kunstsammlung gehörendes Kunstwerk veräußert oder nicht mehr den Zwecken der Forschung oder der Volksbildung nutzbar gemacht werde. Der Begriff „Gegenstände“ bezeichne die einzelnen zu einer Kunstsammlung gehörenden Kunstwerke und stelle ebenso wie § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. b sublit. bb ErbStG nicht auf die gesamte Kunstsammlung als solche ab. Der Verkauf eines einzelnen Kunstwerkes habe demnach zur Folge, dass für dieses einzelne Kunstwerk die Steuerbefreiung wegfalle.

C. Kontext der Entscheidung

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. a ErbStG bleiben steuerfrei u.a. Grundbesitz oder Teile von Grundbesitz, Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive mit 60% ihres Werts, wenn die Erhaltung dieser Gegenstände wegen ihrer Bedeutung für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft im öffentlichen Interesse liegt, die jährlichen Kosten in der Regel die erzielten Einnahmen übersteigen und die Gegenstände in einem den Verhältnissen entsprechenden Umfang den Zwecken der Forschung oder der Volksbildung nutzbar gemacht sind oder werden.
Die Steuerbefreiung wird in vollem Umfang gewährt, wenn die Voraussetzungen des lit. a erfüllt sind und ferner der Steuerpflichtige bereit ist, die Gegenstände den geltenden Bestimmungen der Denkmalspflege zu unterstellen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. b sublit. aa ErbStG), und die Gegenstände sich seit mindestens 20 Jahren im Besitz der Familie befinden oder in dem Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes oder national wertvoller Archive nach dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (BGBl II 1990, 885, 914), eingetragen sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. b sublit. bb ErbStG).
Nach dem Einleitungssatz des § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gehören sowohl Kunstgegenstände als auch Kunstsammlungen zu den begünstigten Gegenständen. Die näheren Anforderungen, die bei einem begünstigten Erwerb jeweils erfüllt sein müssen, beziehen sich auf den im Einzelfall zu beurteilenden konkreten Erwerbsgegenstand (BFH, Urt. v. 06.06.2001 – II R 7/98 – BFH/NV 2002, 28). Dem Erwerber einzelner Kunstwerke aus einer Sammlung steht die volle Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 lit. b ErbStG nicht zu, wenn bezogen auf diese Einzelstücke das zeitliche Erfordernis der zwanzigjährigen Zugehörigkeit zum Familienbesitz nicht erfüllt ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Steuerbefreiung ist sowohl bei einer Schenkung als auch bei einem Erwerb von Todes wegen anzuwenden. Der BFH hat die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung zumindest im Hinblick auf ein Tatbestandsmerkmal erleichtert. Durch die Entscheidung wird deutlich, dass an den Nachweis der Bereitschaft, die erhaltene Kunstsammlung den Bestimmungen der Denkmalspflege zu unterstellen, nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen sind. Genügen kann bereits ein zeitnah zum Erwerb erstelltes Schreiben an die zuständige Denkmalbehörde, in dem die Bereitschaft erklärt wird. Regelmäßig wird die Denkmalbehörde bei beweglichen Gegenständen wie einer Kunstsammlung die Bereitschaftserklärung nicht zum Anlass nehmen, hinsichtlich der Kunstsammlung weitere Schritte zu unternehmen, sondern das Schreiben zu den Akten nehmen. Der Denkmalschutz bezieht sich nach den jeweiligen Landesgesetzen vor allem auf unbewegliche Objekte.
Eine Kunstsammlung kann als Kulturdenkmal auch der Denkmalspflege unterliegen. Zur Begründung der Denkmaleigenschaft ist ein hoheitlicher Akt nicht erforderlich. Als „Denkmalspflege“ werden alle geistigen, technischen, handwerklichen und künstlerischen Maßnahmen nichthoheitlicher Art bezeichnet, die zur Er- und Unterhaltung von Kulturdenkmälern erforderlich sind, also die unmittelbar verbessernden und erhaltenden, die vorsorgenden und beratenden Tätigkeiten, die nicht allein von der öffentlichen Hand ausgeübt werden können. Dies bedeutet, dass bereits mit der – schon im Interesse des Erwerbers liegenden – Konservierung der zu einer Kunstsammlung gehörenden Gegenstände die Bestimmungen der Denkmalspflege erfüllt werden können.