Nachfolgend ein Beitrag vom 24.10.2017 von Hecker/Hees, jurisPR-HaGesR 10/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Zahlung durch eine Gegenleistung ausgeglichen wird. Die Regeln des Bargeschäfts nach § 142 InsO a.F. sind insoweit nicht entsprechend anwendbar.
2. Die in die Masse gelangende Gegenleistung muss für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein. Das sind Arbeits- oder Dienstleistungen in der Regel nicht.
3. Wenn die Gesellschaft insolvenzreif und eine Liquidation zugrunde zu legen ist, ist die in die Masse gelangende Gegenleistung grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bemessen.

A. Problemstellung

Muss die eigene GmbH oder GmbH & Co. KG Insolvenz anmelden, sieht sich jeder Geschäftsführer über kurz oder lang Haftungsansprüchen des Insolvenzverwalters ausgesetzt. Der Vorwurf lautet: Der Geschäftsführer habe trotz Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit noch Zahlungen an Dritte geleistet, und diese müsse er wegen Verstoß gegen § 64 GmbHG (bei GmbH oder Limited) oder § 130a HGB (bei GmbH & Co. KG) zurückerstatten.
Liegt der Eintritt der Insolvenzreife schon länger zurück, so erreichen die Ansprüche schnell existenzgefährdende Summen. Zudem häufen sich die Fälle, in denen sich D&O-Versicherer darauf berufen, dass der Zahlungsanspruch aus § 64 GmbHG kein von der Versicherung erfasster Haftpflichtanspruch sei.
Aus Sicht der Geschäftsführer ist es daher von ganz besonderer Bedeutung, Klarheit über die Zulässigkeit von Zahlungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Insolvenzreife zu erlangen.
In der hier besprochenen Entscheidung hat sich der BGH mit der Haftung im Hinblick auf Zahlungen bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen auseinandergesetzt und damit einerseits offene Fragen geklärt, aber zugleich die Haftung der Geschäftsführer noch einmal verschärft.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war Insolvenzverwalter über das Vermögen einer in Deutschland ansässigen private company limited by shares (Limited bzw. Ltd.) nach englischem Recht. Der Beklagte war der Director der Gesellschaft.
Im Revisionsverfahren noch streitig waren Zahlungen der Gesellschaft an diverse Lieferanten, u.a. an die Stadtwerke aufgrund von Energielieferungen, an einen Kaffeedienstleister für sog. „Coffee Services“ inkl. Materiallieferungen und an Angestellte für rückständige Gehälter. Der Kläger hat mit der Behauptung, die Gesellschaft sei bereits vor diesen Zahlungen zahlungsunfähig gewesen, vom Beklagten die Rückzahlung verlangt.
Das OLG Düsseldorf hatte als Berufungsinstanz unter analoger Anwendung des im Anfechtungsrecht maßgeblichen Bargeschäftsprivilegs nach § 142 InsO a.F. den Anspruch des Klägers verneint und die Klage abgewiesen, weil im unmittelbaren Zusammenhang mit den Zahlungen der Gesellschaft endgültig ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt sei, der die mit der Zahlung bewirkte Masseschmälerung ausgeglichen habe.
Auf Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und das Urteil in der Weise abgeändert, dass es dem Klageanspruch – zumindest teilweise – stattgegeben hat.
Wie bereits in einer vorangegangenen Entscheidung festgestellt, urteilte der BGH, dass die Ersatzpflicht des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG entfällt, soweit die durch die Zahlung des Geschäftsführers verursachte Schmälerung der Masse bei der Gesellschaft in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. Zwar liegt nach Ansicht des BGH auch in diesen Fällen grundsätzlich eine zur Ersatzpflicht führende Zahlung i.S.d. § 64 Satz 1 GmbHG vor; durch den damit verbundenen, parallelen wirtschaftlichen Ausgleich entfalle aber der aufgrund der Zahlung bestehende Anspruch gegen den Geschäftsführer. Die Regeln des Bargeschäfts i.S.v. § 142 InsO a.F. finden allerdings nach Auffassung des BGH insoweit keine entsprechende Anwendung, da keine vergleichbare Interessenlage gegeben sei.
Hieraus leitet der BGH ab, dass eine Haftung aufgrund eines Massezuflusses nur entfallen könne, wenn die parallel hierzu erhaltene Gegenleistung für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sei.
Arbeits- und andere Dienstleistungen, Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen, Entgelt für Internet und Kabelfernsehen erhöhen nach konsequenter Auffassung des BGH die für die Gläubiger der Gesellschaft verwertbare Aktivmasse nicht. Diese oder vergleichbare Leistungen an den Schuldner stellen daher keinen Ausgleich des mit der Zahlung verbundenen Masseausgleichs dar. Will der Geschäftsführer trotz Insolvenzreife insbesondere die laufenden Wasser-, Strom-, und Heizkosten sowie den Mitarbeitern die Löhne zahlen, so darf er das nach der jüngst verschärften Rechtsprechung des BGH nur noch unter folgender Voraussetzung: wenn die eingekauften Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen oder die bezogenen Arbeitsleistungen von Mitarbeitern, Internetdiensten oder Wasser erforderlich sind, um den sofortigen Zusammenbruch eines in der Insolvenz sanierungsfähigen Unternehmens zu verhindern. Das wird nur in den allerwenigsten Fällen tatsächlich der Fall sein.
Für Materiallieferungen ist nach Ansicht des BGH die Gegenleistung des Gläubigers der Gesellschaft grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bemessen. Es ist insoweit festzustellen, ob die Insolvenzgläubiger die Gegenleistung verwerten könnten, wenn zum Bewertungszeitpunkt das Verfahren eröffnet wäre. Im vorliegenden Fall ging es u.a. um Kaffeelieferungen im Rahmen des Kaffeedienstleistungsvertrags. Bei der Lieferung geringwertiger Verbrauchsgüter, wie im zugrunde liegenden Fall, kann nach Ansicht des BGH regelmäßig kein wertmäßiger Ausgleich angenommen werden, so dass auch hier kein Ausgleich der mit der Zahlung verbundenen Masseschmälerung gegeben sei.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil des BGH steht in einer Reihe von Entscheidungen des BGH und der Instanzgerichte in den letzten Jahren, die sich mit der Haftung von Geschäftsführern für Zahlungen bei Insolvenzreife einer Gesellschaft befassen.
Um nur einige zu nennen, sei hier zunächst auf die im aktuellen Urteil bereits vom BGH selbst zitierte Entscheidung vom 18.11.2014 (BGH II ZR 231/13) hingewiesen. Dort urteilte der BGH, dass eine Ersatzpflicht des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG dann entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird.
Ebenfalls zu erwähnen ist hier der Beschluss des BGH vom 26.03.2015 (IX ZR 134/13), in dem der BGH feststellt, dass beim Einkauf von Waren und Materialien grundsätzlich Liquidationswerte anzusetzen sind, so dass diese zumeist nicht als gleichwertig zur Zahlung der Gesellschaft anzusehen sind.
Schließlich ist auch das BGH-Urteil vom 23.06.2015 (II ZR 366/13) zu nennen, nach welchem sich der Geschäftsführer bei Zahlungseingängen auf debitorischen Bankkonten damit verteidigen kann, dass er den Geldeingang sogleich zugunsten der Barkasse abgehoben, auf ein kreditorisches Konto der Gesellschaft überwiesen oder dazu verwandt hat, einen werthaltigen Gegenstand für die Masse zu erwerben.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil des BGH konkretisiert weiter die Haftungsrisiken des Geschäftsführers und beantwortet praxisrelevante Fragen. Dabei geht der BGH konsequent im Hinblick auf den Schutz der Masse vor. Ein Austausch von Leistung und Gegenleistung reicht zur Vermeidung einer Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG nicht. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Zahlung eine Leistung gegenübersteht, die tatsächlich der Verwertung zugunsten der Gläubiger zugänglich ist und wertmäßig dem Zahlungsabfluss entspricht.
Geschäftsführer sollten sich dieser weiteren Konkretisierung des Haftungsrisikos bei Zahlungen nach Insolvenzreife bewusst sein. Dies gilt ganz besonders, seitdem D&O-Versicherer sich darauf berufen, dass der Zahlungsanspruch aus § 64 GmbHG kein von der Versicherung erfasster Haftpflichtanspruch sei.

Verschärfte Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife
Carsten OehlmannRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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  • Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)
Verschärfte Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife
Thomas HansenRechtsanwalt
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